„Es wird nicht völlig zu vermeiden sein,
dass man wieder ins Zänkische hineingerät“

Der Parteichef und Spitzenkandidat der AfD über den Dexit, den Frieden in Europa und seine Gelassenheit gegenüber dem Klimawandel.

VON XAVER HAACK UND LUCIUS MALTZAN

Groß und unnahbar mutet das Europaparlament in Brüssel an, wo wir uns mit Prof. Jörg Meuthen, Parteichef und Spitzenkandidat der AfD, zum Gespräch verabredet haben.

Wie im Vorfeld angekündigt erhalten wir keinen „Scheißlügenpresseausweis“, um ins Parlament zu gelangen. Stattdessen geleitet uns Meuthens Pressechef, ein Bobo mit Vorliebe für bunte Anzüge und outriertes britisches Englisch, über diverse Brücken, Treppen und Gänge zum Abgeordnetenbüro. Ein „FCK AFD“-Plakat ziert die Wand. FCK, das stehe für „freiheitlich-christlich-konservativ“, erklärt man uns. Ohne weitere Umschweife bittet Meuthen herein. In dem engen, dunklen Raum mit Blick auf die Außenwand gegenüber wirkt er seiner schieren Größe wegen beinahe einschüchternd. Es tue ihm leid, aber er schreibe gerade seine Wahlkampfrede und habe nicht viel Zeit. Dass er bald darauf zur großen Konferenz der europäischen Rechtspopulisten in Mailand aufbrechen wird, verrät er uns nicht.

Dass wir am Ende deutlich länger bleiben dürfen als geplant, ist möglicherweise auch dem vor der Türe ausharrenden Kamerateam der ARD geschuldet. Meuthen ist offensichtlich in Gesprächslaune.

Wir haben uns bewusst dazu entschieden, das Interview vollständig und unzensiert zu veröffentlichen.

Herr Meuthen, wie geht es Europa?

Europa ist krank – aber nicht im Ganzen. Es gilt hier zwischen der Europäischen Union und Europa zu differenzieren: Europa ist für mich zunächst einmal der schönste, vielfältigste Kontinent überhaupt. Nirgendwo auf der Welt findet man auf so engem Raum so viele unterschiedliche Kulturen und eine solche Sprachenvielfalt. Ich wollte auf keinem anderen Kontinent leben. Aber Europa ist im Ganzen in Gefahr und die Europäische Union hat ihren Anteil daran. Wir haben nämlich so etwas wie europäische Werte und eine europäische Kultur. Doch hier im Europarlament gibt es Menschen, die das in Abrede stellen: Sozialisten, wie zum Beispiel Frans Timmermans (europaweiter Spitzenkandidat der sozialdemokratischen Parteien, d. Red.). Timmermans behauptet, so etwas wie eine europäische Kultur oder gar eine europäische Identität gäbe es gar nicht. Und diese Sichtweise hat sich im dominanten linksgrünen Lager eindeutig durchgesetzt, weshalb dann manche sagen: Eigentlich ist es auch völlig egal, wer hier herumturnt, wir können die Grenzen beliebig aufmachen. Dann werden unsere europäischen Werte mit den Jahrzehnten schleichend verlorengehen. Das ist die Gefahr.

Nun geht es der AfD allerdings nicht nur um unsere gemeinsame europäische, sondern auch um unsere spezifisch deutsche Identität. Viele junge Menschen identifizieren sich allerdings kaum mehr mit ihrer nationalen Herkunft. Liegen diese Menschen falsch?

Wenn ich von europäischer Identität spreche, meine ich das in Abgrenzung zu den anderen Kontinenten. Aber natürlich ist mir die deutsche Identität noch wichtiger. Ich bin zunächst einmal Deutscher, und als Deutscher auch Patriot. Ich mag mein Land, ich bin heilfroh, dort geboren zu sein, und ich erkenne den Reichtum unserer Kultur und unserer Sprache.

An zweiter Stelle bin ich dann Europäer. Das merke ich zum Beispiel daran, dass ich mich in Portugal automatisch mehr zuhause fühle als in Thailand – was nicht daran liegt, dass mir Thailand nicht gefällt. Es ist kein Chauvinismus, wenn ich feststelle: In erster Linie bin ich Deutscher und dann bin ich auch Europäer. In dieser Reihenfolge ist es richtig.

Dass uns so wenige junge Leute wählen, liegt vor allem an der Gehirnwäsche durch die Schulen und die Medien.

Wie erklären Sie sich aber, dass sich so viele Menschen vom Nationalstaat abzuwenden scheinen und in Europa die neue Hoffnung sehen?

Das ist das Ergebnis jahrzehntelanger Gehirnwäsche, und es ist spezifisch deutsch. Machen Sie doch mal einem Briten mal klar, dass er sein Land nicht zu lieben hat. Niemals! Ebenso wenig ginge das bei den Franzosen oder den Italienern – aber mit uns kann man’s machen! Manche junge Menschen singen auf Demonstrationen „Nie wieder Deutschland“ oder „Bomber Harris, do it again“. Wo kommt dieser pathologische Selbsthass denn her? Er ist uns anerzogen worden über die Jahrzehnte. Natürlich hat das etwas mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu tun, die der größte Schandfleck der langen Geschichte der Deutschen ist. Aber dann hat man daraus gemacht: Du darfst dein Vaterland nicht lieben. Und dann kommt eine AfD und sagt: Doch, dürfen wir. Das ist kein übersteigerter Nationalismus, der andere Nationen abwertet. Ich hab mit den Briten, Franzosen und Thailändern überhaupt kein Problem. Aber verdammt noch mal: Ich darf mein Vaterland doch lieben! Das versucht man uns wegzunehmen.

Mit Verlaub: Gehören Sie mit diesen Ansichten nicht zum alten Eisen? Gerade junge Menschen scheinen ihr Land und ihre Herkunft mit größerer Distanz wahrzunehmen.

Das wird sich weisen. Ich habe ja dieses geflügelte Wort vom linksrotgrün-versifften 68er-Deutschland geprägt, das war meine Wortschöpfung. Was ich damit meinte: Wir brauchen eine konservativ-freiheitliche Wende im Denken. Ich sehe nun ziemlich viele junge Menschen, die damit durchaus etwas anfangen können. Ich weiß natürlich, dass es keine Mehrheit ist. Die Mehrheit leidet eher an Gretaismus (Anspielung auf die 16-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg, d. Red.) und geht jetzt freitags nicht mehr zur Schule. Aber es hat eine Gegenbewegung eingesetzt, die notwendig ist. Auch die 68er hatten damals ihre gute Begründung. Doch dann wurden daraus ein völliger Werterelativismus und die komplette Beliebigkeit, in der wir heute leben. Das schreit nach einer Gegenbewegung, und die sind wir. Es wird sich zeigen, ob wir damit reüssieren und junge Menschen erreichen, denn davon wird es letztlich abhängen. Meine Generation ist in einem Vierteljahrhundert tot, Ihre nicht.

„68er“ ist eine Sammelbezeichnung für junge, linke Bewegungen in den 60er- und 70er-Jahren, die generell für Frieden, Gleichheit, Umweltschutz, sexuelle Befreiung und ein ehrliches Verhältnis zur nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands eintraten.

Tatsächlich hat die AfD den geringsten Wähleranteil unter jungen Menschen. Kann das wirklich nur durch Gehirnwäsche erklärt werden?

Ich glaube schon. Das beginnt schon in den Schulen: Man wird zu einer gewissen Konformität erzogen. Ich sehe ja an meinen fünf Kindern, was sie dort mit ihnen machen. Die AfD ist dort von Vornherein pfui, denn das seien Nazis, Rassisten und womöglich noch Antisemiten, was der absurdeste aller Vorwürfe ist – wobei, Nazi ist genauso absurd. Es gibt zwei völlig grünisierte Berufsgruppen: die Lehrer und die Journalisten. Aber genau diese Gruppen wirken meinungsbildend auf junge Leute, und deswegen tun wir uns da schwer.

Kommen wir zur Zukunft der EU. Sie wünschen sich ja ein Europa der Vaterländer. Welche Aufgaben soll die EU als supranationale Organisation dann noch übernehmen?

Die EU soll tun, was sie damals tat, als sie noch nicht EU hieß, sondern EWG. Die Idee war, die alten Konflikte auf dem Kontinent durch wirtschaftliche Verzahnung zu überwinden. Das hat ja auch geklappt, und es ist im Grunde die große Erfolgsgeschichte der EU. Das soll bleiben: Der Binnenmarkt, der Abbau von Zöllen und völliger Freihandel im Inneren – davon profitieren alle Beteiligten. Ich bin damit aufgewachsen und habe erlebt, wie das die alten Erbfeindschaften ein für alle Mal beseitigt hat.

Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wurde mit den Römischen Verträgen von 1957 von Frankreich, Deutschland, Italien und den Benelux-Staaten gegründet. Sie diente vor allem der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde sie zuerst in die Europäische Gemeinschaft und mit dem Vertrag von Maastricht 1992 in die Europäische Union überführt und gewann kontinuierlich neue Mitglieder hinzu.

Wenn ich die EU nicht zum eigenen Staat machen will, sind die Kommission und der Rat völlig ausreichend und es bedarf keines Parlaments.

Die Zölle sind ja nur ein Hindernis im Freihandel. Viel wichtiger sind mittlerweile die unterschiedlichen Regulierungen, Standards und Gesetzeslagen. Wenn wir alle Gesetze und Verordnungen wieder national erlassen, kreieren wir dann nicht wieder gewaltige Handelshemmnisse?

Ich bin ein entschiedener Freund davon, auch diese anderen Handelshemmnisse zu überwinden, wo immer das möglich ist. In Einzelfällen kann man über Sonderregelungen sprechen, aber grundsätzlich ist der europäische Binnenmarkt eine Errungenschaft, an der wir festhalten sollten. Nur so einen Schwachsinn wie eine gemeinsame Währung brauchen wir nicht.

Zum Euro kommen wir noch. Zurück zur EU: Für die einheitlichen Regulierungen, die Sie ja befürworten, brauchen Sie doch auch supranationale Institutionen wie eine Kommission oder einen Gerichtshof.

Die Kommission und den Europäischen Gerichtshof will ich ja auch nicht abschaffen. Es stellt sich aber die Frage, wie weit wir mit diesen Regulierungen gehen sollten. Es gibt da diese Festlegung zur Beschaffenheit von Präservativen. Fünf Liter Flüssigkeit müssen die aufnehmen können! Das finde ich ziemlich viel. (lacht)

Das Europaparlament wollen Sie dann aber schlichtweg abschaffen. Wenn es eine Kommission gibt, die gemeinsame Gesetze ausarbeitet, braucht es doch auch eine demokratische Kontrolle.

Guter Gedanke, aber sehen Sie sich den parlamentarischen Alltag einmal an: Ich stelle immer wieder fest, dass das Europäische Parlament eigentlich der verlängerte Arm der Kommission ist. Nie wird einer von den Kommissaren für seine schwachsinnigen Kommentare auch nur ansatzweise zur Sau gemacht. Stattdessen ist man freundlich zueinander, bedankt sich permanent und belobigt einander für die tolle Arbeit – das ist nicht mein Verständnis von Parlamentarismus.

Aber was ist denn die Lösung? Alle anderen deutschen Parteien fordern, in verschiedenen Abstufungen, eine Stärkung des Parlaments: ein Initiativrecht, transnationale Listen, Ernennung von EU-Ministern und so weiter. Sie dagegen möchten es beseitigen. Wäre das wirklich ein Zugewinn an Demokratie?

Wer hat Parlamente? Staaten haben Parlamente. Das Europäische Parlament gibt es seit 1979. Vorher gab es auch schon eine Art Europäische Union, sie hieß damals noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Warum hat man das Parlament gegründet? Weil man die ökonomische Union ergänzen will um eine politische Union. Die in ihren Heimatländern scheiternden sogenannten Spitzenpolitiker Merkel, Macron und Konsorten wollen uns weismachen, dass wir eine gemeinsame Armee, Sozialpolitik, Steuerpolitik und Haushaltspolitik brauchen. Doch damit wird sich die EU durch die Hintertür zu einem eigenen Staat auswachsen. Das Europäische Parlament nutzen sie dafür als Vehikel. Wenn ich diese Eigenstaatlichkeit aber gar nicht will, dann bedarf es keines Parlaments. Dann sind die Kommission als Exekutive und der Rat der EU als gesetzgebende Institution völlig ausreichend. Bei anderen internationalen Organisationen von der Nato bis zur OECD klappt das doch auch. Wir wollen keine Eigenstaatlichkeit der EU und deshalb halten wir das Parlament für entbehrlich. Dann heißt es, wir seien undemokratisch. Aber ich als deutscher Abgeordneter repräsentiere 854.000 Deutsche, während ein Kollege aus Luxemburg 83.000 Menschen vertritt. Ein Deutscher zählt ein Zehntel eines Luxemburgers, das finde ich auch nicht sonderlich demokratisch.

Die OECD ist ein Zusammenschluss von über 30 hoch entwickelten, zumeist westlich geprägten Staaten, die sich der Förderung von Marktwirtschaft, Freihandel, Wohlstand und Entwicklung verschreiben.

Ich glaube einfach nicht, dass wir im Zusammenschluss einen größeren Einfluss hätten.

Nehmen wir an, wir lösen die EU nach Ihren Vorstellungen auf und gründen die beschriebene Wirtschaftsgemeinschaft ohne Parlament:  Wären die einzelnen Nationalstaaten dann nicht viel verwundbarer gegenüber anderen Wirtschaftsmächten wie China oder den USA? Beide betreiben ja eine sehr aktive Wirtschaftspolitik mit geopolitischen Interessen.

Nein, das glaube ich nicht. Es meinen ja viele, wir müssten eine große Einheit bilden, um uns in der Welt zu behaupten. An den Hungersnöten in der Schweiz, in Norwegen oder in Island, die alle nicht der EU angehören, sieht man ja, dass die nationale Selbstbestimmung nicht funktionieren kann. (lacht) Entschuldigung, aber da stimmt etwas nicht, oder?

Norwegen und Island sind allerdings im Europäischen Binnenmarkt und übernehmen sämtliche EU-Gesetze, die Schweiz geht seit Jahrhunderten ihren eigenen Weg. Nehmen wir stattdessen doch einen derzeitigen EU-Mitgliedsstaat, Griechenland zum Beispiel. Könnte sich das Land alleine etwa gegen chinesische Aufkäufe wehren?

Gegen den wachsenden Wirtschaftsgiganten China kann auch die ganze EU relativ wenig ausrichten. Die Chinesen sind nun einmal in Griechenland, Italien, Deutschland und auch Afrika auf Einkaufstour. Ich glaube einfach nicht, dass wir im Zusammenschluss größeren Einfluss hätten. Aber wenn man möchte, kann man ja als Handelszone gemeinsam auftreten und bilateral mit China verhandeln. Dazu brauche ich allerdings kein Europäisches Parlament und keine politische Union.

Nach der Wahl werden Sie eine Fraktion mit anderen national-konservativen Parteien bilden, darunter der österreichischen FPÖ und der italienischen Lega. Beide Parteien sind in ihren Ländern an der Regierung beteiligt, und sie waren einander nicht immer wohlgesonnen: Als die FPÖ sich anschickte, den italienischen Südtirolern eine österreichische Staatsbürgerschaft auszustellen, war die Regierung in Rom schwer irritiert. Südtirol ist zwar mehrheitlich deutschsprachig, gehört aber seit dem Ersten Weltkrieg zu Italien. Ist es nicht möglich, dass sich all diese Bewegungen wieder gegenseitig bekämpfen, sobald sie sich des gemeinsamen Feindes, der EU, entledigt haben?

Ja, das ist ein guter Gedanke. Es wird nicht völlig zu vermeiden sein, dass man wieder ins Zänkische hineingerät, sobald man etwas erreicht hat und der gemeinsame Feind wegbricht. Die Österreicher und die Italiener haben zu Südtirol nun einmal unterschiedliche Auffassungen – aber sie werden sich deshalb nicht mehr bekriegen. (skeptische Blicke der Interviewer) Neeein!

Gibt es dafür eine Garantie, wenn es keine politischen Institutionen gibt, in denen ein Ausgleich stattfinden könnte?

Mit einer Union nach unseren Vorstellungen schaffen wir eine wirtschaftliche Win-win-Situation. Niemand wäre so töricht, das aufzugeben. Ich habe momentan viel mit Vertretern der FPÖ und der Lega zu tun und kann Ihnen sagen: Sie verstehen sich gut und werden sich über die Frage Südtirols nicht final entzweien. Auch dann nicht, wenn wir eines Tages eine Mehrheit stellen.

Beneiden Sie Großbritannien?

(seufzt) Nein. Beneiden kann man die Briten vor allen Dingen um ihr Unterhaus nicht – höchstens um diesen Speaker (John Bercow, der Speaker des House of Commons, d. Red.). Den finden Sie auch krass, oder?

Ja. Aber sollten Sie das Land nicht um den Brexit beneiden, diesen Akt der nationalen Selbstbefreiung?

Der Brexit wird, wenn er denn bald kommt, Wunden reißen. Er ermöglicht den Briten aber zugleich, ihre splendid isolation beizubehalten, die ein Stück ihrer nationalen Identität ist. Ich mag diese Eigensinnigkeit der Briten, sie sind darin den Schweizern ähnlich, weil sie diesen Konformismus nicht mitmachen. Zugleich wird es zu Schwierigkeiten kommen, wenn auch nicht zu dieser Katastrophe, die oft heraufbeschworen wird.

Neben dem möglichen wirtschaftlichen Schaden, über den wir nur spekulieren können, hat der Brexit die britische Gesellschaft bis ins Innerste gespalten. Auch die AfD befürwortet ein Referendum über den deutschen EU-Austritt, wenn die EU nicht bald die von Ihnen geforderten Reformen ergreift. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass das ähnlich viel Unfrieden stiften würde?

Wir wollen dieses Referendum ja nicht, wir sehen es als letzten Ausweg. Wir glauben, dass man die EU an Haupt und Gliedern reformieren muss. Wenn dieser Kurswechsel stattfindet, wird es zu keinem Referendum kommen – und wenn es dazu kommt, ist die EU sowieso im Teich. Meine Sorge ist eher, dass wir die EU langfristig gefährden, wenn wir einen falschen Weg, den die Bevölkerung mehrheitlich ablehnt, nicht rechtzeitig verlassen. Deshalb drohen wir mit diesem Dexit, obwohl ich hoffe, dass es nie so weit kommen wird.

Es ist menschlicher Größenwahn, zu glauben, wir könnten den Klimawandel spürbar beeinflussen.

Den Austritt aus dem Euro befürworten Sie dafür umso eindeutiger. Angesichts der erwartbaren Aufwertung einer deutschen Währung: Wie stünde es um unsere Exporte?

Wird eine Währung aufgewertet, heißt das, dass ihr Wert im Vergleich zu anderen Währungen steigt. Wenn zum Beispiel der Wechselkurs des Euro von 1,10 Dollar auf 1,20 Dollar steigt, ist 1 Euro aus Sicht eines Amerikaners „teurer“ geworden. Eine Aufwertung ist zwar gut für die billiger werdenden Importe, jedoch steigt auch der Preis der Exporte eines Landes.

Super. Alles easy. Kein Problem.

Wären unsere Produkte nicht zu teuer?

Müssen wir wirklich so ängstlich sein? Die Deutschen waren Exportweltmeister mit einer D-Mark, die immer nur aufgewertet hat. Eine harte, eigene Währung sorgt für eine sogenannte Produktivitätspeitsche. Sie müssen hochproduktiv sein, sonst können Sie auf Basis einer harten Währung nicht verkaufen. Das hat Deutschland über Jahrzehnte hinweg mit der D-Mark hocherfolgreich betrieben. Die Schweizer praktizieren es ebenso erfolgreich mit dem Franken. Weil wir eine produktive Volkwirtschaft haben, müssen wir den Austritt aus der Eurozone nicht fürchten. Lediglich einen kurzen Aufwertungsschock und eine kleine konjunkturelle Delle könnte es geben, alles andere sind Ammenmärchen. Zu Zeiten der D-Mark hat Deutschland sogar noch mehr ins Euro-Ausland exportiert als heutzutage. Und zu guter Letzt bezahlen wir unsere eigenen Exporte in die Eurozone über die Target-Salden.

Die Target-2-Salden sind eine Kennzahl, die die gegenseitigen Schulden nationaler Zentralbanken misst. Die deutsche Bundesbank weist hier eine positive Bilanz von knapp 1 Billion Euro aus, wohingegen ärmere Eurostaaten mit Hunderten Millionen in ihrer Schuld stehen. Die tatsächliche volkswirtschaftliche Relevanz der Target-2-Salden ist äußerst umstritten.

Die Abschaffung des Euro würde also keine europa- oder gar weltweite Wirtschaftskrise auslösen?

Nicht, wenn man es klug macht. Sie haben recht: Wenn es ungeordnet geschieht, würde das eine Weltwirtschaftskrise auslösen. Ein großer Showdown würde zunächst eine monetäre Problematik erzeugen, die sofort zu einer güterwirtschaftlichen Krise wird, weil das Medium Geld nicht mehr funktioniert. Das kann man sich vielleicht in Simbabwe erlauben, aber nicht hier, denn dafür ist mir unser Wirtschaftsraum viel zu wichtig. Anders läge der Fall bei einer geordneten Auflösung. Es muss danach auch nicht wieder 27 Währungen geben, denn wir hatten ja schon vor dem Euro Konvergenz. Früher war eine D-Mark immer sieben Schilling wert, und beim holländischen Gulden war es nicht anders. Warum? Weil Deutschland, Österreich und die Niederlanden die gleiche nordeuropäische geldpolitische Kultur und eine ähnliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit besitzen. Solche Länder könnten dann eine gemeinsame Währung einführen, denn dann überwiegen die Vorteile wie der Wegfall der Transaktionskosten. Gestalten würden wir den Übergang mittels Parallelwährungen, die den Euro sukzessive ablösen. Die Schnapsidee am Euro war, durch eine gemeinsame Währung Konvergenz zu erzwingen – und wozu hat es geführt? Es ist auseinandergedriftet.

Ihre Partei bezweifelt, dass der Mensch einen ausschlaggebenden und vermeidbaren Einfluss auf den Klimawandel hat. Klimaschutzpolitik bezeichnen Sie in Ihrem Programm als „Irrweg“, den CO2Zertifikatehandel lehnen Sie genauso ab wie das Pariser Klimaabkommen und den Kohleausstieg. Gewinnt man so junge Wähler?

Der Handel mit CO2-Zertifikaten funktioniert folgendermaßen: Für jede Tonne CO2, die ein Unternehmen ausstößt, muss es ein Zertifikat besitzen. Wenn es mehr Emissionen produziert, muss es Zertifikate hinzukaufen. Wenn es weniger verbraucht, kann es überschüssige Zertifikate an andere verkaufen. Das setzt einen finanziellen Anreiz zu CO2-Einsparungen. Die Menge der Zertifikate wird von der EU jährlich reduziert, sodass der Preis für Kohlenstoffemissionen allmählich steigt.

Nein, die haben ja alle Gretaismus. (lacht) Ich will niemandem Honig ums Maul schmieren, sondern versuchen, möglichst aufrichtig auf Basis der verfügbaren Fakten zu operieren. Den fraglos stattfindenden Klimawandel zu leugnen, wäre völlig hanebüchen. Uns geht es aber um die Höhe des menschlichen Einflusses. Auch wir wollen nicht ewig Braunkohle zur Stromgewinnung einsetzen, sondern wären zu einem behutsamen Ausstieg bereit. Ein völliger Irrweg ist das überstürzte Verlassen der Nukleartechnologie. Selbst Greta, die 16-jährige alte Weise, hat das mittlerweile erkannt.

Können wir mit unserer Politik den Klimawandel spürbar beeinflussen?

Das ist eine menschlicher Größenwahn. Damit will ich nicht behaupten, dass wir gar nichts tun könnten. Doch der Einfluss des Menschen ist zu gering, als dass wir die Erderwärmung auf eine bestimmte Gradzahl begrenzen könnten. Das halte ich für ziemlichen Kokolores.

Ich könnte jetzt „Shit happens“ sagen, aber so lässig will ich die sozialen Folgen des Klimawandels nicht abtun.

Wir werden die Folgen aber noch zu unseren Lebzeiten zu spüren bekommen. Nehmen wir den Anstieg des Meeresspiegels…

Ich habe so eine Angst vor diesen zwei Zentimetern. Meine Güte, es wird Sturmfluten geben.

Wir in Deutschland müssen uns natürlich kaum Sorgen machen. In Südostasien oder in Mittelamerika ist die Bedrohung aber deutlich ernster. Studien renommierter Institute rechnen mit unzähligen Millionen Betroffenen.

In Europa sehen das ausgerechnet die Niederländer am sorglosesten. Die sind erfahren im Umgang mit Wasser und haben die Lage dank beeindruckender Großprojekte völlig im Griff, was zeigt: Der ansteigende Meeresspiegel ist ein beherrschbares Phänomen und wird keine gigantischen Sturmfluten verursachen. Der Meeresspiegel soll sich ruhig um ein paar Zentimeter heben, davon ist so schnell noch keine Insel weg. Ich halte das wirklich für einen lächerlichen Katastrophen-Alarmismus. Was hat man uns nicht damals alles vorgegaukelt: Wir hatten in den 70ern autofreie Sonntage, weil die Ölreserven in zehn Jahren aufgebraucht seien. Heute weiß man, dass das kompletter Firlefanz war. Bei stetig steigendem Ölverbrauch entdecken wir immer weitere Ölvorkommen, die uns noch sehr lange versorgen werden. Dann wurde uns vom Waldsterben erzählt, auch das war völliger Kokolores. Danach kam das Ozonloch, das komischerweise inzwischen fast wieder vollständig geschlossen ist. Und jetzt ist es eben die Klimakatastrophe. Die Grünen sprechen jetzt nicht mehr von Erderwärmung, sondern von Erhitzung, damit es dramatischer klingt und die Leute in Panik geraten. Mit dieser Panik werden wir gesteuert. Meine frohe Botschaft an Sie, die Sie noch deutlich mehr Zeit auf der Erde verbringen werden: Ich glaube, dass Sie auch in 50 Jahren noch ganz gut auf diesem Planeten leben können. Da bin ich mir ziemlich sicher.

Das Ozonloch ist eine Ausdünnung in der die Erde umschließenden Ozonschicht, die durch sogenannte FCKW-Stoffe bewirkt wurde. Nachdem diese Chemikalien in den 90er-Jahren weltweit verboten wurden, schließt sich das Loch über Australien und der Antarktis allmählich wieder.

Was aber, wenn Sie irren? Man muss ja nicht besagter Greta oder irgendwelchen Weltuntergangspropheten Glauben schenken. Aber was, wenn die wissenschaftlichen Prognosen zutreffen und die Folgen weitreichend genug sind, um viele Menschenleben zu gefährden?

Ich könnte jetzt salopp „Shit happens“ sagen, aber so lässig will ich das nicht abtun. Es mag schon sein, dass sich das Klima erwärmt und Menschen erschwerte Lebensbedingungen vorfinden. Zum Glück ist der Mensch aber ein lernfähiges Wesen, sodass er sich darauf einstellen kann und normalerweise gute Erfolgsaussichten hat. Es gibt doch viel größere Probleme wie die gigantischen Geburtenraten in Afrika, die für den Kontinent schon wegen der Ernährungsprobleme nicht tragbar sind. Die Menschen dort werden in riesiger Zahl an Hungersnöten zugrunde gehen.

Das wiederum liegt doch auch an der wachsenden Wüste, den gehäuft vorkommenden Wetterextremen und anderen ökologischen Faktoren. Der Klimawandel ist sozusagen eine Fluchtursache.

Ohne den Klimawandel wäre die Situation in Afrika haargenau dieselbe, denn die Probleme dort haben wirklich andere Ursachen. Das beginnt mit dieser maßlosen Korruption. Aber es hängt auch mit den Mentalitäten der Menschen dort zusammen: Die haben zwar etwas Sympathisches an sich, sind aber auch hochgefährlich. Anders als wir hier im Norden Europas leben die viel mehr einfach in den Tag hinein. Außerdem handeln sie im Durchschnitt nicht so planend wie wir. Das finde ich zwar sehr charmant, ist aber eben auch eine Gefahr. Aber bezichtigen Sie mich jetzt bitte nicht des Rassismus.

Ist das, was Sie als „Mentalität“ bezeichnen, wandelbar? Könnte sich jemand, der aus Afrika einwandert, an die hiesige „Mentalität“ anpassen?

Natürlich hat es immer Veränderungen gegeben. Sie sind allerdings kaum steuerbar, und vor allem vollziehen sie sich in extrem langen Zeiträumen. Die Menschen lernen überall dazu – die Frage ist nur, ob sie schnell genug lernen. Auch hierzulande scheinen die Politiker in den letzten Jahrzehnten wenig hinzugelernt zu haben…

Diese „Mentalitäten“ sind also statisch und können sich auch in Einzelfällen nicht aneinander angleichen? Das wäre doch eine Voraussetzung für ein gutes Zusammenleben.

Wir müssen uns ja nicht angleichen. Und wir müssen auch nicht alle hier zusammen leben. Ich will ja auch nicht die Grenzen aufmachen und alle hereinlassen. Viel wichtiger finde ich, dass wir unseren bescheidenen Beitrag dazu leisten, die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. Dazu gehört, den Freihandel auszuweiten und die Handelsbarrieren für afrikanische Importe abzubauen. Der kenianische Ökonom James Shikwati fordert etwas plakativ: Spart euch eure ganze Entwicklungshilfe und öffnet einfach eure Märkte! Das geht in die richtige Richtung. Gleichzeitig müssen wir unsere Exportsubventionen überdenken, denn das zerstört die Ernährungsbasis dieser Länder. Wenn wir zum Beispiel billiges französisches Fleisch in Kamerun absetzen, bringen wir die lokale Produktion in große Schwierigkeiten. Sonst fluten wir den Kontinent weiterhin kaputt mit unseren Produkten. Natürlich will ich die europäische Agrarkultur erhalten, aber auch unsere Landwirte müssen sich im Wettbewerb bewähren. Hinzu kommen die umweltschädlichen Transporte mit Containerschiffen oder Ähnlichem: Wenn Sie für einen Apfel aus Neuseeland die ökologischen Kosten in Rechnung stellen, wird der deutlich teurer sein als unser guter, alter Boskop vom Hof nebenan. Insgesamt könnten Produzenten aus weit entfernten Ländern nicht mehr billiger verkaufen als lokale.

Die AfD ist 2014 mit sieben Abgeordneten ins Europaparlament eingezogen. Sechs davon sind seitdem aus der Partei ausgetreten. Verblieben ist einzig Beatrix von Storch, die Sie nach der Bundestagswahl ersetzt haben. Was ist passiert? Wieso können sich so viele ehemalige Mitglieder nicht mehr mit der Partei identifizieren?

Das ist ein völlig normaler Vorgang. Wir sind eine sehr junge Partei, da finden sich viele Köpfe mit verschiedenen Ideen zusammen. Uns vereint die Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen, wir denken aber teilweise extrem unterschiedlich. Einige Menschen meinten, sie könnten ihre eigene Position verabsolutieren und auf Biegen und Brechen durchsetzen. Das war im Kern der Fehler von Bernd Lucke (dem ersten Parteichef der AfD, d. Red.), der ein anständiger Mensch ist, aber kein Politiker. Man muss Kompromisse machen und die Leute mitnehmen, was Lucke nicht gelungen ist. Frauke Petry (Luckes Nachfolgerin, d. Red.) hat danach genau den gleichen Fehler gemacht. Und ich werde nicht der dritte sein! Natürlich werde auch ich irgendwann weichen müssen, aber ich versuche, die Leute mitzunehmen, sofern sie nicht extremistisch sind. Da bin ich hart: Bei Extremismus hört’s auf.

Die Liste AfD für das Europaparlament ist auch dieses Mal sehr heterogen: Es finden sich Kandidaten aus der alten Garde der wirtschaftsliberalen Europaskeptiker ebenso wie rechte Hardliner. Was garantiert Ihren Wählern, dass Ihre Fraktion nicht wieder zersplittert?

Nichts, außer der Verstand. Wenn die Leute nicht verstehen, dass sie ihre Position nicht exklusiv durchsetzen können, werden wir auseinanderfallen. Aber das ist ein normaler Vorgang. Ich glaube, dass wir als Partei auch erwachsen werden. Wenn wir eine Volkspartei sein wollen, müssen wir ohnehin ein relativ breites Spektrum haben. Dazu müssen sich die Kandidaten, die dem „Flügel“ (einer innerparteilichen Gruppe um Björn Höcke, d. Red.) nahestehen, mit denen zusammenfinden, die eher aus dem Wirtschaftsliberalismus kommen. Und wenn sie das nicht schaffen, müssen sie weichen, bis wir Leute haben, die dazu im Stande sind.

Haben Sie Angst, dass die AfD eines Tages ausstirbt?

(lächelt, schüttelt den Kopf)