FPÖ

Ein Kompromiss zwischen Staat und Bürger

VON CHRISTOPHER DEJACO UND BERTRAM RANFTL

Die FPÖ sorgte in jüngster Vergangenheit für unzählige negative Schlagzeilen. Doch ein Verweis auf Ibiza und allzu polarisierende Parteigänger sollte für den mündigen politischen Beobachter nicht Grund genug sein, sich mit der FPÖ nicht ideologisch und inhaltlich zu befassen. Versuch einer Analyse jenseits der Klatschspalten.

Die Bilanz der türkis-blauen Regierung: überwiegend Harmonie, Reformtempo, und Gestaltungswille. Aber auch Demonstrationen, Untersuchungsausschüsse, ein Skandal-Video und Neuwahlen. Die Mühlen der österreichischen Innenpolitik haben während der letzten zwei Jahre wahrlich einen Zahn zugelegt. Wer das konstante Feilschen der rot-schwarzen Legislaturperioden gewohnt war, durfte sich seit der letzten Nationalratswahl über einen gänzlich „neuen Stil“ freuen oder ärgern.

Im Zuge dieses Wahlkampfes versucht die FPÖ, Stimmen jener Menschen zu gewinnen, die mit der Regierungsarbeit der letzten Legislaturperiode zufrieden waren. Sie versucht glaubhaft zu machen, der Ibiza-Skandal und alle damit einhergehenden Verwicklungen seien keinesfalls Probleme der Partei, sondern ein einmaliger Fehltritt ihres ehemaligen Parteiobmanns, der die notwendigen Konsequenzen gezogen habe. Zur Wiederholung: Nach einem publik gewordenen Video, das den Vizekanzler, Heinz-Christian Strache, und den geschäftsführenden Klubchef der Freiheitlichen, Johann Gudenus, in einen politischen und zweifelsohne moralischen Skandal verwickelt hatte, kündigte Bundeskanzler Sebastian Kurz am 18.5.2019 die türkis-blaue Koalition auf. Das Video zeigt Strache und Gudenus vor der Nationalratswahl 2017 in einer Finka auf Ibiza mit einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte. Sie verhandeln über illegale Parteispenden, die Beeinflussung unabhängiger Medien und die korrupte Verleihung von Staatsaufträgen.

Zusätzlich versucht die FPÖ die Wähler davon zu überzeugen, dass eine Neuauflage von Türkis-Blau nur durch eine Stimme für die FPÖ möglich sei. Denn die ÖVP, so sie denn stark genug aus der Wahl hervorgehe, koaliere auch gerne mit anderen Parteien.

Zu verstehen, was hinter der blauen Partei steckt, ist kein Leichtes. Wer Polarisierung und Skandale als einzige relevante Merkmale der Partei-DNA voraussetzt, verkennt die Gründe der Wahlerfolge von 26 Prozent bei der Nationalratswahl 2017 und fast 20 Prozent bei den EU-Wahlen – trotz Ibiza.

Egal, ob Jörg Haider, Heinz-Christian Strache, Norbert Hofer oder Herbert Kickl – das ideologische Fundament freiheitlicher Politik hinter den populistischen Zuspitzungen ist der Konservatismus. Konservativ. Ein Adjektiv, hinter dem mehr steckt als ein vermeintlich rückwärtsgewandtes Weltbild.

Haider löste den früheren Obmann Norbert Steger in einer Abstimmung 1986 ab, woraufhin Bundeskanzler Vranitzky die rot-blaue Koalition aufkündigte. Mit dem nationalistischen Flügel der FPÖ wolle er nicht regieren. Haider wurde 1989 Landeshauptmann Kärntens und bescherte der FPÖ im Laufe der Jahre immer größere Wahlerfolge. 1999 erzielte die FPÖ ihren bisherigen Spitzenwert bei Nationalratswahlen mit fast 27 Prozent. Sie geriet danach aber im Zuge der ersten schwarz-blauen Regierung unter die Räder, woraufhin sich Haider 2005 abspaltete und eine neue Partei, das BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich), gründete. 2008 verstarb er bei einem Autounfall.

“Konservatismus ist nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt.”

Albrecht Erich Günther

Generell haben Konservative ein skeptisches Menschenbild. Sie sehen den Menschen also grundsätzlich als unvollkommen und fehlbar. Deshalb braucht es Sitten, Werte, Traditionen und kulturelle Gepflogenheiten, mittels derer erst eine Gemeinschaft geformt werden kann, in der der Mensch aufgehen kann. Dieser Konsens zieht sich durch das Denken konservativer Theoretiker wie Thomas Hobbes, Edmund Burke, Juan Donoso Cortez und Joseph de Maistre. Progressive sehen die Welt eher vom Ideal abwärts und versuchen stetige Veränderung in der Hoffnung auf mögliche Verbesserung zu legitimieren. Konservative sehen die Welt vom Chaos aufwärts und stehen Veränderung, vor allem in abrupter oder revolutionärer Form, skeptisch gegenüber. Reformen seien demnach legitim, aber vor allem in Hinblick auf die Erhaltung eines zu bewahrenden Zustands. Die FPÖ legt dabei besonderen Wert auf die Bewahrung der kulturellen Identität, die in der Frühzeit der Partei stark deutschnational ausgeprägt war, und es vor allem bei Funktionären aus dem burschenschaftlichen Milieu noch immer ist.

Auch dank der liberalen Teilausrichtung der Partei äußert sich diese Haltung in der Praxis in einem Kompromiss zwischen Staat und Bürger. Das Individuum soll die größtmögliche persönliche Freiheit bekommen, die noch zulässig ist, um den Staat als System, die Gesamtheit aller Bürger als Souverän und einen gewissen sozialen Ausgleich möglich zu machen. Der Staat sieht sich dabei aber durchaus als eine Instanz, die ideologische Leitsätze aufstellt und vertritt. Es ist also eine Haltung, die gewissermaßen einen Spagat zwischen Liberalismus und Kommunitarismus darstellt.

Philosophie, die das Individuum verantwortlich gegenüber seiner sozialen Umgebung und der Familie sieht.

Auf welchem Bein dieses ideologischen Spagats mehr Gewicht ruht, hängt aber durchaus davon ab, wer in der Partei das Sagen hat. Unter Norbert Steger überwog der liberale Flügel, unter Jörg Haider ab 1986 der nationalistische (obwohl Haider ideologisch recht flexibel war).

Ehemaliger Parteichef der FPÖ (1980–1986). Unter seiner Obmannschaft erreichte die FPÖ erstmals Regierungsbeteiligung. Er wurde dem liberalen Flügel der FPÖ zugerechnet. Er ist heute freiheitlicher ORF-Stiftungsrat.

Heinz-Christian Strache, der die FPÖ 2005 übernahm und anfangs überwiegend durch fremdenfeindliche Parolen auffiel, übernahm im Laufe der Zeit immer mehr für Bürgerliche verträgliche Forderungen und Formulierungen, auch wenn die Burschenschafter unter seiner Obmannschaft stärker in den Vordergrund traten. Ob dieser Trend unter Norbert Hofer fortgeführt wird, ist momentan noch nicht absehbar.

Wahlkampfthemen

VON BERTRAM RANFTL

  • Eindämmung der Migration
  • Verwaltungs- und Steuerreform
  • Umweltschutz
  • ORF-Reform
  • Demokratie, Volksabstimmungen, Rauchverbot

Eindämmung der Migration

Aus dem blauen Konservatismus, der die Heimat samt deren Identität als zu bewahrenden Zustand betrachtet, begründet sich eine Grundskepsis gegenüber fremden Einflüssen – sowohl wirtschaftlich als auch kulturell. Vor allem seit der Obmannschaft Jörg Haiders ist Migration das dominanteste Thema der FPÖ. Schon damals kritisierte Haider die mangelnde Integrationsbereitschaft türkischer Gastarbeiter, die während der 60er- und 70er-Jahre nach Österreich gekommen waren und warnte vor den Folgen einer Überfremdung. Inhaltlich blieb die Position der FPÖ zu diesem Thema bis heute in ihren Grundzügen ident: Zuwanderern solle der Zugang zu Sozialleistungen erschwert werden, das Wahlrecht solle staatsbürgerliches Privileg bleiben, der politische Islam ins Verbotsgesetz aufgenommen, das Fremdenrecht verschärft, Polizeistellen aufgestockt und Aslywerber bei negativem Asylbescheid konsequent abgeschoben werden.

Verbot jeder Betätigung im Sinne des Nationalsozialismus. Das Gesetz steht in Verfassungsrang und sieht ein Höchststrafmaß von 10 Jahren vor. Wie genau der politische Islam auch darin vorkommen soll, ist unklar. Denkbar ist etwa das öffentliche Gutheißen islamistischer Gräueltaten, die Verwendung von IS-Symbolik etc.

Während andere Parteien zu mehr Solidarität gegenüber Migranten aufrufen (SPÖ und Grüne), das Thema an die EU delegieren wollen ohne selbst Lösungen parat zu haben (NEOS) oder plötzlich populäre Positionen aufgreifen und dabei eine ideologische Kehrtwende vollziehen („Wir brauchen mehr Willkommenspolitik“ – Sebastian Kurz 2015), ist die FPÖ die einzige Partei, die zuwanderungskritische Politik glaubwürdig verkörpert. Zahlreiche Wahlversprechen wurden umgesetzt: Man hat 4000 zusätzliche Planstellen bei der Polizei geschaffen, eine eigene Grenzschutzeinheit aufgebaut (deren Logo zufällig von einer parteinahen Agentur entworfen wurde), die Asylbetreuung in staatliche Hände zurückgeführt und das Fremdenrecht enorm verschärft. Wer eine restriktive Zuwanderungspolitik möchte, sieht seine Interessen durch die FPÖ am wirkungsvollsten vertreten.

Das Fremdenrechtsänderungsgesetz von 2018 sieht vor, dass sich Asylberechtigte an den Kosten für ihr Asylverfahren beteiligen müssen. Telefondaten dürfen zur Identitätsfeststellung von Asylwerbern ausgewertet werden. Anerkannte Asylanwärter, die während ihres Asylverfahrens in ihre Herkunftsländern zurückkehren, verlieren ihren Asylstatus. Die Aberkennung des Asylstatus wurde generell vereinfacht. Die Liste als sicher anerkannter Herkunftsstaaten wurde erweitert.

Kommentar: Propaganda statt Lösungen

Den Preis der Asylskeptiker gewinnen die Freiheitlichen auf jeden Fall. Oft wird dabei jedoch über das Ziel hinausgeschossen und sinnlos Panik verbreitet. So wird beispielsweise auch die Abschiebung bestens integrierter Flüchtlinge gefordert und forciert. Abgesehen von der menschlich fragwürdigen Optik entsteht ein beträchtlicher wirtschaftlicher Schaden, da solche Menschen gut am Arbeitsmarkt vermittelbar sind und teilweise eine Ausbildung machen oder abgeschlossen haben (z.B. Lehrlinge). Die FPÖ verwendet eine Kommunikationsstrategie, die auf Propagandalärm und Resonanz in den Boulevardmedien setzt, anstatt sich an sachorientierten Lösungen zu orientieren. Auch entbehrt es nicht eines gewissen Zynismus, Erstaufnahmezentren für Asylwerber als „Ausreisezentren“ zu titulieren. 

Verwaltungs- und Steuerreform

Österreich bedarf dringend einer umfassenden Verwaltungs- und Steuerreform. Zahlreiche Vorschläge verschiedener Institutionen (EU-Kommission, Rechnungshof, OECD, Österreich-Konvent etc.) zur Verbesserung der Verwaltung, des Steuersystems und des Föderalismus liegen der Politik schon seit Langem vor. 

Die alte Kritik, wonach die FPÖ abseits ihres Kernthemas Migration keine Kompetenz vorzuweisen habe, ist in Hinblick auf die vergangenen zwei Jahre ungerechtfertigt. So wurden die 21 Sozialversicherungsträger bereits auf fünf reduziert, ein Gesetz zur Reform der Finanzverwaltung und das groß angekündigte Steuerreformgesetz zumindest in Begutachtung geschickt. Staatssekretär Hubert Fuchs gilt über Parteigrenzen hinweg als Steuerexperte. Die Zeit für weitere sinnvolle Maßnahmen hat leider gefehlt – wäre die Regierungsarbeit nicht unterbrochen worden, hätte man, wie das Regierungsprogramm nahelegt, das Verwaltungsstrafrecht, die Gewerbeordnung, das Meldewesen und Genehmigungsverfahren auch noch reformiert. Die FPÖ kann Sachpolitik betreiben, und das ziemlich gut.

Kommentar: Halbe Sachen

Ja, einige Initiativen haben tatsächlich zu Verbesserungen geführt, gänzlich makellos waren die Vorhaben aber nicht. Zudem sind viele notwendigen Reformen auf der Strecke geblieben. Die Fusion der Sozialversicherungsträger war prinzipiell wünschenswert; es ist nämlich nicht einzusehen, warum ein so kleines Land wie Österreich eine solch komplexe Verwaltung seiner staatlichen Versicherungen braucht. Allerdings bleibt auch innerhalb der neu gegründeten ÖKK die Budgethoheit bei den Ländern, die weiterhin Hoheit über ihre Rücklagen innehaben. Deren Einfluss bleibt also erhalten. Auch die kolportierten Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro im Laufe der nächsten fünf Jahre sind utopisch. Ferner gab es massive verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Reform.

Die Steuerreform ist inhaltlich von stärkerem Rückgrat, jedoch blieben Aspekte wie die Ökologisierung des Steuersystems oder die Abschaffung der kalten Progression unberücksichtigt. Für Befürworter der Steuerreform fällt das Volumen kleiner aus als im Wahlkampf versprochen. Andererseits ist die Steuerquote auch ein Indikator dafür, wie viel man sich entschlossen hat, gemeinsam und solidarisch zu lösen. Die FPÖ betreibe klassische Klientelpolitik.

Die wichtigste Strukturreform, nämlich die Durchforstung des Föderalismus, wurde nicht angegangen (auch wenn sich Minister Josef Moser bei der Grundsatzgesetzgebund zumindest bemühte). Zugegeben, das lag wohl eher am Koalitionspartner, dessen Landeshauptleute großen Einfluss auf die Bundes-ÖVP haben und in einer Föderalismusreform vor allem eine Bedrohung ihrer Privilegien sehen.

Umweltschutz & Ausbau des Schienenverkehrs

Ein Bekenntnis zu einer intakten Umwelt gehört auch zum Selbstverständnis der FPÖ. Doch während andere Parteien in ihrer idealistischen Betrachtungsweise den Klimaschutz über fast alles andere stellen, ist die FPÖ um einen Ausgleich der Interessen bemüht. So soll beispielsweise der Schienenverkehr um 14 Milliarden Euro (!) ausgebaut, in den Nahverkehr eine Milliarde investiert werden. Wer ein älteres Auto zugunsten eines neuen, schadstoffarmen austauscht, soll eine Förderung in Höhe von bis zu 3000 Euro erhalten. In puncto Umwelt und Verkehr setzen die Freiheitlichen auf Anreize statt Verbote.

Die Einführung zusätzlicher CO2-Steuern und anderer Abgaben in Österreich treibe vor allem Pendler (Sprit, City-Maut) und Bewohner ländlicher Gegenden (Ölheizungen) in die Armut und verringere die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts. Landflucht, höhere Arbeitslosigkeit und Ungleichheit seien die Folge. Warum Österreich in diversen EU-Rankings als relativ großer Klimasünder aufscheint, ist übrigens zwei Gründen geschuldet: Erstens ist Österreich aufgrund seiner zentralen Lage in Europa Transitland. Durchreisende LKWs bzw. PKWs beeinflussen unsere Bilanz also zu unseren Ungunsten. Zum anderen verzichten wir gänzlich auf Kernenergie und kaufen auch wenig Atomstrom zu. Das ist sozusagen ein Wettbewerbsnachteil gegenüber Ländern, wie Belgien oder Frankreich, die einen wesentlichen Teil ihres Energiebedarfs durch (CO2-neutrale) Kernkraft decken. 

Kommentar: Billige Ausreden

Wenn alle so denken, dass wir ja nichts verbieten oder steuerlich bestrafen dürfen, weil es dadurch Geschädigte gibt, werden wir unsere Klimaziele nie erreichen. Wenn Österreich so weitermacht, ist es übrigens am besten Weg, seine Klimaziele zu verfehlen, was Strafzahlungen in Milliardenhöhe zur Folge hätte. Der Ansatz der Freiheitlichen, nur auf klimafreundliche Anreize zu setzen, ist zu wenig. Zusätzlich sollte die Politik mittels Steuern und Gesetzen den CO2-Ausstoß eindämmen. Die Steuerreform wäre eine passende Gelegenheit gewesen, die Ökologisierung voranzutreiben.

ORF-Reform

Ein weiteres Hauptanliegen der FPÖ ist die Abschaffung der Rundfunkgebühren (GIS). Die FPÖ hat aber ausdrücklich erklärt, dass ihr die Abschaffung ein Anliegen sei, jedoch keine Koalitionsbedingung.

Die momentane Gesetzeslage sieht vor, dass eine gerätebezogene Abgabe zu entrichten ist, aus denen der Öffentliche Rundfunk (ORF) finanziert wird. Diese macht, je nach Bundesland, etwa 20–25 Euro monatlich aus. Von den dadurch lukrierten Einnahmen wandern ein Drittel zurück an Bund und Länder. Die anderen zwei Drittel, circa 630 Millionen Euro, stehen dem ORF als Budget zur Verfügung. 

Die FPÖ sieht in den Rundfunkgebühren eine Zwangsbeglückung und fordert, ähnlich wie in der Frage der Pflichtmitgliedschaft bei Interessenvertretungen (Arbeiter- bzw. Wirtschaftskammer), deren Abschaffung. Argumentiert wird das mit einer zu erwartenden Effizienzsteigerung des ORF, der im Wettbewerb mit zahlreichen Privatsendern immer mehr an Marktanteil einbüßt. Auch eine finanzielle Entlastung der Konsumenten sei wünschenswert, die durch den Wegfall der GIS-Gebühren 25 Euro monatlich mehr zur Verfügung hätten. Die ORF-Führung sei außerdem politisch nicht neutral, wodurch der gesetzlich verankerte Informationsauftrag in Mitleidenschaft gerate. Das Argument der GIS-Proponenten, wonach der ORF politisch in Abhängigkeit gerate sobald er zum Finanzminister „betteln“ gehen müsse, sei von der Hand zu weisen. Auch andere Bereiche der Verwaltung würden ihr Budget mit dem Finanzministerium verhandeln, ohne zu willfährigen Lakaien zu verkommen. Das ORF-Gesetz wird wie das Budgetgesetz von einer Mehrheit im Nationalrat beschlossen. Die Gefahr der Einflussnahme ist gering.

Kommentar: Demokratie braucht einen gemeinsamen öffentlichen Raum!

Warum sollte man nicht für etwas zahlen, was man täglich nützt? Es gibt wohl kaum einen Österreicher, der keines der ORF-Angebote (von Nachrichten-Sendungen im Fernsehen über Sportübertragungen, den Verkehrsfunk auf Ö3, den Teletext, der TVthek bis hin zu orf.at, die mit Abstand populärste Medien-Website Österreichs) nützt. Und selbst, wenn nicht: Über unsere Steuergelder subventionieren wir auch Zeitungen, die wir nicht lesen, Parteien, die wir nicht wählen und Opernhäuser, in die wir nicht gehen. Einfach aus dem Grund, weil wir uns als Gesellschaft darauf geeinigt haben, dass uns solche Dinge wichtig sind, obwohl sie sich nicht am freien Markt finanzieren und durch Spenden überleben könnten. Auch die Forderung nach mehr Sparsamkeit ist nicht leicht zu erfüllen. Qualitätsfernsehen – und dazu gehören täglich mehr als 20 Nachrichtensendungen, Dokumentationen, große Kultursendungen, Auslandskorrespondenten in aller Herren Ländern – kostet nun mal Geld.

Die Verlagerung der Finanzierung des ORF von der GIS zum Bundesbudget wäre erstens keine Entlastung (die Kosten fallen ja nur woanders an) und hätte möglicherweise verheerende Einflussnahmen auf die Berichterstattung des ORF zufolge. Wenn man sich die Anfeindungen mancher Politiker in Richtung des Rundfunks ansieht, ist diese Einflussnahme nicht mehr nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich. Der ORF ist neben dem Boulevard das einzige Massenmedium Österreichs. Wenn wir das hohe Niveau des Programms aufrechterhalten wollen, werden wir an Gebühren nicht vorbeikommen.

Demokratie, Volksabstimmungen, Rauchverbot

Mehr direkte Demokratie einzuführen ist der FPÖ schon seit jeher ein Herzensanliegen. In den vergangenen Koalitionsverhandlungen habe man „schlecht verhandelt“: Die FPÖ wollte Volksabstimmungen ab einer Hürde von 4 Prozent der Wahlberechtigten durchsetzen, die ÖVP ab 10 Prozent. Getroffen hat man sich dann in der Mitte bei etwa 14 Prozent. In möglichen nächsten Koalitionsverhandlungen möchte Hofer hier mehr „Härte zeigen“ und sich für eine niedrigere Hürde einsetzen. Langfristig möchte man sich in puncto direkte Demokratie überhaupt an der Schweiz orientieren. 

Kommentar: Nicht glaubwürdig

Direkte Demokratie sei der einzige Garant dafür, dass der Kontakt zwischen Mensch und Politik erhalten bleibe und das Parlament zu keinem elitären Zirkel verkomme. Sie werte zudem die Legitimität politischer Entscheidungen auf und trete dem Trend der Politikverdrossenheit entgegen.

Glaubwürdig ist der Ruf der Blauen nach mehr direkter Demokratie nicht. Das manifestierte sich in der Reaktion der Freiheitlichen auf das Rauchervolksbegehren („Don’t Smoke“): Mit circa 880.000 Unterschriften verfehlte es die (erst ab 2022 in Kraft tretende) Hürde von 900.000 um nicht einmal 20.000 Stimmen. Das „reiche halt nicht“, wenn auch nur knapp, um das Volk entscheiden zu lassen. Ferner handelt es sich bei dem Vorhaben der Blauen um Verfassungsmaterie, die nur mit Zweidrittelmehrheit durchgesetzt werden könnte.

Das Vorhaben, mehr direkte Demokratie zu ermöglichen, ist schwer umzusetzen: Mehr Mitbestimmung des Volkes würde die Republik stark prägen. Das musste auch die Schweiz erfahren, die von der FPÖ immer wieder als Musterbeispiel herangezogen wird. Eine Regierung wie Türkis-Blau, die im „neuen Stil“ wöchentlich ein neues Projekt vorstellt, wäre bei den Eidgenossen undenkbar. Auch ist die Schweiz, anders als Österreich, kein Land mit einer klassischen Opposition. Dort bilden nämlich alle größeren, im Parlament vertretenen Parteien die verwaltende Regierung. Die Schweizer haben sich ihre direkt-demokratische Verantwortung über Jahrhunderte erarbeitet. Dass wir Österreicher sie mit einem Federstrich erlernen würden, ist unwahrscheinlich.

Auch geht es in der Vorstellung von direkter Demokratie der FPÖ nicht um mehr Mitsprache der Bürger, sondern vor allem um Demagogie. Wer am besten auf Social Media und im Boulevard mobilisieren kann, gewinnt. Es gibt gute Gründe, warum westliche Demokratien größtenteils repräsentativ aufgebaut sind: Volksabstimmungen polarisieren (siehe Brexit), Emotionen können leicht aufgeladen werden, Politiker können ihre Verantwortung abwälzen. Gleichzeitig ist die Macht von Medien und Lobbyisten größer. Die Vorschläge zu mehr direkter Demokratie sind also allesamt mit Vorsicht zu genießen.