Wenn du nicht wählen gehst, verlasse ich dich.
lg deine Demokratie

VON AXEL ROSENEGGER & MAX SPOHN

“Warum soll ich zur Wahl gehen? Nationale Wahlen … von mir aus. Aber Europäische Parlamentswahlen? Das bringt doch wirklich gar nichts!“

Weit gefehlt, liebe Mehrheit!

Mehrheit? Ja! 2014 sind weniger als die Hälfte der wahlberechtigten Deutschen und Österreicher bei den EU-Wahlen wählen gegangen. Der EU-Schnitt lag bei 43 Prozent, in der Slowakei waren es gar nur 13 Prozent.  

Am 26. Mai sind Europäische Parlamentswahlen. Das Europäische Parlament ist deine einzige direkt gewählte Vertretung in der Europäischen Union. Anders als in anderen EU-Ländern wie Belgien gibt es in Deutschland und Österreich keine Wahlpflicht. Du wirst also nicht nicht bestraft, wenn du der Wahlkabine fernbleibst. Wählen zu gehen ist deiner Verantwortung überlassen. Nicht wählen zu gehen ist versäumte Verantwortung.

Nicht wählen gehen aus Protest?

Funktioniert nicht. Deine Stimme verfällt einfach und andere Bürger entscheiden für dich. Für einen wirklichen Protest müsste eine Nachricht bei der Institution, gegen die du protestiert, ankommen (mehr dazu im Artikel unten über Bürgerinitiativen). Als Nichtwähler unterstützt du immer den Wahlsieger, ob du willst oder nicht.

Nicht wählen gehen, weil es sowieso nichts ändert?

Natürlich wirkt deine Stimme auf den ersten Blick verschwindend unbedeutend. Sie ist ja auch nur eine von mehreren Millionen. Wenn sich bei den Europawahlen aber 150 Millionen Menschen denken, ihre Stimme zähle nicht, und nicht wählen gehen, entscheidet eine kleine Minderheit. Wenn du jedoch wählen gehst, hast auch du deine Meinung abgegeben. Deine Stimme zählt im Kollektiv.

Nicht wählen gehen, weil die Parteien alle gleich schlecht sind?

Es wäre naiv, zu glauben, dass alle Parteien und Politiker genau die gleichen Nachteile haben. Jede Partei ist anders, hat eigene Visionen, Programme und auch Fehler. Natürlich gibt es keine Partei, die zu 100 % deine Meinung vertritt. Parteien versuchen, durch Kompromisse eine möglichst große Zahl Gleichgesinnter zu vertreten. Wenn du eine Partei, die die richtigen Akzente setzt, gute Vorschläge macht oder deine Ideen für die Gesellschaft vertritt, mit deiner Stimme unterstützt, stärkt das deine Interessen in der politischen Debatte.

Das Europäische Parlament bestimmt über dein Leben. Daher solltest auch du es mitbestimmen.Deine Stimmenthaltung schwächt die Legitimation der europäischen Gesetzgebung. In Zeiten niedriger Wahlbeteiligung hat das Europäische Parlament ohnehin seine liebe Mühe, sich in den Augen der Bevölkerung zu rechtfertigen. Es wurde ja auch von weniger als der Hälfte von ihnen gewählt. Das Europäische Parlament legt europaweit Standards fest. Bei der Umwelt, der Forschung, der Bildung, dem Internet. In einer europäischen Demokratie zu leben, ist ein unschätzbares Glück. Milliarden andere heute und in der Vergangenheit würden dich darum beneiden. Um die Freiheit, Gesetze zu befolgen, die man sich selbst gegeben hat, für dich und deine Kinder zu bewahren, solltest auch du am 26. Mai den kurzen Weg in die Wahlkabine gehen.

Factsheet

Wie wählen wir?

Deutschland: Wie bei der Bundestagswahl wird direkt gewählt – im Wahllokal oder per Wahlkarte (Briefwahl)

Österreich: Wie bei der Nationalratswahl wird direkt gewählt – im Wahllokal oder per Wahlkarte (Briefwahl).

Wo wählen wir?

Wenn du als wahlberechtigt registriert bist, bekommst du rechtzeitig vor der Wahl (ungefähr einen Monat davor) einen Brief an deine Meldeadresse geschickt, der dir die Adresse deiner Wahlkabine verrät.

Wann wählen wir?

Die Wahl des Europäischen Parlaments findet in Deutschland und Österreich am 26. Mai 2019 statt (Sonntag). In Europa wird je nach Land vom 23.– 26. Mai gewählt. Das Europäische Parlament wird alle fünf Jahre neu gewählt.

Wer darf wählen?

Deutschland: Alle gemeldeten deutschen Bürger, die mindestens 18 Jahre alt sind. Außerdem alle Unionsbürger, die seit mindestens 3 Monaten mit festem Wohnsitz in Deutschland leben.

Österreich: Alle gemeldeten österreichischen Bürger, die mindestens 16 Jahre alt sind. Außerdem alle Unionsbürger, die seit mindestens 3 Monaten mit fixem Wohnsitz in Österreich leben.

Was wählen wir?

Deutschland: Wir wählen eine feste Parteiliste, die Abgeordnete für das Europaparlament stellt. Jede Partei schickt der Reihe nach von oben nach unten so viele Kandidaten ins Parlament, wie es ihr Stimmenanteil erlaubt. Deutschland stellt mit 96 Abgeordneten die höchste Zahl der Parlamentarier.

Österreich: Wir wählen eine Parteiliste, die Abgeordnete ins Europaparlament entsendet. In Österreich kann man Vorzugsstimmen abgeben. Das bedeutet, dass man auf dem Stimmzettel auch angeben kann, welchen Kandidaten der gewählten Partei am liebsten mag. Dieser Kandidat wird dann bei ausreichenden Vorzugsstimmen auf der Parteiliste nach vorne geschoben und hat somit bessere Chancen, ins Parlament gewählt zu werden. Österreich hat momentan 18 Abgeordnete, wird bei der diesjährigen Wahl aber einen weiteren Sitz hinzubekommen.

Eine Vorzugsstimme ermöglicht dem Wähler, auf dem Stimmzettel bei seiner angekreuzten Partei seinen Favoriten der gereihten Kandidatenliste anzugeben. Dieser Kandidat wird bei ausreichenden Vorzugsstimmen „vorgereiht“ und hat so größere Chancen, als Abgeordneter entsandt zu werden.

Das Europäische Parlament: Sprachrohr der Bürger

Wie in den nationalen Parlamenten spielt das Europäische Parlament eine zentrale Rolle in der Gesetzgebung. Jede Verordnung oder Richtlinie wird von den Abgeordneten mitgestaltet und schlussendlich beschlossen. Das Europäische Parlament ist somit das direkte Sprachrohr der Bürger in der EU. Es ähnelt jedoch nicht nur in seiner Funktion den nationalen Parlamenten. Auch seine Wahl ist allgemein, unmittelbar, frei und geheim – genauso wie bei nationalen Wahlen.

Die Wahl ist jedoch nicht in jedem Land gleich. Das heißt, dass die Stimmen der Bürger in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich Gewicht haben. So ist zum Beispiel eine österreichische Stimme „wertvoller“ als eine deutsche. Das liegt daran, dass das Prinzip der degressiven Proportionalität angewandt wird. Bei der Europawahl 2019 erhält Deutschland 96 der insgesamt 705 zu vergebenden Sitze im Europäischen Parlament. Das entspricht einem Sitz pro 811.000 Einwohner. Österreich erhält voraussichtlich 19 Sitze, also etwa einen Sitz pro 441.000 Einwohner. Doch wie werden diese Sitze unter den österreichischen und deutschen Parteien verteilt?

Degressive Proportionalität bedeutet, dass größere Staaten zwar mehr Sitze im Parlament erhalten, kleinere Staaten jedoch mehr Sitze pro Einwohner. Somit wird kleineren Staaten etwas mehr Macht verliehen, um zu verhindern, dass sie von den größeren Staaten bei Entscheidungen einfach übergangen werden.

In allen Mitgliedstaaten der EU müssen die Sitze nach dem Verhältniswahlrecht verteilt werden – selbst in Frankreich, wo sonst nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt wird. Jede Partei bekommt Sitze im Verhältnis zu den Stimmen, die sie erhalten hat.

Im Verhältniswahlrecht werden die Sitze möglichst genau in dem Verhältnis verteilt, das dem Wahlergebnis entspricht. Eine Partei, die ein Viertel der Stimmen erhält, sollte ein Viertel der Parlamentarier entsenden. Im Gegensatz dazu gibt es in anderen Ländern das Mehrheitswahlrecht: Hier gewinnt der Kandidat, für den die meisten Wählerstimmen. Alle anderen gehen leer aus.

Zwischen den Mitgliedstaaten existieren jedoch erhebliche Unterschiede, hauptsächlich in Bezug auf die Anzahl der Wahlkreise und sogenannter Sperrklauseln. In Deutschland und Österreich gibt es grundsätzlich nur einen nationalen Wahlkreis, wobei in Deutschland auch regionale Listen antreten können. Die Sitze werden danach entsprechend des bundesweiten Wahlausgangs verteilt. Die Abgeordneten werden somit nicht für ihre Regionen entsandt, sondern als Repräsentanten ihrer Wähler im ganzen Land.

Eine Sperrklausel bedeutet, dass eine Partei eine gewisse Anzahl an Stimmen erreichen muss, um überhaupt einen Abgeordneten entsenden zu können. Das stärkt größere Parteien, bewirkt aber gleichzeitig, dass Parlamente nicht zu sehr in kleine Fraktionen zersplittern.

In Österreich wird eine Sperrklausel angewandt, sodass Parteien erst Sitze erhalten, wenn sie mehr als vier Prozent der Stimmen erhalten. In Deutschland wurde eine derartige Klausel wiederholt vom Bundesverfassungsgericht verhindert, sodass auch Kleinparteien ins Europäische Parlament einziehen können. So erreichte auch „Die PARTEI“ mit 0,63 Prozent der Stimmen einen Sitz bei der Europawahl 2014. Außerdem können Wähler in Österreich Vorzugsstimmen an ihre bevorzugten Kandidaten verteilen, während in Deutschland die Sitze strikt nach der Reihung der Kandidaten auf den Wahllisten verteilt werden. In beiden Ländern gilt aber: Deine Stimme trägt direkt dazu bei, welche Politiker uns in Straßburg vertreten.

Europäische Parteien: Gemeinsame Interessenvertretung

Wenn wir österreichische Abgeordnete aus österreichischen Parteien wählen, warum gibt es dann auch europäische Parteien? Das hat vor allem praktische Gründe. Die einzelnen nationalen Parteien schließen sich in der EU zu europäischen Parteien zusammen, um ihre gemeinsamen politischen Interessen voranzutreiben.

Die Fraktionen im Europäischen Parlament und die europäischen Parteien sind nicht dasselbe. Eine Fraktion kann aus mehreren europäischen Parteien bestehen und auch Abgeordnete beinhalten, die keiner europäischen Partei angehören. Derzeit sind rund 88 % der Abgeordneten Mitglied einer europäischen Partei.

Ein Beispiel: Die derzeit 34 Abgeordneten der CDU/CSU und die fünf Abgeordneten der ÖVP könnten allein vermutlich kaum ihren Willen durchsetzen. In der EVP jedoch sind sie mit anderen christdemokratischen Parteien zusammengeschlossen und kamen in der letzten Europawahl auf 217 Sitze.

Die Europäische Volkspartei (EVP) ist der Zusammenschluss von nationalen christlich-demokratischen und konservativ-bürgerlichen Parteien auf europäischer Ebene.

Die nationalen Parteien versuchen sich also zusammenzuschließen, um ihre Ziele und Positionen zu einzelnen Themen zu koordinieren und gemeinsam abzustimmen. Es besteht jedoch kein Fraktionszwang. Das heißt, die Abgeordneten können auch gegen ihre Partei stimmen.

Für uns Wähler bedeutet das alles, dass wir indirekt auch den europäischen Parteien unsere Stimme geben. In unserer Wahlentscheidung sollten wir uns also auch überlegen, ob wir mit den Positionen der Europäischen Parteien, der die nationale Parteien angehören, einverstanden sind.

Europäische Spitzenkandidaten: Ein guter Versuch

Theoretisch wählen wir ausschließlich die Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Die Spitzenkandidaten der Europäischen Parteien kandidieren jedoch für das Amt des Kommissionspräsidenten.

Die Europäische Kommission ist die Exekutive der Europäischen Union und ist damit mit nationalen Regierungen vergleichbar. Sie besteht aus 28 Mitgliedern. 27 Länder entsenden einen Kommissar, der einem Aufgabenbereich zugeordnet wird. Ein Land stellt den Kommissionspräsidenten.

Grundsätzlich werden die Kommission und ihr Präsident vom Europäischen Rat, also den Regierungschefs der Mitgliedstaaten, vorgeschlagen. Das Parlament muss nämlich der vorgeschlagenen Kommission und vor allem ihrem Präsidenten zustimmen.

Der Europäische Rat besteht aus den nationalen Regierungschefs und trifft sich mindestens zweimal pro Halbjahr zu sogenannten EU-Gipfeln. Er ist nicht mit dem Rat der EU (auch „Ministerrat” oder nur „Rat”) zu verwechseln, der wie das Parlament über alle Gesetze abstimmt und aus nationalen Ministern besteht.

Für die Wahl des Kommissionspräsidenten trat allerdings 2009 mit dem Vertrag von Lissabon eine Bestimmung in Kraft, die vorsieht, dass der Europäische Rat bei der Nominierung das Ergebnis der Europawahlen zu beachten hat. Aus dieser Vorgabe entstand die Debatte um den sogenannten Spitzenkandidaten, die den einzelnen Fraktionen des Europäischen Parlaments die Möglichkeit geben soll, ihren Spitzenkandidaten für den Präsidenten der Kommission vorzuschlagen.

Der Vertrag von Lissabon ist der bis dato letzte große völkerrechtliche Vertrag, der zwischen den Mitgliedstaaten der EU geschlossen wurde. Er wurde 2007 in Lissabon unterzeichnet und trat Ende 2009 in Kraft. Inhaltlich wurden die bisherigen EU-Verträge abgeändert und erweitert: unter anderem mehr Kooperation in Bereichen der justiziellen Zusammenarbeit, der Außen- und Sicherheitspolitik sowie Bürgerinitiativen und verstärkte Rollen für die nationalen Parlamente.

Nach diesem Prinzip hätte dann die stärkste Fraktion im Europäischen Parlament das Recht, den Kommissionspräsidenten zu stellen. Die Idee: Ein Spitzenkandidat pro Fraktion könnte zu einem europäischen Wahlkampf mit europäischen Kampagnen – statt der individuellen, nationalen Kampagnen in den Mitgliedstaaten – führen. Bei dieser Wahl tritt zum Beispiel die christdemokratische EVP mit Manfred Weber, die sozialdemokratische S&D mit Frans Timmermans, die liberale ALDE mit Guy Verhofstadt und die Grünen mit Ska Keller an.

2014 kam es zu einem regelrechten Machtkampf zwischen dem Parlament und dem Rat. Die Parlamentsparteien beschlossen, „Spitzenkandidaten“ auf europäischer Ebene einzuführen. Sie machten deutlich, dass sie einen Kommissionspräsidenten, der nicht Kandidat der stärksten europäischen Partei ist, ablehnen würden. Die Regierungen der Mitgliedstaaten versuchten das zu verhindern und ihr Recht, den Kommissionspräsidenten vorzuschlagen, zu verteidigen. Schließlich setzte sich das Parlament durch und der Europäische Rat schlug Jean-Claude Juncker vor, den Spitzenkandidaten der EVP. Bei dieser Wahl wird wahrscheinlich ebenso indirekt der nächste Kommissionspräsident gewählt. Du unterstützt mit deiner Stimme also die Kandidatin der Fraktion im Europaparlament, der deine gewählte Partei angehört.

Artikel über die Fraktion im Parlament

Wenn wir also am 26. Mai wählen gehen, müssen wir uns mehrere Fragen stellen: Welche nationalen Politiker sollen uns im Europäischen Parlament vertreten? Unterstützen wir damit eine europäische Partei, die unsere Vorstellungen vertritt? Und wer soll Kommissionspräsident werden? Am wichtigsten ist jedoch, dass wir wählen gehen und unseren Meinungen und Wünschen Ausdruck verleihen.

Was, wenn die EU nicht wäre?

KOMMENTAR

VON LAURA WIESER

Mein Name ist Laura und ich komme aus Wien. Derzeit wohne ich aber nicht in Wien, sondern in Paris, weil ich hier mein Auslandsjahr verbringe. Als ich hier ankam, war die Umstellung nicht allzu aufregend. Mit drei Koffern und einem Pass, aber ohne Visum, nahm ich einen von den drei Eurowings-Flügen pro Tag und war innerhalb weniger Stunden schon im neuen Heim. Meine Wohnung habe ich über Bekannte gefunden. Da sie doch ziemlich teuer ist, finanziere ich sie mit meiner Studienbeihilfe, die ich jeden Monat von der Organisation Erasmus+ überwiesen bekomme. Da ich nun doch recht lange weg von zuhause bin, rufe ich jeden Tag meine Eltern und Freunde mit meiner österreichischen Nummer an. Auch wenn ich zwei Stunden mit meinen Liebsten telefoniere, zahle ich glücklicherweise keinen zusätzlichen Cent mehr. Falls ich allerdings doch einmal Heimweh habe, fliege ich spontan nach Wien zurück oder meine Eltern kommen auf Besuch. Der Flug kostet im Durchschnitt nicht mehr als 100 Euro. Die kann ich mir sogar selber bezahlen, da ich hier in Paris ein Praktikum mache und mein eigenes Geld verdiene. Als ich dieses Praktikum im Januar anfing, musste ich nur meinen Vertrag unterzeichnen. Eine Art Arbeitserlaubnis oder komplizierte Papiere waren zum Glück nicht nötig.

Das klingt alles recht selbstverständlich und das ist es heutzutage auch, doch vor 1952 war es das ganz und gar nicht. Das Jahr 1952 markierte die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und somit den Grundstein der Europäischen Union. Zusätzlich war dies die erste supranationale Institution, die über sonst nationale Hoheitsrechte verfügte. Damals als Errungenschaft anerkannt, wird jene Abgabe von Rechten an die europäischen Institutionen heute immer umstrittener, was im Falle Großbritanniens sogar zum Austrittsbeschluss führte. Im Gegensatz dazu wünschte man sich zu damaligen Zeiten noch mehr europäischen Zusammenschluss, was 1958 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) führte.

Wenn ich also heute mein Auslandsjahr in Paris verbringe und mein Geld dort verdiene, es aber auf mein österreichisches Konto einzahle, kann ich das dank des europäischen Binnenmarkts, der durch die EWG etabliert wurde. Unter jener Gemeinschaft verpflichteten sich nämlich die sechs EGKS-Staaten unter der Einführung einer Zollunion zur Abschaffung jeglicher Hindernisse des freien Personen-, Handels- und Kapitalverkehrs. In weiterer Folge vollendete der Einheitliche Europäische Akt 1986 die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes. Auch eine gemeinsame Agrarpolitik wurde geschaffen, um die Ziele von mehr Stabilität und Produktivität im Agrarbereich bis zur Sicherung von fairen Preisen für Konsumenten verwirklichen zu können. Auch wenn ich zurück in Wien bin und den französischen Wein weiterhin genießen möchte, kann ich ihn ohne einen signifikanten Preisaufschlag kaufen. Natürlich besteht kein Zweifel, dass auch ohne die EU zwischenstaatlicher Handel getrieben würde. Allerdings wäre dieser, anstatt durch einen zollfreien gemeinsamen Markt, durch unzählige Verträge und Abkommen zwischen den verschiedenen Ländern festgelegt und daher deutlich komplizierter. Laut der Bankengruppe KfW würde sich die Zahl der Verträge nämlich auf 7.560 belaufen, wenn alle Mitglieder denselben Vorteil, den die EU bietet, im Alleingang erzielen wollten.

Weniger greifbar, aber keinesfalls weniger bedeutend sind die positiven Auswirkungen der Europäischen Atomgemeinschaft. Zwar ist heutzutage Atomkraft nicht mehr die bevorzugte Energiequelle, dennoch legte man in den Euratom-Verträgen unverzichtbare Fundamente. Neben der Bildung, Entwicklung und Förderung der Atomenergie bestimmte man im Rahmen der Euratom verpflichtende, technische Sicherheitsvorschriften im Umgang mit radioaktiven Materialien, um in erster Linie deren Nutzung für zivile und besonders militärische Zwecke zu untersagen. Hierbei ist es die Aufgabe der europäischen Kommission, jeglichen Hinweisen auf Verstöße nachzugehen und im Zweifelsfall Sanktionen zu verhängen. Tatsache ist also, dass wir heute ohne Angst vor einem Atomkrieg in Europa leben, was ohne die Euratom nicht selbstverständlich wäre.

In den Maastrichter Verträgen von 1992 wurde schließlich die Union, wie wir sie heute kennen, geschaffen. Unter anderem beinhalten sie die Einführung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres. Durch jene Zusammenarbeit wurde der langersehnte Frieden endlich Wirklichkeit und in der europäischen Grundidee verankert. Auch in Sachen Friedenssicherung spielt der europäische Binnenmarkt eine bedeutende Rolle. Denn Krieg wird heutzutage oft nicht mehr mit eisernen Waffen geführt, sondern vor allem mit Handelssanktionen. Durch einen gemeinsamen Handelsmarkt sind Staaten immer mehr auf Zusammenarbeit angewiesen, um wirtschaftlichen und sozialen Erfolg im eigenen Land zu ermöglichen. Somit brachte uns die EU nicht nur billige, internationale Produkte in unsere Supermärkte, sondern nahm uns auch seit über 70 Jahren die Angst vor einem weiteren Krieg. 2012 erhielt sie dafür den Friedensnobelpreis und wurde somit zum erfolgreichsten staatenübergreifenden Friedensprojekt der Geschichte erklärt. Die Rechtsprechung der EU-Grundrechtecharta bekräftigte 2009 erneut das europäische Friedensprojekt. Im Vergleich zur 1950 beschlossenen Europäischen Menschenrechtskonvention befasst sich die Grundrechtecharta auch mit Themen wie der Berufsfreiheit und dem Datenschutz, die beim Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden können. Damit wird sie auch dem Zeitalter des Internets und anderen Herausforderungen gerecht.

Auch die zwischenstaatlichen diplomatischen Beziehungen wären ohne das europäische Integrationsprojekt lange nicht so gefestigt, wie sie es heute sind. Aus ihnen folgt die europäische Zusammenarbeit in der Sicherheit und im Umweltschutz bis hin zur Sprachförderung. Ein gutes Beispiel dafür ist das Programm Erasmus+, das inzwischen über drei Millionen Studierenden, darunter auch mir und vielen meiner Freunde, eine wertvolle Auslandserfahrung im Rahmen ihres Studiums ermöglicht hat. Über solche Initiativen gelingt der EU der Werteaustausch zwischen den vielen verschiedenen Mitgliedstaaten, was nicht nur zu kulturellem, sondern auch technologischem und politischem Fortschritt führt.

Die EU macht uns das Leben leichter, denn wir alle genießen unseren Urlaub in Italien ohne lange Grenzkontrollen und bezahlen unsere Pasta dort ganz einfach in Euro. Und falls es uns dort ach so gut gefällt, können wir auch einfach hinziehen, ganz ohne Visum oder Greencard.

Union der Bürger

BÜRGERBETEILIGUNG

VON MAX SPOHN

Dass Firmen, Konsumentenschutzorganisationen und NGOs erfolgreich für unterschiedlichste politische Themen Lobbying betreiben, ist weithin bekannt. Doch wie sieht es mit der Mitbestimmung der Bürger aus? Nicht nur am Wahltag kannst du europäische Politik mitgestalten.

Obwohl Brüssel und die Bürokratie der EU für die meisten von uns sowohl geographisch als auch gedanklich weit entfernt liegen, haben auch wir Bürger Möglichkeiten, am politischen Geschehen teilzunehmen. Wählen gehen ist da nur der Anfang. Wir Bürger sollten aktiv an der öffentlichen Diskussion teilnehmen, uns eine Meinung zu politischen Themen bilden und am Entscheidungsprozess mitwirken. In diesem Artikel stelle ich euch vier Möglichkeiten vor, genau das zu tun: die Europäische Bürgerinitiative, Petitionen an das Europäische Parlament, öffentliche Konsultationen der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank, und die Europäische Bürgerbeauftragte.

Die Europäische Bürgerinitiative

Die Europäische Bürgerinitiative wurde 2007 mit dem Vertrag von Lissabon ins Leben gerufen. Sie ist an die Europäische Kommission gerichtet und bietet Bürgern die Möglichkeit, Diskussionen zu gewissen Themen anzustoßen. Bisherige Bürgerinitiativen befassten sich unter anderem mit TTIP, Nuklearenergie und Rechten für Minderheiten. Die Kommission muss zwar zu erfolgreichen Initiativen Stellung nehmen, aber nicht unbedingt einen Gesetzesentwurf daraus machen.

Transatlantic Trade & Investment Partnership: Das Transatlantische Freihandelsabkommen ist ein Abkommen zwischen der EU und den USA, das den Handel zwischen Europa und Amerika fördern soll. Nach großem öffentlichen Widerstand liegt es mittlerweile auf Eis.

Der bisherige Erfolg ist zugegebenermaßen eher nüchtern. 21 Bürgerinitiativen wurden teilweise auf umstrittene Weise bereits im Vorhinein abgelehnt, da sie nicht in den Aufgabenbereich der Kommission fallen. Weitere 41 erreichten die nötige Anzahl an Unterschriften nicht. So blieben nur vier erfolgreiche Initiativen, die vor dem Parlament angehört wurden und von der Kommission bearbeitet wurden. Zwei dieser Initiativen (der Schutz von menschlichen Embryonen und das Ende von Vivisektionen an Tieren) wurden von der Kommission nicht weiter verfolgt. Die zwei anderen nur teilweise umgesetzt (Einschränkung von Glyphosaten und neue Richtlinien zur Trinkwasserversorgung als Grundrecht).

Wie funktioniert so eine Bürgerinitiative? Zunächst schließen sich sieben Bürger aus sieben verschiedenen Mitgliedstaaten zu einem Bürgerausschuss zusammen – NGOs und ähnliche Organisationen dürfen keine Bürgerinitiativen starten. Die Initiative muss den Werten der EU entsprechen und im Rahmen der Befugnisse der Kommission liegen, damit diese tatsächlich auch darauf reagieren kann. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird die Initiative offiziell registriert und die Unterschriftensammlung beginnt.

Zu den Grundwerten der EU zählen laut Verträgen Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Minderheitenrechte.

Jetzt haben die Organisatoren ein Jahr Zeit, um eine Million Unterschriften zu sammeln. Zusätzlich muss in den sieben Mitgliedstaaten eine vorgeschriebene Unterschriftenzahl erreicht werden. In Deutschland liegt diese Hürde bei 74.250 Unterschriften, etwa 0,09 % der Bevölkerung, in Österreich bei 14.250 oder 0,17 %. Wenn die nötigen Unterschriften gesammelt wurden, wird die Initiative vor dem Parlament angehört und die Kommission nimmt Stellung. Sie kann entweder einen auf der Bürgerinitiative basierenden Gesetzesvorschlag machen oder begründen, warum sie der Initiative nicht weiter nachgehen wird.

Eines der größten Probleme der Europäischen Bürgerinitiative ist, dass sie kaum bekannt ist. In Österreich haben etwas mehr als 50 % der Bevölkerung bereits von Bürgerinitiativen gehört, damit ist Österreich europaweit Spitzenreiter. In Deutschland weiß nur etwa ein Viertel der Bevölkerung über Bürgerinitiativen Bescheid. In zahlreichen anderen Ländern, darunter Schweden, Dänemark und Großbritannien hat nur jeder Fünfte davon gehört. So haben bis jetzt insgesamt nur 1,6 % aller Europäer eine Bürgerinitiative unterzeichnet. Die erhofften europaweiten Dialoge und die Mobilisierung großer Teile der Bevölkerung blieben aus. Genau das sollten wir ändern, indem wir unseren Freunden davon erzählen und ihnen zeigen, wie sie die politischen Ziele der EU beeinflussen können. Die Europäische Bürgerinitiative gibt uns eine direkte Möglichkeit, am politischen Prozess teilzunehmen. Wir sollten sie uns nicht entgehen lassen.

Ein Fall für die Bürgerinitiative?

Bürgerinitiativen sind riesige Unterfangen, die viel Geld und Zeit verlangen. Ich empfehle dir daher, online anzuschauen, welche Bürgerinitiativen derzeit aktiv sind und diese Initiativen zu unterstützen. Gemeinsam können wir unsere politischen Anliegen in der EU vorantreiben. Derzeit laufen Initiativen zu Bildungsstandards für Kinder mit Behinderungen, neuen Regelungen zum „Vaping“ und verpflichtenden Kennzeichnungen für vegane, vegetarische und nicht-vegetarische Lebensmittel.

Petitionen an das Europäische Parlament

Neben den Initiativen für die EU-Kommission gibt es auch Petitionen an das EU-Parlament. Jeder Bürger der EU verfügt über ein Petitionsrecht. Das bedeutet, wir können Ersuchen, Beschwerden oder Bemerkungen online an das Europäische Parlament richten. Diese Petitionen müssen sich mit Gesetzen oder Themen befassen, die in den Tätigkeitsbereich der EU fallen. Dazu gehören zum Beispiel Bürgerrechte, Umweltschutz, Konsumentenschutz, Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik, oder die Grundfreiheiten des Binnenmarkts. Die Petitionen werden monatlich vom Petitionsausschuss des Parlaments besprochen, zugelassen, und gegebenenfalls beantwortet.

Die vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts beziehen sich auf den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital zwischen den Mitgliedstaaten der EU.

Im besten Fall wird die Petition an die Europäische Kommission weitergeleitet, um einen Anstoß für neue Gesetze zu geben. Im Durchschnitt werden rund 1500 Petitionen jährlich an das Europäische Parlament gerichtet. Es besteht aber keine Verpflichtung für das Parlament, auf alle Petitionen mit Gesetzesvorschlägen zu reagieren. Im Unterschied zur Bürgerinitiative gibt es deutlich weniger Hürden, sein Anliegen einzubringen, allerdings auch weit weniger Verpflichtungen von Seiten der EU.

Wie könnte das Petitionssystem des Europäischen Parlaments verbessert werden? Die Organisation Talos (die ich der Transparenz halber mitbegründet habe) hat sich hierzu Gedanken gemacht und – wie könnte es anders sein – in Form einer Petition eingereicht. Eine Möglichkeit wäre, verpflichtende Antworten der Kommission und Debatten im Europäischen Parlament einzuführen, wenn Petitionen eine gewisse Zahl an Unterschriften überschreiten. In Großbritannien zum Beispiel muss die Regierung auf nationale Petitionen antworten, wenn 10.000 Unterschriften gesammelt wurden – bei mehr als 100.000 Unterschriften muss das britische Parlament die Petition diskutieren. In Schottland werden Petitionssteller sogar ins Parlament eingeladen, um ihre Anliegen zu erklären. Ans Europäische Parlament gerichtete Petitionen stellen eine großartige Möglichkeit für Bürger dar, ihre Meinungen auszudrücken. Das jetzige System gibt diesen Meinungen allerdings eine viel zu leise Stimme im Europäischen Parlament.

Talos ist eine Organisation, die von Studenten aus ganz Europa gegründet wurde. Ihr Ziel ist es, bürgerschaftliches Engagement und politische Mitbestimmung in Europa zu fördern. (talos.eu)

Ein Fall für eine Petition?

Du möchtest die EU auf ein Problem aufmerksam machen, dass dich und eine Gruppe von Menschen betrifft (die Gruppe muss nicht allzu groß sein)? Bist du Imker und hast festgestellt, dass ein neuer Dünger das Bienensterben beschleunigt? Oder möchtest du, dass dein Schulabschluss problemlos in allen Ländern der EU akzeptiert wird? Diese und ähnliche Anliegen eignen sich hervorragend als Petition. Online kannst du deine eigenen Petitionen starten oder dir anschauen, welche Petitionen du mit deiner Unterschrift unterstützen möchtest.

Öffentliche Konsultationen der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank

Neben Petitionen und Bürgerinitiativen, die Bürger dazu einladen, selbst Ideen zu neuen Regelungen einzubringen, sammelt die EU online auch Meinungen zu vorgeschlagenen Gesetzen. Sowohl die Europäische Kommission als auch die Europäische Zentralbank verwenden öffentliche Konsultationen, um Bürgern eine Möglichkeit zu geben, Gesetzesentwürfe zu kommentieren. Das hat vor allem den Zweck, die Vorschläge zu verbessern und heikle Problemstellen zu identifizieren. Politiker in Brüssel tun sich oft schwer, spezifische Sorgen und Anliegen einzelner Regionen, Industrien oder Bevölkerungsgruppen zu verstehen. Daher gibt es genau diese transparente und einfach zugängliche Möglichkeit, ihrer Meinung Gehör zu verschaffen. Für uns Bürger bedeutet das, dass wir online zu geplanten Regelungen Stellung nehmen können – nicht nur über Lobbyisten und Interessenvertreter.

Ein Fall für öffentliche Konsultationen?

Du möchtest wissen, welche Themen in der EU gerade heiß diskutiert werden und deine Meinung dazu äußern? Dann schaue dir online an, welche Konsultationen derzeit aktiv sind und informiere dich, was sie für dich bedeuten. Derzeit geht es zum Beispiel um gleiche Bezahlung für Frauen und Männer sowie flächendeckendes, kostenfreies W-LAN in der EU.

Europäische Bürgerbeauftragte

Die Europäische Bürgerbeauftragte untersucht Beschwerden der Bürger, vor allem in Hinblick auf die ordnungsgemäße Umsetzung der Gesetze und Arbeit der Institutionen. Sollten sich die berichteten Missstände als wahr herausstellen, gibt sie Empfehlungen an die betroffenen Institutionen ab, um eine faire Anwendung der Gesetze zu garantieren. Derzeit fungiert die Irin Emily O’Reilly als Bürgerbeauftragte. Rund 67 % der Beschwerden richten sich gegen die Europäische Kommission, 10,7 % gegen das Europäische Parlament. Die häufigste Beschwerde betrifft die mangelnde Transparenz. Wenn du eine Beschwerde hast, die in den Zuständigkeitsbereich der Bürgerbeauftragten fallen, kannst du sie einfach online einreichen.

Ein Fall für die Bürgerbeauftragte?

Du fühlst dich durch eine Regelung der EU ungerecht behandelt? Arbeitest du zum Beispiel in einem Restaurant und deine Gäste beschweren sich, dass keine Olivenöl-Kännchen mehr auf den Tischen stehen? Dann liegt das tatsächlich an einer EU-Verordnung, und du kannst dich an die Bürgerbeauftragte wenden – geh einfach online und verfasse deine Beschwerde.

Für das demokratische System der EU ist es wichtig, dass wir nicht nur wählen gehen, sondern uns auch aktiv in den politischen Prozess einbringen. Sonst überlassen wir das politische Spielfeld den Bürokraten und Lobbyisten in Brüssel. Schaue dich doch online um – vielleicht findest du Petitionen an das Europäische Parlament oder Europäische Bürgerinitiativen, die du unterstützen möchtest.