Das kleine Einmaleins des Handelns

VON FELIX OBLIN

Wie ein roter Faden zieht sich der Abbau von Grenzen und Hemmnissen durch die gesamte EU. Besonders gilt das für den Handel: Der europäische Binnenmarkt ist ein Paradebeispiel für gelungene wirtschaftliche Integration und damit auch für den Freihandel – aktuell ein populäres Thema auf der weltpolitischen Bühne. Sollten wir Freihandelsabkommen, wie es TTIP oder CETA waren, abschließen, um den Wettbewerb zu fördern und unseren Wohlstand zu mehren? Oder schadet das den heimischen Produzenten, der Qualität der Produkte und den Rechten von Verbrauchern? Um die Vor- und Nachteile des freien Handels zu verstehen, bedarf es zunächst einiger Grundlagen.

Warum handeln wir miteinander?

Dazu ein Gedankenexperiment: Lukas und Anna produzieren Schlösser und dazugehörige Schlüssel in harter Arbeit. Lukas schafft pro Tag vier Schlösser oder fünf Schlüssel, die etwas langsamere Anna fertigt zwei Schlösser oder vier Schlüssel. Wenn nun beide drei Tage arbeiten, hat Lukas am Ende sechs und Anna vier Schlüssel-Schloss-Pakete, insgesamt hat die Welt also zehn Pakete gewonnen. Der Ökonom sagt: Lukas hat sowohl bei der Schlüssel- als auch der Schlossproduktion einen absoluten Kostenvorteil, er ist schlichtweg effizienter, schneller, fleißiger. Jetzt verändern wir unseren Blickwinkel etwas: Konzentriert sich Lukas nur auf Schlüssel, „verliert“ er dafür pro Schlüssel 0,8 Schlösser. Bei Anna betragen diese sogenannten Opportunitätskosten aber nur ein Drittel eines Schlosses – Anna hat hier somit einen komparativen Kostenvorteil, weil sie für einen Schlüssel relativ betrachtet weniger verliert als Lukas. Nachrechnen zeigt: bei den Schlössern ist es andersherum.

TagesproduktionLukasAnna
Schlüssel54
Schlösser42
3 Tage6 Pakete4 Pakete
OpportunitätskostenLukasAnna
1 Schlüssel0,8 Schlösser (4/5)0,5 Schlösser (2/4)
1 Schloss1,25 Schlüssel (5/4)2 Schlüssel (4/2)

Nun beschließen Lukas und Anna, dem sogenannten Ricardo-Modell (des Ökonomen David Ricardo) zu folgen und spezialisieren sich auf die Produkte, in denen sie über komparative Kostenvorteile verfügen: Lukas produziert nun ausschließlich Schlösser, Anna fokussiert sich auf Schlüssel. In drei Tagen fertigen die beiden 12 Schlösser (Lukas) und 12 Schlüssel (Anna) – und kommen somit auf zwölf Pakete insgesamt statt der vorherigen acht. Das Beispiel veranschaulicht auf triviale Weise, wie Spezialisierung und Handel für mehr Wohlstand auf beiden Seiten sorgen kann.

Die Vorteile werden insbesondere klar, wenn man den Faden weiter spinnt: Wenn unsere beiden Schlosser sich nun tagtäglich auf ihr jeweiliges Handwerk fokussieren, werden beide durch zusätzliche Erfahrung, neue Ideen und intensive Praxis vermutlich immer spezialisierter und effizienter produzieren, können somit ihre Produkte verbessern und ihre Preise reduzieren. Nimmt man nun an, dass Handel immer freiwillig passiert – sprich Lukas und Anna werden einem Deal nur dann zustimmen, wenn sie (jeder für sich) nachher besser dastehen als vorher – ist dies eine klassische „Win-Win“-Situation.

Die internationale Arbeitsteilung

Das Modell ist natürlich nicht nur auf Personen oder Unternehmen, sondern auch auf Länder anwendbar und wird in der heutigen Realität intensiv gelebt: Wohlhabende Industriestaaten beispielsweise spezialisieren sich typischerweise auf Produkte und Dienstleistungen mit hohem Kapital- und Wissensbedarf, da sie besser und effizienter Wert schöpfen können als andere Länder. So finden Design und Entwicklung des iPhones zum Beispiel in den USA statt. Im Gegenzug übernehmen ärmere Entwicklungs- und Schwellenländer vor allem verarbeitende Aufgaben und machen so den Großteil der weltweiten industriellen Produktion aus. Kleidung wird beispielsweise bevorzugt in Ländern wie Bangladesch oder Vietnam genäht. Diese grenzübergreifende Zusammenarbeit wird als internationale Arbeitsteilung bezeichnet.

Internationaler Handel steigert zusätzlich den Wettbewerb zwischen Unternehmen, was Preise weiter drückt und Monopolstellungen aufbricht. Flugtickets, die heute günstig sind wie nie zuvor, sind ein ideales Beispiel. Üblicherweise steigern freie Märkte auch die Qualität, da höherer Wettbewerb auch Forschung, Innovationen und Produktentwicklung antreibt. Zwischen Ländern unterschiedlicher Entwicklungsgrade findet ein Technologietransfer statt, der Wohlstand auf beiden Seiten schafft.

Freihandel nützt nicht unbedingt allen

Der Freihandel hat aber auch dunkle Seiten: Intensive Spezialisierung schafft Abhängigkeiten, wie etwa das Dienstleistungsparadies Großbritannien nach der Wirtschaftskrise 2008 erleben durfte. Lokale Kulturen werden beeinflusst und durch internationalen Handel oft zu Ungunsten der traditionellen Gebräuche verändert – in Japan trägt man zum Beispiel längst Jeans statt Kimonos. Insbesondere junge Industrien mit vielen kleinen Unternehmen leiden möglicherweise unter einem ungeschützten Wettbewerb, da sie gegen die Produktionseffizienz und Marktmacht großer Konzerne nicht ankommen. Außerdem können Spezialisierung und technologischer Fortschritt lokale Arbeitsplätze vernichten, da die Branche sich verändert oder gar verschwindet. Jedes Jahr werden beispielsweise Hunderte Arbeitsplätze in deutschen und österreichischen Industriefabriken abgebaut, weil sich die Produktion von Schrauben hierzulande im Vergleich zu Asien nicht mehr lohnt. Wie am vorigen Beispiel von Anna und Lukas ersichtlich, kann keiner der beiden Tauschpartner durch Freihandel schlechter gestellt werden. Es kann jedoch Gewinner und Verlierer innerhalb der Gesellschaft geben, selbst wenn das Gesamtwohl für beide beteiligten Staaten immer steigt. Gezielte politische Maßnahmen können diese Nachteile eindämmen, indem beispielsweise zeitlich beschränkte Erziehungszölle junge Industriezweige vorübergehend schützen oder Arbeitslose unterstützen.

Autarkie ist unmöglich

Ohne weltweite Arbeitsteilung und freien Handel wäre die Welt zweifelsohne eine andere – mehr noch, der hohe Grad der heutigen Spezialisierung macht Autarkie quasi unmöglich. Das berühmte Toaster-Projekt von Thomas Thwaites veranschaulicht das: Ein Toaster, der im Handel 4,99 Pfund kostet, soll von Grund auf nachgebaut werden. Thwaites reiste sogar zu verschiedenen Minen, um seine Metalle zu beziehen und schmolz Eisenerz in einer Mikrowelle, um am Ende in 9 Monaten Arbeit einen 1200-Pfund-Toaster in den Händen zu halten. Dennoch war das Projekt von richtiger Autarkie meilenweit entfernt, da sogar über Wikipedia bezogenes Wissen bereits einen Handel darstellt.

Autarkie bezeichnet wirtschaftliche Unabhängigkeit

Protektionismus möchte Freihandel eindämmen

Protektionismus bezeichnet alle Maßnahmen, die freien Handel zwischen In- und Ausland hemmen. Hierbei unterscheidet man zwischen tarifären (z.B. Zöllen) und nicht-tarifären Handelshemmnissen (z.B. Importbegrenzungen). Ziel ist meistens der Schutz der eigenen Industrie gegenüber ausländischer Konkurrenz. Der Paradeprotektionist schlechthin ist Donald Trump. Bereits in seinem Wahlprogramm „America First“ forderte er Neuverhandlungen von bilateralen Handelsverträgen („China is ripping us off“) und höheren Zölle, um das amerikanische Handelsdefizit zu reduzieren.

Wenn ein Land mehr importiert als exportiert, hat es ein Handelsdefizit (zum Beispiel USA). Ist das Gegenteil der Fall, hat es einen Handelsüberschuss (z.B. Deutschland)

2017 wurde daraus Realität: die USA zettelte mit Zöllen auf diverse chinesische Produkte einen Handelskrieg an. Auch die Briten werden sich nach ihrem angekündigten Ausstieg aus dem EU-Binnenmarkt wahrscheinlich protektionistisch verhalten – wobei mittlerweile wohl nur der Teufel weiß, was die Briten in die Tat umsetzen werden. Das Gegenteil des Protektionismus ist die Freihandelspolitik, die den Abbau jeglicher Handelshemmnisse fordert.

Was ist ein Handelskrieg?

Wenn sich zwei Länder gegenseitig mit Handelshemmnissen attackieren, spricht man von einem Handelskrieg – das Militär bleibt in diesem Krieg also üblicherweise daheim. Seit 2017 hat die USA in drei Schritten neue Zölle zwischen 10 % und 25 % gegen China eingeführt, die eine breite Produktpalette von Handtaschen bis hin zu Kühlschränken und damit ein Handelsvolumen von etwa. 250 Mrd. US-Dollar betreffen. China wollte das nicht auf sich sitzen lassen und schlug mit Zöllen auf amerikanische Produkte, die jährlich 110 Mrd. US-Dollar ausmachen, zurück. Das betraf unter anderem Autos, Flugzeuge und Sojabohnen. Seit Dezember 2018 versuchen die beiden Länder, die Lage zu beruhigen und haben ein Art handelspolitischen Waffenstillstand vereinbart, der bis heute gilt – keine neuen Zölle bis auf Weiteres. Viele amerikanische, chinesische und internationale Firmen sowie die WTO bedauern diesen Krieg und warnen vor einem Schaden für die Weltwirtschaft.

Die WTO ist die Welthandelsorganisation, deren 164 Mitgliedstaaten sich der Liberalisierung des Welthandels verpflichtet haben. Die WTO legt allgemeine Regeln für den Handel zwischen ihren Mitgliedern fest und greift bei Streitigkeiten schlichtend ein.

Zwischen der EU und den USA gibt es übrigens auch Spannungen: Die neuen Zölle auf Stahl und Aluminium betreffen auch europäische Exporteure; weitere Zölle auf Autos, Flugzeuge, Wein und mehr aus Europa wurden angedroht. Die EU-Kommission rächte sich bereits ihrerseits mit Zöllen, unter anderem auf Whiskey und Motorräder – Jack Daniels und Harley Davidson – und droht Trump mit weiteren Maßnahmen.

Eine Firma, die ein Produkt ins Ausland verkauft, nennt man Exporteurin. Wenn Airbus beispielsweise ein Flugzeug in die USA verkauft, hat es das Flugzeug exportiert.

Binnenmarkt und Buchstabensalat

TEIL 2

VON FELIX OBLIN

TTIP

Das Transatlantic Trade & Investment Partnership (TTIP) ist ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU, das tarifäre und nicht-tarifäre Handelsbarrieren abbauen soll und seit Mitte 2013 verhandelt wird. Kernpunkte sind der vollständige Abbau von Zöllen und ein gleichberechtigter Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen, hauptsächlich um den Wettbewerb zu fördern. Weiterhin sollen Normen und Standards angepasst und der Zugang zu Energie und Rohstoffen einfacher werden. Seit dem Amtsantritts Donald Trumps liegen die Verhandlungen auf Eis, in den letzten Monaten fanden aber auf beiden Seiten Schritte zur Wiederaufnahme der Gespräche statt – wenn auch nicht mehr unbedingt unter dem Namen TTIP.

Die Komplexität der Handelsregeln auf beiden Seiten des Atlantiks verursacht sehr langwierige, kleinteilige Verhandlungen: Medikamente werden zum Beispiel in Amerika anders getestet als in Europa, die Preismacht der Pharmaunternehmen unterscheidet sich genauso wie die Dokumentationspflichten. Kritisiert wird vor allem der intransparente Verhandlungsprozess. Lange Zeit hatte die Öffentlichkeit kaum Einblick in die Unterlagen und die Berichterstattung der EU-Kommission war ebenfalls spärlich. Außerdem bemängeln manche einen möglicherweise unverhältnismäßigen Einfluss von großen Konzernen gegenüber den Verbrauchern und Arbeitnehmern. Auch nachlassende Produktstandards werden befürchtet. Das berüchtigte „Chlorhühnchen“ ist dabei zu großer Bekanntheit gelangt – in den USA ist es üblich, Geflügelfleisch in einem Chlorbad zu desinfizieren. Der sogenannte Investorenschutz, der ausländischen Investoren die Austragung von Rechtsstreitigkeiten über private Schiedsgerichte erlaubt, steht ebenfalls in der Kritik.

In einem Schiedsgericht werden nicht öffentliche Richter, sondern internationale Juristen eingesetzt.

Befürworter erhoffen sich einen Anstieg der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der involvierten westlichen Industrieländer gegenüber China und anderen Wachstumsmärkten, sinkende Preise für Konsumenten, mehr Investitionen, mehr Arbeitsplätze und insgesamt größeren Wohlstand. Die tatsächlichen Effekte des Abkommens sind selbstverständlich ungewiss, besonders weil das Abkommen noch nicht einmal ausverhandelt ist. Die Entscheidung über den Vertrag liegt am Ende bei der EU-Kommission, dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament sowie beim US-Kongress. Sofern Bereiche außerhalb der EU-Zuständigkeiten betroffen sind, könnten auch die nationalen Parlamente einbezogen werden.

CETA

Im Gegensatz zu TTIP wurde das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) zwischen Kanada und der EU bereits 2014 zu Ende verhandelt, 2016 von der EU abgesegnet und trat im September 2017 teilweise in Kraft. Kerninhalte sind ebenfalls der Abbau von Zöllen, die Vereinheitlichung von Normen und Vorschriften sowie die Anerkennung beruflicher Qualifikationen, damit Angestellte einfacher in einem Partnerland arbeiten können. Vor allem in der Landwirtschaft, in der die EU einen Exportüberschuss von etwa 2,9 Mrd. Euro nach Kanada erwirtschaftet, soll der Handel vereinfacht und ausgebaut werden. Laut dem CETA-Guide der EU wurden 98 % der Zölle zwischen der EU und Kanada mit der Einführung eliminiert. Der ursprünglich auch durch private Schiedsgerichte gesicherte Investorenschutz wurde in der Endfassung des Vertrags durch einen ständigen Gerichtshof mit 15 von Kanada und der EU ernannten Richtern gewährleistet.

Beide Partnerländer erwarten durch größere Handelsvolumina und gesteigerten Wettbewerb positive Effekte auf das Wirtschaftswachstum und das Pro-Kopf-Einkommen, insbesondere für exportorientierte Länder wie Deutschland und Österreich. Kritiker sehen wie bei TTIP den Investorenschutz als Gefahr, da Konzerne besondere Klagerechte gegenüber Staaten erhalten. Angeglichene Vorschriften könnten außerdem die hohen europäischen Standards, zum Beispiel beim Umweltschutz oder im Gesundheitsbereich, absenken. Ferner befürchten Gegner die Privatisierung von heute öffentlichen Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, da CETA alle Dienstleistungen automatisch liberalisiert.

Dienstleistungen, die fürs tägliche Leben besonders wichtig sind, wie Wasserversorgung, Müllentsorgung, Gesundheitssystem oder Nahverkehr.

CETA und TTIP sind natürlich nicht alles: Weltweit gibt es noch zahlreiche weitere berühmte Freihandelsabkommen wie NAFTA (“North Atlantic Free Trade Agreement”) zwischen den USA, Kanada und Mexiko oder das durch den amerikanischen Präsidenten aufgekündigte TPP (“Trans-Pacific Partnership”) zwischen den USA, Australien, Kanada, Japan und weiteren Ländern im Pazifikraum. Insgesamt sind Freihandelsabkommen definitiv ein essentieller Bestandteil einer zunehmend vernetzten, globalisierten Welt, die viel Wohlstand durch Innovation, höhere Qualität und niedrigere Preise gebracht hat.

Der Binnenmarkt – die Krone des Freihandels

Das Non-Plus-Ultra des freien Handels ist der Binnenmarkt: ein einheitlicher Markt innerhalb der Europäischen Union, in dem der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen gewährleistet ist und Handelshemmnisse fast komplett abgebaut sind. Das ursprüngliche Ziel war die Friedenssicherung durch wirtschaftliche Verflechtung, aber natürlich stand auch die Steigerung des Wohlstands und die beständige Entwicklung der Wirtschaft aller Mitgliedstaaten im Zentrum. Dafür wird konsequent an einer weiteren Liberalisierung des Binnenmarktes gearbeitet. Zusätzlich werden europaweit die Interessen der Verbraucher, vor allem bei Gesundheit, Sicherheit und Umwelt, geschützt.

Wie funktioniert der Binnenmarkt?

Die vier Grundfreiheiten bilden die Basis des Binnenmarktes:

  • Warenverkehrsfreiheit: Der Handel zwischen den Mitgliedstaaten findet unbeschränkt, also ohne Zölle und Ein- und Ausfuhrquoten statt. Georg aus Wien kann ohne Probleme eine Flasche schwedischen Absolut-Wodka im Supermarkt seines Vertrauens kaufen, ohne dafür einen höheren Preis aufgrund des Imports zu zahlen. Anna darf ihre Schlösser auch in Tschechien genauso wie in Spanien ohne bürokratische oder finanzielle Hürden verkaufen.
  • Dienstleistungsfreiheit: Dienstleistungen dürfen genauso wie Waren unbeschränkt in anderen EU-Ländern erbracht werden.
  • Personenfreizügigkeit: Unionsbürger dürfen sich innerhalb der EU nicht nur unbeschränkt bewegen, sondern auch arbeiten (Arbeitnehmerfreizügigkeit) und wohnen (Niederlassungsfreiheit), ohne eine spezielle Arbeits- oder Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Lukas kann also ganz einfach einen niederländischen Hilfsschlosser in seiner Wiener Fabrik einstellen, ohne Visum nach Rumänien auf Urlaub fahren oder seinen Wohnort nach Helsinki verlegen. Darüber hinaus gilt das Diskriminierungsverbot, das zur Gleichbehandlung aller Unionsbürger zwingt und so beispielsweise allen EU-Bürgern, die in Italien studieren wollen, die gleichen Studiengebühren garantiert.
  • Freier Kapital- und Zahlungsverkehr: Der freie Transfer von Geld und Wertpapieren in beliebiger Höhe soll ohne Hindernisse erlaubt sein. Lukas kann seinem niederländischen Angestellten ohne Probleme sein Gehalt auf ein Konto in Amsterdam überweisen und gleichzeitig Airbus-Aktien an der Pariser Börse kaufen.

Darüber hinaus baut die EU Handelsschranken einerseits durch die Harmonisierung der nationalen Vorschriften durch EU-Richtlinien, andererseits durch die gegenseitige Anerkennung nationaler Standards wie Berufsbefähigungen ab. Das vergleichsweise hohe Niveau des Verbraucher- und Umweltschutzes erschwert zwar die Verhandlung von internationalen Freihandelsabkommen (siehe TTIP und die Chlorhühner). Andererseits ist es Ausdruck der Zielsetzung der EU, den freien Handel zwar möglichst uneingeschränkt zu fördern, dabei allerdings keinerlei Schaden anzurichten. Richtlinien zur Etikettierung gentechnisch veränderter Lebensmittel, Schutz vor irreführender Werbung, Fahrgastrechte, Sicherheit von Spielzeug oder Button-Lösung stehen beispielhaft für die Anstrengungen der Europäischen Union.

Dank einer Richtlinie der EU muss eine Kundin einem Online-Einkauf explizit durch einen erkennbaren Knopfdruck zustimmen. Außerdem hat sie ein 14-tägiges Rückgaberecht.

Wettbewerbskontrolle

Ein Hauptmechanismus des Binnenmarktes ist ein gesunder, intensiver Wettbewerb zwischen Unternehmen in einer Industrie. Dies sorgt für geringe Preise, hohe Qualität und Innovationspotential. Das steht im Gegensatz zu einem Monopol, bei dem ein einziger Marktteilnehmer über die gesamte Preismacht verfügt und Kunden daher keine Wahl haben. In einem freien Markt können Unternehmen jedoch auch versuchen, den Wettbewerb zu beschränken, beispielsweise durch Preisabsprachen, die Einnahme einer marktbeherrschenden Stellung, etwa durch Fusionen, oder staatliche Beihilfen. Die EU – oder besser gesagt Kommissarin Margarethe Vestager und ihre Abteilung für Wettbewerb – überwacht wettbewerbswidriges Verhalten und verhindert es, wo nötig. Medienwirksame Fälle gibt es regelmäßig: Im Mai 2017 wurde Facebook zu 110 Mio. Euro Strafe verurteilt, nachdem das soziale Netzwerk entgegen anderslautender Behauptungen 2014 beim Kauf von Whatsapp die Nutzerkonten zwischen den beiden Plattformen doch abgeglichen hatte. 13 Mrd. Euro (!) musste Apple 2017 an Irland zurückzahlen, nachdem die EU in den jahrelangen Steuervergünstigungen eine illegale Subvention sah. Im März 2019 verdonnerte die EU-Kommissarin Google zur Strafzahlung von 1,5 Mrd. Euro, weil die Technologiefirma gegen das EU-Kartellrecht verstieß. Aber auch europäische Unternehmen trifft es: Unerlaubte Preisabsprachen brachten den LKW-Herstellern Daimler, Iveco, DAF und Volvo/Renault eine Strafe von insgesamt 2,93 Mrd. Euro ein, während MAN als Hinweisgeber straffrei blieb.

Regelungen bezüglich wirtschaftlicher Kartelle. Ein Kartell ist eine Absprache zwischen Unternehmen, die ihren Wettbewerb beschränkt, zum Beispiel eine Preisabsprache. Kartelle sind fast überall verboten und gelten als schädlich für den allgemeinen Wohlstand.

Die Schattenseiten
des Freihandels

KOMMENTAR KONTRA

VON LUKAS FIALA

Niemand kann durch Freihandel verlieren? Von wegen. Eine realistische Replik auf die ökonomische Theorie.

Der freie Handel wird oftmals als Grundpfeiler unserer liberalen Weltordnung mit Wachstum und Prosperität in einer zunehmend globalisierten Welt assoziiert. Die Befürworter argumentieren, dass mehr Handel Wettbewerb und Arbeitsplätze schaffe, Innovation stimuliere und maßgeblich zum Wirtschaftswachstum beitrage. Wie kommt es allerdings, dass Vertragsverhandlungen von CETA und TTIP derart in öffentliche Missgunst geraten sind? Wieso stellt momentan eine globale Welle des Protektionismus, allen voran Donald Trump, scheinbar etablierte liberale Errungenschaften infrage? Um dem auf den Grund zu gehen, muss der Freihandel als komplexes Thema mit unterschiedlichen Perspektiven und Vor- und Nachteilen verstanden werden. Und Schattenseiten gibt es sehr wohl.

Zu einfach in der Theorie

Zuallererst müssen der theoretische und ideologische Hintergrund von Befürwortern des Freihandels verstanden werden. Diese berufen sich auf den Ökonomen und Mitbegründer des klassischen Liberalismus, David Ricardo, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Theorie des komparativen Kostenvorteils formulierte (siehe Hauptartikel zu Freihandel). Ricardo meinte, dass Länder sich jeweils auf ein gewisses Produkt spezialisieren sollten, für das sie vorteilhafte Produktionsfaktoren, also gewisse volkswirtschaftliche Gegebenheiten, besitzen. So schrieb er, dass Getreide in Amerika und Polen geerntet, Wein in Frankreich und Portugal hergestellt, und Industrieprodukte in England produziert werden sollen. Freihandelsbefürworter sehen in dieser Art der Spezialisierung vielerlei Vorteile, da die involvierten Länder durch ihren Faktorenvorteil effizienter produzieren können. Mehr Effizienz führt dann zu mehr Produktion, was wiederum einen Überschuss kreiert, der dann exportiert werden kann. Folglich steigt der Gewinn und Arbeiter könnten besser entlohnt werden. Zudem fördert dies die Innovation, da individuelle Produzenten ihren jeweiligen Produktionsabschnitt effizienter gestalten, um mehr und kostengünstiger produzieren zu können. Das drücke die Preise und verbessere Produkte; ein „Win-Win“ für die Konsumenten. Dies verbinde auf freiwilliger Basis große und kleine Länder auf internationaler Ebene und würde somit unabhängig von Handelsbilanzen zum Wirtschaftswachstum und folglich allgemeinen Wohlstand beitragen. Im schlechtesten Falle, so die Theorie, wäre man wieder am Status Quo vor der Transaktion; man kann also nichts verlieren. Soweit also einfach und vorteilhaft. Das ist allerdings auch das Problem: Diese vereinfachte Darstellung entspricht nicht der komplexen und vernetzten Realität der Weltwirtschaft.

Handelsbilanz bezeichnet das Verhältnis von Importen und Exporten. Ein Land hat ein Defizit, wenn es mehr importiert, als es exportiert. Andersherum hat es einen Überschuss.

Ist der freie Handel immer freiwillig?

Erstens ist der Freihandel nicht immer freiwillig. So protestierten schon im Jahre 1773 die Sons of Liberty in Boston gegen die Steuervorteile der East India Company beim Verkauf von chinesischem Tee in den USA. Ähnlich wurde auch durch „Gun Boat Diplomacy“ im 19. Jahrhundert der chinesische Markt in den Opiumkriegen für den westlichen Handel geöffnet und China in weiterer Folge durch westlichen Imperialismus kontrolliert. Insbesondere der Postkolonialismus und Marxismus argumentiert hier, dass unterschiedliche Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft über die Jahrhunderte eine Struktur geschaffen haben, die Entwicklungsländer im globalen Süden benachteiligt. Es gilt also, eine solche historische Sichtweise im Hinterkopf zu bewahren um die momentanen strukturellen Gegebenheiten richtig einzuordnen.

Wirtschaftliche Liberalisierung ist nicht immer vorteilhaft

Zuerst ist wirtschaftliche Liberalisierung nicht immer vorteilhaft und zielführend. Das wurde ausreichend durch die Fehlschläge des IWF und der Weltbank der 1980er und 90er Jahre ersichtlich. Die damaligen Strukturanpassungsprogramme, die später unter dem Namen Washington Consensus bekannt wurden, sahen das westliche Modell der liberalen und in den Welthandel eingebundenen Demokratie als zielgerichtetes Endziel einer jeden Gesellschaft und versuchten, dieses zu universalisieren. Konditionen, die an Entwicklungshilfe gebunden sind, sollen den Empfängerstaat unter Reformzwang setzen. Natürlich hat das die Absicht, Wirtschaftswachstum zu fördern und Menschen dieselben universellen Grundrechte zu verleihen, wie wir sie aus westlichen wohlhabenden Ländern kennen. Das Problem ist allerdings, das diese Reformen oftmals „one size fits all“-Lösungen gleichkommen, die die soziale, politische und wirtschaftliche Diversität von Entwicklungsländern nicht berücksichtigen. Ferner folgt das auch einem gewissen politischen Kalkül: So haben Studien gezeigt, dass Länder, die mit den USA in diplomatisch guten Beziehungen stehen, auch weniger strenge Konditionen erhalten. Wirtschaftlich verlangten die Reformpakete, Staatsausgaben zurückzuschrauben und den Markt für den Welthandel zu öffnen. Unkontrollierte Liberalisierungen führten oft zu Preisdruck durch stärkeren Wettbewerb und trieben lokale Bauern aus dem Geschäft. Einsparungsmaßnahmen führten in vielen Fällen zu Sozialabbau in Bildungs- und Gesundheitssektoren, und trugen manchmal sogar zu Ernährungsunsicherheit bei, da staatliche Unterstützungen wie beispielsweise Dünger nicht mehr finanziert wurden.

Der Freihandel hat auch Nachteile

Abgesehen davon hat der Freihandel per se auch Nachteile. Das beginnt schon beim Individuum und  hängt mit der Spezialisierung durch internationale Wertschöpfungsketten zusammen. Dieser Prozess hat maßgeblich zur Schwächung westlicher Industriesektoren beigetragen, da Produktion aus Kostengründen in Länder mit niedrigeren Lohnniveaus ausgelagert wurde. Chinas Anteil an globaler industrieller Produktion stieg von 1978 bis 2005 von 2 % auf 18 %. Dies ermöglichte zwar rapides Wirtschaftswachstum in China, trug allerdings zu Arbeitslosigkeit und Lohndumping im Westen bei. England ist hiervon sehr stark betroffen: Zwischen 2001 und 2011 verlor die britische Wirtschaft beispielsweise 1,3 Mio. Arbeitsplätze in den Industriesektoren. Das wird oftmals nicht angemessen in Arbeitslosigkeitsstatistiken reflektiert, da viele dieser Arbeiter zwar einen neuen Job gefunden haben, dieser aber weitaus schlechter bezahlt ist oder nur Teilzeit beschäftigt. Das reale Einkommen von Arbeitern in den meisten westlichen Industriestaaten ist in den letzten 60 Jahren beispielsweise kaum gestiegen. Der Anstieg an karitativen Essensausgaben, die sich in den letzten 10 Jahren verzigfacht haben, lässt erahnen, welchen sozialen Effekt diese Umstrukturierung mit sich gebracht hat. Da ist es kein Wunder, dass sowohl Donald Trump als auch Brexit-Befürworter die Revitalisierung der Industrie durch protektionistische Handelsmaßnahmen fordern und damit auch bei Wählern punkten.

Das Pendant hierzu sind katastrophale Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern und ökologische Konsequenzen. So beträgt das monatliche Einkommen von Näherinnen in Bangladesch unter 100 Euro. Dass dies mit unmenschlichen Arbeitszeiten sowie umwelt- und gesundheitsschädlichen Produktionsstandards einhergeht, ist weitgehend bekannt. Chinesische Investoren haben schon damit begonnen, Textilproduktion nach Äthiopien auszulagern. Diese Investitionen finden oft in sogenannten Industrial Parks statt, die internationalen Konzernen extra-legale Rechte und liberalere Arbeitsgesetze als Lockmittel anbieten. Dass der einzelne Arbeiter dann monatlich so viel wie der Mindestlohnbezieher in Österreich in drei Stunden bezahlt bekommt, wird hierbei oft unter den Tisch gekehrt.

Außerdem haben Entwicklungsländer auch wirtschaftlich nicht immer profitiert. Viele Länder im globalen Süden haben einen komparativen Kostenvorteil in Primärindustrien, wie beispielsweise der Landwirtschaft oder Rohstoffgewinnung. Diese sind allerdings weniger innovationsfähig als Industriesektoren und weisen eine geringe Einkommenselastizität auf.

Einkommenselastizität beschreibt, wie stark sich die Nachfrage nach einem Produkt ändert, wenn sich das Einkommen des Haushalts ändert. Sprich: Wie verändert sich meine Nachfrage nach Kartoffeln, wenn ich auf einmal 100 Euro mehr verdiene? Ist die Elastizität gering, bedeutet das, dass ich nach einer Gehaltserhöhung nicht viel mehr Kartoffeln kaufe.

Letzteres liegt daran, dass auch mit steigendem globalen Einkommen der Bedarf an Primärgütern, beispielsweise Mais, nicht signifikant anwächst. So würde man nicht doppelt so viel Mais konsumieren, nur weil man plötzlich doppelt so viel verdient, aber sehr wohl vielleicht ein Auto kaufen. Primärgüter sind außerdem preiselastischer, das heißt, eher von Preisschwankungen am Weltmarkt betroffen. Eine gute Ernte bringt beispielsweise mehr Mais auf den Markt. Aber da der Bedarf unelastisch ist, sinkt der Preis, was wiederum dem Bauern schadet, der weniger Geld bekommt. Das muss innerhalb der längeren Umstrukturierungen der globalen Wertschöpfungsketten betrachtet werden, da reiche Länder meistens Industrieprodukte herstellen und exportieren, und Primärprodukte importieren.

Ein gutes Beispiel ist die Spezialisierung vieler afrikanischer Staaten auf die Rohstoffindustrie. Staaten exportieren beispielsweise Öl für europäischen Treibstoff oder Kobalt für moderne Elektroprodukte, haben aber nicht die Möglichkeit, selbst Öl zu raffinieren oder ein Smartphone herzustellen. Auch innerhalb der EU gibt es solche Dynamiken. Deutschland kann beispielsweise einen VW Golf exportieren, für den viele Arbeits- und Produktionsschritte nötig waren, die viele verschiedene Teile zu einem teuren Endprodukt verbanden. Die Technik, die dahinter steckt, ist komplex und regt immer weitere Innovation an. Griechisches Olivenöl mag im Vergleich hierzu zwar besser schmecken, hat allerdings bei Weitem nicht dieselbe Wertzulage oder dasselbe Innovationspotential.

Der bekannte „resource curse“ ist auch nicht außer Acht zu lassen, da in vielen Ländern mit vielen Bodenschätzen wie dem Südsudan oder der Demokratischen Republik Kongo Korruption und Klientelpolitik den finanziellen Vorteil des Handels in den Taschen weniger Eliten verschwinden lassen. Dies verhindert wiederum, dass der Fahrstuhleffekt eintritt, wonach eine Gesellschaft von absolutem Wirtschaftswachstum profitiert, da mehr Geld für Sozialausgaben wie etwa Bildung und Gesundheitsvorsorge übrig bleibt. Stattdessen trägt der Handel zu einem Wachstum der Ungleichheit bei.

Letztlich muss erkannt werden, dass wir nicht mehr nur mit materiellen Produkten Austausch betreiben, sondern auch immaterielle Güter, wie beispielsweise Aktien oder geistiges Eigentum, zunehmend mobil sind. Da der Freihandel auch mit einer Liberalisierung internationaler Finanzmärkte einherging, ist es internationalen Konzernen möglich, hierdurch Steuern zu umgehen. So werden Gewinne einfach innerhalb der Firmen von einem Standort zum anderen geschoben, um diese dann in einem Steuerparadies wie den Cayman Islands billig versteuern zu können. In weiterer Folge ermöglicht das Konzernen, ihre eigenen Aktien am Markt über Offshore-Firmen zurückzukaufen. Das treibt den Aktienwert in die Höhe und führt zu Profit für Anleger und Manager. Hier gehen dem Staat allerdings wichtige Steuereinnahmen durch die Finger. Laut dem IWF jährlich bis zu 600 Milliarden US-Dollar. Das hat viel mit der Regulierung des Handels zu tun, da man diesen Praktiken nur mit internationalen Gesetzen Einhalt gebieten kann.

Man muss auch kein Protektionist sein!

Spätestens hier wird klar, dass protektionistische Maßnahmen nuanciert und vorteilhaft eingesetzt werden können. Ein Beispiel sind Schutzzölle im Senegal, die von April bis September die Einfuhr von Zwiebeln verbieten und von Februar bis März beschränken. Dies stärkt die lokale Produktion, aber beschützt auch einen traditionsreichen Bereich der Landwirtschaft, da Zwiebeln als Kulturpflanze besondere regionale Wichtigkeit haben. Das hat die Landwirtschaft gestärkt, Produktion stetig steigen lassen und funktioniert auch innerhalb eines Wirtschaftspartnerschaftsabkommens mit der EU.

Freihandelsabkommen: Teil des Problems oder Teil der Lösung?

All das zeigt deutlich, dass der Handel geregelt werden muss. TTIP und CETA sollten den Handel fördern, indem sie nicht-tarifäre Handelsbarrieren wie unterschiedliche Produktstandards harmonisieren und tarifäre Barrieren, wie etwa Zölle, minimieren. Ziel ist es außerdem, gleichen Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen zu ermöglichen.

Besonders die unabhängigen Schiedsgerichte, die Teil vieler Freihandelsabkommen sind und Investorenschutz garantieren sollen, sind problematisch. Sie ermöglichen es Firmen, Staaten auf Schadenersatz zu verklagen, sollten ihre Investitionen und Profite in Gefahr geraten. Das erschafft eine Paralleljustiz, die oftmals hinter geschlossenen Vorhängen fernab von jeder Rechtsstaatlichkeit arbeitet. Aufregung um solche Schiedsgerichte führten zu Abänderungen bei CETA, das rechtliche Fragen nun unter die Aufsicht eines öffentlichen Handelsgerichtshofs stellt, der aus unabhängigen Richtern besteht. Eine langfristig transparente und faire Lösung braucht allerdings eine zentralisiertere Institution, die generell für Handelsfragen zuständig ist. Der Multilaterale Investitionsgerichtshof, der im Moment in Planung ist, geht hier schon in die richtige Richtung. Dieser würde dann in allen bilateralen Abkommen der EU rechtliche Fragen klären. Hier wäre es vorteilhaft, wenn dieser mit Mitgliedstaaten und Handelspartnern erarbeitet würde.

Ein weiterer Kritikpunkt ist auch das Drücken globaler Standards. Das berühmte Chlorhuhn aus den USA ist zu einem Symbol dieses Problems geworden. So haben viele Länder, mit denen die EU Handel betreibt, niedrigere Standards bei Produktion und Verbraucherschutz. Es geht hier nicht darum, die Harmonisierung solcher Standards von vornherein zu kritisieren, sondern in wichtigen Punkten nicht von europäischen Standards abzuweichen. So macht es durchaus Sinn und spart auch Zeit und Geld, wenn Scheibenwischer hier und in Amerika gleich beschriftet werden. Gentechnisch veränderte Produkte, die in den USA erlaubt in der EU verboten sind, sind allerdings ein heikles  Thema und erfordern Aufklärung und Transparenz gegenüber den Konsumenten und EU-Bürgern.

Genau diese Transparenz fehlt den komplexen Verhandlungsprozessen aber. Die Europäische Kommission hat seit dem Vertrag von Lissabon nämlich die Möglichkeit, Freihandelsabkommen mit Mandat der Mitgliedstaaten selbstständig auszuhandeln. Die komplexe Brüsseler Technokratie ist hier oftmals uneinsichtig, da Handelspartner wie die USA ihre Forderungen nicht veröffentlichen. TTIP gilt als Musterbeispiel, da erst durch Whistleblowing Details der amerikanischen Forderungen nach Schiedsgerichten und Verbraucherschutzabbau bekannt wurden. Es stimmt zwar, dass bei Abkommen, die die Kompetenzen der Kommission übersteigen und politische Themen wie Verbraucherschutz ansprechen, eine Ratifizierung aller EU-Mitgliedstaaten erforderlich ist. Aber der Prozess könnte dennoch transparenter ablaufen, wenn der Ministerrat und nationale Parlamente enger in den Verhandlungsprozess eingebunden würden. Natürlich wäre so ein Prozess nicht ganz so effizient wie das Verhandlungsfreifahrtsticket der Kommission. Aber wenn es darum geht, zwischen sozialem Wohl und Demokratie, und Profit und Kapital zu entscheiden, sollte die Wahl in jedem Fall aufs Erstere fallen.

Ist er nun gut oder schlecht, der Freihandel?

Wir wissen nun, dass der Freihandel nicht nur gute oder schlechte Seiten hat, sondern ein komplexes Thema ist, dessen Schattenseiten menschliche, politische und wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen. Es ist daher wichtig, theoretischen Idealismus hinter sich zu lassen und zu erkennen, dass diejenigen, die den Freihandel befürworten, auch meistens diejenigen sind, die am meisten davon profitieren.