Pilz war gestern, JETZT ist heute
VON BENEDIKT HANSA
Unter einem neuen Namen tritt die Überraschung der Nationalratswahl 2017 auch zwei Jahre später wieder an. Die Geschichte der Liste JETZT ist eng mit jener der Grünen verwoben. Denn für die jüngste Partei im Nationalrat begann alles am 25. Juni 2017, am 38. Bundeskongress der Grünen. Die Mitglieder der grünen Partei wählten Kandidaten für die Bundesliste der Nationalratswahl. Es kam zum Eklat: Peter Pilz – ein grünes Urgestein, bekannt für seine Aufdeckerollen in verschiedenen Untersuchungsausschüssen der letzten Jahrzehnte – verlor eine Kampfabstimmung um den vierten Listenplatz gegen Julian Schmid und sollte stattdessen am sechsten Platz in die Wahl ziehen.
Darauf verzichtete Peter Pilz jedoch und gründete stattdessen lieber eine eigene Liste. Der Rest ist Geschichte: Es wanderten so viele Grün-Wähler zu Pilz und der SPÖ ab, dass die Grünen nicht genug Stimmen für den Einzug in den Nationalrat erreichten. Es schien als sei Peter Pilz am Ziel angelangt: wieder im Nationalrat, um seine Arbeit als „Aufdecker der Nation“ fortzusetzen. So kam es dann aber doch nicht.
Nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung einer Mitarbeiterin des grünen Parlamentsklubs gegen Peter Pilz verzichtete dieser ursprünglich auf sein Nationalratsmandat. Wenige Monate später (Anfang 2018) kehrte er doch wieder in den Nationalrat zurück – unter heftiger Kritik der Abgeordneten anderer Parteien. Im Mai desselben Jahres wurden die Ermittlungen eingestellt, zum Teil auch wegen Verjährung. Die Vorwürfe scheinen aber trotzdem einen Fleck auf der weißen Weste des Aufdeckers Peter Pilz hinterlassen zu haben: Im Vertrauensindex belegt er meist die hinteren Plätze, derzeit nur knapp vor Herbert Kickl. Aufgegeben hat ihn seine Liste dennoch nicht: Statt der Parteiobfrau Maria Stern schickt JETZT Peter Pilz wieder auf Platz eins der Liste in den Wahlkampf.
Während die Partei 2017 mit dem Einzug in den Nationalrat einen großen Erfolg feierte, ging es von da an bergab. Zuerst die Belästigungsvorwürfe gegen Pilz, dann wurde ein Mitglied des Parlamentsklubs ausgeschlossen. Offiziell wegen der Weitergabe sensibler Informationen, inoffiziell wegen ihrer Weigerung, für Peter Pilz auf ihr Mandat zu verzichten. Während die Liste JETZT bei Landtagswahlen nicht antrat, wurde im Mai 2019 der Versuch unternommen, mit einem anderen ehemaligen Grünen, Johannes Voggenhuber, ins Europaparlament einzuziehen. Der Plan ging nicht wirklich auf: Nur etwa ein Prozent der Wählerstimmen entfielen auf die von ihm gegründete Liste EUROPA JETZT.
Anders als beispielsweise die Parteigründungen der NEOS oder der Grünen geht die Parteigründung der Liste JETZT nicht auf eine kleine oder größere Bewegung oder Stimmung in der Bevölkerung zurück. Parteipositionen basieren nicht auf durchdachten und umfangreichen Politik-Konzepten, sondern konzentrieren sich auf eine Reihe (vielleicht auch etwas populistischer) Kernforderungen und ihren Parteigründer. Es liegen beispielsweise keine umfassenden Steuer-, Pensions- oder Pflegekonzepte vor.
Zuletzt weigerten sich drei Abgeordnete der Liste JETZT, durch ihre Unterschriften das erneute Antreten der Partei bei den Nationalratswahlen zu ermöglichen (wozu sich schließlich erst der wilde Abgeordnete Efgani Dönmez erbarmte). Ob es am 29. September zu einem Ende der Misere für JETZT kommt, ist fraglich. Die Partei rangiert bei etwa zwei Prozent in den Umfragen (vier sind in etwa notwendig, um in den Nationalrat zu kommen). Ganz unmöglich ist das freilich nicht.
Wahlkampfthemen
- Steuerliche Bevorzugung von Biofleisch
- Erbschaftsteuer
- Parteienförderung
- Impfpflicht
Steuerliche Bevorzugung von Biofleisch
Für die Liste JETZT ist eines klar: Wir essen zu viel herkömmlich erzeugtes Fleisch. Um dem entgegenzuwirken will sie die Mehrwertsteuer auf Fleisch von 10 auf 20 Prozent erhöhen, was einer Mehrbelastung von etwa 51 Euro pro Haushalt und Jahr entspricht. Die daraus lukrierten 200 Millionen Euro Mehreinnahmen an Steuergeld sollen österreichischen Biobauern zur Verfügung gestellt werden. Einzige Ausnahme der Erhöhung der Mehrwertsteuer: Bio-Fleisch.
Kommentar: Bio-Fleisch ist teuer
Fleisch. Ja, wir essen zu viel davon und es verursacht einen beachtlichen Teil der Treibhausgas-Emissionen des Menschen. Man könnte nun, wie es die Liste JETZT will, auf Fleisch und jedes andere klimaschädigende Produkt eine eigene Steuer erheben. Viel sinnvoller und deutlich effizienter wäre es jedoch, generell CO2-Emissionen zu besteuern. Die Teuerung würde kreative Köpfe auf der ganzen Welt dazu veranlassen, nach Wegen zu suchen, den Ausstoß von Treibhausgasen bei Fleischprodukten zu vermindern. Ob die Erhöhung der Mehrwertsteuer sozial verträglich vonstatten ginge, ist ebenfalls fraglich.
Erbschaftsteuer
Während die SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner ihre ureigene Forderung zur Erbschaftsteuer zuerst aufgegeben und dann kurz vor der Wahl doch wieder für sich entdeckt hat, eiert die Liste JETZT bei dieser klassisch linken Forderung nicht herum. Nach ihrem Vorschlag soll jeder Erbe nach einem Freibetrag von 500.000 Euro einen gewissen Prozentsatz seines Erbes an den Staat zahlen. Also eine deutlich niedrigere Grenze als sie zum Beispiel die Sozialdemokratie verfolgt. Je mehr geerbt wird, umso mehr soll gezahlt werden. Genaue Steuersätze verschweigt die Liste aber.
Kommentar: Das Problem ist nicht Reichtum, sondern Armut
Die Vermögen in Österreich sind vor allem wegen des Hangs der Österreicher zur Miete ungleich verteilt (Eigenheime machen einen Großteil der Vermögen aus). In vielen Ländern Europas zeigt sich: Je weiter der Sozialstaat ausgebaut, desto ungleicher die Vermögen. Das sieht man auch in Ländern wie Deutschland und Schweden. Eigentum ist ein wichtiges Mittel gegen Altersarmut; kann ich mich aber auf den Sozialstaat, das Pensions- und Gesundheitssystem verlassen, muss ich nicht privat vorsorgen. Das Problem ist nicht Reichtum, sondern Armut. Der Staat muss den Menschen endlich wieder die Mittel in die Hand geben, um sich das eigene Vermögen aufzubauen.
Die Erbschafts- und Schenkungssteuer wurde deshalb nicht mehr neu eingeführt, weil die Verwaltungskosten hoch und die Einnahmen minimal waren (2005 brachte sie etwa 150 Millionen Euro ein; seit 1980 machte sie durchschnittlich 0,2–0,3 Prozent der staatlichen Einnahmen aus). Die Forderung einer Erbschaftssteuer ist also nicht mehr als klassenkämpferische Rhetorik und reine Ablenkung vor der Unfähigkeit des Staats, einen ausgeglichenen Haushalt zu führen.
Parteienförderung
Die Liste JETZT fordert nichts weniger als die Halbierung der Parteienförderung. Mit den freigewordenen Mitteln soll die Kinderarmut bekämpft werden.
Kommentar: Auch Halbierungen können halbe Sachen sein
Die Liste JETZT stimmte gemeinsam mit SPÖ und FPÖ im Nationalrat für eine Reihe von Vorschlägen zur Beschränkung von privaten Wahlkampfspenden und härteren Strafen bei Überschreitungen der Wahlkampfkostenobergrenze. Der Rechnungshof kann aber weiterhin nicht kontrollieren, Umgehungskonstruktionen über Vereine sind nach wie vor möglich. Wenn man öffentliche Parteienförderungen halbiert, macht man private Großspenden und Umgehungskonstruktionen umso attraktiver. Wer sich eine starke Demokratie wünscht, muss auch bereit seien, für ihre Hauptdarsteller, die Parteien, zu zahlen.
Impfpflicht
Impfungen sind ein Wunder der modernen Medizin. Krankheiten wie die Pocken konnten durch Impfprogramme der WHO auf der ganzen Welt ausgerottet werden. Das Ende der Masern hatte die WHO für 2010 angekündigt, das Ziel wurde allerdings verfehlt: In den letzten Jahren gab es immer wieder Schlagzeilen zu neuen Masernwellen in Österreich. Deswegen fordert die Liste JETZT als einzige unter den im Nationalrat vertretenen Parteien eine Impfpflicht. Saftige Geldstrafen sollen folgen, wenn sich jemand weigert, sich selbst oder ein Kind impfen zu lassen. Dadurch erhofft sich die Partei eine höhere Impfungsrate und in weiterer Folge die Ausrottung weiterer Krankheiten.
Kommentar: Gut gemeint ist nicht gut gemacht
Impfen ist eine Sache der Solidarität. Wer seine Kinder nicht impfen lässt, riskiert die Infektion (und im schlimmsten Falle den Tod) jener, die aufgrund von Alter oder Gesundheitszustand nicht geimpft werden können. Ohne Zweifel muss eine Impfrate über 95 Prozent das erklärte Ziel sein. „Wir haben gemerkt, dass alles, was mit Zwang behaftet wird, aus Skeptikern Gegner macht. Sie gehen dann nicht mehr zum Arzt und fallen gänzlich aus dem Gesundheitssystem“, so Rudolf Schmitzberger, Leiter des ÖAK-Impfreferats. Viel sinnvoller wäre es deswegen, Anreize zu setzen, um die eigenen Kinder freiwillig impfen zu lassen. Regelmäßige Erinnerungen, umfassende Bildung oder ein übersichtlicher, digitaler Impfpass wären ein Anfang.