Unsere Feinde findet man nicht mehr (nur) auf Landkarten

VON LUKAS MAUTNER MARKHOF

Die Idee einer gemeinsamen europäischen Armee ist keine neue. Der französische Verteidigungsminister, René Pleven, brachte sie 1950 ins Spiel und erntete Zuspruch vom britischen Premierminister Winston Churchill. Churchill hatte zwei Monate zuvor vor dem Hintergrund der Ausdehnung des sowjetischen Machtbereichs gefordert, die nationalen Armeen sollten sich verbünden. Noch im Oktober schlug Pleven ein europäisches Verteidigungsministerium vor, dem eine eigenständige Armee unterstünde. Jeder Mitgliedstaat der damaligen Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl sollte seinen Beitrag leisten. Dieser Plan scheiterte 1954 mit der Ablehnung der französischen Nationalversammlung. Erst einige Zeit später, 1992, wurde mit dem Maastricht-Vertrag die gemeinsame Sicherheitspolitik als Aufgabe der EU festgeschrieben. Im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) beschloss man die Schaffung der sogenannten Eurokorps. Doch die Eurokorps sind keine vollwertige europäische Armee, die EU noch kein vollwertiges Verteidigungsbündnis.

„Ein militärisches Hauptquartier, das schnelle Eingreiftruppen für die NATO zur Verfügung stellt. Die Truppenstärke kann bis zu 60.000 Personen betragen. Derzeit hat das Projekt fünf vollwertige Mitglieder: Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien und Luxemburg.“

Das änderte sich 2009 mit dem Vertrag von Lissabon. Die ESVP wurde umbenannt in „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP) und der EU-Vertrag um eine Beistandsklausel ergänzt Damit machte die EU den Schritt zum Verteidigungsbündnis. Trotzdem gibt es bis heute keine eigene europäische Armee oder ein europäisches Verteidigungsministerium. In den vergangenen Jahren und insbesondere im aktuellen EU-Wahlkampf wurde das Thema wieder populärer. So forderte etwa Angela Merkel in einer Rede im europäischen Parlament „eine echte europäische Armee“ und übernahm damit den Ausdruck ihres französischen Amtskollegen Emmanuel Macron. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker pflichtete bei.

Ein Angriff auf eines der EU-Mitglieder erfordert eine militärische Intervention und Hilfeleistung der übrigen Mitgliedstaaten. (siehe Artikel 42, Absatz 7 EU-Vertrag)

Wie soll eine EU-Armee aussehen? Da scheiden sich die Geister. In Deutschland, wie auch in 16 weiteren Mitgliedstaaten, entscheidet das Parlament über die Einsätze der Streikräfte dieser sogenannten Parlamentsarmeen. Der deutsche Bundestag verfügt also über einen Parlamentsvorbehalt. Das bedeutet, dass er alle bewaffneten Einsätze der Bundeswehr erlauben muss. In Frankreich wiederum herrscht ein Präsidialsystem, in dem der Präsident über Militäreinsätze entscheidet. Diese Unterschiede werden bei der Formierung einer EU-Armee für Schwierigkeiten sorgen. Denn wer entscheidet im Endeffekt über Einsätze? Das Europaparlament? Die Mitgliedstaaten? Und muss dann das Parlament zustimmen? Oder nur der Regierungschef? Oder gar das Staatsoberhaupt? Oder wird es in der EU-Kommission eine zentrale Befehlsgewalt geben, die ohne Zustimmung aller anderer Gremien walten kann?

Von Merkel oder Macron gibt es dazu noch keine konkreten Vorschläge. Die EU-Kommission hat aber in einem ersten Entwurf eines Strategiepapiers drei Varianten einer Europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik vorgeschlagen. Alle Varianten werben für eine Vertiefung in den Bereichen gemeinsame Waffensysteme, Finanzierung, Auftragserfüllung sowie Forschung und Entwicklung. Die erste Variante umfasst eine verstärkte Kooperation, die zweite geteilte und die dritte gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Von einer eigentlichen EU-Armee ist allerdings nicht die Rede. Vielmehr geht es darum, erste Anpassungen vorzunehmen, um womöglich in der Zukunft den Weg zu einer Europaarmee zu ebnen.

Wozu überhaupt noch eine Armee?

Zwischenfrage aus der letzten Reihe: Was wäre ohne Militär? Würde sich in unserem Leben etwas ändern? Österreicher, die Wehrdienst leisten müssen, hätten nach der Matura wohl anderes zu tun als „Habt Acht!“ zu stehen und Gewehre zu zerlegen und zu putzen. Deutsche unter uns kennen das Heer vermutlich primär aus den Zeitungen: „Die Bundeswehr ist kaputt gespart worden”, heißt es da oft. Zentral war zuletzt der Streit, ob Deutschland aufrüsten sollte oder nicht. „Die NATO wird uns sowieso beschützen”, heißt es dann oft.

Die NATO oder Nordatlantikpaktorganisation ist ein Verteidigungsbündnis, das aus 29 nordamerikanischen und europäischen Staaten besteht und zum Ziel hat, innere Sicherheit und weltweite Stabilität zu gewährleisten.

Aber stimmt das? Immerhin übt Donald Trump unter anderem auf Deutschland Druck aus, die durch die NATO vereinbarten zwei Prozent des BIPs in die Bundeswehr zu investieren. Anders als Frankreich oder das Vereinigte Königreich liegt Deutschland nämlich seit Jahren weit unter den vereinbarten zwei Prozent und müsste jährlich etwa 40 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr ausgeben.

Das BIP oder Bruttoinlandsprodukt steht für den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die binnen eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen produziert werden. Es ist die Gesamtleistung der Wirtschaft eines Landes.

Auch in Österreich macht das Militär immer wieder Schlagzeilen. Die Zustände in den Kasernen seien „teilweise lebensbedrohlich”, warnte der Präsident der Offiziersgesellschaft 2009 und forderte mehr Geld. Seit Mitte der 2000er Jahre wurde in Österreich vermehrt darüber nachgedacht, ob das Land überhaupt ein Heer brauche. Österreich sei ja ein kleines neutrales Land, umgeben von Mitgliedern der Europäischen Union und den harmlosen Eidgenossen und Liechtenstein im Westen. Wer käme auf die Idee, diese Insel der Seligen anzugreifen? Doch 2018 forderte der österreichische Bundespräsident, Alexander van der Bellen, die Bundesregierung auf, wieder verstärkt ins Bundesheer zu investieren, weil es sonst seinen Pflichten nicht nachkommen könne.

Das Militär ist eben ein heikler wie wichtiger Teil des Nationalstaats. Ein zuverlässiges Heer ist neben wirtschaftlicher Stärke, politischer Stabilität und florierender Kultur eines der Merkmale eines gut funktionierenden Staats. Die Armee ist dafür zuständig, die Sicherheit des Landes durch Bedrohungen von außen zu gewährleisten – mögen sie noch so unrealistisch scheinen. Denn das Militär dient auch der Abschreckung und muss auf eine ungewisse Zukunft vorbereitet sein. Nur der liebe Herrgott weiß, wie die Welt in 30 Jahren aussehen wird. Bis dorthin müssen wir für den Ernstfall Traditionen pflegen und jahrhundertealtes militärisches Wissen von Generation zu Generation weitergeben.

Derzeit besitzen das deutsche und österreichische Militär ähnliche Zuständigkeiten. Primär sind das Landesverteidigung, Katastrophenschutz und Assistenzeinsätze. Vor allem in den vergangenen vier Jahren wurden die Armeen beider Länder des Öfteren im Inland eingesetzt. Angefangen mit dem Assistenzeinsatz zur Unterstützung der Polizei während der Flüchtlingskrise 2015 bis zu den Schnee schaufelnden Soldaten während der starken Schneefälle letzten Winter. Hinzu kommt das Engagement Österreichs und Deutschlands in der EU-Battlegroup, eine militärische Einheit, die sich aus europäischen NATO- und EU-Mitgliedern zusammensetzt und unter dem direkten Befehl des Rates der Europäischen Union steht. Die EU-Battlegroup ist ebenfalls für humanitäre und Friedenseinsätze zuständig, wurde jedoch bisher nie aktiv. Dennoch ist sie ein gutes Beispiel für Versuche der Zusammenarbeit.

Kooperiert wird außerdem auf der Ebene der Geheimdienste. Dazu wurde 1969 der „Berner Club“ als jährliches Treffen der Direktoren westeuropäischer Inlandsgeheimdienste gegründet. Zusätzlich entstand 2001 eine „Counter Terrorism Group“ (CTG), eine Austauschplattform für außerordentliche Vorkommnisse und strategische Abstimmung. Gemeinsam betreiben diese beiden Organisationen eine „operative Plattform“ in Den Haag für einen transnationalen und Echtzeit-Informationsaustausch.

Nicht zuletzt gibt es auch die Europäische Interventionsinitiative – ein rein europäisches Militärbündnis, an dem sich derzeit zehn Staaten, inklusive Deutschland, beteiligen. Durch diese Initiative soll eine schnellere internationale Intervention in Krisensituationen möglich sein. Allerdings verfügt sie über keine eigene Einheit, sondern soll lediglich die Kommunikation zwischen den nationalen Stäben erleichtern.

Problemzone Planet Erde

Die Herausforderungen für unsere Sicherheit haben sich geändert. In einer Welt, in der Angriffe vermehrt durch Drohnen, Hacker und Terroristen verübt werden, muss sich die Armee anpassen: Unsere Feinde findet man nicht mehr nur auf Landkarten. Es genügt ein einziger Hacker, um ein ganzes Land in Atem zu halten. Darüber hinaus sind die USA als militärischer Schutzpatron Europas unzuverlässiger geworden und drohen, sich aus Krisengebieten und dem Weltgeschehen zurückzuziehen. Zugleich setzt Russland vermehrt auf militärische Eingriffe, sei es in der Ukraine, in Syrien oder durch Hackerangriffe.

Seit der Auflösung des INF-Vertrags droht sogar ein neues Wettrüsten, wie wir es aus dem Kalten Krieg kennen. Ein Aufrüsten von Atomwaffen ist ohne Zweifel gefährlich. In Europa haben wir zwei Atommächte: Frankreich und das Vereinigte Königreich, das vielleicht eines fernen Tages nun aus der EU austreten wird. Das stellt auch die mögliche EU-Armee vor Fragen: Wer würde über diese Atomwaffen verfügen?

Der Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF) ist ein bilaterales Abkommen, das 1987 zwischen der damaligen Sowjetunion und den USA abgeschlossen wurde – mit dem Ziel, nukleare Waffensysteme abzubauen.

Weitere Konfliktherde im Jemen und in Mali betreffen ebenfalls europäische Staaten. In Mali sind durch die EUTM sowohl Deutschland als auch Österreich in eine Ausbildungsmission eingebunden.

European Union Training Mission – eine multinationale Ausbildungsmission der EU, deren Teilnehmer sich nicht in die Kampfhandlungen einmischen

Weiter im Osten steigt China zu einer neuen militärischen Macht auf und bedroht die militärische Vorherrschaft der USA. Die Konflikte im Südchinesischen Meer spitzen sich weiter zu und tragen zu einer weltweiten Konfliktspirale bei, während Europa nicht als militärische Supermacht wahrgenommen wird und bedeutungslos wirkt. Also zusammengefasst: Wir müssen umdenken.

Ein Territorialkonflikt, in dem mehrere Staaten im Südchinesischen Meer ihre Seeterritorien verteidigen wollen. China erweitert sein Territorium und bedroht die Hoheitsgebiete anderer durch das Aufschütten künstlicher Inseln. Die USA haben ein Interesse daran, China aufzuhalten und schließen seit einigen Jahren Verträge mit Ländern in der Region ab, um Druck auf China auszuüben.

Nur wie? Ist eine europäische Armee die richtige Antwort darauf oder sind die Nationalarmeen weiterhin der richtige Weg?

Ins Chaos, ohne Schritt, Marsch!

Kommentar Kontra

VON PETER MAYRHOFER

2024. Nach massiven Spannungen zwischen Großbritannien und Argentinien befinden sich die beiden Staaten im Kriegszustand: Streitpunkt sind zum zweiten Mal nach 1982 die Falklandinseln. Rumänische, deutsche, lettische, spanische, griechische und österreichische Truppen werden in den Südatlantik verlegt. Auf ihren Schiffen weht nicht der Union Jack, sondern die Flagge der Europäischen Union. Eine gemeinsame Armee bedeutet auch, dass Probleme einzelner zu Problemen aller werden.

Ein zweites Szenario: Bosnische Freischärler  – ethnische Serben – blockieren im bosnischen Neum den für Kroatien so wichtigen Korridor nach Dubrovnik. Die Verbindung in den südlichen Landesteil ist abgeschnitten. Das EU-Mitglied Kroatien besteht auf eine militärische Intervention, doch Ungarn stellt sich dagegen. Zu wichtig seien die Beziehungen zum Nachbarland Serbien, um ungarische Soldaten in einen militärischen Konflikt zu verwickeln. Kroatien kann der Blockade nur tatenlos zuschauen. Die für eine gemeinsame Intervention notwendige Einstimmigkeit wird nicht erreicht.

Der Neum-Korridor ist der einzige Meerzugang Bosnien und Herzegowinas und teilt Kroatien.

Diese beiden fiktiven Szenarien zeigen, welche Probleme sich bei einer zentralisierten Armee ergeben könnten. Bleibt die Befehlsgewalt schlussendlich bei den Nationalstaaten, wie beim zweiten Beispiel, genügt das Veto eines Landes, um die komplette Operation zu stoppen. Nationalstaaten könnten ihre eigenen Probleme nicht mehr nach ihrer eigenen souveränen Entscheidungsgewalt lösen. Wird der Oberbefehl einer EU-Organisation erteilt, wie im ersten Fall, könnten EU-Mitglieder in die nationalen Belange anderer hineingezogen werden.

Der Vorschlag zu einer gemeinsamen europäischen Armee trifft auf unzählige Widerstände: In Europa gibt es historisch gewachsen einige Parlamentsarmeen – auch in Deutschland. Bei einer Zentralisierung würde so die Entscheidungsgewalt vom Parlament an eine zentrale Stelle abgegeben. Ähnlich in Österreich, wo dann nicht mehr der Bundespräsident als Staatsoberhaupt über die Einsätze des Militärs verfügen könnte. Mit der möglichen Mitgliedschaft einer EU-Armee in der NATO läge Österreichs größter historischer Vorbehalt – die immerwährende Neutralität – immerwährend begraben.

Streitkräfte, die nur durch Genehmigung des Parlaments eingesetzt werden dürfen.

Mit dem Brexit gliedern sich Europas Atommächte neu. Frankreich wird das einzige EU-Land mit einsatzbereiten Atomwaffen sein. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder Frankreich genießt durch seine nuklearen Waffen eine gewisse Sonderstellung in einer neuen EU-Armee, oder die Nuklearsprengköpfe würden auf die EU-Staaten verteilt. Die erste Variante widerspricht dem Konzept einer EU-Armee, in der eine Bevorzugung eines Teils der Armee tunlichst zu vermeiden wäre. Bei der zweiten könnten sich bald Proteste gegen die Verlegung von Atomwaffen in die Nachbarschaft formieren. Zudem könnte die Stationierung von europäischen Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen im Baltikum oder am Schwarzen Meer für Zwist mit Russland sorgen.

Das Konzept scheint naheliegend: Ein Kontinent, eine Union, eine gemeinsame Währung, ein gemeinsames Parlament – warum nicht auch eine gemeinsame Armee? In Zeiten, in denen die Partnerschaft mit den USA immer mehr zu schwächeln scheint, und sich im Osten durch den Aufstieg Chinas die Mächte neu ordnen, ist es umso wichtiger, als geeinter europäischer Block dazustehen, um nicht im weltweiten Ringen um die militärische Vormachtstellung vollends ins Hintertreffen zu geraten.

Aber wie sollen solche Einsätze im Ernstfall aussehen? Wie wird ein Assistenzeinsatz – wie der vom österreichischen Bundesheer durchgeführte Grenzschutz am Brenner – im Rahmen einer EU-Armee organisiert sein? Italien würde nie ein Mandat für so einen Einsatz geben und Flüchtlinge am Ausreisen hindern. Österreich hat aber vielleicht berechtigtes Interesse an der Unterbindung illegaler Übertritte seiner Grenzen. Ein weiteres Beispiel wäre ein Katastropheneinsatz im Rahmen eines Lawinenabgangs, wie 1999 im Tiroler Dorf Galtür. Würden dann polnische Soldaten ohne jegliche Gebirgserfahrung eingeflogen, um die Zivilbevölkerung freizuschaufeln oder übernehmen das sowieso weiterhin österreichische Kontingente? Das österreichische Bundesheer weiß am besten mit solchen Fällen umzugehen; ein Umweg über ein zentrales Streitkräftekommando in Brüssel ist ineffizient und kostet wertvolle Zeit. Wenn die Zusammenarbeit sowieso nur in einigen wenigen Großeinsätzen stattfände, wieso nicht im Rahmen einer verstärkten Kooperation, sondern unbedingt in einer gemeinsamen Armee?

Ein weiterer Punkt ist die Zusammenlegung bestehender Strukturen. Das beginnt bei ganz trivialen Entscheidungen: Welches der 17 verschiedenen Kampfpanzermodelle soll verwendet werden? Welches Gewehr ist standardmäßig einzuführen? Jede Armee hat ihre Soldaten auf ihr Waffensystem kostspielig ausbilden lassen und verfügt über jahrzehntelang aufgebautes Know-How, das man nicht ohne Weiteres aufgeben will. Die europäischen Länder würden sich nicht nur über die Verteilung des europäischen Verteidigungsetats streiten, der derzeit zusammengerechnet 250 Milliarden Euro beträgt, sondern auch versuchen, Rüstungsaufträge für ihre nationalen Konzerne an Land zu ziehen. Bei solchen Summen ist Korruption und Kuhhandel vorprogrammiert. (Man denke nur an den Kompromiss zwischen Frankreich und Deutschland, die EU-Standorte Straßburg und Frankfurt untereinander aufzuteilen). In den ersten 30 Jahren wäre die Armee sowieso mit enormen Restbeständen alter Systeme ausgestattet, da diese ja nicht von heute auf morgen ausgemustert werden können. Gemeint sind hier nicht nur Waffensysteme, sondern tief verankerte Kommandostrukturen, die in die neue Organisation eingegliedert werden müssten. Ein weiteres Problem sind sprachliche Unterschiede, auch wenn die Barriere – wie die NATO und die EU in internationalen Einsätzen beweisen – mit Englisch mehr oder weniger erfolgreich überbrückbar ist.

Budget für militärische Ausgaben

Historisch betrachtet könnten derlei Probleme mit genügend politischem Willen vielleicht lösbar sein: Napoleons Grande Armée bestand aus mehreren Nationen und Sprachen und konnte dennoch beachtliche Erfolge erzielen. Österreichs Vielvölkerstaat stand trotz des aufkommenden Nationalismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts vereint an den Fronten des ersten Weltkriegs. So kämpften ethnische Italiener an der Seite Österreichs im Gebirgskrieg gegen die italienische Armee. Jugoslawien unter Tito ist ein weiteres Beispiel für die gute Zusammenarbeit unter einer großen Führungspersönlichkeit. So waren bis zu Titos Tod katholische Slowenen und Kroaten, muslimische Bosniaken und Albaner sowie orthodoxe Serben in einem Staat und in einer Armee vereint. Nach seinem Ableben fehlte es an einer gemeinsamen Identität: das Gebilde brach blutig auseinander. Übertragen auf die heutige Zeit heißt das: Solange es die Europäische Union nicht schafft, eine gemeinsame Idee oder Persönlichkeit(en) an die Spitze zu stellen, mit der sich jeder identifizieren kann, wird auch der Weg zur gemeinsamen Streitmacht verschlossen bleiben.

Tito regierte zwischen 1945 und 1980 das sozialistische Jugoslawien, das unter anderem die heutigen Länder Kroatien, Serbien, Bosnien und Slowenien umfasste.

Es drängt sich gerade wegen der massiven kulturellen und ideellen Differenzen, die einer vollständigen Zusammenlegung der Verteidigungspolitik im Wege stehen, der Mittelweg als Kompromiss auf. Das beginnt mit gemeinsamen Auslandseinsätzen, wie in Bosnien oder im Kosovo, und dem Bekenntnis zur gemeinsamen Verteidigungspolitik von 2017 (PESCO). Der nächste logische Schritt ist eine gemeinsame Beschaffungspolitik mit grenzüberschreitender Ausbildung in den jeweiligen Waffensystemen. So können Synergien vor allem im finanziellen Bereich genutzt werden und die Mitgliedstaaten auf diese Weise weiter zusammenwachsen. Dieser Mittelweg gilt in naher Zukunft als das plausibelste Szenario, da er zum Großteil auf vorhandenen Strukturen aufbaut. Es ist schlicht nicht notwendig, eine gemeinsame Armee auszurufen. Es genügt, sich Schritt für Schritt und ohne Eile vorzutasten, Kooperationen auszuprobieren und bei gröberen Unstimmigkeiten wieder einzustellen. Man kann die Armeen von mehr als 500 Millionen Menschen nicht in einem großen Reformakt einen. Für den Fall der Fälle gibt es schon jetzt die EU-Battlegroups, die in dringenden Fällen ein gemeinsames Vorgehen ermöglichen.

Eine Union, die sich nicht einmal in einer vergleichsweise trivialen Frage wie dem Außengrenzschutz einig ist, ist auch nicht soweit, Soldaten ihrer Mitgliedstaaten für die Interessen anderer in den Tod zu schicken.

Im Gleichschritt unter der Flagge der Union

Kommentar Pro

VON JULIA DÜR

Stellt euch vor, es gäbe eine Armee pro Bundesland: unterschiedliche Gewehre, Panzer und Uniformen. Klingt ineffizient? Wäre es auch.

Die EU ist nicht nur der größte zusammenhängende Wirtschaftsraum, sondern auch mit mehr als 500 Millionen Einwohnern bevölkerungsreicher als die größte Militärmacht der Welt, die USA. In Asien steigt insbesondere das chinesische Militärbudget jährlich, sodass die Anzahl chinesischer Kriegsschiffe jene der USA bereits übertrifft. Um ein Gegengewicht zu den USA und Asien zu bilden und die europäischen Interessen angemessen vertreten zu können, bleibt der EU nur die Möglichkeit, an einem Strang zu ziehen.

Denn die Vereinigten Staaten sind unter Präsident Trump nicht nur kein zuverlässiger Partner mehr, wie die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, nach einem Treffen mit Trump beim NATO-Gipfel in Brüssel und beim G7-Gipfel feststellte, sondern lösen sich gleichzeitig aus ihrer Rolle als Schutzmacht Europas, die sie im Laufe des 20. Jahrhunderts erwarb. Zwar wurden in Europa amerikanische Interventionen gerne scharf kritisiert, dennoch freute man sich immer wieder über den hochgerüsteten Handelspartner in Übersee, wenn es einmal brenzlig wurde, wie in den Kriegen auf dem Balkan in den 90er Jahren.

Eine weitere außenpolitische Beziehung, nämliche jene zu Russland, ist vor allem für die baltischen Staaten und einige Balkanstaaten von Relevanz. Europa muss zu einer eigenständigen weltpolitischen Macht heranwachsen, die selbstständig Großmächten wie dem revisionistischen Russland Gegenwind bieten kann.

Revisionismus bezeichnet den Ansatz, als anerkannt geltende Erkenntnisse in der Wissenschaft, Geschichte und Politik nochmals in Frage zu stellen.

Natürlich wäre eine EU-Armee ein großes Unterfangen. Die Gefahr der Uneinigkeit zwischen Mitgliedsländern liegt auf der Hand. Doch wer hätte es noch vor 35 Jahren für möglich gehalten, dass in 19 Mitgliedstaaten der EU dieselbe Währung eingeführt wird? Und trotzdem hat es die EU geschafft, mit genügend Planung ein solch großes, gemeinsames Vorhaben zu verwirklichen.

Wie in allen politischen Belangen werden sich die Europäer auch hinsichtlich eines gemeinsamen sicherheitspolitischen Kurses einigen müssen. Eine der größeren Aufgaben wird es sein, eine einheitliche Haltung gegenüber der Integration von Atomwaffen zu finden. Da die EU in Donald Trump keinen verlässlichen Partner sieht, der die Sicherheit Europas garantiert, wäre es sinnvoll, den Schutz der Atommacht Frankreich auf ganz Europa auszuweiten, um im Ernstfall handeln zu können. Ein weiterer Vorteil dieser zentralen Steuerung wäre ein geringeres Risiko für unkoordiniertes Verhalten, wie beispielsweise vor der libyschen Küste.

Es die Aufgabe der Armee, für die Sicherheit innerhalb eines Landes zu sorgen und es gegen Bedrohungen von außen zu schützen. Das wird aber von Jahr zu Jahr komplexer. Hackerangriffe und Terroranschläge sind kein nationales Problem, sondern erfordern derzeit schon die Zusammenarbeit verschiedener Nationen. Weltweite Terrororganisationen stellen eine Bedrohung für ganz Europa dar, der man nur durch zuverlässigen Informationsaustausch und reibungslose Kooperation begegnen kann. Die einzelnen Nationen bemühen sich zwar, ihre Unabhängigkeit zu betonen, sind jedoch bei genauerer Betrachtung bereits jetzt auf die europäische Zusammenarbeit angewiesen. Ein Indiz dafür sind die bereits bestehenden Kooperationen der Geheimdienste und EU-Battlegroups, die mangels politischen Willens und gemeinsamer Strategie leider noch nie eingesetzt wurden.

Die Zusammenlegung der europäischen Heere bündelte militärische Fähigkeiten und führte zu sinkenden gesamteuropäischen Verteidigungsausgaben. Die Umstellung bräuchte seine Zeit, keine Frage. Doch nationales militärisches Wissen für ganz Europa zugänglich zu machen, wäre ein wichtiger Schritt zu einem sicheren Europa in einer Welt wachsender Unsicherheiten. Einheitliche Uniformen würden neben einheitlichen Waffen und Panzern die Zusammenarbeit vereinfachen. Beispielsweise gibt es in Europa 17 verschiedene Typen von Kampfpanzern, während die USA einen Typ Kampfpanzer betreibt. Außerdem stehen 30 Hauptwaffensystemen der USA den 178 der Europäer gegenüber. Dass europäische Mitgliedstaaten statt gemeinsamer Großbestellungen stets kleine Stückzahlen anschaffen, kostet den Kontinent laut Kommission bis zu 30 Milliarden Euro jährlich.

Doch wie sollen bei 23 Amtssprachen und 28 Mitgliedstaaten alle gemeinsam an einer Front stehen? Die Schaffung einer EU-Armee als hochmütiger Turmbau zu Babel? In Zeiten des gut ausgebauten Englischunterrichts in allen Mitgliedstaaten sollten diese Barrieren kein Problem darstellen.

Der Turmbau zu Babel ist eine biblische Erzählung, in der ein Projekt, die Menschheit durch einen Turmbau Gott gleichzusetzen, vereitelt wird, indem Gott eine Sprachverwirrung über die Menschen verhängt.

Stellen wir uns deutsche, italienische, schwedische, rumänische und österreichische Soldaten morgens um fünf zum Appell vor. Am Vormittag marschierten sie kilometerweit in Reih und Glied, absolvierten ihre Gefechtsübungen, äßen ihr Mittagessen Seite an Seite im Grünen. Danach trieben sie gemeinsam Sport und putzten ihre Ausrüstung, um anschließend den anstrengenden Tag mit ein bis zehn Bier ausklingen zu lassen.

Welch Gemeinschaftsgefühl es erzeugen würde, in einer gemeinsamen europäischen Armee auf derselben Seite zu stehen, die gleiche Uniform zu tragen und auch die anstrengendsten Momente miteinander zu teilen. Eine EU-Armee würde vor allem unter Soldaten die europäische Identität stärken und die militärische Zusammengehörigkeit fördern. Doch das würde bei den Soldaten nicht Halt machen. Historisch gesehen hat die Einführung eines nationalen Heeres zur Identifikation der Bürger mit der Nation beigetragen. Eine EU-Armee wäre somit auch dem europäischen Gemeinsinn in allen EU-Staaten förderlich. Es zögen eben nicht Portugiesen für Slowaken in den Krieg, sondern EU-Bürger für EU-Bürger.

Aber würden die EU-Mitgliedstaaten damit nicht die Hoheit über die eigene Verteidigung aus der Hand geben? Die Kontrolle über das Militär würde ja nicht ausgelagert, sondern freiwillig mit anderen geteilt! Das Heer würde ähnlich wie die EU-Kommission einer demokratischen Kontrolle auf höherer Ebene unterliegen. Außerdem könnte man einen Teil der Landesverteidigung, wie etwa den Katastrophenschutz, auch in einer EU-Armee weiterhin national organisieren.

Während die deutsche Bundesregierung das Konzept der europäischen Armee ausdrücklich unterstützt, pocht der Bundestag auf volle Autonomie bei Entscheidungen über Einsätze der Bundeswehr. Aufgrund dieser Uneinigkeit wurde in einem Bericht unter anderem die Idee alternativer Modelle des Parlamentsvorbehaltes unter Absprache mit Parlamenten der Partnerländer in internationalen Kooperationen vorgestellt. In einem möglichen Zukunftsszenario sieht der grüne Verteidigungsexperte Tobias Lindner die Entscheidung in Händen des EU-Parlaments anstelle des Bundestages.

Unter Parlamentsvorbehalt versteht man das Prinzip, dass Entscheidungen wegen ihrer Bedeutung insbesondere für die Grundrechte der Bürger nur durch einen direkten parlamentarischen Zuspruch durchgesetzt werden können.

Laut aktuellem Eurobarometer Spezial zählt Österreich zu den insgesamt fünf EU-Mitgliedsländern, in denen sich nur eine Minderheit für die Schaffung einer eigenen EU-Armee ausspricht. Lediglich 45 Prozent der Befragten in Österreich befürworten demnach eine eigene EU-Armee im April 2017. Dieser Prozentsatz liegt unter dem EU-Durchschnitt von 55 Prozent. Einer der Hauptgründe für diese Ablehnung könnte die österreichische Neutralität sein, die nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für das österreichische Selbstverständnis hat. Das Bekenntnis zur immerwährenden Neutralität Österreichs beim Abschluss des Staatsvertrags mit den Großmächten USA, Russland, Großbritannien und Frankreich erfolgte, um die Unabhängigkeit Österreichs zu gewähren. Die österreichische Neutralität wird zwar nach wie vor großgeschrieben. Doch handelt es sich dabei nicht nur um ein Scheinbekenntnis? Eine Volksabstimmung, wie sie NEOS-Mandatarin und Ex-OGH-Präsidentin Irmgard Griss vorschlägt, würde der österreichischen Bevölkerung erlauben, sich selbständig gegen die überholte Neutralität und für eine Beistandspflicht in Europa zu entscheiden.

Im Jahr 1955 beschloss der Nationalrat das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreich. Das heißt, Österreich darf keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen.

Lasst uns an der Verwirklichung dieser Idee arbeiten, damit sich die nächste europäische Generation nicht mehr vorstellen kann, jemals auf gegenüberliegenden Seiten gestanden zu sein!