Im Osten
was Neues

KOMMENTAR PRO

VON MAX SPOHN

Die mögliche EU-Erweiterung um Staaten wie Serbien, Montenegro oder gar der Türkei lässt die Gemüter in der europäischen Politik und Bevölkerung hochkochen. Genauso war das vor der Ost-Erweiterung 2004 und 2006. Haben sich die Befürchtungen der Gegner damals bewahrheitet? Was bedeutet das für künftige Erweiterungen?

Bald könnte der Brexit die EU auf 27 Mitgliedstaaten schrumpfen lassen, doch viele Politiker möchten sie weiter wachsen sehen. Im Gespräch sind zum Beispiel Serbien, Montenegro oder sogar die Türkei. Passen diese Staaten zu Europa, oder sind die Kulturen doch zu unterschiedlich? Wie werden sich diese Erweiterungen auf die europäische Wirtschaft ausschlagen? Kann die Europäische Union überhaupt noch Entscheidungen treffen, wenn sie aus so vielen Mitgliedern mit unterschiedlichen Interessen besteht?

Die Türkei bewarb sich bereits 1959 für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, dem Vorläufer der EU. Ein zweiter Antrag 1987 wurde wiederum abgelehnt, doch eine Zollunion zwischen der EU und der Türkei wurde in den 90er-Jahren geschaffen. 2005 wurden schließlich Beitrittsverhandlungen begonnen, die bis heute mit einigen Unterbrechungen andauern.

Diese Fragen und Bedenken ähneln jenen, die Bürger und Politikern im Rahmen der EU-Osterweiterung geäußert haben. Auch damals war die Angst groß, dass die Aufnahme zu vieler Staaten in zu kurzer Zeit der EU schaden könnte.

Als Osterweiterung werden die Erweiterungen von 2004 und 2006 bezeichnet. Damals stießen Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern (2004) sowie Bulgarien und Rumänien (2006) zur EU. Die Aufnahme von Kroatien 2012 wird oft bereits als erste „Balkanerweiterung“ bezeichnet.

Haben die Osterweiterungen der EU wirtschaftlich geschadet?

Die größte Befürchtung im Vorfeld der EU-Osterweiterung war der mögliche wirtschaftliche Schaden, den die „alten“ Mitglieder davontragen könnten. Die Angst vor Einwanderern, die den Einheimischen ihre Arbeit wegnehmen, oder Firmen, die ins nahegelegene Ausland mit billigeren Arbeitskräften abwandern, war groß. Außerdem würden die heimischen Steuerzahler Geld in den Osten schicken und somit andere finanzieren. Aus heutiger Sicht haben sowohl östlichen als auch die westlichen – wenn auch etwas weniger – von der Erweiterung profitiert. Selbst in Grenzregionen wirkte sich die Erweiterung längerfristig positiv aus, auch wenn die Arbeitslosigkeit zunächst stieg. Die befürchtete Einwanderungswelle blieb aus – 10 Jahre nach der Erweiterung stammten im Durchschnitt nur 0,9% der Arbeitnehmer in den „alten“ Mitgliedstaaten aus den Beitrittsländern.

Natürlich gab es Gewinner und Verlierer. Am meisten profitierten schlecht ausgebildete Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedstaaten, am wenigsten jene in den alten. Das liegt jedoch nicht am befürchteten Lohndumping, das weitestgehend ausgeblieben ist, sondern eher daran, dass die öffentliche Hand mehr Menschen versorgen musste. Im Großen und Ganzen war die Erweiterung wirtschaftlich positiv für alle Beteiligten. Was Nettozahler und Nettoempfänger angeht, stimmt es, dass alle neuen Mitgliedstaaten mehr Geld von der EU erhalten als sie einzahlen – so wie auch Spanien, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg und Portugal.

Wer sind Nettozahler und Nettoempfänger? Dazu gibt es unterschiedliche Ansätze. Wenn es um absolute Zahlen geht, ist Deutschland mit 10,7 Milliarden Euro der größte Nettozahler und Polen mit 8,6 Milliarden Euro der größte Nettoempfänger. Wenn es jedoch um pro-Kopf Zahlungen geht liegt Deutschland mit 129 Euro an zweiter Stelle hinter Schweden. Österreich zahlt rund 106 Euro pro Kopf ein und liegt damit an vierter Stelle.

Das belastet freilich die deutschen und österreichischen Steuerzahler, hilft jedoch gleichzeitig den westeuropäischen Exportnationen, die durch diese Investitionen in lokale Infrastruktur in den neuen Mitgliedstaaten Absatzmärkte erschließen konnten.

Deutschland und Österreich sind Exportnationen. Das bedeutet, dass mehr Güter und Dienstleistungen ins Ausland verkauft werden, als aus dem Ausland eingekauft werden. Durch die Ost-Erweiterung können diese Länder nun noch einfacher ins osteuropäische Ausland verkaufen.

Bei all diesen wirtschaftlichen Überlegungen sollten wir jedoch nicht vergessen, dass die EU vor allem auch ein politisches Projekt ist. Ihr ursprüngliches Ziel war, Deutschland und Frankreich eng aneinander zu binden, um Krieg zwischen den beiden Nationen zu verhindern. Auch die Aufnahme von Portugal, Spanien und Griechenland kurz nach dem Ende ihrer Diktaturen bezweckte die Festigung der Demokratie in diesen Staaten. Ein ähnliches Ziel verfolgte auch die EU-Osterweiterung. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der bipolaren Welt vor etwa 30 Jahren fanden sich die jungen zentral- und osteuropäischen Staaten zum ersten Mal seit Jahrzehnten in tatsächlicher Unabhängigkeit. Eine einmalige Chance, um sie „zurück“ nach Europa zu holen. Die Osterweiterung sollte sicherstellen, dass demokratische Grundsätze in den Staaten mit kommunistischer Vergangenheit gelebt werden. In diesem Sinne sollten wir Erweiterungen vielleicht nicht zwingend an kurzfristigen wirtschaftlichen, sondern an langfristigen politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen messen.

Die bipolare Welt bezeichnet ein Weltbild, dass zur Zeit des Kalten Krieges entstand. Dabei wurde das Weltgeschehen von den zwei Großmächten USA (NATO) und UDSSR (Warschauer Pakt) dominiert, die sich Verbündete in West und Ost sicherten.

Haben die Osterweiterungen das politische System der EU beeinträchtigt?

Viele Köche verderben den Brei? Wenn zu viele Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Vorstellungen über die politische Zukunft der EU befinden müssen, kann das zu Problemen führen. Immerhin wurde das politische System der EU ursprünglich für nur sechs Mitgliedstaaten geschaffen. Es wird schwieriger, Kompromisse zu finden, mit denen alle Länder einverstanden sind. Kritiker der Osterweiterung befürchteten einen regelrechten Stillstand in der EU. Doch dazu ist es nicht gekommen. Die Anzahl der Gesetze, die von der EU erlassen wurden, hat sich durch die Osterweiterung jedoch nicht geändert. Die Institutionen der EU sind auch nicht langsamer geworden. Der befürchtete Stillstand ist also nicht eingetreten.

Die EU verfügt über unterschiedliche rechtliche Instrumente. „Verordnungen“ entsprechen nationalen Gesetzen und gelten unmittelbar in den Mitgliedstaaten. „Richtlinien“ müssen von den Mitgliedstaaten innerhalb einer Frist umgesetzt werden. „Beschlüsse“ sind verbindliche Regelungen, die nur für einzelne Staaten gelten. Empfehlungen und Stellungnahmen müssen von Mitgliedstaaten nicht umgesetzt werden.

Daher stellt sich die Frage, ob die Politiker aus den damals „neuen“ Mitgliedstaaten tatsächlich anders denken oder anders arbeiten als jene aus den „alten“. Oft erhalten wir durch Medienberichte den Eindruck, dass die neuen Staaten – wie zum Beispiel Polen und Ungarn – eng zusammenarbeiten, um die Vorhaben der alten zu blockieren. Das klingt dann oft so, als würden sich Lager bilden, die gegeneinander Politik betreiben. Besonders oft wird hier das enge Bündnis der Visegrád-Gruppe hervorgehoben. Sieht man sich jedoch an, wie die Staaten im Europäischen Rat oder die Parlamentarier im Europäischen Parlament abstimmen, stellt man fest, dass es zu keiner Lagerbildung gekommen ist. Beinahe nie stimmen die „neuen“ Staaten systematisch gegen die „alten“ – lediglich im Umweltschutz ist ein derartiges Muster zu erkennen.

Die Visegrád-Gruppe ist ein informelles Bündnis von Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei, um die gemeinsamen politischen Interessen in der EU zu koordinieren.

Das mag jedoch nichts heißen, denn in der EU ist es üblich, dass wichtige Entscheidungen bereits vor der Abstimmung, zum Beispiel beim Mittagessen, verhandelt und beschlossen werden. Umfragen unter Parlamentariern haben jedoch ergeben, dass die Meinungen zu einzelnen Themen zwischen neu und alt gar nicht so weit auseinanderliegen. Davon, dass die EU nach der Erweiterung nicht mehr funktioniert, kann jedenfalls keine Rede sein.

Welche kulturellen Auswirkungen hatten die Osterweiterungen?

Eine kleine Geschichte aus einem Supermarkt in London. Ich wohne in einem kulturell bunt gemischten Viertel in Nord-London, in dem seit der Erweiterung 2004 auch eine große polnische Minderheit lebt. Im Supermarkt gibt es daher einen ganzen Korridor mit polnischen Produkten. Auf den ersten Blick scheint es wenig Integration oder gar Assimilation zu geben, es entwickelt sich eher eine polnische Parallelgesellschaft, die relative wenig Berührungspunkte mit den „echten“ Briten hat. Doch andererseits kaufe ich gerne in der polnischen Abteilung ein, vor allem, wenn ich Lust auf etwas Heimatliches habe. Dort bekomme ich Sauerkraut, gute Wurst, Essiggurken oder Süßigkeiten. Das mag zwar wie ein banales Beispiel klingen, doch zeigt es auch, dass wir vielleicht mehr mit unseren Nachbarn in Zentral- und Osteuropa gemeinsam haben, als wir oft denken. Immerhin verbindet ganz Europa eine gemeinsame Geschichte.

Das soll natürlich nicht bedeuten, dass durch die Erweiterungen keine kulturellen Spannungen entstanden sind. Womöglich sind auch die Einschätzungen und Gefühle der Menschen in den alten Mitgliedstaaten eines der wichtigsten Kriterien. Solange sich die Menschen bedroht oder unwohl fühlen bei dem Gedanken, dass Menschen aus den zentral- und osteuropäischen Staaten hier leben, arbeiten und ein Teil der Gesellschaft werden, kann die Osterweiterung nicht als Erfolg angesehen werden. Es braucht vor allem mehr Erfahrungsaustausch und kulturelle Berührungspunkte. Immerhin teilen wir mit diesen Staaten einen Kontinent und eine gemeinsame Geschichte. Vielleicht sollten wir uns mehr darauf konzentrieren, unsere kulturellen Gemeinsamkeiten zu entdecken, als unsere Unterschiede zu dämonisieren.

Was bedeutet das für mögliche Erweiterungen am Westbalkan oder in der Türkei?

Die Erweiterung der EU ist ein schwieriges Unterfangen. Unterschiedliche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme müssen so sehr aufeinander abgestimmt werden, dass sie gemeinsame Interessen effektiv umsetzen können. Eine Erweiterung würde definitiv wieder wirtschaftliche Gewinner und Verlierer schaffen – Deutschland und Österreich müssten vermutlich noch tiefer als bisher in die Tasche greifen. Doch längerfristig profitieren beide Seiten von engerer Kooperation. Diese Erweiterungen sind auch politische Projekte. Die Staaten am Balkan erlebten in den 90er-Jahren einen Bürgerkrieg. Es liegt im Interesse der EU, ein demokratisches und friedliches System zu etablieren. In der Türkei versucht die EU seit einigen Jahren, die Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu festigen. Kulturelle und religiöse Differenzen sind die große Hürde. Könnten diese Erweiterungen der EU wirtschaftlich, kulturell oder politisch schaden? Die Antwort lautet: vielleicht. Die Osterweiterung zeigt jedoch, dass eine übertriebene Panik nicht gerechtfertigt ist.

Fürs Erste reicht’s

KOMMENTAR KONTRA

VON CHRISTOPH HERLER

2025 könnte die Europäische Union bereits aus 33 Mitgliedsländern bestehen – zumindest wenn es nach Johannes Hahn, dem österreichischen EU-Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, geht. Aber hat die Union nicht ohnehin schon genug um die Ohren? Welche Risiken könnten weitere Beitritte mit sich bringen?

Das Ziel Westbalkan-Erweiterung scheint in weite Ferne gerückt. Trotz der Einigung im Namensstreit zwischen Griechenland und nunmehr Nordmazedonien gibt es Hindernisse:

Namensstreit: Der Konflikt um den Namen der Republik Mazedonien begann nach der Unabhängigkeitserklärung der ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien im Jahr 1991. Makedonien ist die historische Bezeichnung eines Gebietes, das zum Teil in Griechenland und in Nordmazedonien liegt. Die nördlichste Region Griechenlands heißt ebenso Makedonien. Der Konflikt konnte schließlich gelöst werden, nachdem im Januar 2019 das mazedonische und griechische Parlament der Namensänderung auf Nordmazedonien zustimmten.

Allen voran die erklärte Unabhängigkeit des Kosovo, die von einigen EU-Mitgliedern nicht anerkannt wird. Das wiederum macht den Beginn von Beitrittsverhandlungen unmöglich.

Der Kosovo erklärte am 17. Februar 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien. Spanien, Griechenland, Zypern, Rumänien und die Slowakei sind jene fünf EU-Mitgliedsländer, die die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen.

Hinzu kommt, dass auch die Türkei nach wie vor offizieller Beitrittskandidat ist und in Verhandlungen mit der Europäischen Kommission steht – auch wenn viele europäische Regierungen, auch die von Deutschland und Österreich, gegen die Fortführung der Verhandlungen sind.

Die Türkei bewarb sich bereits 1959 für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, dem Vorläufer der EU. 1987 wurde ein zweiter Antrag gestellt, der wiederum abgelehnt wurde. In den 1990er-Jahren wurde dennoch eine Zollunion zwischen der EU und der Türkei geschaffen. 2005 wurden schließlich Beitrittsverhandlungen begonnen, die bis heute mit einigen Unterbrechungen andauern.

Nach dem Beitritt von Finnland, Schweden und Österreich 1995 erhielt die EU ihren größten Zuwachs durch die Osterweiterungen 2004 und 2007. Die wohl größte Sorge im Rahmen der Osterweiterung war jene eines wirtschaftlichen Schadens für bestehende Mitglieder. Man hatte Angst, billige Arbeitskräfte würden den heimischen Markt überschwemmen, während heimische Unternehmen zur Kostenersparnis nach Osteuropa abwandern könnten. Diese Ängste sind großteils nicht bestätigt worden. Das heißt aber nicht, dass 15 Jahre nach der Osterweiterung die Aufnahme neuer Staaten keine Risiken mit sich brächte.

Als Osterweiterung werden die Erweiterungen von 2004 und 2007 bezeichnet (siehe obiger Artikel). Damals stießen Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern (2004) sowie Bulgarien und Rumänien (2007) zur EU. Die Aufnahme von Kroatien 2013 wird oft bereits als erste „Balkanerweiterung“ bezeichnet.

Erweiterungsmüdigkeit hat sich breit gemacht

Trotz optimistischer Stimmen, wie jener von EU-Kommissar Johannes Hahn, wird die Aufnahme neuer Länder zunehmend kritisch betrachtet. Der französische Präsident Emmanuel Macron warnte erst kürzlich davor, neue Staaten vor einer grundlegenden Reformierung der EU aufzunehmen. Die EU agiert immer weniger als geschlossene Einheit. Die Zahl der Mitgliedsländer, die hauptsächlich im eigenen Interesse handeln, mehrt sich. Die Innenpolitik junger Mitglieder wie Polen und Rumänien, die die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien bedrohen, bereitet der EU zunehmend Kopfzerbrechen. Nicht umsonst ist von einer „Erweiterungsmüdigkeit“ die Rede. Die EU solle sich zuerst um sich selbst kümmern, statt neue Mitglieder mit ihren „demokratischen Werten“ zu beglücken, sagen Kritiker. Werteorientierte Politik war in der Tat ein Haupttreiber der Osterweiterung, da man nach dem Fall der Sowjetunion eine historische Chance sah, europäische Werte der Demokratie, der Menschenrechte und insbesondere der individuellen und wirtschaftlichen Freiheit in Osteuropa zu verankern.

Nationales Selbstinteresse bestimmt den Kurs

Diversität ist gut. Doch durch unterschiedliche Prioritäten und widersprüchliche Einstellungen ist der Handlungsspielraum der EU bereits heute eingeschränkt. Kaum vorstellbar, wie das mit 33 Mitgliedsländern im Jahr 2025 aussehen würde.

Nehmen wir als Beispiel die russische Annexion der Krim im Jahr 2014, durch die die außenpolitischen Dissonanzen innerhalb der EU in aller Öffentlichkeit zur Geltung kamen: Während nördliche EU-Mitglieder die russischen Handlungen sofort verurteilten, blieb es im Süden still. Aus östlichen Teilen der EU, darunter Tschechien und Ungarn, waren gar pro-russische Stimmen zu hören. Insbesondere jene Länder, die Verträge mit Russland zu Gaslieferungen oder Ähnlichem haben, brachten gegenüber dem russischen Verhalten wenig bis gar keine Besorgnis zum Ausdruck. Letztendlich konnte man sich mühevoll auf Sanktionen einigen.

Bei vielen Entscheidungen bedürfen die europäischen Gremien nach wie vor der Einstimmigkeit, die mit mehr Mitgliedern äußerst schwer zu erreichen ist. Obendrein bekommt jeder Mitgliedsstaat einen eigenen Posten in der EU-Kommission, sodass die derzeit 28 Aufgabenbereiche weiter aufgesplittert werden müssten.

Eine größere Anzahl an Mitgliedstaaten, und seien sie noch so klein, und eine breitere Vielfalt an Interessen scheint daher die Handlungsfähigkeit der EU zu untergraben.

Demokratische Rückschritte in Osteuropa

Junge Mitgliedstaaten sehen sich zunehmend mit Schwierigkeiten bei der demokratischen Konsolidierung konfrontiert. Schienen sie einst die Konvergenzkriterien noch hervorragend zu erfüllen und demokratische Werte umzusetzen, so werfen derzeitige Entwicklungen die Frage auf, ob ein Beitritt unter den aktuellen Bedingungen überhaupt möglich wäre. Rumänien und Bulgarien weisen hohe Korruptionsniveaus und demokratische Defizite auf. Ungarn, Tschechien und Polen unterminieren vermehrt die Gewaltenteilung.

Durch den Maastrichter Vertrag sind seit 1992 Bedingungen an die Haushalts- und Geldpolitik eines Landes geknüpft, wenn es Teil der EU werden will. Das Ziel dieser Kriterien ist es, die Leistungsfähigkeit der Mitgliedsländer zu harmonisieren, um die wirtschaftliche und währungspolitische Stabilität der EU sicherzustellen. Beispielsweise dürfen die Staatsschulden eines Beitrittskandidaten nicht mehr als 60 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) betragen, und die jährliche Neuverschuldung muss unter 3 % des BIPs liegen.

Insbesondere Ungarn stach während der Verhandlungen zum EU-Beitritt als Positivbeispiel heraus. Die notwendigen Reformen für einen EU-Beitritt wurden schneller durchgeführt als in jedem anderen Land, das im Zuge der Osterweiterung hinzustieß. Viktor Orbáns Fidesz-Partei gewann jedoch zunehmend an Einfluss in staatlichen Institutionen, der Justiz und Medienkanälen. Als Konsequenz verschärfte die EU die Aufnahmekriterien für zukünftige Beitrittskandidaten. Dennoch sind die Möglichkeiten begrenzt, diesen Problemen zu begegnen, sobald ein Land vollen Mitgliedsstatus genießt. Angesichts dieser Machtlosigkeit, Rechtsverletzungen entgegenzutreten und der tiefen Narben, die die Länder des Westbalkans durch die Jugoslawienkriege tragen (und dem damit einhergehenden „Rückfallrisiko“ für ihre jungen Demokratien), könnte die Aufnahme der Westbalkanländer spektakulär nach hinten losgehen.

Serbien, Montenegro, Albanien und Nordmazedonien sind bereits offizielle Beitrittskandidaten, wobei Serbien und Montenegro sogar schon in Verhandlungen mit der EU stehen. Bosnien-Herzegowina und Kosovo könnten im Rahmen einer EU-Erweiterung auf dem Westbalkan auch Mitgliedsländer werden.
Jugoslawienkriege: Eine Reihe ethnisch-religiöser, bewaffneter Konflikte zwischen 1991 und 2001, die nach dem Zusammenbruch des Vielvölkerstaats Jugoslawien ausgetragen wurden und in denen gravierende Verstöße gegen Völker- und Menschenrechte verübt wurden.

Stabilität an den Außengrenzen?

Die EU hat es sich zum Ziel gemacht, politische Stabilität, Sicherheit und demokratische Prinzipien primär durch ihre Erweiterungspolitik umzusetzen. Der damalige britische Premierminister Tony Blair erklärte 2005, dass die EU ohne Erweiterungen immer mit der Gefahr von Instabilität und Konflikt konfrontiert sein würde. Stattdessen scheint sie aber gerade ihr letztes Wachstum nicht verdauen zu können. Erweiterungen haben in der Vergangenheit Reformprozesse eingeleitet. Probleme politischer Instabilität der Vergangenheit haben sich aber von den Außengrenzen westlicher Mitgliedsländer an jene ihrer östlichen Gegenüber verschoben. Die Aufnahme Polens diente natürlich auch der Stabilität an Deutschlands Grenze. Mit Polen als Mitglied grenzt die EU nun an die Ukraine und Weißrussland. Während sich der Osten der Ukraine in einer Art russischer Schattenbesatzung und in einem blutigen Bürgerkrieg befindet, ist Weißrussland (mit der zweifelhaften Ehre, als letztes europäisches Land noch die Todesstrafe zu verhängen) ein russischer Marionettenstaat.

Als Marionettenstaat oder -regierung bezeichnet man die Regierung eines Landes, das durch ein anderes, einflussreiches Land, beispielsweise eine Großmacht wie Russland oder die USA, kontrolliert und gesteuert wird.

Die Türkei ist ein weiteres Beispiel: Obwohl ein EU-Beitritt trotz bestehender Verhandlungen in naher Zukunft vom Tisch zu sein scheint, würde die EU mit der Türkei als Mitglied an Syrien, den Iran und den Irak grenzen. Die Sicherheit an den Außengrenzen würde wohl kaum erhöht werden, wenn sie in verwüsteten Kriegsgebieten Vorderasiens lägen statt in der Ägäis und am Schwarzen Meer. Tatsächlich sorgt die Erweiterungspolitik eher für die Schaffung neuer Trennlinien, an denen die Sicherheit nicht zwingend höher ist als zuvor, statt positiv auf die Beilegung von Konflikten hinzuwirken.

Die Erweiterung der EU und die Integration des Westbalkans bis zum Jahr 2025 sollten daher gut bedacht werden.