AFD

Zurück zu alter Freiheit

VON AMIRA WEISS

Sie sind die Neuen: die Alternative für Deutschland. Nachdem ähnliche Kräfte schon in anderen europäischen Ländern erstarkt sind, will die AfD nun die politische Landschaft in Deutschland und die gesamte Europäische Union umkrempeln. Was steckt dahinter?

Die Alternative für Deutschland (AfD) ist die jüngste der im deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Sie wird als national-konservativ, EU-skeptisch und rechtspopulistisch eingeordnet.

Die Partei wird im Jahr 2013 in Reaktion auf die Währungs- und Staatsschuldenkrise im Euroraum gegründet. Sie fordert die Abschaffung des Euro und eine Entmachtung der EU zugunsten der Nationalstaaten. In der Bundestagswahl 2013 verfehlt sie knapp die Fünf-Prozent-Hürde, gewinnt aber im Jahr darauf bei der Europawahl 2014 sieben Mandate im EU-Parlament. Danach deutet Vieles darauf hin, dass die wirtschaftsliberale „Professoren-Partei“ ihr Potential ausgeschöpft hat.

Das Jahr 2015 stellt für die AfD einen Wendepunkt dar. Die liberale Haltung der im Bundestag vertretenen Parteien in der Migrationsfrage und die Ankunft von knapp 900.000 Menschen aus dem arabischen und afrikanischen Raum verschaffen der AfD einen neuerlichen Schub. Fortan konzentriert sich die Partei auf die Themen Einwanderung, Islam und deutsche Kultur und bemüht sich um jene, die sich im Parteienspektrum nicht mehr vertreten sehen.

Die beginnende Radikalisierung der Partei setzt der Haushoheit des Parteigründers Bernd Lucke ein jähes Ende: Er wird von Frauke Petry beerbt und gründet eine neue Partei (heute „Liberal-Konservative Reformer“).

Danach zieht die AfD mit hohen Ergebnissen in viele Landtage ein. Als Petry die Partei aber 2017 ausdrücklich von rechtsradikalen Verbänden abgrenzen will, unterliegt sie auf einem Parteikongress ihrem internen Widersacher Alexander Gauland. Sie verlässt die AfD kurz nach der Bundestagswahl, um ihrerseits eine neue Partei zu gründen („Blaue Partei“).

Mit einem Ergebnis von 12,6% zieht die AfD 2017 erstmals in den Bundestag ein.

Die AfD ist dank ihrer enormen Medienpräsenz zu einer bestimmenden Größe der deutschen Politik geworden und nutzt gezielte Provokationen, um diese Rolle zu behalten. Mit öffentlichen Aussagen zum Dritten Reich und zum Umgang mit ausländischen Staatsbürgern (oder Deutschen ausländischer Herkunft) sorgen führende Vertreter nicht selten für Empörung. Andere Politiker, aber auch Kulturschaffende und Wissenschaftler bezichtigen die AfD daher des Nationalismus, der Ausländerfeindlichkeit, des Geschichtsrevisionismus, des Rassismus, der Homophobie und vielem mehr. Unter Verweis auf die Meinungsfreiheit und vermeintliche unausgesprochene Wahrheiten wehrt sich die Partei gegen diese Vorwürfe.

Unter „Geschichtsrevisionismus“ versteht man die bewusste Umdeutung historischer Ereignisse, oft zu politischen Zwecken. In der deutschen Geschichtsschreibung kann das zum Beispiel in Versuchen bestehen, die Angriffskriege der Wehrmacht zu Heldentaten zu verklären oder die nationalsozialistische Ideologie zu verharmlosen.

Einzelne Jugend- und Landesverbände stehen unter Beobachtung des Bundesverfassungsschutzes, was die Partei als politisch motiviert ansieht.

Außerdem laufen derzeit mehrere Verfahren gegen führende AfD-Politiker, darunter Jörg Meuthen, Alice Weidel und Alexander Gauland, wegen möglicherweise illegaler Parteispenden. Die Beschuldigten beteuern, die tatsächliche Herkunft der Gelder und die Umstände der Spenden nicht gekannt zu haben.

Vorsitzende der AfD sind Jörg Meuthen, der auch Spitzenkandidat für die Europawahl ist, und Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender im Bundestag.

Fraktionsvorsitzende führen die Abgeordneten einer Partei im Parlament an. Sie sind von den Parteichefs zu unterscheiden.

Seit der letzten Wahl sind sechs der sieben AfD-Abgeordneten im Europaparlament aus der Partei ausgetreten. Der verbliebene Abgeordnete, Jörg Meuthen, gehört der Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) an. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass sich das rechte Lager im Europaparlament nach der kommenden Wahl zu einer neuen Fraktion zusammenschließen wird.

Angst und Abwendung sind keine Alternativen

KOMMENTAR KONTRA

VON NOAH SCHNEIDERS

Die AfD bietet vermeintlich einfache Lösungen. Leider ist einfach nicht gleich gut. Mit ihren Vorschlägen würde sich Deutschland nicht nur selbst schaden: Ihre Ansichten sind auch eine Gefahr für unser Zusammenleben, unsere Werte und den Frieden in Europa.

Die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 und die innereuropäische Migration haben die Gesellschaft polarisiert. Beide Entwicklungen haben uns spüren lassen, dass Globalisierung keine Einbahnstraße ist. Nachdem wir unsere Wirtschaft, Politik und Kultur in der Welt verbreitet haben, stehen auf einmal Fremde vor unseren Türen und fordern ein, an unser Gesellschaft teilzuhaben. Es ist nur verständlich, dass sich hierzulande viele davon eingeschüchtert fühlen. Doch Abwendung, Isolation und Untergangsparolen sind keine Alternativen zu langfristigen Lösungen. Denn dafür wäre internationale Zusammenarbeit in einem starken Verbund wie der Europäischen Union nötig.

Die kontraproduktiven Ideen der AfD beginnen schon bei der Abschaffung des Europaparlaments. Jahrhunderte europäischer Kriege inklusive zweier Weltkriege schufen unzähligen Menschen unermessliches Leid. Um zu verhindern, dass so etwas jemals wieder geschieht, ist das Europäische Parlament entstanden. Es abzuschaffen, wäre dauerhaft eine Gefahr für den Frieden in Europa. Die „Zankereien” zwischen den rechten Parteien Europas zeigen, dass wir die Möglichkeit eines Rückfalls in alte Feindschaften ernst nehmen müssen. Noch mag es harmlos scheinen, dass die rechte österreichische Regierung die italienischen Südtiroler einbürgern möchte. Aber ohne den internationalen Ausgleich im EU-Parlament könnte es schwierig werden, solche Streitigkeiten friedlich beizulegen. Außerdem wäre die Abschaffung des Europaparlaments auch ein eindeutiger Demokratieverlust, was paradox ist, weil sich die AfD sonst gerne als Stimme des Volkes geriert. Viel sinnvoller wäre es, das Parlament handlungsfähiger zu machen, zum Beispiel mit einem parlamentarischen Initiativrecht oder transnationalen Parteilisten. Doch von alledem will die Partei nichts wissen.

Als Initiativrecht bezeichnet man das Recht eines Organs, dem der Legislative (hier also dem Europaparlament) einen Gesetzentwurf zur Abstimmung vorzulegen. Im EU-Parlament kann das bislang einzig die Kommission. Viele Parteien möchten es aber Abgeordneten erlauben, selbst Vorschläge einzubringen.

Transnationale Parteilisten sind ein anderer Vorschlag, demzufolge Kandidaten aus mehreren EU-Staaten bei der Europawahl auf einer gemeinsamen Liste antreten könnten.

Es bleibt ferner fraglich, wo die AfD den Gewinn für die EU-Mitgliedstaaten durch den Abbau der EU-Strukturen sieht. Europa ist mittlerweile extrem eng miteinander verwoben. Es ist irreführend, zu behaupten, man könnte die Nationen wieder vollständig voneinander lösen. Vom Handel über die Verteidigung bis zur Agrar- und Industriepolitik: Es schwächt uns nur, Regeln wieder auf nationaler Ebene zu erlassen. Auf sich allein gestellt ist Deutschland einfach zu klein, um sich international durchzusetzen. Wer das nicht glaubt, kann ja nach Großbritannien schauen: Die Briten waren mit ihren bisherigen Versuchen, eigene Handelsabkommen auszuhandeln, weitaus weniger erfolgreich als erhofft, und sind auch in vielen anderen Bereichen nach wie vor auf die Institutionen der EU angewiesen.

Deshalb wäre der Dexit, den sich die AfD im Falle einer erfolglosen „Reform” (beziehungsweise Abschaffung) der Europäischen Union wünscht, eine Katastrophe. Der Brexit hat wirklich allen gezeigt, dass quer durch alle Bevölkerungsschichten niemand von einem EU-Austritt profitiert. Vom Arbeiter in der Autoindustrie, der seinen Job verliert, weil seine Firma auf den Kontinent flüchtet, zum Verbraucher, der wegen des gefallenen Pfunds für den Urlaub deutlich mehr Geld ausgeben muss; vom Landwirt, der ohne Zugang zum Binnenmarkt der EU Probleme beim Verkauf seiner Ware hat, zum Unternehmen, das aufgrund der Planungsunsicherheit nicht investiert. Ein Dexit würde Deutschland womöglich in ein ähnliches Chaos stürzen. Ganz sicher zumindest würde er die Herausforderungen der Globalisierung wie die Arbeitsplatzunsicherheit nicht lösen, sondern verschlimmern.

Auch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen in der EU, die die AfD ermöglichen will, wäre ein großer Verlust für jeden Einzelnen von uns. Man stelle sich einmal Grenzposten zwischen Deutschland und Frankreich oder zwischen Österreich und Italien vor: Es wäre ein großer Rückschritt für Einheit und Frieden auf unserem Kontinent und würde nicht nur der Wirtschaft, sondern der Freiheit aller Europäer großen Schaden zufügen.

Die Abschaffung des Euro würde uns selbst ebenso am schwersten treffen. Ein solcher Systemwechsel mit unabsehbaren Folgen wäre gerade für Deutschland, das wohl am stärksten von der Einführung der Einheitswährung profitiert hat, unsinnig. Wenn es der AfD also darum geht, Deutschland besser zu stellen, sollte sie am Euro festhalten. Natürlich war der Euro auch ein politisch motiviertes und fehlerbehaftetes Projekt. Aber viel klüger, als den Euro mit der Brechstange abzuschaffen, wäre es doch, unser Währungssystem zu reformieren und dauerhaft tragfähig zu machen.

Die Umweltpolitik der AfD wirft gewaltige Fragen auf – sie ist schlicht nicht zeitgemäß. Beinahe verzweifelt klammert sie sich an die These, der Klimawandel sei nicht maßgeblich vom Menschen beeinflusst – eine Position, die von Wissenschaftlern fast einhellig widerlegt ist. Wir sind heute schon weit davon entfernt, die Klimaziele zu erreichen, die den Temperaturanstieg und damit das Risiko für Naturkatastrophen auf ein erträgliches Maß beschränken würden. Das Ansinnen der AfD, weiterhin Braunkohle als Energieträger zu verwenden, aus dem Pariser Klimaabkommen auszutreten und den europaweiten Emissionshandel abzuschaffen, sind daher geradezu gefährlich für unsere Zukunft.

Der Handel mit CO2-Zertifikaten funktioniert folgendermaßen: Für jede Tonne CO2, die ein Unternehmen ausstößt, muss es ein Zertifikat besitzen. Wenn es mehr Emissionen produziert, muss es Zertifikate hinzukaufen. Wenn es weniger verbraucht, kann es überschüssige Zertifikate an andere verkaufen. Damit haben Firmen einen finanziellen Anreiz, CO2 einzusparen. Die Menge der Zertifikate wird von der EU jährlich reduziert, sodass der Preis für die Zertifikate allmählich steigt.

Gefahren sieht die Partei dafür an ganz anderer Stelle: In ihrem Wahlprogramm warnt sie vor „dem” Islam. In dieser Generalisierung geht jedoch verloren, dass die meisten Muslime weit davon entfernt sind, ihre Religion fundamentalistisch auszulegen. Zu einer pluralistischen Gesellschaft gehören immer mehrere Religionen. Natürlich geht damit einher, dass diese Religionsgruppen sich der demokratischen Ordnung unterordnen müssen. Extremismus, der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit infrage stellt, kann weder bei Anhängern des Islam noch von Christen, Juden oder anderen Religionsangehörigen toleriert werden. Dieses Verständnis teilen alle anderen Parteien, die zur Wahl stehen. Die AfD kreiert dagegen ein falsches Feindbild, das keine Probleme löst, sondern nur Konflikte provoziert.

Mit ihrer Fixierung auf den Islam und Zugewanderte im Allgemeinen stiftet die AfD Unfrieden, verbreitet Misstrauen und untergräbt die Werte einer liberalen Gesellschaft. Die Partei ist Symptom und Katalysator der gesellschaftlichen Spaltung zugleich. Für ein friedliches Zusammenleben freier Bürger braucht es jedoch Toleranz und gegenseitiges Verständnis statt Ressentiments und Wut. Trotzdem sollten wir, statt enttäuschte Wähler für ihre Sorgen pauschal zu verurteilen, verloren gegangenes Vertrauen in Wort und Tat wiederherstellen.

Der Aufruf der AfD zum Rückzug in den vermeintlich schützenden Nationalstaat mag verlockend klingen – doch letztlich würde das uns allen schaden. Wir würden viele der Errungenschaften der letzten Jahrzehnte verlieren, die wir fatalerweise als selbstverständlich ansehen. Natürlich stellt uns die Zukunft vor Herausforderungen, vor ausgesprochen große sogar. Doch die AfD verweigert sich der Gestaltung und kämpft stattdessen gegen das Räderwerk der Zeit. Ihr Gesellschaftsbild schafft Trennlinien, schürt gegenseitige Abneigung und unterdrückt die Lebensweise anderer. Das darf in Deutschland nicht mehr passieren. Ebenso wenig sollten wir den Frieden in Europa aufs Spiel setzen, um eine falsch verstandene nationale Souveränität wiederherzustellen. Die AfD macht keinen Hehl aus ihren Absichten. Es soll keiner sagen, er hätte nichts gewusst.

Die neuen Konservativen

KOMMENTAR PRO

VON THORBEN KÖNIG

Spaltpilz? Extremisten? Saboteure? Bei genauerem Hinsehen sind die Vorschläge der AfD viel naheliegender, als manche unterstellen.

„Die Zukunft der Europäischen Union ist vor allem von den spalterischen Kräften der Rechtspopulisten gefährdet. Wer sich ein erfolgreiches, stabiles Europa wünscht, muss also bei seiner Wahlentscheidung von der AfD absehen.“

Warnungen wie diesen begegnen wir allenthalben. Im Fernsehen, auf Plakaten, im Internet und generell im öffentlichen Raum – in Österreich verhält es sich ähnlich mit der FPÖ. Abgesehen davon, dass der Vorwurf in Ermangelung hellseherischer Fähigkeiten kaum zu begründen ist, wendet er die gleiche Methode an, für die die AfD verteufelt wird: Stigmatisierung.

Die Forderungen der AfD werden pauschal in Verruf gebracht und nicht auf der Sachebene widerlegt, wie es angesichts ihrer unterstellten Absurdität ja leicht möglich sein sollte. Vielleicht liegt es daran, dass mehr dahinter steht als kruder Kauderwelsch von Ewiggestrigen und Globalisierungsverlierern?

Führen wir uns vor Augen, was Spitzenkandidat Jörg Meuthen gleich eingangs im Einmaleins-Interview betont:

„Europa ist für mich zunächst einmal der schönste, vielfältigste Kontinent überhaupt. Nirgendwo auf der Welt findet man auf so engem Raum so viele unterschiedliche Kulturen und eine solche Sprachenvielfalt. Ich wollte auf keinem anderen Kontinent leben.“

Klingt so jemand, der Deutschland, Deutschland über alles predigt?

Ideologisch versteht sich die AfD als konservative Partei. Sie kritisiert den Werterelativismus und „die komplette Beliebigkeit, in der wir heute leben”. Beides ist der Nachlass der 68er-Generation, von der Politik und Kultur bis heute durchsetzt sind. Stattdessen will sie den Menschen wieder etwas geben, worin sie kulturelle Geborgenheit finden können. Eines dieser Dinge ist die Heimat. Deutschland hat im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn ein ungutes Verhältnis zu sich selbst und seiner nationalen Identität. „Deutschland, verrecke“, skandieren junge Menschen auf Demonstrationen, während irgendwelche Grünen-Politiker nebenherlaufen. Das ist zwar angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit erklärbar, aber trotzdem ungesund. Die AfD dagegen hat ein positives Verhältnis zu Deutschland. Auch Deutsche dürfen ihr Vaterland lieben! Das ist kein Nationalismus und setzt keine anderen Völker herab. Es ist nur der natürliche Stolz auf unser Land und unsere Kultur.

Die EU ist in ihrer jetzigen Form eine Gefahr für diese Kultur. Durch die Grenzöffnung und den Zuzug von Menschen aus anderen Weltgegenden droht die europäische Identität und Kultur in die Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Politisch versucht die EU, Kompetenzen an sich zu reißen, die ihr gar nicht zustehen. Der EU-Zentralismus schränkt die Souveränität der Staaten zugunsten einer politischen Union ein. Der pragmatische Lösungsvorschlag der AfD: EU-Parlament abschaffen. Eine Institution, die sich ohne jede Rechtsgrundlage in die Angelegenheiten der Nationalstaaten einmischt, braucht auch keine scheinbar demokratische Vertretung. Für die Regelung des europäischen Binnenmarkts reichen die Kommission als Exekutive und der Ministerrat als Legislative aus. In anderen internationalen Organisationen klappt das ja auch.

Wirtschaftlich hat das zwanghafte Festhalten an „mehr Europa“ zu enormen Ungleichheiten geführt, die in niemandes Interesse sind. Die Einführung des Euro war nur die krasseste Verirrung einer verfehlten Politik. Heute haben die Südstaaten enorme Leistungsbilanzdefizite, während die Nordeuropäer über die Target2-Salden und gemeinsame Haftungen deren Schulden finanzieren. Dieser Zustand wird durch eine gemeinsame Währung nur verschlimmert. Die AfD hält dafür einen guten Lösungsvorschlag parat: die allmähliche Wiedereinführung der D-Mark. Das sorgt zuverlässig für eine stabile Wirtschaft.

Die Target-2-Salden sind eine Kennzahl, die die gegenseitigen Schulden nationaler Zentralbanken misst. Die deutsche Bundesbank weist hier eine positive Bilanz von knapp 1 Billion Euro aus, wohingegen ärmere Eurostaaten mit Hunderten Millionen in ihrer Schuld stehen. Die tatsächliche volkswirtschaftliche Relevanz der Target-2-Salden ist äußerst umstritten.

Im Gegensatz zu anderen Parteien ist für die AfD bei gewissen fragwürdigen Entwicklungen nicht alles eitle Wonne. Sie tritt wie keine andere Partei dafür ein, den Ursprungsgedanken der EU fortzuführen, nämlich die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern und so alte Konflikte und Erbfeindschaften hinter sich zu lassen. Wer die EU in der altbekannten Form, als Staatenbund und Wohlstandsgaranten, beibehalten und sich auf keine Wagnisse einlassen möchte, der wird wohl nicht umhin kommen, bei dieser Europawahl sein Kreuz bei der AfD zu machen.


Wahlkampfthemen

VON AMIRA WEISS

  • EU-Reform
  • Wirtschaft und Soziales
  • Migration und Integration
  • Außen- und Sicherheitspolitik
  • Klima und Energie

EU-Reform

Die AfD setzt sich für ein „Europa der Nationen“ ein und tritt einer weiteren Integration der EU-Mitgliedsstaaten entgegen. Das EU-Parlament möchte sie abschaffen, weil Gesetzgebung ein Privileg souveräner Nationalstaaten sei. Auch der Europäische Gerichtshof soll an Macht verlieren und zu einem internationalen Schiedsgericht werden. Insgesamt will sie die EU zu einer Wirtschaftsgemeinschaft mit zollfreiem Binnenmarkt umwandeln, in dem die Nationalstaaten absolute Hoheit über ihre Gesetze, Grenzen und Gerichte besitzen.

Für den Fall, dass diese Reformen nicht zeitnah durchsetzbar sind, fordert die AfD ein Referendum über die EU-Zugehörigkeit Deutschlands, in dem sie für den ‚Dexit‘ werben würde. Die Partei argumentiert, dass im Notfall nur ein Austritt die Entstehung eines europäischen Superstaats verhindern kann.

„Dexit“ ist ein Kunstwort aus „Deutschland“ und „Exit“ und bezeichnet einen möglichen Austritt Deutschlands aus der EU.

Wirtschaft und Soziales

Die AfD lehnt alle Formen der Besteuerung auf europäischer Ebene, eine europäische Arbeitslosenversicherung und ähnliche Maßnahmen ab. Die europaweite Personenfreizügigkeit belaste aufgrund des Wohlstandsgefälles in der EU den deutschen Sozialstaat, weshalb in Zukunft in erster Linie die Herkunftsländer für Sozialleistungen aufkommen sollten. Lohndumping durch Zuwanderung aus anderen EU-Staaten sei vorzubeugen.

Personenfreizügigkeit bezeichnet eine der vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts, die es EU-Bürgern fast einschränkungslos ermöglicht, in anderen EU-Staaten zu leben, zu studieren und zu arbeiten.

Die AfD fordert eine Entschlackung aller EU-Institutionen, um Bürokratie und Kosten zu verringern. Das EU-Budget und der deutsche Anteil daran sollen sinken.

Auf internationaler Ebene tritt die AfD entschieden für Freihandel ein, der auch die Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik sei. Exportsubventionen, zum Beispiel für landwirtschaftliche Produkte, seien wettbewerbsverzerrend und daher schrittweise zu streichen.

Euro

Die Gemeinschaftswährung Euro sieht die AfD als gescheitert an. Die Finanzhilfen für überschuldete Euro-Staaten seit 2010 betrachtet die AfD als illegale „monetäre Staatsfinanzierung“, weil die EZB damit effektiv Politik betreibe und Deutschland für die Schulden anderer Länder haftbar mache.

Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt ist der Angelpunkt der Euro-Politik. Sie kann über Kredite an kommerzielle Banken die Geldmenge beeinflussen und so auf die Inflation und die Zinsen einwirken. Mehr dazu in den Artikeln über den Euro und die Eurokrise.

Auf dieser Basis fordert die AfD die Wiedereinführung nationaler Währungen. So sollen alle EU-Staaten in Eigenverantwortung ihre Geldpolitik ihrer jeweiligen konjunkturellen Lage anpassen und ihre vermeintlich verlorene Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen können. Sie verspricht, dass eine starke D-Mark Importe billiger machen würde und so den Konsumenten zugutekäme.

Alle Begleitmaßnahmen der Einheitswährung wie eine europäische Bankenaufsicht oder eine europäische Einlagensicherung lehnt die Partei ebenso ab.

Bildung

Da die Harmonisierung der europäischen Bildungssysteme ein Irrweg sei, möchte die AfD zurück zu nationalen Leistungsstandards. So möchte sie unter anderem Bachelor und Master an deutschen Universitäten durch Diplom und Magister ersetzen. Ferner befürwortet sie eine Stärkung von Handwerksberufen und dualen Studiengängen.

Familie

Die AfD bekennt sich zum „klassischen Familienbild“ von Vater, Mutter und Kindern.

Dem Problem der überalternden Gesellschaft will sie statt durch Zuwanderung mit einer aktiven Familienpolitik begegnen und unter anderem Mehrkindfamilien fördern. Zugleich bemängelt die Partei die überproportionalen Geburtenraten in Familien mit migrantischem Hintergrund, die zu einer Verdrängung der deutschen Kultur führe.

Abtreibungen seien nur in absoluten Ausnahmefällen hinnehmbar, die Entscheidungsfreiheit sei dem Schutz menschlichen Lebens grundsätzlich unterzuordnen. Leihmutterschaften seien „bezahlter Kinderhandel“.

Migration und Integration

Die AfD befürchtet einen „Kulturabbruch“ der abendländischen Zivilisation und eine Marginalisierung der einheimischen Bevölkerung. Daher will sie die Zuwanderung so gestalten, dass die „Identität der europäischen Kulturnationen“ gewahrt bleibe.

Die AfD möchte den Nationen die vollständige Kontrolle über die Zuwanderung übertragen und lehnt ein europäisches Asylsystem und den UN-Migrationspakt kategorisch ab.

Der Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration ist eine internationale Vereinbarung, die von fast allen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (außer den USA, Österreich und einigen anderen Ländern) angenommen wurde. Die unterzeichnenden Länder geloben, Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen und sicherzustellen, dass die Menschenrechte Geflüchteter jederzeit und überall geachtet werden.

Kriegsflüchtlinge will sie nur auf Zeit aufnehmen oder in der Nähe der Heimat versorgen, während andere humanitäre Hilfe vor allem Sache der Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen sei. Die AfD fordert mehr Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern, die zur Voraussetzung für staatliche Entwicklungshilfe gemacht werden sollen. Außerdem soll der Grenzschutz Boote in Seenot wieder zurück in ihre Herkunftsländer eskortieren.

Den Islam begreift die AfD als totalitäre politische Ideologie, weshalb sie seine Symbole und die Glaubenspraxis im öffentlichen Raum weitgehend verbieten will.

Außen- und Sicherheitspolitik

Die AfD strebt ein „Europa der Vaterländer“ an, indem die Nationalstaaten ihre Außenpolitik gänzlich frei bestimmen können. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) und den Aufbau einer EU-Armee lehnt sie daher ab, da die NATO als Verteidigungsbündnis ausreiche. Die deutschen Verteidigungsausgaben will sie rasch auf 2% des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Gleichzeitig spricht sie sich für die Rücknahme der Sanktionen gegen Russland aus.

Das grenzenlose Europa bezeichnet die AfD als „Bedrohung für die innere Sicherheit“ und will daher das Schengen-Abkommen ändern, sodass Nationalstaaten wieder vermehrt Grenzkontrollen durchführen können.

Das Schengener Abkommen ist eine Vereinbarung unter den meisten EU-Mitgliedern (außer Großbritannien, Irland und einigen EU-Neulingen) sowie der Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein. Die beteiligten Länder verpflichten sich, allgemein keine Personenkontrollen an den Grenzen zu anderen Schengen-Ländern durchzuführen. Benannt ist das Abkommen nach dem Dorf Schengen in Luxemburg.

Klima und Energie

Die AfD bezweifelt, dass der Mensch einen ausschlaggebenden und vermeidbaren Beitrag zum Klimawandel leistet und verweist auf natürliche Schwankungen des Weltklimas.

Das Pariser Klimaschutzabkommen lehnt sie ebenso ab wie den Handel mit CO2-Zertifikaten in der EU, da Wirtschaft und Verbraucher durch höhere Energiepreise Schaden nähmen. Auch in der Energiepolitik sollen Nationalstaaten uneingeschränkte Entscheidungshoheit besitzen. Eine sichere Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen hält sie für ausgeschlossen und setzt stattdessen auf Erdöl, Erdgas, Kohle und vor allem Kernkraft. Den Bau der geplanten Gas-Pipeline „Nord Stream 2” in Zusammenarbeit mit Russland befürwortet die Partei.

Who is who

Jörg Meuthen: Der Parteichef und Spitzenkandidat für die Europawahl ist einer der letzten, die aus der Riege der Parteigründer verblieben sind. Als Wirtschaftswissenschaftler fand er über die Kritik an der Eurorettung zur AfD, arbeitete aber immer gut mit den radikaleren Strömungen in der AfD zusammen. Seine Professur an der Hochschule Kehl ruht derweil.

Alice Weidel: Weidel ist Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag. Sie arbeitete einige Jahre als Bankerin für Goldman Sachs in China, ehe sie ein Promotionsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung erhielt. Mit ihrer Lebenspartnerin, einer Filmproduzentin aus Sri Lanka, zieht sie zwei Söhne groß. Sie gibt an, ihren Wohnsitz kürzlich aus der Schweiz nach Deutschland verlegt zu haben.

Alexander Gauland: Der ehemalige CDU-Politiker floh in seiner Jugend aus der DDR, um Politik und Jura zu studieren. Nach anfänglichen Erfolgen in der hessischen CDU blieb dem schwer depressiven Gauland ein weiterer Aufstieg aber verwehrt. In der AfD profilierte er sich anschließend als Vertreter des rechtskonservativen Flügels. Heute ist Gauland zweiter Parteichef und zweiter Fraktionsvorsitzender im Bundestag.

Guido Reil: Der ehemalige Essener Stadtrat trat aus Protest gegen die Zuwanderungspolitik aus der SPD aus und in die AfD ein. Seine Aufgabe sieht er in der Verteidigung des Ruhrgebiets und seiner Arbeiterschaft vor Migration und der EU. Bei der Europawahl belegt er für seine neue Partei Listenplatz 2.

Bernd Höcke: Der ehemalige Geschichtslehrer aus Thüringen gilt als Vertreter des äußeren rechten Flügels der Partei. Dennoch entkam er nach extremen Äußerungen, unter anderem zur nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands, einem Parteiausschlussverfahren und gründete stattdessen einen radikalen Interessenverband innerhalb der AfD, den „Flügel“. Er ist nicht mit Björn Höcke zu verwechseln, der eine satirische Schöpfung der heute-show ist.