ÖVP

Chefsache Verantwortung

VON JOHANNES ALMASI-SZABO und CLEMENS MARIA PFLUGBEIL

Die Neue Volkspartei, wie die traditionsreiche Österreichische Volkspartei seit der Übernahme von Sebastian heißt, dominiert seit ihrer Neukonstitution 2017 das politische Geschehen in diesem Land. Mit ungewöhnlich raffinierter politischer Kommunikation und bemerkenswert lückenloser Disziplin in den eigenen Parteireihen hat Sebastian für eine türkis-fröhliche Unterbrechung der Depression einer zuletzt eher adynamischen schwarzen politischen Zweckgemeinschaft gesorgt.

Die Symptomatik dieser spätestens mit dem Abgang von Bundeskanzler und Parteichef Dr. Schüssel 2006 einsetzenden Depression wird häufig als eine demütigende Selbstverleugnung gesehen. Als Juniorpartner in einer – gegen Ende nicht mehr allzu – großen Koalition mit einer traditionell schwierigen SPÖ, die Demokratie mitunter gerne zu einem Geduldsspiel werden lässt, war Tagespolitik selten mehr als undankbare Sisyphusarbeit. Das kostet Argumentationskraft, Zeit und Popularität – beim Wahlvolk und auch innerhalb der Partei. Vier (!) Parteichefs in elf Jahren, die an ihrem fehlenden innerparteilichen Durchsetzungsvermögen scheiterten, waren genug.

Die Lehren daraus waren vielfältig: Wer auch immer diese Partei wieder zu Wahlerfolgen führen sollte, mussten Personaldebatten beenden, klare Strukturen schaffen, die Rolle des Bundesobmanns stärken. Oder anders gesagt: Innerparteiliche Differenzen sind lästig und unsexy, sachpolitischer Diskurs mühsam und Streiten unpopulär.

Der Mann, der das verstanden hat, ist Sebastian. Als ihm das politische Gezerre im Mai 2017 zu mühsam wurde, entledigte sich Sebastian des alten Parteichefs, Dr. Mitterlehner, und übernahm die ÖVP unter der Bedingung eines absoluten Durchgriffs- bzw. Vetorechts in inhaltlichen und personellen Entscheidungen – wohl der größte Traditionsbruch in der Nachkriegs-Parteigeschichte. Obwohl sich keine Partei über Nacht gänzlich umbauen lässt und die meisten vorgenommenen Veränderungen kosmetischer Natur waren, fand mit der kompromisslosen Fixierung auf Sebastian ein schwerer Eingriff in das Selbstverständnis dieser vielgestaltigen, obmannkritischen Gesinnungsgemeinschaft statt.

So übernahm die neue Volkspartei wenig überraschend (und ohne große Alternativen) die Regierungsverantwortung mit einer inhaltlich pflegeleichten FPÖ ein. Der sachpolitische Diskurs gestaltete sich sehr kuschelig, „wiederkehrende Einzelfälle“ ließen sich wegkommunizieren und gestritten wurde schon gar nicht. Immerhin: Der Preis für das Stillschweigen über blaue Faux-Pas waren einige lange überfällige Reformen, wenn sie auch nicht jedem weit genug gingen und mancher sie sogar gänzlich ablehnte. Nach jahrelangem rot-schwarzen Stillstand war das Reformtempo erfrischend, die Ruhe zuerst angenehm, aber bald verdächtig.

Nach dem Wegfall des blauen Koalitionspartners, bedingt durch einen weiteren, diesmal leider unentschuldbaren „Einzelfall“ auf Ibiza, ließ sich die SPÖ, zumindest laut ÖVP, von Missgunst treiben, von Eigeninteressen leiten. Nachdem das Parlament bestimmte und dem jungen Kanzler das Misstrauen aussprach, wird aber das Volk entscheiden – nun zum zweiten Mal vor regulärem Ende der Legislaturperiode. Politisch akkordierte Tatkraft braucht endlich wieder stabile Mehrheiten – und Österreich: seinen Kanzler!

Chefsache Österreich

WAHLKAMPFTHEMEN
  • Steuer- und Standortpolitik
  • Migration
  • Sicherheit & Rechtsstaat
  • Identität & Bildung
  • Umwelt

Steuer- und Standortpolitik

Die Einkommensteuer auf Einkommen in der ersten Tarifstufe in der Höhe von 11.001 Euro bis 18.000 Euro soll ab 2021 von derzeit 25 Prozent auf 20 Prozent gesenkt werden. 2022 sollen die weiteren Einkommen bis 60.000 Euro ebenfalls spürbar entlastet werden. Das Volumen der jährlichen Entlastung betrüge dann 3,9 Mrd. Euro.

Der Familienbonus ermöglicht denjenigen Eltern, die Anspruch auf den Bezug von Familienbeihilfe haben und über ein gewisses Einkommen verfügen, eine Steuerentlastung von bis zu 1.500 Euro jährlich pro Kind. Die Mehrentlastung der ganz oder teilweise profitierenden Familien beträgt 1,2 Mrd. Euro jährlich.

Die Körperschaftsteuer soll gesenkt, Klein- und Kleinstbetriebe mittels erweiterter Steuerabsetz- und Freibeträge bedacht werden.

Migration

Sebastian stellt die Analyse, die Gesellschaft habe sich durch Migration und Zuwanderung massiv verändert. So möchte die ÖVP auch nach der Nationalratswahl ihren restriktiven Kurs in Asyl- und Integrationsfragen fortführen. Illegaler Migration soll mit effektiver Sicherung der Außengrenzen der EU ein Ende gemacht werden. Bei den Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention soll Minimalspur gefahren werden. 

Sicherheit & Rechtsstaat

Die ÖVP bekennt sich zum liberalen Rechtsstaat. Der politische Islam passt ihrer Meinung nach nicht in dieses Konzept und soll daher verboten werden. An einer starken Polizei ist die ÖVP traditionell sehr interessiert, eine unabhängige Behörde zur Untersuchung von Polizeigewalt wäre eine Verschwendung von Steuergeldern.

Die ÖVP stellt auch die Sicherheit der Bürger oftmals über die Privatsphäre. So wurde in der Regierung eine Sicherheitspaket durchgesetzt, welches den Zugriff auf Überwachungskameras ohne richterlichen Beschluss, verdachtsabhängige Ortung von Handys und die Überwachung von Nachrichtendiensten ermöglicht. Außerdem fordert die ÖVP das Ende von anonymisierten Postings im Internet, um es aus dem Status eines rechtsfreien Raums zu holen.

Für Empörung sorgte Sebastian zuletzt, als er die Bedeutung des Bundesheeres in seiner Funktion als wehrfähiger Militärkörper relativierte. 

Identität & Bildung

Die ÖVP möchte „Maßnahmen setzen, um die österreichische Identität zu bewahren“. Das „Fortführen christlicher Traditionen“ mit Kreuz in jedem Klassenzimmer gehört ebenso dazu, wie Deutschförderklassen und ein Kopftuchverbot in der Schule. Vorstellen kann sich Sebastian die Einführung eines Schulfachs namens „Staatsbürgerschaftskunde“.

Umwelt

Klimapolitik muss zur Chefsache werden. Die ÖVP bekennt sich zur Einhaltung der im Pariser Abkommen definierten Klimaziele und möchte, wie von der EU vorgesehen, die jährlichen Treibhausemissionen bis 2030 auf ein Volumen von 36 Prozent weniger gegenüber 2005 reduziert sehen. Außerdem wünscht sie sich gänzliche CO2-Neutralität bis 2045, eine CO2-Steuer sei dafür aber nicht notwendig.

Chefsache Contra

 „Für diese inhaltlichen Erfolge war ich bereit, viel auszuhalten, viel in Kauf zu nehmen. Vom Rattengedicht über die Nähe zu radikalen Gruppierungen bis hin zu immer wieder auftauchenden Einzelfällen. Auch wenn ich es nicht immer öffentlich gesagt habe: Sie können mir glauben, das war oft persönlich nicht einfach.“

Sebastian

„Ein Politiker muss auch mutig sein. Er darf nicht zu selbstverliebt sein und muss auch für bestimmte Grundsätze, die er in sich trägt, bereit sein, geradezustehen; einfach pointiert und profiliert auch nach außen gegen den Widerstand von mancher Öffentlichkeit oder der Öffentlichkeit aufzutreten. Denn wenn das nicht der Fall ist, dann kann sich kein pointierter Dialog entwickeln; und eine Demokratie ohne Dialog ist auf eine Ebene gerutscht, wo es gefährlich um diese Demokratie wird.“

Dr. Erwin Pröll

Alles gesagt. Die neue Volkspartei beweist mit dem überragenden Erfolg ihrer Politik die demokratische Tragödie unserer Zeit: Es ist nicht nur wichtiger, den Bürgern das Gefühl zu geben, Ihre Ängste und Sorgen zu verstehen, als zu versuchen, diese mit Inhalten zu lösen. Sondern vielmehr sollte man sich zu möglichst wenigen Inhalten bekennen, um keinem potenziellen Wähler die Identifikation mit der Partei zu verwehren. Da hilft es auch nicht, eine gespielte Bodenständigkeit zu verkörpern, indem man jedem dahergelaufenen Schüler bei Veranstaltungen das Du-Wort anbietet, lieber Sebastian! 

Wie man mit den Ängsten der Bürger umgeht, stellt Personen in Machtpositionen vor eine wegweisende Entscheidung: Entweder man versucht, Lösungen für diese Ängste zu schaffen und sie durch wohlwollende Rhetorik in Einklang mit der Realität zu bringen. Oder man schlachtet sie zum eigenen Vorteil aus und nimmt eine Polarisierung der Gesellschaft und die gezielte Benachteiligung einer sowieso schon schwachen Bevölkerungsgruppe in Kauf, um den eigenen Machthunger zu stillen.