NEOS

Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal

VON EUGENIE DESMEDT & EMMANUEL PETTER

Wien, 2013. In der NEOS Parteizentrale, die noch nicht viel mehr ist als ein weißer Raum mit vielen pinken Plakaten, wird gejubelt. Man sprach von frischem Wind in der Politik und einem klaren Auftrag der Bürger. Der Optimismus war mit den Händen greifbar. Was ist aus der pinken Partei geworden?

Wien, 2019. Sechs Jahre sind seit dem Sprung der NEOS ins österreichische Parlament vergangen. Die NEOS haben einen steinigen Weg hinter sich. Man könnte sagen, die junge, vielseitige Partei mit der ungenierten Farbe und den flotten Sprüchen ist erwachsen geworden. Sie musste schmerzlich erfahren, dass konstruktive Oppositionsarbeit nicht immer die Anerkennung erhält, die sie vielleicht verdienen würde. Obwohl sich sprühende Zukunftsfreude teils zu hartem Realismus wandelte, blieb das liberale Rückgrat der NEOS intakt. Als selbsterklärte Kraft gegen den Populismus und als glühende Pro-Europäer haben die NEOS von ihrer Tatkraft nichts eingebüßt.

Die liberale Bewegung, die Kraft der Mitte oder gar eine verloren gegangene Werbeagentur: die NEOS wurden schon als vieles bezeichnet. Kein Ausdruck trifft sie aber richtig. Das liegt vielleicht auch daran, dass es am liberal geprägten Kompass nicht immer nur ein Norden gibt. Die von Pragmatismus, Systemkritik, Kompromissbereitschaft, kompetitiven Wirtschaftsliberalismus und der Vision von den Vereinigten Staaten von Europa geprägte Parteidynamik ist schwer auf ein Wort herunterzubrechen. Die NEOS sind eine junge Partei, die noch dabei ist, sich in der Politiklandschaft zu behaupten, ihre Nische zu finden. Aber sie sind auch eine Partei, die keine Angst hat, Fehler zu machen und zuzugeben. Eine Partei, die sich ihrem Ziel der lösungsorientierten Politik mit Leib und Seele verschrieben hat.

Wahlkampfthemen

  • Umweltschutz
  • Autonomie im Bildungswesen
  • Einkommensteuern senken
  • Sanktionierung von Diskriminierung und Rassismus
  • Transparenz

Wirtschaftliche Anreize zum Umweltschutz

Umwelt und Nachhaltigkeit sind, befeuert durch die jugendliche Bewegung des letzten Jahres, zu einem der Hauptthemen des Wahlkampfes 2019 geworden. Als liberale Partei gehen die NEOS, wenig überraschend, von einer wirtschaftlichen Seite an die Problematik heran. Steuerliche Lenkungsmechanismen sollen der Bevölkerung wirtschaftlicher Anreiz zu umweltschützendem Verhalten sein. In erster Linie geht es dabei um die oft erwähnte CO2-Steuer, etwa auf Diesel, Benzin und Kerosin. Sie soll bereits existierende Steuern wie z.B. die NOVA, die KFZ-Steuer und Mineralölsteuer vereinen und so das “Polluter-Pays-Prinzip” stärken. Ferner soll ein sogenanntes Ampelsystem eingeführt werden, nach dem herkömmliche Produkte auf deren Verpackungen mithilfe von Farbkodierungen bezüglich ihrer Nachhaltigkeit beurteilt werden.

Laut dem “Polluter-Pays-Prinzip” hat die Kosten der Vermeidung oder Beseitigung einer Umweltbelastung ausschließlich derjenige zu tragen, der für ihre Entstehung verantwortlich ist.

Die NEOS machen sich auch für den Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln stark. Verglichen mit dem motivierten, aber doch vielleicht etwas realitätsfernen Idealismus der Grünen haben die NEOS ein beeindruckendes Konzept auf die Beine gestellt. Die NEOS verstehen, dass unsere Gesellschaft, ihr Wohlstand und Fortschritt von einer funktionierenden Wirtschaft abhängt. Ein Verhaltenswandel in der Bevölkerung, wie für viele Klimafragen notwendig, kann daher nur mit den richtigen wirtschaftlichen Ansätzen erreicht werden.

Kommentar: Nichts Neues unter der Sonne

Schon vor 10 Jahren (und damit anscheinend vor dem kollektiven Gedächtnis der NEOS) wurde die CO2-Steuer, die die NEOS jetzt so stolz als ihre hauseigene Lösung zur Klimakrise verkaufen, sowohl auf europäischer als auch auf österreichischer Ebene diskutiert. Damals hat sie sich aber nicht durchgesetzt, und das aus gutem Grund: Die Steuer trifft einkommensschwache Haushalte stärker. Wenn das Heizöl erst einmal teurer wird, sind es nicht die Haushalte mit wasserbetriebener Fußbodenheizung und perfekt isolierten Fenstern, die das als Erste zu spüren bekommen. Natürlich betonen auch die NEOS gerne, die Umsetzung solle “sozialfreundlich” verlaufen. Wenn man sich allerdings die sonstige Linie der NEOS vor Augen führt, ist klar, dass die Prioritäten woanders liegen.

Autonomie im Bildungswesen

Mit ihrem Programm wollen die NEOS das alteingesessene Bildungswesen entstauben und das Land zukunftsfit machen. Eine der zentralen Forderungen ist die Aufwertung des Lehrerberufes. Dazu soll eine bessere Ausbildung, höheres Gehalt und die Förderung des Einstiegs von Profis aus der Praxis in den Lehrberuf beitragen. Der Einsatz von mehr Sozialarbeitern und Psychologen an den Schulen soll Lehrern ermöglichen, sich mehr auf den Unterricht konzentrieren zu können. Wenn einzelne Schulen mehr Autonomie in Personalauswahl und Fächerwahl hätten, würden sich die besten Systeme im Wettbewerb durchsetzen. So könnten sich Schüler besser auf ihre Interessen und Talente fokussieren, die von darauf spezialisierten Schulen besser gefördert würden. Direktoren und Lehrer sollen ein Gehalt bekommen, das sich am Erfolg der Schüler bei bundesweiten Vergleichen orientiert. Das soll dem Schulpersonal zusätzlich Motivation sein, die beste Leistung im Sinne der Schüler zu erbringen. Im Hochschulbereich sollen Einrichtungen frei über die Anzahl der zugelassenen Studenten und über mögliche Studiengebühren entscheiden können. Das soll von einem Ausbau der Studienbeihilfe und Leistungsstipendien begleitet werden, um Leistbarkeit für alle sicherzustellen. Neben einem Sockelbetrag, der an die Studentenzahl gekoppelt wird, soll die restliche Budgetvergabe kompetitiv erfolgen: Wissenschaftlich hochwertige Projekte sollen mehr Geld bekommen. Schließlich sollen Maßnahmen wie z.B. ein Ausbau der Lehre mit Matura oder die Finanzierung von Meisterkursen durch die öffentlich Hand die Lehre aufwerten.

Kommentar: Mach ma a Revolution, damit a Ruah ist

Die Vorschläge der NEOS würden einen radikalen Umbruch für das österreichische Bildungssystem bedeuten. Durch solch tiefgreifende Änderungen entstünden schnell relativ viele Baustellen und Probleme, mit denen man jetzt noch gar nicht rechnen kann. Einer der Punkte, die unbeantwortet bleiben, ist die Umsetzung der Schulautonomie im Lehrplan. Soll es weiterhin einen österreichweit einheitlichen Lehrplan geben? Würde durch die Schulautonomie die erst vor kurzem eingeführte Zentralmatura wieder obsolet, weil überall etwas anderes gelehrt würde? Würde es wieder zusätzlich verunmöglicht, Schulabschlüsse zu vergleichen? Würden die besten Lehrer bei den besten Schulen landen und damit die soziale Mobilität untergraben? Der Ruf nach einem freien Markt in jedem Lebensbereich kann auch zu weit gehen, wenn er ein angeblich noch größeres Anliegen der NEOS untergräbt: dass jedes Kind gleichwertigen Zugang zur Bildung haben soll. 

Einkommensteuern senken

Obwohl die Wirtschaft in diesem Wahlkampf weniger medienwirksam diskutiert wird, ist sie doch ein Kernthema der NEOS. Die zentralste Forderung ist die Reduktion der Einkommensteuer. Dabei sprechen sich die NEOS für das Steuermodell der Industriellenvereinigung aus. Die Staatsschulden sollen nicht mehr erhöht, sondern langfristig abgebaut werden. Der Ausfall an Staatseinkünften soll durch eine Ansammlung von Strukturreformen ausgeglichen werden, wie zum Beispiel ein höheres Pensionsantrittsalter für Mann und Frau oder Privatisierungen in den Bereichen der Energie, Telekom und des Schienenverkehrs. Ferner sollen Unternehmensgründungsgebühren sinken und Ladenschlussbestimmungen aufgehoben werden. Eine solche Kultur, die Unternehmertum positiv gegenübersteht, Steuerbegünstigungen von Arbeit oder die Förderung individueller Verantwortung würden unserem Land guttun.

Kommentar: Weniger ist nicht immer mehr 

Die NEOS werden nicht müde zu betonen, die Wirtschaft solle für die Menschen da sein soll und nicht umgekehrt. Wenn man sich das Programm allerdings genauer ansieht, verkommt dieses Mantra doch zur leeren Phrase. Eine Privatisierung des Schienenverkehrs würde zwar ohne Zweifel viel Geld bringen, doch wenn man sich z.B. das Bahnsystem in England vor Augen hält (Stichwort: 45 Euro für eine einstündige Fahrt, ohne W-LAN), scheint sich der Mehrwert für die Menschen doch eher in Grenzen zu halten. Ähnlich verhält es sich mit den meisten anderen Forderungen aus dem Flickenteppich der Einsparungen und Kürzungen, die den NEOS vorschweben. Der Durchschnittsbürger profitiert keineswegs.

Sanktionierung von Diskriminierung und Rassismus

Für die NEOS ist und bleibt Österreich ein Einwanderungsland. Anstatt Zuwanderung zu bekämpfen, solle man sich auf eine erfolgreiche Integration konzentrieren. Eine Integration, die von den Zuwanderern auch nicht die Aufgabe der eigenen kulturellen Identität verlange. Auf lange Sicht müsse ein gesamteuropäisches Asylsystem geschaffen werden, durch das jedes Land gerechte Aufnahmequoten erhält. In diesem Kontext sprechen sich die NEOS auch für ein wohnsitzgebundenes Wahlrecht aus (gegebenenfalls mit Mindestaufenthaltsdauer), ebenso wie für Chancengleichheit bei Schul- und Kindergartenplätzen und Lehrabschlüsse für Asylwerber. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssten sanktioniert werden, um einem erfolgreichen Integrationsprozess nicht im Wege zu stehen. Die Partei erkennt nachhaltige Klima- und Bildungspolitik als besten Bekämpfer von Fluchtursachen und packt so das Problem an der Wurzel. 

Kommentar: Europa ist die Antwort. Was war die Frage?

Fast jede Partei nimmt in der Flüchtlingsfrage erst einmal die EU in die Pflicht, bevor sie beantwortet, was der Staat Österreich tun solle. Ein gerechter europäischer Verteilungsschlüssel ist in der Praxis nur schwer zu erreichen. In der Migrationsfrage kommt von den NEOS nur utopisches, europäisches Gerede anstelle realistischer, nationaler (und damit durchsetzbarer) Lösungsvorschläge.

Parteien und Politik transparenter machen

Im ORF-Sommergespräch zeigte sich “Transparenz” als Lieblingswort der NEOS. Während andere Politiker nur “Show, Show, Show” abliefern würden, finden die NEOS, dass es an der Zeit ist, im Sumpf der österreichischen Innenpolitik aufzuräumen und ehrlich und offen zu agieren. Nicht nur die Finanzierung von Parteien, Abgeordneten und ihren Ausgaben soll offengelegt werden. Die NEOS fordern auch mehr Transparenz bei Nebentätigkeiten von Abgeordneten, Unternehmensbeteiligungen und Vereinsmitgliedschaften. Zusätzlich soll die Verwendung öffentlicher Mittel für Aufträge, Förderungen und Inserate öffentlich gemacht werden. NEOS gehen hier mit gutem Beispiel voraus: Die Partei hat jede Spende auf ihrer Website veröffentlicht (ab EUR 3.500 sogar mit Namen) und dem Rechnungshof gemeldet (im Gegensatz zu anderen Parteien). Die kürzlich eingeführte Spendenobergrenze lehnen sie ab, da sie vor allem kleinere Parteien treffe, die anders als etablierte Parteien mehr auf private Finanzierungsarten angewiesen seien. Ferner fordert die pinke Partei einen Verhaltenskodex (“Code of Conduct”) für Politiker, der über die Gesetze hinaus Abgeordnete und Funktionäre zu ethischem Verhalten mahnt.

Kommentar: Ein teurer Dankesbrief 

Was für eine Beziehung entsteht zwischen einer Partei und einem Großspender, wenn eine hohe Geldsumme eintrifft? Dass dieser Großspender dann für seine Großzügigkeit höchstens einen Dankesbrief bekommt, wie Parteichefin Meinl-Reisinger meint, scheint nicht sehr glaubhaft. Ob sich während einer möglichen Regierungsbeteiligung die Gesetzesarbeit an der Großspendertabelle vorhersagen lässt, wird sich weisen – Transparenz hin oder her.