Leben in Saus und Braus – auf Kosten der Umwelt?

VON LEONIE BRZOBOHATY

Herrlich, wie kurz der Winter war und wie schnell der Frühling gekommen ist, denkt sich wohl manch einer im Nachhinein über die wunderbar milde Kältezeit. Jedoch sollte man sich vor Augen halten, dass unter anderem der Klimawandel für den verfrühten Frühling verantwortlich war. Doch was heißt Klimawandel eigentlich und warum geht uns das etwas an?

Dass sich das Klima auf der Erde ändert, ist nichts Neues. Mal wird es wärmer, mal kälter, mal gibt es eine Warmzeit, mal eine Eiszeit. Allein in den vergangenen 650.000 Jahren gab es sieben Zyklen, in denen sich die Durchschnittstemperatur verändert hat. Doch im Gegensatz zu jetzt waren diese Höhen und Tiefen nicht von Menschenhand hervorgerufen. Außerdem handelte es sich um Veränderungen, die sich über Tausende von Jahren vollzogen. Der rasante Temperaturanstieg auf der Erde heute startete mit Beginn der Industrialisierung und deren unmittelbaren Folgen, der Emission von Treibhausgasen.

Treibhausgase sind Gase, die zum Treibhauseffekt beitragen. Dazu zählen z.B. Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan und Lachgas. Sie absorbieren die infrarote Wärmestrahlung, die von der Sonne ausgeht und von der Erdoberfläche reflektiert wird, und werfen sie auf die Erde zurück. Je mehr Treibhausgase sich also in der Atmosphäre befinden, desto stärker steigt die Temperatur.

Aber nicht nur der erhöhte Anteil von Treibhausgasen in der Luft verursacht steigende Temperaturen. Der Klimawandel ist ein komplexes Thema. Er hat viele direkte und indirekte Ursachen. Die Abholzung von Wäldern zum Beispiel führt zu weniger Bäumen, die CO2 aus der Atmosphäre abbauen könnten und trägt damit indirekt auch zum Klimawandel bei.

Was machen zwei Grad schon für einen Unterschied?

Vielleicht mag sich das laue Klima für uns Menschen momentan noch herrlich anfühlen. Aber unsere Lebensqualität wird drastisch sinken, wenn die Folgen der Erderwärmung einsetzen bzw. die „Vier-Grad-Marke“, von der in den Medien häufig die Rede ist, erreicht ist. Die Vier-Grad-Marke bezieht sich auf den durchschnittlichen Temperaturanstieg, gemessen seit Beginn der Industrialisierung, also etwa seit 1850. Im Jahr 2018 lag dieser bereits bei ca. +0,9°C. Die Vier-Grad-Marke veranschaulicht das Worst-Case-Szenario, also die Folgen, die eintreten, wenn sich die Erde in Zukunft um weitere drei Grad erwärmt. Die kältesten Monate würden wahrscheinlich wesentlich wärmer sein als die wärmsten Monate des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Extreme Hitzewellen führten zu Waldbränden und Ernteausfällen. Marine Ökosysteme würden versauert und geschädigt, Korallenriffe absterben. Fehlende Riffe wiederum führten zu Überschwemmungen und Sturmfluten. Durch das völlige Abschmelzen des Grönlandeises würde der Meeresspiegel um sieben Meter ansteigen. Megastädte wie z. B. London, New York, Sydney, Mumbai, Shanghai, Vancouver oder Tokio würden überflutet und ihre Bewohner damit zu Klimaflüchtlingen.

Weil uns diese katastrophalen Umstände erspart bleiben sollen, hat sich die internationale Klimapolitik ein gemeinsames Ziel gesetzt – das Zwei-Grad-Ziel. Konkret bedeutet das, dass sich die Erde bis zum Jahr 2100 nur mehr um maximal ein weiteres Grad erwärmen darf. Tatsächlich festgelegt wurden eine gemeinsame Grenze von 1,5 Grad als tolerante Erwärmung und ein dafür vorgesehener Klimaschutzplan im Jahr 2015 auf der UN-Klimakonferenz in Paris (Pariser Abkommen):

Eine Vereinbarung der 196 Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), die sich mit dem Klimaschutz beschäftigt. Das Abkommen ist die Überarbeitung des Kyoto-Protokolls, das im Jahr 1997 in Kraft getreten ist, aber jedoch nur Industrieländer zu Zielen verpflichtete. Das Pariser Abkommen soll also durch den größeren Rahmen effektiver wirken.

Gemeinsam wurde beschlossen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um die Erderwärmung im Rahmen des Verträglichen zu halten. Alle beteiligten Staaten sind außerdem völkerrechtlich dazu verpflichtet, einen nationalen Klimaschutzbeitrag zu erarbeiten. Treibhausgasemissionen müssen weltweit zwischen 2045 und 2060 auf Null zurückgefahren werden, um die vollständige „Treibhausgas-Neutralität“ zu erreichen. Damit auch ärmere Länder ihre Ziele durchsetzen können, sollen sie finanziell sowie durch Wissens- und Technologietransfer unterstützt werden.

Let’s cap, let’s trade

Um die Treibhausgasemission effektiv zu verringern, hat die Europäische Union im Jahr 2005 den Emissionshandel eingeführt. Der Emissionshandel soll Anreize für Unternehmen bzw. Staaten schaffen, weniger Kohle und Gas zu verbrennen. Das Grundprinzip des Emissionshandels beruht auf „Begrenzung und Handel“ (auf Englisch “Cap and Trade“). „Cap“ legt die Obergrenze von Emissionen in der EU fest, also die Summe aller Emissionsberechtigungen. Diese Berechtigungen müssen die einzelnen Unternehmen am Markt kaufen oder an einer europäischen Börse ersteigern. Die Berechtigungen werden jährlich erworben und bilden die Obergrenze für erlaubte CO2-Emission für das Wirtschaftsjahr. Wenn ein Unternehmen mehr ausstößt, als die erworbenen Emissionsberechtigungen erlauben, dann müssen Berechtigungen dazugekauft werden. Dazu können Unternehmen untereinander mit den Berechtigungen handeln. So bildet sich ein Marktpreis für die Berechtigungen. Das ist für Unternehmen auch insoweit interessant, da sie Geld verdienen können indem sie CO2 einsparen und ihre übrigen Zertifikaten verkaufen. Das „Cap“ wiederum wird jährlich angepasst, um das internationale Klimaziel zu erreichen. Jahr für Jahr sind deshalb weniger Emissionsberechtigungen zu erwerben. Das führt schließlich auch dazu, dass der Marktpreis für CO2-Berechtigungen jährlich steigt. So wird es für Unternehmen attraktiver, in umweltfreundliche Techniken zu investieren, um ihre Emissionen zu verringern.

In der ersten Phase (2005–2007) des Handels mit Emissionszertifikaten mussten die Nationalstaaten 95 Prozent der Zertifikate kostenlos abgeben. Mit dem Jahr 2013 jedoch wurde die Versteigerung zum Grundprinzip erhoben. Die Versteigerungen werden dreimal wöchentlich von der European Energy Exchange Plattform (EEX) in Leipzig durchgeführt. Der Preis für die Zertifikate wird pro Tonne CO2 festgesetzt. 2017 lag er zwischenzeitlich unter 5 Euro, ist aber mittlerweile auf über 25 Euro angestiegen (Stand: April 2019). Laut OECD entsprechen 30 bis 100 Euro den tatsächlichen Kosten der Emissionen.Aber nicht nur für die Wirtschaft spielen die Emissionswerte eine große Rolle. Auch bei Anschaffung eines Neuwagens hat die EU strengere Regeln eingeführt. Der CO2-Ausstoß von Neuwagen soll bis zum Jahr 2030 um 37,5 Prozent reduziert werden. Kritik an der Regelung kommt aus Deutschland: In keinem anderen Teil der Welt gebe es vergleichbar harte CO2-Ziele; die europäische Automobilindustrie werde so im internationalen Wettbewerb stark belastet. Die Lobbyverbände der Autoindustrie meinen, dass die neuen CO2-Vorgaben unrealistisch seien, dass zu viel gefordert und zu wenig gefördert werde.

Nachhaltiges Wirtschaftswachstum – ein Ding der Unmöglichkeit?

Wie muss sich die Wirtschaft verändern, damit das internationale Klimaziel erreicht werden kann? Kann die Wirtschaft trotzdem wachsen? Denn Wirtschaftswachstum ist immerhin sogar Teil der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Darüber teilen sich die Expertenmeinungen. Kai Kuhnhenn, Autor des Konzeptwerks „Neue Ökonomie in einem neuen Papier“, ist der Meinung, dass ein Abschied vom Wachstum notwendig sei, um den Klimawandel aufzuhalten. Die Erreichung des Klimaziels trotz Wirtschaftswachstums hänge zu sehr von optimierten Technologien ab, die noch nicht genug erforscht seien. Jeder einzelne Konsument müsse neue Wirtschafts- und Lebensformen ausprobieren und gegen zerstörerische Politik und Unternehmen protestieren.
Wo entstehen die Emissionen? Die vier hauptverantwortlichen Wirtschaftssektoren für die Treibhausgasemissionen sind Energie- und Wärmeproduktion, Land- und Forstwirtschaft, Industrie und Transport. Wenn es also gelingt, in diesen Bereichen eine starke CO2-Reduktion zu erreichen, könnten andere Sektoren wachsen, in denen weniger Treibhausgase emittiert werden. Das wären zum Beispiel digitale Güter, für die keine oder kaum Primärressourcen erforderlich sind oder Sharing Economies.

Ein Sammelbegriff für Geschäftsmodelle, die die geteilte Nutzung von ganz oder teilweise ungenutzten Ressourcen ermöglichen.

Wirtschaftswachstum und Klimaschutz sind also abhängig von den Sektoren und neuen Technologien, die CO2-Emissionen reduzieren können oder sogar aus der Atmosphäre holen könnten. Einfacher gesagt als getan: Die vier hauptverantwortlichen Wirtschaftssektoren sind enorm wichtig für die Güterversorgung der Menschen und genießen hohen Einfluss in der Politik.

Life in plastic, it’s not fantastic

Doch mit dem Einsparen von CO2 ist es noch nicht getan. Zum Umweltschutz gehört mehr dazu. Ein großes Problem für die Umwelt in der Wirtschaft und Gesellschaft ist Plastikmüll. Es lässt sich nachweisen, dass Wirtschaftswachstum direkt mit mehr Müllproduktion zusammenhängt. Würde die Wirtschaft wachsen, während die Müllmenge sinkt, spräche das für Nachhaltigkeit. Das ist derzeit jedoch nicht der Fall. Auch unser Konsumverhalten liefert einen signifikanten Beitrag: Jeder Deutsche produziert im Schnitt über 200 kg Verpackungsabfälle pro Jahr. Zum Vergleich: der EU-Durchschnitt sind 167 kg. Jährlich werden weltweit 300 Millionen Tonnen Plastik hergestellt, das unter anderem für kurzlebige Verpackungen eingesetzt wird. Zunächst muss uns bewusst sein, dass Plastik aus Erdöl hergestellt wird, das nicht unbegrenzt verfügbar ist. Außerdem entstehen große Probleme, wenn Plastik in die Natur gelangt. Wenn sich Kunststoff auflöst, zersetzt es sich zunächst in kleinere Teile – Mikro- und Nanoplastik. Bis es sich schließlich komplett auflöst, braucht es 450 Jahre. Mikroplastik spielt nicht nur beim Zersetzungsprozess eine Rolle, sondern ist auch in herkömmlichen Kosmetika, Waschmittel, Reinigungsmittel, Wandfarben, Peelings oder Zahncremen zu finden (primäres Mikroplastik). Da viele dieser Produkte und damit auch ihr Mikroplastik über das Abwasser in die Umwelt gelangen – laut Berechnungen in der EU schätzungsweise 75.000 bis 300.000 Tonnen jedes Jahr -, wird ein EU-weites Verbot von primären Mikroplastik gefordert.

Aber auch Einwegplastik ist der EU ein Dorn im Auge: Im Dezember 2018 wurde beschlossen, Einweg-Plastikprodukte zu verbieten. Darunter fallen Plastikbesteck, Strohhalme, Luftballonstäbe, Wattestäbchen und Teller. Ab 2021 soll das Gesetz in Kraft treten. Auch den Plastiktüten wurde der Kampf angesagt: Seit Mitte 2018 müssen Mitgliedstaaten jährlich ihren Verbrauch an Plastiktüten an die EU-Kommission melden. Übergeordnetes Ziel ist dabei, Plastikmüll zu reduzieren. Denn dieser ist schwer abbaubar und gefährdet unsere Ökosysteme.

Am schlimmsten scheinen die Meere betroffen zu sein. 2013 wurden in der Nord- und Ostsee Fische untersucht. Das erschreckende Ergebnis: 69 Prozent der untersuchten Fische enthielten Mikroplastik. Über unsere Nahrungskette kann das Mikroplastik in der Folge auch in unseren Organismus gelangen. Wie gefährlich Mikroplastik in unserem Körper ist, wissen wir noch nicht. Was Plastik in der Nahrungskette der Tierwelt anstellt, weiß man  dafür umso genauer. Vor allem im Ökosystem der Ozeane spielt der Plastikmüll eine große Rolle. Plastik landet im Meer, wird dort in kleinere Teile zersetzt und findet schwer wieder den Weg hinaus. Von Meeresbewohnern und auch Vögeln wird es mit Nahrung verwechselt, die schließlich, den Magen voller Plastik, verhungern. Tiere verheddern sich im Plastikmüll, verletzten oder strangulieren sich. Rund 70 Prozent des Plastikmülls im Meer ist für uns unsichtbar, denn er befindet sich am Meeresboden. Rund 250.000 Tonnen Müll schwimmen an der Meeresoberfläche. Das schwimmende Müllfeld im Pazifik, genannt Great Pacific Garbage Patch, nimmt eine Fläche von etwa 1.600.000 Quadratkilometer ein – das entspricht zwei Drittel der Fläche des Mittelmeeres. Auch wenn man als Einzelner oft das Gefühl hat, nur ein kleiner unbedeutender Teil des großen Ganzen zu sein,  gehen uns doch trotzdem alle die international gesteckten Ziele etwas an. Selbst die Jüngsten der Konsumgesellschaft scheinen den Ernst der Lage verstanden zu haben. Woche für Woche ziehen Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt im Rahmen der Fridays-for-Future-Proteste friedlich gegen den Klimawandel auf die Straße. Allen voran die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg, die erstmals im August 2018 den Unterrichtsbesuch verweigert hat, um für das Klima zu demonstrieren. Die 16-jährige ist nun für den Friedensnobelpreis nominiert worden. Aktionen wie diese zeigen, dass Klimaschutz nicht nur Sache der Politiker ist, sondern im Endeffekt für jede Bürgerin und jeden Bürger, egal welchen Alters und welcher sozialer Schicht wichtig ist. Was jetzt noch Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint, kann durch gemeinsamen Druck auf Politik und Industrie durchaus machbar werden. Die Zeit läuft.