DIE GRÜNEN

Die Grünen – eine Traditionspartei

VON SIMEON GAZIVODA, PETER MAYRHOFER UND UNA NOWAK

Nach über 30 Jahren können die Grünen auf eine durchaus erfolgreiche Geschichte als politische Kraft in Österreich zurückblicken. 1987 offiziell als die „Grüne Alternative“ gegründet, geht die Partei auf weitreichende gesellschaftliche Veränderungen in den 1970ern zurück. Allem voran stehen die erfolgreichen Proteste in Zwentendorf und Hainburg.

Zwentendorf an der Donau und die Hainburger Au – Orte, an denen österreichische Geschichte geschrieben wurde. Grüne österreichische Geschichte. Treibt man heute die schöne blaue Donau hinab, an Zwentendorf vorbei, so muss man sich schon anstrengen, Gefallen an diesem großen grauen Betonklotz direkt am Ufer zu finden. Zu sehr stört er die unberührte Natur ringsum. Die Rede ist vom Kernkraftwerk Zwentendorf, das 1978 fertiggestellt wurde. Die Grünen beschreiben es heute als das “sicherste Atomkraftwerk der Welt” – tatsächlich ist es ist nie in Betrieb genommen worden. Verantwortlich dafür waren nicht nur die Volksabstimmung, die mit 50,47 zu 49,53 Prozent haarscharf gegen die Inbetriebnahme ausfiel, sondern auch die zahlreichen Proteste. Die unzähligen Menschen, die damals als Grüne der ersten Stunde auf die Straßen gingen. Sechs Jahre später wiederholt sich die Geschichte. Diesmal nicht in Zwentendorf, sondern in der Flusslandschaft Hainburger Au. Diesmal kein Atomkraftwerk, sondern ein geplantes Wasserkraftwerk, dem die Natur weichen sollte. Auch diesmal sind es die Demonstrationen, die Besetzung der Donauauen durch unzählige Menschen, die das Vorgehen stoppen konnten.

Die beiden Geschichten trugen maßgeblich dazu bei, die Wertschätzung des Umwelt- und Artenschutzes in Österreich zu etablieren. Darüber hinaus traten für viele Bürger die Möglichkeiten der direkten Demokratie erstmals derart öffentlichkeitswirksam in Erscheinung, sodass das österreichische Demokratiebewusstsein richtungsweisend gestärkt wurde. Diese Massenbewegungen legten zusammen mit anderen lokalen Bürgerinitiativen den Grundstein für die Gründung einer grünen Partei in Österreich. 1986 setzte sich Freda Meissner-Blau, die erste Klubchefin der Partei, erfolgreich durch und schaffte den Sprung in den Nationalrat.

Über die Jahre hinweg leisteten die Grünen erfolgreiche und für die Regierungsparteien unangenehme Oppositionsarbeit. Fast durchgehend konnten sie ihren Stimmenanteil steigern und wurden 2006 mit über elf Prozent der Stimmen erstmals gemeinsam mit der FPÖ drittstärkste Partei im Österreichischen Nationalrat. Speziell für ihren Kampf gegen Korruption und ihrer Arbeit als „Aufdeckerpartei“ (federführend war hier Gründungsmitglied Peter Pilz) ernteten die Grünen öffentliche Anerkennung.

Entgegen ihrer früheren Standpunkte sind die Grünen heutzutage eine durch und durch pro-europäische Partei. Tatsächlich misstraute die Partei nämlich der kapitalistischen und westlichen Orientierung und den schwachen Umweltstandards der Europäischen Gemeinschaft (also dem direkten Vorgänger der EU) vor 1995. Darüber hinaus fanden sie die Asyl- und Migrationspolitik zu restriktiv. Nachdem die Österreicher jedoch mit einer Zweidrittelmehrheit dem Beitritt zur Europäischen Union zugestimmt hatten, akzeptierten die Grünen das Ergebnis und stimmten anschließend im Nationalrat für die Ratifizierung des EU-Beitrittsvertrages.

Für die Grünen sah es bis zur letzten Nationalratswahl nicht so schlecht aus. Doch seit dem desaströsen Ergebnis der letzten Nationalratswahlen im Jahre 2017, bei der die Grünen mehr als zwei Drittel ihrer Wählerschaft verloren und obendrein auch noch aus dem Nationalrat flogen, steht es nicht mehr so gut um die „Grüne Alternative“. Viele Gründe wurden angeführt. Sie reichten vom öffentlich ausgetragenen Streit mit den Jungen Grünen, über die Durchsetzung des Hochhausprojekts am Wiener Heumarkt, bis hin zur Abspaltung Peter Pilz’. Auch der sogenannte „Zurechtweisungsdiskurs“, der „erhobene Zeigefinger“ und die Konzentration auf Identitätspolitik sind immer wieder Kritikpunkte. Die Ursachen für das Scheitern mögen vielschichtig und komplex sein. Fakt ist, dass die Grünen großteils den Anschluss zu ihrer Wählerschaft verloren und „in einem historischen Moment total versagt haben“, wie es selbst Bundessprecher und Spitzenkandidat Werner Kogler eingestehen musste.

An sich klingt das Manifest seit der Gründung der Grünen ganz einfach und einleuchtend: Wir treten für die Umwelt und Menschenwürde ein. Wir machen zukunftsorientierte, nachhaltige Politik für die Vielen, nicht für die Wenigen. Wir sichern und stärken Grund- und Menschenrechte. „Basisdemokratisch, gewaltfrei, ökologisch, solidarisch, feministisch, selbstbestimmt“ – so prägnant formulierten die Grünen im Jahr 2001 noch ihre Grundwerte im Grundsatzprogramm der Partei. Ob es ihnen gelingt, ihre Werte für die kommende Nationalratswahl auch so deutlich zu vermitteln, wird sich zeigen.

Wahlkampfthemen

  • Nachhaltige Wirtschaft & Arbeit
  • Bildungsgerechtigkeit
  • Ökosoziale Steuerreform
  • Nachhaltige Landwirtschaft & Artenvielfalt
  • Soziale Gerechtigkeit

Nachhaltige Wirtschaft & Arbeit

Sowohl im Europaparlament als auch auf österreichischer Ebene setzen sich die Grünen gegen das Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten ein, da sie massive Nachteile für heimische Bauernbetriebe und die Beschleunigung des Regenwaldsterbens befürchten. Gleichzeitig fordern sie einen österreichweiten Ausbau der Kreislaufwirtschaft, eine schrittweise erfolgte Verkürzung der Arbeitszeiten, einen Mindestlohn von 1750 Euro (brutto bei Vollzeit) sowie den Ausbau von „Green Jobs“ – also Berufen aus den Bereichen der Öko-Wirtschaft oder nachhaltigen Technologieforschung. Pendler sollen zudem durch intensiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs und Jahreskartenmodelle um 365 Euro je Bundesland finanziell entlastet werden. Die grüne Mobilitätsgarantie schlägt zusätzlich vor, dass jede Gemeinde mit über 250 Einwohnern mindestens zwölfmal täglich Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln erhält.

Kommentar: 12 Busse, 12 Passagiere

Ohne Freihandelsabkommen könnte sich der sozial schlechter gestellte Bürger wohl kaum das amerikanische oder japanische Smartphone leisten, mit dem dieser Artikel zu 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit gerade gelesen wird. Die Regale unserer Geschäfte sind nicht zuletzt aufgrund von Freihandel und Wettbewerb so gut gefüllt. Außerdem unterstützt beispielsweise die deutsche Bundesregierung das Mercorsur-Abkommen mit der Argumentation, es mache Umweltsünden im Regenwald sanktionierbar.

Ich selbst bin in einem abgelegenen Dorf mit rund 1.500 Einwohnern aufgewachsen und würde mich über die grüne Mobilitätsgarantie sehr freuen. Ich kann mir nur leider sehr schwer vorstellen, dass neben den vier täglichen Bussen, die zur Zeit höchstens eine Person (Fahrer!) transportieren, noch weitere acht spazierenfahren gehen. Nicht zuletzt ist der nächste Bahnhof mit 75 Minuten Busfahrt schlicht zu weit entfernt. Mit dem Auto benötigt man keine halbe Stunde. Im Rahmen eines Verkehrsdienstvertrags ist so etwas aus guten Gründen nicht vorgesehen, schon gar nicht bei Weilern mit 250 Einwohnern. Ein gutes Beispiel, wie der grüne Idealismus an der Realität scheitert.

Ein Bundesland wie Niederösterreich bestellt Buslinien bei einem Anbieter (z.B. Postbus) und bezahlt entsprechend dafür. Fahrkartenerlöse machen nur einen kleinen Teil des Umsatzes aus.

Bildungsgerechtigkeit

Die Grünen sprechen sich für zahlreiche Reformen aus, die soziale Ungerechtigkeiten beim Bildungserfolg minimieren und das österreichische Bildungssystem modernisieren sollen. Dazu gehören beispielsweise die gemeinsame Schule für 6 bis 14-Jährige, der verpflichtende Ethikunterricht und mehr Schulautonomie. Die Befürworter der gemeinsamen Schule für 6- bis 14-Jährige betonen den großen Schritt zu mehr Gerechtigkeit im Bildungssystem. Schüler würden heute viel zu früh in Schubladen gesteckt, denn ob ein 10-jähriges Kind im Gymnasium oder in der Mittelschule lande, habe prägende Auswirkungen auf das weitere Leben. Eine Gesamtschule würde Schüler jeder Herkunft, jeder sozialen Klasse und unabhängig von Talent und Interesse in dieselbe Institution stecken – das sei gerecht und bringe jedem die gleichen Chancen. 

Gleichzeitig fordern die Grünen ein Ende der „Verschulung“ des Hochschulsystems, die Ausfinanzierung des Hochschulsektors in Höhe von mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, einen interdisziplinären Hochschulbetrieb und mehr soziale Durchlässigkeit auf Universitäten.

Das BIP ist ein Maß für die wirtschaftliche Tätigkeit einer Volkswirtschaft.

Kommentar: Talente entfalten!

Die zentrale Forderung der grünen Bildungspolitik sind „gleiche Chancen für alle“. Das Problem: Ein Abschluss wird fast als Bürgerrecht angesehen. Die Leistung steht nicht im Vordergrund. „Gleiche Chancen für gleiches Talent und Leistungswillen“ wäre angebrachter. Anstatt nach unten zu nivellieren, müssen wir Talente gezielt in die Entfaltung bringen. Dazu werden Einschränkungen vonnöten sein.

Ökosoziale Steuerreform

Die öko-soziale Steuerreform der Grünen soll klimaschädigende Energieerzeugung (v.a. durch die Fossilindustrie) höher besteuern. Zusätzlich sollen große Vermögen, Millionenerbschaften und Gewinne großer Konzerne höher besteuert, Arbeitende, Klein- und Mittelbetriebe hingegen entlastet, der öffentliche Verkehr und nachhaltige Energiesysteme, aber auch Zukunftsthemen wie Pflege und Bildung stärker finanziert werden. Bis 2030 sollen 100 Prozent des österreichischen Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen kommen. 

Kommentar: Prioritäten setzen!

Aus dieser Forderung und der nächsten (nachhaltige Landwirtschaft & Artenvielfalt) ergibt sich ein Widerspruch: Einerseits sollen 100 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen stammen, andererseits Lebensräume und Artenvielfalt bewahrt werden. Beim Bau eines Wasserkraftwerks – mit über 80 Prozent Österreichs wichtigste Stromerzeugungsform – werden Fließgewässer und deren Lebensräumen aufgestaut und zum Stehen gebracht. So gibt es Flüsse wie z.B. die Enns, deren Lebensraum komplett zerstört wurde. Dafür ist der Strom „grün“. Gegen ein Wasserkraftwerk demonstrieren und dann mehr Wasserkraftwerke fordern, ist nicht glaubwürdig. Die Grünen müssen ihre Prioritäten sortieren und stehen vor harten Entscheidungen.  

Nachhaltige Landwirtschaft & Artenvielfalt

Die Grünen wollen die Landwirtschaft und den Tier- & Artenschutz auf ganz neue Beine stellen. Im Zuge einer gemeinsamen EU-Agrarpolitik fordern sie den Stopp öffentlicher Subventionen für umweltschädliche Intensivtierhaltung und klimaschädigende Produktionsweisen. Im Gegenzug sollen klima- und umweltschützende Produktionsweisen und Beiträge zum Erhalt der Artenvielfalt und des Boden- und Tierschutzes subventioniert werden. Förderungen sollen so verteilt werden, dass nachhaltige Klein- und Mittelbetriebe deutlich mehr erhalten als bisher. Gleichzeitig fordern die Grünen ein Verbot giftiger Pestizide, eine Reform der Sozialversicherung für Bauern, ein Ende der Massentierhaltung und nicht-artgerechter Haltung, eine Kennzeichnungspflicht für Palmöl und mehr Bio-Produkte in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten.

Kommentar: Bio-Fleisch, das sich keiner leisten kann

Es gibt einen Grund, warum vor 200 Jahren noch fast jeder Mensch in der Landwirtschaft beschäftigt war und es heute in Österreich kaum noch vier Prozent sind: Effizienzsteigerungen. Die Forderungen der Grünen bewirken genau das Gegenteil. Preise für Nahrungsmittel würden in die Höhe schnellen (biologische Landwirtschaft ist teuer), die Grünen würden ihrem Vorsatz, sozialverträgliche Politik zu machen, nicht gerecht. 

Soziale Gerechtigkeit

Konkrete sozialpolitische Forderungen der Grünen sind beispielsweise ein barrierefreies Bildungssystem für Menschen mit Behinderung oder die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes von LGBTI+-Personen auf den Arbeitsmarkt. Zudem möchten sie das bestehende Integrationssystem reformieren, z.B. durch Deutschkurse und eine effizientere und gerechtere Anerkennung ausländischer Berufsausbildungen und Qualifikationen. Zentrale Anliegen aus dem Frauenvolksbegehren, wie die schrittweise zu erfolgende Arbeitszeitverkürzung, Sensibilisierungs- und Präventionsprogramme zu Gewalt an Frauen oder flächendeckende Kinderbetreuungsstätten, sollen umgesetzt werden. Zusätzlich soll eine grüne Grundsicherung die soziale und finanzielle Absicherung von Erwerbslosen und Kindern stärken, Weiterbildungsmöglichkeiten sollen gefördert werden. Prekäre und atypische Beschäftigungsverhältnisse (z.B. Freelance) sollen einen verlässlichen Versicherungsschutz erhalten. Mietpreise sollen durch Höchstmieten reguliert, der gemeinnützige Wohnbau ausgebaut, die Besteuerung des Wohnraums neu geordnet werden, um Immobilienspekulation zu beenden.

Kommentar: Unverbesserliche Weltverbesserer

Die grünen Forderungen versprechen Jobaussichten mit guter Bezahlung für alle, Versicherung inkludiert, jegliche Diskriminierung eliminiert. Nicht schlecht. Es stellt sich nur die Frage, ob persönliche Befindlichkeiten wichtiger als die Leistung sind, die an der entsprechenden Arbeitsstelle erbracht werden. Es kann sich nicht rechnen, in einem Kleinbetrieb ein drittes WC für Mitarbeiter*_innen einzurichten, nur damit der Arbeitgeber sich nicht mit einer Diskriminierungsklage herumschlagen muss. Es ist außerdem nur zu verständlich, lieber die Absolventin der Uni Wien mit deutscher Muttersprache einzustellen, als den seit zwei Jahren in Österreich lebenden Flüchtling mit einem Abschluss von der Universität Damaskus, der die örtlichen Gepflogenheiten nicht kennt. Die Regulierung der Höchstmieten – die sogenannte Mietpreisdeckelung – führte bisher zu zwei Dingen: Einerseits zum Abriss des Altbaus, um im Neubau die Mietpreisdeckelung loszuwerden. Andererseits zur fehlenden Investitionslust. Wer würde viel Geld in die Hand nehmen, um ein Wohnbauprojekt zu realisieren, bei dem schon im Vorhinein klar ist, dass es sich aufgrund der Gesetzeslage nicht rechnet?