Spielt das Geschlecht
eine Rolle?

VON MARLIES HOFMANN

Die Hälfte aller Menschen auf der Welt sind Frauen. In der parlamentarischen Volksvertretung sind aber fast nie die Hälfte aller Abgeordneten Frauen. Mit einem Frauenanteil von 36 Prozent liegt das Europäische Parlament weit vor den Werten der EU-Mitgliedstaaten. Warum ist dem so? Und was bedeutet das für die demokratische Vertretung der Interessen von Frauen?

Das Parlament der Europäischen Union ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Beispielsweise ist es der einzig direkt gewählte, länderübergreifende demokratische Körper der Welt. Das Parlament stützt sich auf Grundwerte wie Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Außerdem geriert sich die EU gerne als eine der genderpolitisch progressivsten Institutionen der Geschichte. Unter anderem ist das auch aufgrund des vergleichsweise hohen Frauenanteils unter den Abgeordneten der Fall.

Das Wort Gender stammt aus dem Englischen und bezeichnet das soziale Geschlecht, welches sich vom biologischen Geschlecht (englisch: sex) unterscheidet.

Nach den EU-Wahlen 2014 lag der Frauenanteil der Parlamentssitze bei 36 Prozent. Das liegt weit über dem Durchschnitt von 27 Prozent in den nationalen Parlamenten. Von Parität, oder einer 50/50 Aufteilung der Sitze, kann man zwar nicht sprechen, aber der Unterschied zu nationalen Parlamenten ist bemerkenswert. Oft wird eine Frauenbeteiligung von 30 Prozent (in Parlamenten, aber auch in Firmenvorsitzen oder Ähnlichem) als das absolute Minimum angesehen.

Who Cares?

Doch was sagt ein Frauenanteil überhaupt aus? Sollte das Geschlecht nicht keine Rolle spielen? Der Zusammenhang zwischen der Anzahl der weiblichen Abgeordneten, also der deskriptiven Repräsentation, und der frauenpolitischen Interessenvertretung, der substantiellen Repräsentation, ist nicht so klar, wie manche Quotenregelung sich das wünscht.

Deskriptive Repräsentation: Die Vertretung bestimmter Gruppen durch die Anwesenheit dieser Gruppen im Entscheidungsprozess.

Substantielle Repräsentation: Die Vertretung bestimmter Gruppen durch inhaltliche Interessensvertretung.

Einige Schlüsse lassen sich trotzdem ziehen: Fraktionen mit höherem Frauenanteil engagieren sich grundsätzlich eher für frauenpolitische Interessen. Allerdings erst ab einem gewissen Anteil und auch nur bis zu einem gewissen Grad. Nicht jede weitere Abgeordnete kann mit der Vertretung eines weiteren weiblichen Anliegens gleichgesetzt werden. Manche Forscherinnen schätzen den „kritischen Wert“ auf 30 Prozent. Erst ab diesem Anteil sind Gruppen nicht nur anwesend, sondern können sich auch für ihre Interessen Gehör verschaffen. Studien zeigen, dass Einstellungen zu frauenpolitischen Themen stark vom Geschlecht abhängen. Klarerweise sind die Meinungen von Abgeordneten erheblich an ihre Parteizugehörigkeit geknüpft, da jedes Parteiprogramm bestimmte Familien- und auch Frauenbilder beinhaltet. Dennoch kann man bei Themen, die die Geschlechter klar unterschiedlich betreffen, wie zum Beispiel Abtreibung, auch innerhalb der Parteien Unterschiede zwischen Männern und Frauen ausmachen. Während also Vertretung von Frauen im Parlament nicht unbedingt Vertretung frauenpolitischer Interessen bedeuten muss, scheint Ersteres zumindest oft eine Voraussetzung für Zweiteres zu sein.

Wie kommt‘s?

Der vergleichsweise hohe Frauenanteil im EU Parlament überrascht viele Forschende in Politik- und Genderwissenschaften. Verschiedene Thesen und Begründungen sind im Gespräch. Es bestätigt sich, dass der Geschlechteranteil parteiabhängig ist und sich bei Parteien links der politischen Mitte mehr Frauen auf den Parlamentssitzen finden. Es lässt sich aber nicht behaupten, dass linke Parteien im EU-Parlament überrepräsentiert wären. Daher erklären innerparteiliche Frauenanteile noch nicht alles. In manchen Ländern schreiben Gesetze bestimmte Quoten für die Parteilisten vor. In Frankreich und Belgien beispielsweise müssen die Plätze auf den Listen abwechselnd mit Männern und Frauen besetzt werden. Dieses Prinzip wird auch „Reißverschlussprinzip” genannt. Das französische Paritätsgesetz ist für die Wahlen zum Europäischen Parlament bindend. Einige Parteien (darunter Grüne, SPD und DIE LINKE in Deutschland sowie die Grünen und NEOS in Österreich) verpflichten sich freiwillig zum „Reißverschlussprinzip” bei der Besetzung ihrer Listen. Solche Regelungen beeinflussen auf unterschiedliche Weise die Geschlechteraufteilung unter den europäischen Abgeordneten. Forschungen der Politikwissenschaft zeigen, dass aus Parteien mit größerem Frauenanteil im nationalen Parlament ein noch größerer Anteil an Frauen ins EU-Parlament gewählt wird. Da kleine Parteien manchmal nur einen einzigen Sitz im Parlament erlangen, ist der erste Listenplatz für die (deskriptive) Vertretung von Frauen im EU-Parlament von besonderer Bedeutung.

Frauen sind allerdings nicht die einzige Gruppe, die unverhältnismäßig gering auf politischer Ebene vertreten ist. In der Geschichte des EU-Parlaments gab es beispielsweise erst neun bekennend homosexuelle Abgeordnete. Nikki Sinclaire, die bis 2014 britische EU-Parlamentarierin war, sprach 2013 öffentlich über ihre Identität als Transgender und ist damit die erste öffentliche Transgender-Abgeordnete.

Transgender-Personen können sich mit dem biologischen Geschlecht des Körpers, in den sie hineingeboren wurden, nicht identifizieren. Sie nehmen stattdessen die soziale Identität eines anderen Geschlechts an.

Kritik: Oder doch nur die ewige zweite Wahl?

Während viele das EU-Parlament für die große Anzahl an Politikerinnen loben, was nicht unbegründet ist, kann man aber durchaus auch ein kritisches Auge auf die Beobachtungen werfen. In der Politikwissenschaft wird diskutiert, ob es eine Verbindung zu der Tatsache gibt, dass EU-Ämter gemeinhin als weniger wertvoll als nationale Posten angesehen werden. 2014 waren zu den Wahlen für die europäische Vertretung fast 400 Millionen Menschen in den 28 EU-Staaten wahlberechtigt, die Wahlbeteiligung lag mit 42,54 Prozent aber auf einem historischen Tiefstand. Innerhalb der Mitgliedstaaten gab es hier große Unterschiede. In der Slowakei lag die Wahlbeteiligung beispielsweise unter 14 Prozent.

Abels& Mushaben, 2014

Das liegt möglicherweise daran, dass große Teile der Wählerschaft die Wahl als „Nebenwahl” verstehen und ihr weniger Bedeutung beimessen. Es bleibt die Frage, ob der konstant höhere Frauenanteil im Europäischen Parlament verglichen mit nationalen Parlamenten damit erklärt werden kann, dass europäischen Wahlen eine geringere Bedeutung zugesprochen wird, die EU-Politik als „Nebenpolitik” wahrgenommen wird und deshalb „Nebenabgeordnete”, also Politikerinnen, eher zum Zuge kommen. Das kommende Wahlergebnis wird daher auch in Hinsicht auf die Wahlbeteiligung und die Konstellation der Abgeordneten interessant.

#metoo im Europaparlament

KOMMENTAR

VON IRIS ADELT

Durch die Online-Kampagne #metoo wurde ein Rahmen geschaffen, der es hauptsächlich Frauen ermöglicht, über ihre persönlichen Erlebnisse mit sexueller Belästigung oder Missbrauch zu sprechen. Der wohl bekannteste Fall, der auch die #metoo-Debatte ins Rollen brachte, ist jener um Harvey Weinstein. Am 5. Oktober 2017 enthüllte die New York Times in einem Artikel, dass sich der US-amerikanische Filmproduzent gegenüber Dutzenden Frauen sexuell übergriffig verhalten haben soll. Die Rede war von Missbrauch, Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung von Schauspielerinnen, Produktionsassistentinnen und Mitarbeiterinnen der Weinstein Company. Nach der Veröffentlichung des Artikels erhoben unzählige weitere Schauspielerinnen ihre Stimme. Es entstand eine Bewegung, die immer mehr Frauen dazu bewegte, ihre Geschichte mit der Öffentlichkeit zu teilen.

Sexuelle Belästigung wird definiert als ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten, das von der Person, an die es sich richtet, nicht gewünscht wird und bewirkt, dass die Würde dieser Person verletzt oder ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, aggressivem oder beschämendem Verhalten geprägtes Umfeld geschaffen wird.

Sexismus in Europa

Frauen aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern berichteten von einem Phänomen im Besonderen: Machtmissbrauch. Es gebe kaum einen Beruf, in dem sexuelle Belästigung kein Thema sei. Und je mehr Frauen von ihren Erfahrungen berichteten, desto mehr war zu erkennen, dass es überall Betroffene gab. Viele machten erst jetzt den Mund auf, aus Scham und aus Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Das Problem ist allgegenwärtig: Laut einer Umfrage der EU-Agentur für Grundrechte aus dem Jahr 2014 wurden 55 Prozent aller Frauen mit einer oder mehreren Formen von sexueller Belästigung konfrontiert. 33 Prozent der Frauen haben körperliche oder/und sexuelle Gewalt erlebt, eine von fünf Frauen ist von Stalking betroffen. Und spätestens, als die Vorwürfe auch das Europäische Parlament erreichten, wurde ersichtlich, dass sexuelle Belästigung in jeder Branche bittere Realität ist.

Sexismus im Europaparlament

Die ersten Veröffentlichungen erschienen in der Sunday Times und bei Politico, die von Frauen im Europäischen Parlament berichteten, die sich als Missbrauchsopfer zu erkennen gaben. Mehrere Abgeordnete sollen anzüglich geworden sein, die Frauen bedrängt und belästigt haben oder ihnen körperlich zu nahe gekommen sein. Alle Anschuldigungen erschienen anonymisiert – die Frauen hätten Angst um ihre Karriere, vor juristischen Auseinandersetzungen oder anderen Unannehmlichkeiten. Fast 90 Prozent der Frauen, die ihr Schweigen gebrochen hatten, erzählten, dass ihnen Angebote wie EU-Arbeitsverträge als Gegenleistung für Sex gemacht wurden.

Damit war endgültig offensichtlich, dass Sexismus auch vor dem Europäischen Parlament nicht Halt machte. Damit sich das ändert, zog Parlamentspräsident Antonio Tajani Konsequenzen. Der EU-Parlamentspräsident setzte das Thema Machtmissbrauch und Sexismus auf die Agenda des Parlaments. In der folgenden Plenumsdiskussion wurden interne Maßnahmen angekündigt, die sexuelle Belästigung bekämpfen sollen – ein erster Schritt Richtung Besserung. Cecilia Malmström, EU-Kommissarin für Inneres, erklärte, wir seien Zeugen eines feministischen Aufschreis auf globaler Ebene. Sie versprach außerdem, umgehend eine neue Erhebung zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt in Auftrag zu geben.

Ergebnis der Debatte war ein Ausschuss zur Vorbeugung sexueller Belästigung für das Personal im EU-Parlament und ein besonderer Ausschuss für parlamentarische Assistentinnen und EU-Abgeordnete. Ferner startete man eine Sensibilisierungs- und Aufklärungskampagne, um die Sichtbarkeit des Themas zu erhöhen und mehr Aufsehen zu erregen. Mitglieder des EU-Parlaments erhielten einen neuen Leitfaden, der aufzeigen soll, welche Unterschiede es zwischen gutem und schlechtem Verhalten gibt. Darin wird zum Beispiel geraten, angemessene Sprache zu nutzen, Bemerkungen über das Aussehen von Mitarbeitern zu vermeiden, sexistische Witze und vulgäre Handlungen zu unterlassen, das Privatleben von Mitarbeitern zu respektieren, etwaige Unstimmigkeiten offen anzusprechen und bei Problemen umgehend Hilfe zu beschaffen.

Allgemein lehrt uns der Fall, dass Machtmissbrauch leider immer dort aufzutreten scheint, wo sich Macht konzentriert. Doch für respektloses, aufdringliches oder sogar übergriffiges Verhalten gibt es schlichtweg keine Entschuldigung. Dass wir uns im 21. Jahrhundert immer noch dagegen wehren müssen, ist eigentlich skandalös. Solange der Sexismus existiert, dürfen wir den Kampf gegen ihn nicht aufgeben.

Ein Körper – 28 Meinungen

Von Mary-Jo Wegener

Sollte die EU Abtreibungen zum Grundrecht erklären und legalisieren? Während in Malta jegliche Form von Abtreibung illegal ist, ist in den Niederlanden ein Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der Frau bis zur 22. Schwangerschaftswoche möglich. Über europäische Uneinigkeit in der Abtreibungsfrage.

Der Beginn des menschlichen Lebens

Die Abtreibungsdebatte ist größtenteils eine Debatte über den Zeitpunkt des Beginns des menschlichen Lebens. Der Schwangerschaftsverlauf ist in drei Trimester unterteilt, die jeweils einen Zeitraum von 12 Wochen beschreiben. Die erste Schwangerschaftswoche beginnt am ersten Tag der letzten Regelblutung. Momentan finden etwa 88 % aller Abtreibungen innerhalb des ersten Trimesters statt.

SchwangerschaftswocheStadium des Embryos/Fötus
2Befruchtung der Eizelle
3-4Einnistung der befruchteten Eizelle
6Herzschlag setzt ein
7Einsetzen der Hirnströme
8-10Innere Organe werden ausgebildet, der Embryo entwickelt sich zu einem Fötus
22-24Überlebensfähigkeit außerhalb des Körpers der Mutter mit Hilfsmitteln wie beispielsweise Brutkästen

Dem Buddhismus zufolge ist der Mensch ab dem Augenblick der Zeugung ein lebender Organismus, der unter keinen Umständen getötet werden darf.

Im Christentum hat jedes unschuldige Wesen ein Recht auf Leben, weshalb Abtreibungen ab dem Zeitpunkt der Empfängnis weitestgehend als Tötung und somit als Sünde angesehen werden, insbesondere in der katholischen Kirche. In der evangelischen Kirche kann je nach Auslegung ein Schwangerschaftsabbruch als gerechtfertigt angesehen werden, wenn die körperliche oder seelische Gesundheit der Mutter in Gefahr ist, wenn der Embryo mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Behinderung hat oder wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung zustande kam.

Dem Islam zufolge erhält der Mensch je nach Interpretation am 40. Tag oder am 120. Tag der Schwangerschaft seine Seele, die ihm von einem Engel eingehaucht wird. In dieser frühen Phase darf nach einigen Interpretationen ein Schwangerschaftsabbruch stattfinden, wenn die Frau seelisch oder körperlich stark leidet oder mit großer Wahrscheinlichkeit eine Behinderung des Kindes erwartet wird. Andere Interpretationen sehen jedoch jegliche Form des Schwangerschaftsabbruchs als Sünde an. Vergewaltigung wird als Abtreibungsgrund stark diskutiert, obwohl einige Gelehrte argumentieren, dass das Kind keine Schuld an dem Verbrechen trage. Ausgenommen von der sicheren Lebensgefahr der Mutter gilt eine Abtreibung nach dem 120. Tag weitestgehend als Sünde.

Auch im Judentum gibt es keine einheitliche Auffassung zum Schwangerschaftsabbruch. Wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, wird eine Abtreibung weitestgehend als legitim anerkannt. Andere legitimierende Gründe werden kontrovers diskutiert. Laut dem babylonischen Talmud, einem bedeutenden Schriftwerk des Judentums, erlangt der Fötus am etwa 40. Tag nach der Befruchtung moralische Relevanz.

Die Argumentation, dass der Staat gegen den Willen der Frau über ihren Körper bestimme, oder dass der Staat die Verpflichtung habe, ungeborenes Menschenleben vor der Tötung zu schützen, sind in ihrer Essenz Argumentationen über den Beginn menschlichen Lebens. Die zuvor genannten Zeitpunkte bieten verschiedene Interpretationen des Moments, ab dem ein Fötus oder Embryo nicht mehr als Teil des Körpers der Frau, sondern als eigenständiges Lebewesen wahrgenommen wird, das somit dem Schutz des Staates unterliegt.

Straffreiheit

Die Kriminalisierung von Abtreibungen kann Betroffene zu privat vollzogenen Schwangerschaftsabbrüchen treiben, die teilweise lebensgefährliche Komplikationen für die betroffene Frau mit sich bringen. Viele Frauen, denen der Zugang zu einem medizinisch assistierten Schwangerschaftsabbruch verwehrt bleibt, sehen sich dann gezwungen, ihrer Schwangerschaft mit der Hilfe von Kleiderbügeln, Bleichmittel-Einläufen, Stricknadeln, oder der Einnahme von giftigen Substanzen ein Ende zu setzen. Wer das alte Wienerlied von der Engelmacherin kennt und sich immer gefragt hat, was denn die Engelmacherin von Helmut Qualtinger macht – in diesem Drama steckt die Lösung.

Der staatliche Eingriff in den Körper der Frau und die Gefahren der Kriminalisierung der Abtreibung sind Gründe, warum die Frauenbewegung seit den 70er-Jahren mit Parolen wie „Mein Bauch gehört mir“ ein Recht auf den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch einfordert.

In Europa ist der Zeitraum, in dem ein Schwangerschaftsabbruch legal durchgeführt werden kann, abhängig von medizinischen (z.B. Krankheiten der Mutter), eugenischen (z.B. durch Untersuchungen entdeckte Behinderungen des Kindes, was besonders umstritten ist), kriminologischen (z.B. Vergewaltigung, Inzest), sowie sozialen (z.B. Arbeitslosigkeit) Faktoren. Die Einschätzung dieser Faktoren unterscheiden sich von Land zu Land.

In Deutschland wird ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen als straffrei anerkannt, wenn die schwangere Frau mindestens drei Tage zuvor an einem Beratungsgespräch in einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle teilgenommen hat oder ein krimineller Faktor vorliegt. Nach diesen zwölf Wochen ist ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig, mit der Ausnahme medizinischer Faktoren. Rechtswidrige Abtreibungen können mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden.

In Österreich ist eine Abtreibung ungeachtet aller Faktoren bis zur 16. Schwangerschaftswoche straffrei. Nach der 16. Woche ist die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs jedoch abhängig von medizinischen und eugenischen Faktoren oder dem Alter der Mutter, das zufolge des österreichischen Strafgesetzbuches über 14 liegen sollte, da dies das Alter der Mündigkeit ist. Gesetzeswidrige Abtreibungen können zu einer Geldstrafe von bis zu 720 Tagessätzen, oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren führen. Ist der unmittelbare Täter kein Arzt und führt den Schwangerschaftsabbruch gewerbsmäßig oder mit den Folgen des Todes der betroffenen Frau aus, so kann er mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden.

In Malta, einem traditionell katholischen Land, ist jegliche Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs strafbar und wird mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Ärzten, Chirurgen, Geburtshelfern und Apothekern, die Abtreibungen durchführen, droht zusätzlich ein lebenslanges Arbeitsverbot in ihrem Berufsfeld. In der Praxis wird jedoch nicht jeder Fall verfolgt.

In Polen, einem ebenfalls traditionell katholischen Land, ist Abtreibung legal im Falle einer Vergewaltigung und aus medizinischen oder eugenischen Gründen. Ärzte können sich weigern, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, wenn diese ihren religiösen oder ethischen Auffassungen widersprechen. Momentan existiert keine gesetzliche Strafe für einen illegalen Schwangerschaftsabbruch. Seit 2015 gibt es in Polen jedoch Diskussionen über eine Gesetzesänderung, die Abtreibungen (mit Ausnahme der Lebensgefahr der Mutter) kriminalisieren würden.

In Frankreich ist ein Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch der Frau bis zur 14. Schwangerschaftswoche straffrei. Nach der 14. Woche sind Abtreibungen erlaubt, wenn zwei Ärzte entscheiden, dass medizinische oder eugenische Faktoren vorliegen. Minderjährige schwangere Mädchen dürfen ohne die Einwilligung ihrer Eltern eine Abtreibung durchführen lassen, wenn sie von einem Erwachsenen Menschen ihrer Wahl zur Klinik begleitet werden.

In den Niederlanden ist Abtreibung innerhalb der ersten 22 Schwangerschaftswochen auf Verlangen der Frau möglich. Aus medizinischen Gründen kann ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 24. Woche legal durchgeführt werden. Trotz dieser liberalen Regelung ist die Abtreibungsrate innerhalb der Niederlande niedrig, was manche Experten auf umfassende Aufklärung und einfachen Zugang zu Verhütungsmitteln zurückführen.

Im Vereinigten Königreich ist ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 24 Wochen aufgrund von sozialen, kriminologischen, eugenischen und medizinischen Faktoren legal möglich.

Im traditionell katholischen Irland waren Abtreibungen dagegen nur aufgrund von Lebensgefahr (inklusive Suizid) der schwangeren Frau legal, was dazu führte, dass viele irische Frauen für eine Abtreibung nach Großbritannien reisten. Im Mai 2018 gab es ein landesweites Referendum, in dem für die Aufhebung der Kriminalisierung gestimmt wurde. Seit dem 20. Dezember 2018 dürfen Abtreibungen innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen durchgeführt werden. Nach der zwölften Woche sind Schwangerschaftsabbrüche nur straffrei, wenn medizinische oder eugenische Faktoren vorliegen.

Zugang zu Informationen und Institutionen

Der Zugang zu Institutionen und Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch unterliegt momentan ebenfalls unterschiedlichen Regulierungen zwischen verschiedenen europäischen Ländern. In einigen Fällen wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte involviert.  

2010 beispielsweise kam der Europäische Gerichtshof zu dem Schluss, dass Irland schwangeren Frauen keinen ausreichenden Zugang zu Einrichtungen bietet, die die Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs feststellen könnten.

In Deutschland gilt bislang ein „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche. Somit ist es Ärzten momentan untersagt, für den eigenen Vermögensvorteil oder auf „grob anstößige Weise“ einen Schwangerschaftsabbruch anzubieten, anzukündigen, anzupreisen, bekanntzugeben oder zu erklären. Kritiker sehen auf der Basis des deutschen Rechts und der Europäischen Menschenrechtskonvention sowohl eine Verletzung der Berufsfreiheit als auch einen Verstoß gegen die Informationsfreiheit. Die Bundesregierung hat sich im Dezember 2018 auf eine Änderung dieses Paragraphen geeinigt und plant, einen neuen Absatz hinzuzufügen, der es Ärzten und Kliniken erlauben soll, Informationen über ihr Angebot eines Schwangerschaftsabbruches anzubieten. Die Linkspartei, die Grünen und die FDP wollen dieses Gesetz allerdings komplett streichen und prüfen gerade eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

In anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Österreich, gibt es keine Regelung bezüglich der Bekanntgabe des Angebots eines Schwangerschaftsabbruchs im öffentlichen Raum.

Die Rolle Europas

Momentan sieht die EU-Menschenrechtskonvention kein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch vor. Die Länder bewegen sich in unterschiedliche Richtungen: Während sich Ungarn und Polen zunehmend konservativ ausrichten, setzen Länder wie Irland in letzter Zeit auf liberalere Politik. Es stellt sich die Frage, in welcher Form dieses Thema auf europäischer Ebene reguliert werden sollte – momentan ist kein europäischer Konsens in Sicht.