SPD

Für ein soziales, demokratisches, starkes Europa

VON NILS BOHR

Nach einer historischen Niederlage bei der Bundestagswahl 2017 hofft die SPD nun, mit ihrem Leitspruch „Kommt zusammen und macht Europa stark!“ zu überzeugen. Doch was bedeutet ein starkes, sozialdemokratisches Europa in unsicheren Zeiten? Ein Europa der Märkte? Eine Sozialunion? Oder doch die Vereinigten Staaten von Europa?

Totgesagte leben länger. Kaum einer Partei wurde in den letzten Jahren so oft der Untergang prophezeit wie der SPD. Doch auch wenn der „Schulz-Zug“ in der Bundestagswahl 2017 kläglich scheiterte und sich die Partei in einem historischen Umfragetief befindet, wäre dies nicht das erste Mal, dass die Genossen aus einer Krise gestärkt hervorgehen. Die kommenden Europawahlen werden dabei zeigen, ob die SPD mit neuen sozialen und pro-europäischen Forderungen die alte Begeisterung entfachen kann.

Die SPD lässt sich innerhalb der deutschen Parteienlandschaft etwas links der Mitte einordnen und hat ihren Ursprung in den Arbeiterbewegungen des 19. Jahrhunderts. Ihre offizielle Gründung erfolgte durch einen Zusammenschluss von Arbeitervereinen im Jahre 1875, also noch zur Kaiserzeit. Das macht sie zur ältesten Partei Deutschlands. Kurz nach ihrer Gründung ließ jedoch Reichskanzler Otto von Bismarck die Aktivitäten der Partei in seinem Sozialistengesetz verbieten.

Das Sozialistengesetz, eigentlich „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie”, wurde 1878 erlassen und verbat viele sozialistische und sozialdemokratische Vereine. Otto von Bismarck, Kanzler des Deutschen Kaiserreiches, reagierte damit auf die zunehmende Popularität linker Bewegungen, die in seinen Augen staatsgefährdend waren.

Kurz nach dem Ende ihres Verbots im Jahre 1890 gründet sich die Partei als Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) neu. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts gelingt es den Sozialdemokraten schließlich, immer größere Wahlerfolge zu erzielen. Nach dem ersten Weltkrieg ist die SPD zunächst maßgeblich an der Gründung der Weimarer Republik beteiligt, jedoch scheiterten die von ihr geführten Regierungskoalitionen in den 30er-Jahren. Nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 stimmen schließlich die Sozialdemokraten als einzige Partei im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz, das die Weichen für Hitlers totalitäre Herrschaft stellt. Noch im selben Jahr wird die Partei durch Innenminister Norbert Frick verboten. Viele Funktionäre fliehen ins Ausland oder werden festgenommen.

Im März 1933 verabschiedetes Gesetz, das Adolf Hitler praktisch die gesamte Staatsgewalt übertrug.

Nach Ende des Krieges wird die SPD in der sowjetischen Besatzungszone mit der Kommunistischen Partei Deutschlands zur SED (Sozialistischen Einheitspartei) zusammengeschlossen, während sie im Westen jahrelang als einzige linke Kraft im Bundestag bestehen bleibt. Im Jahr 1969 stellt die Partei mit Willy Brandt schließlich erstmals den Bundeskanzler. Sein größtes Verdienst ist dabei die sogenannte „neue Ostpolitik“, die die diplomatischen Verhältnisse mit der Sowjetunion erfolgreich zu entspannen versuchte. 1974 folgt ihm Helmut Schmidt als zweiter sozialdemokratischer Bundeskanzler, unter dem Deutschland den NATO-Doppelbeschluss unterzeichnet.

Mit dem NATO-Doppelbeschluss wurden atomare Mittelstreckenraketen in Westeuropa stationiert, verbunden mit einem Verhandlungsangebot an die Sowjetunion. Pazifistische Jugendbewegungen in protestierten vehement.

Nach der Wiedervereinigung wird Gerhard Schröder im Jahr 1998 Bundeskanzler. Seine Amtszeit ist innenpolitisch von der Agenda 2010 und außenpolitisch vom Kosovo- und Irakkrieg geprägt. Seit 2013 sind die Sozialdemokraten als Juniorpartner in einer Großen Koalition mit der CDU/CSU wieder in der Regierung vertreten.

Die Agenda 2010 war eine umstrittene Reform des deutschen Arbeitsmarktes und der Sozialsysteme. Deutschland galt wirtschaftlich zuvor als „der kranke Mann Europas”.

Die SPD ist den Grundwerten der Sozialdemokratie verpflichtet. Als solche werden Freiheit und Solidarität verstanden – gesellschaftliche Teilhabe, Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Die Sozialdemokratie unterscheidet sich von radikaleren sozialistischen Ideologien dadurch, dass sie soziale Probleme nicht durch Revolution, sondern durch demokratische Reformen zu lösen versucht.

In der frühen Bundesrepublik profilierte sich die SPD eindeutig als linke Arbeiterpartei. Danach begann sie aber, sich programmatisch immer mehr der politischen Mitte anzunähern. So entwickelte sie sich im Laufe der Jahre von einer reinen Arbeiterpartei hin zur Volkspartei. Zuletzt gab es vermehrt Debatten um die zukünftige Ausrichtung. Streit entzündete sich zum Beispiel an der Frage, ob sie nach der Bundestagswahl 2017 erneut in eine Koalition mit der CDU/CSU eintreten sollte.

Die SPD positioniert sich eindeutig als pro-europäische Partei. Schon 1925 trat sie für die „Vereinigten Staaten von Europa“ ein. Heutzutage fordern sozialdemokratische Politiker hauptsächlich mehr europäische Zusammenarbeit und die Stärkung der innereuropäischen Solidarität. Auf europäischer Ebene ist die SPD Teil der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D), der zweitgrößten Fraktion im EU-Parlament.

Kein Grund zum Mitleid

KOMMENTAR KONTRA

VON VERONICA LOPEZ

Sicher, die SPD ist eine altehrwürdige Partei mit vielen guten Ideen. Aber wo bleibt die Vision, der Mut, der Wille? Man tut den Sozialdemokraten einen Gefallen, wenn man bei dieser Wahl sein Kreuzchen woanders setzt.

Die SPD hatte sich mal wieder zwischen alle Stühle gesetzt: Während Politiker aus den eigenen Reihen öffentlich gegen die Urheberrechtsreform Stimmung machten, stimmte die deutsche Justizministerin Katarina Barley im Ministerrat für die Reform. Im selben Atemzug versprach Barley, die auch Spitzenkandidatin für die Europawahl ist, dass die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland keine Uploadfilter nötig mache.

Die Urheberrechtsreform, besonders ihr Artikel 13, soll kreative Leistungen besser schützen, indem in Zukunft die Plattformbetreiber statt der individuellen Nutzer für Verletzungen des Urheberrechts haften müssen. Manche fürchten, dadurch könnte das Hochladen von Inhalten behindert werden.

Oder der Fall, als sich der Chef der SPD-Jugend, Kevin Kühnert, kürzlich für die langfristige Verstaatlichung großer Unternehmen aussprach, um „den Kapitalismus zu überwinden”. Dass sich die wenigsten Deutschen die Überwindung des Kapitalismus wünschen, sei für den Moment dahingestellt. Aber mit welcher Hast sich die Führungsebene der Sozialdemokraten gegen ihren eigenen Genossen stellte, zeigte einmal mehr: In dieser Partei liegt Vieles im Argen. Weil eine gemeinsame Linie und ein übergreifendes Ziel fehlen, zankt man sich an allen Ecken und Enden.

Das ist ohne Zweifel sehr bedauerlich. Die SPD hat eine glorreiche Tradition als Verteidigerin der Demokratie in ihren dunkelsten Stunden und als Partei der Aufrichtigen und Anständigen. Nur weiß sie noch nicht, wie sie dieses Erbe auf das 21. Jahrhundert ummünzen kann. Natürlich mag man die vielen Forderungen aus dem Wahlprogramm vom europäischen Mindestlohn über die EU-Außenministerin bis zum Eurozonenbudget für gut und sinnvoll befinden. Aber wo bleibt der Mut, den die Partei einstmals zeigte, als sie in den 20er-Jahren für die Vereinigten Staaten von Europa eintrat? Wo bleibt das neue soziale Versprechen? Und wo bleiben die großen Führungsfiguren? Stattdessen betreibt sie kleinteilige Spiegelstrichpolitik.

Kein anderer verkörpert das so sehr wie der deutsche Finanzminister Olaf Scholz. Bei ihm wird man fündig, wenn man sich fragt, weshalb es die Digitalsteuer, die sich die meisten EU-Staaten und laut ihrem Parteiprogramm auch die SPD wünschen, noch nicht gibt: Aus Angst, dass deutsche Exportunternehmen als Vergeltung ebenfalls dort besteuert werden könnten, wo sie ihre Produkte verkaufen, entzog er der Initiative kurzerhand seine Unterstützung. Stattdessen setzt er auf globale Mindeststeuersätze. Spoiler: Darauf kann er lange warten.

Überhaupt lässt sich die SPD auf europäischer Ebene mit Kräften ein, die sich beim verantwortungsvollen Umgang mit Geldern nicht mit Ruhm bekleckert haben: Die regierenden Sozialdemokraten in Malta haben zum Beispiel große Firmen wie Sixt oder BASF mit niedrigen Steuersätzen auf ihre Insel gelockt. In Rumänien und der Slowakei sind seit Jahren Parteien aus der S&D-Fraktion an der Macht und haben die Korruption in ihren Ländern wuchern lassen. Wer lauthals Steuergerechtigkeit fordert, sollte vielleicht zunächst vor der eigenen Türe kehren.

De facto haben die Sozialdemokraten in Europa ohnehin schon in den letzten Jahren mitregiert  – es hat nur keiner gemerkt. Wer kennt denn schon Udo Bullmann? Der ist immerhin Vorsitzender der zweitgrößten Fraktion im Europaparlament. Die Unbekanntheit ihres europäischen Spitzenpersonals spricht Bände über die Wirkungslosigkeit der SPD in Brüssel.

Ihre Orientierungslosigkeit versucht sie jetzt mit einem neuen Enthusiasmus für Europa zu kaschieren. Denselben Fehler hat die SPD schon vor der Bundestagswahl 2017 gemacht: Einem abstrakten Ziel, damals der sozialen Gerechtigkeit, huldigen – und zur Umsetzung schweigen. Das ist schade, denn eigentlich strotzt das Parteiprogramm ja nur vor erwägenswerten Vorschlägen. Einfach nur „Frieden” zu plakatieren, wie es die SPD tatsächlich getan hat, ist dagegen fast eine Beleidigung für mündige Wähler.

Die SPD braucht also zwei Dinge: Erstens ein klares Bewusstsein für die drängenden Fragen unserer Zeit, die ein staatliches Eingreifen und sozialen Ausgleich erforderlich machen – von der Ausbeutung im Dienstleistungsgewerbe bis zu den ungleich verteilten Belastungen durch den Klimawandel gäbe es genug zu tun. Zweitens ein neues Gesamtkonzept, das die Leitlinien der Sozialdemokratie für die nächsten Jahrzehnte definiert. Und drittens koordinierte Vorschläge, die dieser Strategie folgen.

Dazu gehört auch, sich nicht ständig auf das Spielfeld der Rechtspopulisten zu begeben. Das redliche Bemühen der Partei, ihre besorgten Stammwähler zurückzugewinnen, ist kurzsichtig, weil die Stammwähler ohnehin bald aussterben. Und auch der ständige Hang zur Selbstzerfleischung unter den SPD-Spitzenpolitikern und denen, die es mal waren oder werden wollen, hilft letzten Endes niemandem.

Manch einer könnte nun auf den Gedanken kommen, die SPD aus Mitleid zu wählen. Das wäre falsch. Um die Sozialdemokratie zukunftstüchtig zu machen, muss sie zunächst zu spüren bekommen, dass sie es im Moment nicht ist.

In Amerika haben die Demokraten ihr Erweckungserlebnis, die Wahl Donald Trumps, nach einigem Ringen in eine neue, selbstbewusste und ambitionierte Politik übersetzt. Dasselbe braucht die deutsche Sozialdemokratie, um eines Tages wieder in altem, neuem Glanz zu erstrahlen.

Die EU fängt gerade
erst so richtig an

KOMMENTAR PRO

VON NILS SUCHETZKI

Die europäische Union ist das größte Wirtschafts- und Friedensprojekt aller Zeiten. Mission also beendet? Nein! Die SPD zeigt in ihrem aktuellen Europaprogramm einen klaren Weg für die weitere Entwicklung der Europäischen Union auf. Die Mission Europa hat gerade erst begonnen!

„Katarina Barley – erfrischend politisch.“ Googelt man die Spitzenkandidatin der SPD zur Europawahl, so schlägt die Suchmaschine zuerst ihre eigene Homepage mit dem Slogan „erfrischend politisch“ vor. Was das bedeuten soll, wird schnell klar, wenn man sich einige Reden von Katarina Barley anschaut. Barley ist nicht nur überzeugte Europäerin, sie hat auch Ideen, wie die EU weiterentwickelt werden muss. Ein entscheidender Punkt, der sie von vielen anderen europäischen Spitzenpolitikern unterscheidet: Von ihr kommen nicht nur proeuropäische Lippenbekenntnisse, sondern sehr konkrete Vorschläge und Ideen.

Barleys Glaubwürdigkeit fängt bereits bei ihrer Kleiderwahl an: Viele ihrer Wahlkampfauftritte absolviert die Politikerin in einem blauen Hoodie, der wie eine Europa-Flagge aussieht. Welche Spitzenpolitikerin ist denn bisher in einem Pulli aufgetreten? Das zeigt Bürgernähe, Jugend und neue Energie für Europa!

Auch ihr Lebenslauf könnte europäischer nicht sein: Neben ihrem deutschen Pass besitzt sie auch noch die britische Staatsbürgerschaft, hat den Vater ihrer Kinder in Frankreich bei einem Auslandsjahr während des Studiums kennengelernt und lebt heute mit einem niederländischen Basketballtrainer zusammen. Aus diesem europäischen Background zieht sie vor allem eine Lehre: Europa muss weiter zusammenwachsen. Nicht nur als Wirtschaftsprojekt, sondern auch als Friedensprojekt und soziale Einheit. Und das gerade in einer Zeit, in der manche die EU von innen wie außen spalten wollen.

Donald Trump mit seiner „America First“-Politik hat in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass er lieber mit Einzelstaaten verhandeln möchte als mit einer Staatengemeinschaft wie der EU. Doch als Einheit kann Europa in fast allen Bereichen gemeinsam mehr erreichen als in (noch) 28 Einzelstaaten alleine – beim Klimaschutz, bei der Friedenssicherung, bei der Gestaltung der Digitalisierung und bei vielem mehr. Deshalb fordert die SPD unter anderem. die Einführung eines europäischen Außenministeriums. Dieses Außenministerium soll die Zusammenarbeit mit großen Staaten wie China oder den USA besser koordinieren. So soll Kommunikation in Zukunft auf Augenhöhe stattfinden, damit wir auch international unsere Grundwerte wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit oder die Menschenrechte besser vertreten können.

Dass das Europäische Parlament heute eine starke Rolle gegenüber der EU-Kommission einnimmt, hat man tatsächlich zu einem großen Teil der SPD zu verdanken. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat als Präsident des Europäischen Parlaments mehr als irgendein anderer Europapolitiker dafür getan, dass dieses demokratisch gewählte Gremium weit mehr Entscheidungen treffen darf und darüber hinaus deutlich sichtbarer und einflussreicher geworden ist. Nun braucht das EU-Parlament endlich ein Initiativrecht, damit die EU noch demokratischer wird. Die SPD steht genau dafür.

Europa als soziale Sicherung

Für die SPD bedeutet die Weiterentwicklung der EU, dass Europa für die Menschen spürbarer werden darf – gerade in südlichen Ländern, in denen Regierungen zuletzt massiv Sozialausgaben einschrumpfen mussten. Die EU darf künftig viel mehr als soziales Sicherungssystem für alle Bürgerinnen und Bürger verstanden werden anstatt nur als Binnenmarkt. Ungleichheit zwischen Ländern und Regionen, zwischen den Geschlechtern oder zwischen Arm und Reich will die SPD dadurch bekämpfen.

Konkret schlägt die SPD einen europäischen Mindestlohn vor. Bereits vor der Einführung des Mindestlohns in Deutschland vor etwa zwei Jahren unkten viele neoliberale und konservative Ökonomen, dass durch den Mindestlohn Massenarbeitslosigkeit drohe. Das Gegenteil ist der Fall: Viele Minijobs konnten in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden, die Arbeitslosenquote ist von 6,3% auf 5,3% gesunken. Für die Einführung eines europäischen Mindestlohns wäre eine starre Zahl zunächst erstmal illusorisch. Das ist auch der SPD klar – zu unterschiedlich sind die einzelnen Lebensbedingungen in den europäischen Staaten. Als Bemessungsgrundlage schlägt die SPD das jeweilige Lohnniveau vor. Für Deutschland würde dies perspektivisch einen Mindestlohn von etwa 12 Euro bedeuten.

Die SPD möchte, dass die EU künftig einzelne Länder besser wirtschaftlich unterstützen kann. Ein innereuropäischer sozialer Ausgleich ist wichtig für den Erhalt eines friedlichen Klimas in Politik und Gesellschaft. Zumeist profitieren radikale Parteien mit plumpen Versprechungen von wirtschaftlichen Notlagen. Ein Sozialabbau in vielen Ländern der EU führt nicht nur zu radikalen Strömungen, er kann auf lange Sicht auch die soziale Marktwirtschaft in Deutschland schwächen und letztlich auch das demokratische System gefährden. Junge Erwachsene in Deutschland und anderswo wünschen sich zum Großteil einfach einen Ausbildungs- oder Studienplatz und danach einen guten Job. In Ländern wie Griechenland liegt die Jugendarbeitslosigkeit aber bei knapp 40%, auch in Spanien oder Italien liegt die Quote bei über 30%. Hier ist für die SPD klar: Die Jugendlichen in diesen Ländern darf man nicht alleine lassen, sondern sie brauchen europäische Unterstützung.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) legte einen ganz konkreten Vorschlag vor: Zur Unterstützung der nationalen Sicherungssysteme soll es künftig eine europäische Arbeitslosenversicherung geben, die im Krisenfall den Mitgliedsländern unter die Arme greifen soll, wie beispielsweise bei einem Anstieg der Arbeitslosenquote binnen kurzer Zeit um 2%. Die vergangenen Krisen haben gezeigt, dass in der Regel zuerst bei den Menschen gekürzt wird, die am wenigsten für den Ausbruch der Krise können. Nicht überraschend kritisieren FDP und Union die Pläne des SPD-Finanzministers. Anders als die SPD möchten die Liberalen eine europäische Sozialpolitik erst, „wenn eine grundsätzliche Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erreicht“ sei, wie man von Michael Theurer, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der FDP im Bundestag, hören darf. Dabei können sich die Lebensverhältnisse ja nicht angleichen, solange die europäische Politik strukturell die reichen Staaten begünstigt und den ärmeren im Krisenfall nicht unter die Arme greift!

Um all das zu finanzieren, setzt die SPD auf mehr Steuergerechtigkeit. Die „Starken“, also große Unternehmen, müssen mehr zur Gemeinschaft beitragen als bisher. Es darf nicht mehr passieren, dass Großunternehmen kaum Steuern zahlen. Starbucks und Facebook müssen genauso ihren Anteil leisten wie das Café an der Ecke. Die SPD schlägt deshalb gemeinsame, europäische Mindeststeuersätze vor, um Steuerdumping zu verhindern. Auch Unternehmen wie Google oder Facebook können nur über eine internationale Digitalsteuer wirksam dazu verpflichtet werden, etwas von ihren Gewinnen abzugeben.

Steuerdumping bedeutet, dass ausländische Unternehmen in manchen EU-Ländern, beispielsweise Irland, Steuervorteile gegenüber europäischen Unternehmen haben. So hat Facebook seine europäische Zentrale beispielsweise in Irland angemeldet und muss dafür aufgrund von Steuervorteilen kaum etwas zahlen.

Neben einer verstärkten gemeinsamen Sozial- und Wirtschaftspolitik sind es aber immer noch die über 500 Millionen Menschen, die Europa ausmachen. Ein zentraler Punkt der EU muss noch stärker der Austausch und das Kennenlernen der Bürgerinnen und Bürger zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten sein. Bereits heute gibt es zahlreiche Austauschmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler. Katarina Barley hat in ihrer Vorstellungsrede als Spitzenkandidatin darauf aufmerksam gemacht, dass der Austausch mit osteuropäischen Ländern aktuell zu gering ist, vor allem in den ehemals westdeutschen Bundesländern. Auch hier möchte die SPD Abhilfe schaffen. Das ist keineswegs nebensächlich, denn der Grundpfeiler eines geeinten Europas ist und bleibt die europäische Verständigung.

Die SPD mag aktuell in einer schwierigen Lage stecken, aber sie ist nach wie vor wie keine andere Partei der Ideenmotor der Politik. Solidarität ist jetzt gefordert für ein gerechteres und besseres Europa. Wer also an einer einheitlichen Stimme Europas in der Welt interessiert ist, muss am 26. Mai die SPD wählen.

Wahlkampfthemen

VON NILS BOHR

In ihrem Programm zur Europawahl setzt sich die SPD die Stärkung der sozialen Grundwerte innerhalb Europas zum obersten Ziel. Dabei konzentriert sie sich vor allen Dingen auf die Schaffung einer neuen Steuerpolitik für Großkonzerne und die Etablierung von europaweiten Mindestlöhnen und Sozialsystemen.

  • EU-Reformen
  • Wirtschaft und Soziales
  • Umwelt
  • Migration und Integration
  • Verteidigungs- und Außenpolitik

EU-Reformen

Die SPD befürwortet angesichts des Wegfallens des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union eine größere Beteiligung Deutschlands am Budget der EU. Darüber hinaus sprechen sich die Sozialdemokraten für eine stärkere Nutzung des EU-Budgets zur Angleichung der Lebensverhältnisse innerhalb Europas aus. Einzelne SPD-Politiker proklamieren dabei sogar die Etablierung der „Vereinigten Staaten von Europa“ als langfristiges Ziel.

Im Wahlprogramm der SPD sind auch Vorschläge für institutionelle Reformen der EU enthalten. Auf institutioneller Ebene präsentiert die Partei zum Beispiel einen Vorschlag zur Einführung des Initiativrechts für das europäische Parlament. Die Schaffung eines „Europäischen Währungsfonds“, der Staaten in wirtschaftlichen Schwierigkeiten früher und mit mehr Kapital helfen könnte, hält die SPD nach der Eurokrise im Jahr 2010 ebenfalls für dringend notwendig. Abgesehen davon unterstützen sie das Wahlrecht mit 16 Jahren und ein allgemeines Lobbyregister für EU-Institutionen.

Recht eines Staatsorgans, einen Gesetzesentwurf zur Abstimmung einzubringen. Nationale Parlamente haben dieses Recht für gewöhnlich, in der EU hat es nur die EU-Kommission.

Wirtschaft und Soziales

Mindestlohn

Nach der Einführung eines allgemeinen Mindestlohns von 8,50 Euro in Deutschland im Jahr 2015 (aktuell: 9,19 Euro) fordert die SPD ähnliche Standards auf europäischer Ebene. In Ihrem Programm zur Europawahl skizzieren die Sozialdemokraten daher den Vorschlag eines europäischen Mindestlohns, der sich an den Durchschnittseinkommen der verschiedenen EU-Länder orientieren soll. Der Mindestlohn des jeweiligen Landes soll dabei schrittweise auf das neue Niveau angehoben werden. In Deutschland würde eine solche Anpassung zu einer langfristigen Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro führen.

Sozialversicherung

Im Bereich der Sozialversicherungen spricht sich die SPD ebenfalls für eine stärkere europäische Zusammenarbeit aus. Bereits 2018 forderte Olaf Scholz, deutscher Finanzminister und SPD-Politiker, die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung. In ihrem Programm zur Europawahl baut die SPD diese Idee weiter aus, indem sie die Etablierung eines europäischen Rückversicherungsfonds vorschlägt. Ein solcher gemeinsamer Fond soll die Finanzierung von Arbeitslosenversicherungen in Krisenzeiten sichern und somit verhindern, dass Sozialhilfeempfängern im Falle einer Rezession Leistungen gekürzt werden. Bei der Hilfe aus der Rückversicherung handelt es sich aber um Kredite, die zurückgezahlt werden müssen.

Eine Rezession ist eine Phase, in der die Wirtschaftsleistung (Konjunktur) einer Volkswirtschaft hinter ihr übliches Wachstum zurückfällt.

Steuern

Ein Schwerpunkt der SPD-Agenda für die Europawahl ist die Steuergerechtigkeit auf europäischer Ebene. Im Zuge dessen fordern die Sozialdemokraten eine Angleichung der Körperschaftsteuern zwischen den EU-Staaten und die Einführung von europaweiten Mindeststeuersätzen. So soll verhindert werden, dass europäische Länder sich in ihren Steuersätzen unterbieten, um Unternehmen anzulocken. Das gilt vor allen Dingen für große Internetkonzerne wie Amazon oder Google, für die die SPD eine europaweite Digitalsteuer einführen will, die dort erhoben wird, wo Konzerne mit Daten Geld verdienen (statt dort, wo ein Unternehmen seinen Sitz hat). Außerdem will sie bis 2020 eine „globale Mindestbesteuerung“ durchsetzen.

Eine Körperschaftsteuer ist dasselbe wie die Einkommensteuer, nur für Unternehmen. Sie wird daher umgangssprachlich auch Unternehmensteuer genannt.

Weitere Programmpunkte sind die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und eine stärkere europäische Zusammenarbeit in der Bekämpfung der Steuerflucht- und hinterziehung.

Die Finanztransaktionssteuer ist eine Steuer auf den Kauf- und Verkauf von Aktien und anderen Finanzprodukten.

Gleichstellung

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Gleichstellung zwischen Mann und Frau. Zentrale Forderung der SPD ist dabei „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, was die SPD in der EU durch die Einführung eines Lohngerechtigkeitsgesetz realisieren will. Darüber hinaus möchte sie eine europaweite Quote für Frauen in Aufsichtsräten einführen. Auch die EU-Kommission soll zukünftig paritätisch, also zu gleichen Teilen von Männern und Frauen, besetzt sein. Bei der Europawahl praktiziert die SPD ebenfalls das sogenannte Reißverschlussprinzip, wobei abwechselnd männliche und weibliche Kandidaten auf Parteilisten nominiert werden, um eine gleiche Verteilung der Listenplätze zu garantieren.

Bildung und Jugend

In Bezug auf Bildungspolitik wollen die Sozialdemokraten vor allem den innereuropäischen Austausch stärken und fordern daher unter anderem einen europäischen Studienausweis und eine verbesserte europaweite Anerkennung von Bildungsabschlüssen. Darüber hinaus sollen die Finanzmittel des innereuropäischen Austauschprogramms Erasmus+ signifikant erhöht werden. Das Programm soll sich außerdem vermehrt an Auszubildende und sozial Benachteiligte richten.

Umwelt

Im Bereich der Umweltpolitik setzt sich die SPD für eine ambitionierte Zielsetzung der EU ein und fordert eine Reduzierung der umweltschädlichen Treibhausgase von 45% bis 2030. Ein wichtiger Schritt, um dies zu erreichen, ist die Transformation des Energiesektors, die die SPD durch Investitionen in Infrastruktur, einen funktionierenden Emissionshandel und die Einführung von CO2-Steuern sicherstellen will. Des Weiteren spricht sich die Partei für ein Verbot des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat aus und fordert eine verstärkte Förderung alternativer Kraftstoffe sowie einen Ausbau des ökologischen öffentlichen Nahverkehrs.

Migration und Integration

Im Bereich der Migrationspolitik spricht sich die SPD für eine Reform des Dublin-Systems aus. In diesem ist festgelegt, dass derjenige EU-Staat einen Asylantrag bearbeiten muss, in dem ein Asylsuchender erstmals EU-Boden betritt. Durch diese Regelung werden vor allem die Staaten an der EU-Außengrenze mit der Aufnahme und Abfertigung von Asylanträgen beauftragt. Die Sozialdemokraten fordern die Entlastung dieser Staaten durch eine gerechtere Verteilung von Asylsuchenden auf alle EU-Mitgliedstaaten. Abgesehen davon setzen sie sich für eine Vereinheitlichung des Asylverfahrens innerhalb der EU und die Einrichtung eines europäischen Integrationsfonds ein, der Kommunen bei der Integration von Asylsuchenden finanziell unterstützen soll.

Die Flucht über das Mittelmeer ist hochriskant und wird von vielen Asylsuchenden mit dem Leben bezahlt. Die SPD will private Seenotretter unterstützen und legale Migrationsrouten schaffen, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Längerfristig sollen Fluchtursachen durch Entwicklungshilfe und eine fairere Handels- und Agrarpolitik bekämpft werden.

Verteidigungs- und Außenpolitik

In ihrem Wahlprogramm befürwortet die SPD die Einführung einer vom europäischen Parlament kontrollierten europäischen Armee. Diese soll gepaart werden mit einem „europäischen Stabilisierungskorps“, in dem Experten für demokratischen Staatsaufbau und Rechtsstaatlichkeit zusammenkommen. Mit Bezug auf die gemeinsame Außenpolitik fordert die SPD die Abschaffung der Einstimmigkeitsprinzips im Ministerrat, um wirksamer Entscheidungen innerhalb dieses Gremiums treffen zu können. Darüber hinaus will sie das Amt des „Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ weiter ausbauen und somit langfristig eine europäische Außenministerin etablieren.

Who is Who

Katarina Barley: Die studierte Juristin ist die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl. Von 2017 bis 2018 war sie Familienministerin der Bundesrepublik und hat seit 2018 das Amt der Justizministerin inne.

Udo Bullmann: Bullmann wurde 1999 erstmals ins Europaparlament gewählt und ist dort seit 2017 als Fraktionsvorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion S&D tätig. Zuvor war er Vorsitzender der hessischen Jungsozialisten.

Andrea Nahles: Die ehemalige Juso-Vorsitzende hat seit 2018 den SPD-Parteivorsitz inne. Davor agierte sie als Ministerin für Arbeit und Soziales und SPD-Generalsekretärin. In diesen Funktionen hat sie sich vielfach für ein „soziales Europa“ und mehr innereuropäische Solidarität ausgesprochen.

Martin Schulz: Schulz wurde erstmals 1994 ins europäische Parlament gewählt und fungierte ab 2012 sogar als dessen Präsident. Er verließ das Parlament schließlich 2017, um seine neue Aufgabe als Kanzlerkandidat und Vorsitzender der SPD wahrzunehmen. Nach dem Scheitern des „Schulz-Zugs“ in der Bundestagswahl arbeitet er nun als einfacher Abgeordneter in Berlin. Als Kanzlerkandidat formulierte er mehrfach das langfristige Ziel der Etablierung der „Vereinigten Staaten von Europa“. Schulz kandidiert dieses Jahr nicht erneut für das Europaparlament.

Olaf Scholz: Der ehemalige Bürgermeister Hamburgs ist seit 2017 Finanzminister und Vizekanzler Deutschlands. In dieser Rolle setzt er sich im Bezug auf Europapolitik vor allem für eine Harmonisierung der Sozialsysteme ein, zum Beispiel durch Einführung einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung.