“Der Faden ist unwiderruflich gerissen.”

VON JOHANNES ALMASI-SZABO, ARTHUR KRÖN & SIMON NEHRER

Im Büro von Peter Pilz wird mitten im Flur ein großes, weißes Wahlplakat ausgerollt. Telefone läuten, Mitarbeiter besprechen sich zwischen Tür und Angel. Zwischen ihnen huscht Peter Pilz umher, wird befragt, angerufen, um Meinung gebeten, trifft laufend Entscheidungen. Denn in Pilz drehen sich die Angeln dieser Bürokultur; sie wurde um ihn herum aufgebaut, irgendwo zwischen Chaos und Kreativität. Pilz bittet zum Gespräch in einen ruhigen Nebensaal, in dem er endlich ungestört und in gewohnter Façon von seinen Sorgen über den Rechtsstaat, Sebastian Kurz und die “Klimapolitik der vollen Hosen” erzählen kann.

Wie geht es Österreich heute?

Einem der reichsten und schönsten Länder der Welt kann es nur gut gehen. Wenn man aber fragt, wie es der Natur geht, wird es schon heikler. Wenn man dann noch fragt, wie es dem Großteil der Menschen geht, wird es noch ein bisschen schwieriger. Wenn man sich anschaut, wie es Heidi Horten geht, dann besonders gut, weil sie für das wenige Geld, das sie und andere der ÖVP spenden, reichlich belohnt wird. Wenn ich aber an etwa eine Million Menschen denke, die an der Armutsgrenze leben, oder 300.000 Kinder, die in Armut Leben, obwohl sie gar nichts dafür können, beginnt die echte Schande.

Wie wollen Sie diesen Problemen entgegentreten?

Wir wollen Kinderarmut innerhalb eines Jahres beseitigen. Watscheneinfach. Erste Maßnahme: eine staatliche Garantie für Unterhaltssicherung. Fast 80.000 Kinder und 70.000 alleinerziehende Frauen leben in Armut, weil der Unterhalt, der ihnen zusteht, nicht bezahlt wird. Das kostet höchstens rund 100 Millionen Euro. Die staatliche Parteienförderung beträgt circa 200 Millionen. Ein ganz einfacher und vernünftiger Schritt wäre die Halbierung der Parteienförderung; dadurch hätten wir bereits 80.000 Kinder aus der Armut gerettet. Wir haben 200 verschiedene staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut. Wenn man die in einem Topf zusammenfasst, ist das Problem gelöst. 300.000 Kinder sind aus der Armut befreit. Ohne zusätzliches Budget!

Wie geht es der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in Österreich?

Der Demokratie gar nicht so schlecht, da das Wahlrecht nicht eingeschränkt wurde. Der Rechtsstaatlichkeit auf der anderen Seite geht es ziemlich schlecht. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ist die letzte Staatsanwaltschaft, die der ÖVP in Österreich noch gefährlich werden kann. Das Justizministerium ist an der kurzen Leine, die Oberstaatsanwaltschaft Wien, die Staatsanwaltschaften Linz und Eisenstadt sind bereits alle auf Schiene. Wenn es der ÖVP gelingt, die WKStA zu ruinieren, gibt es keine unabhängige Staatsanwaltschaft mehr. Die Rechtsstaatlichkeit in Österreich ist ernsthaft gefährdet. Wir sind derzeit dort, wo Ungarn vor etwa 10 Jahren war.

Wieso ist die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft noch nicht “auf Schiene”?

Weil sie Widerstand leistet. Sie ist nicht so abhängig, weil sie teilweise von Weisungsrecht und Berichtspflichten ausgenommen ist, damit sie gegen Korruption ungehindert ermitteln kann. Diese Rechte möchte man ihr wegnehmen. Das Justizministerium will eine Berichtspflicht über alle Vorhaben. Stellen Sie sich vor, da sitzt ein ÖVP-Justizminister und der Staatsanwalt in der WKStA muss jedes Mal berichten: “Wir planen eine Hausdurchsuchung bei Gernot Blümel.” Die Frage ist also nicht nur, ob sie weisungsgebunden ist. Die heiklere Frage ist eben jene der Berichtspflichten: Muss ich über eine große Maßnahme im Vorhinein berichten?

Hätten Sie vor der BVT-Razzia nicht gerne eine Berichtspflicht gehabt?

Nein. Da sind die Fehler in der WKStA passiert. Ich verschließe ja nicht die Augen vor den Fehlern in der WKStA. Weisungspflicht heißt für mich übrigens, dass am Ende einer Weisungskette nicht der Justizminister stehen sollte, sondern ein vom Nationalrat mit Zweidrittelmehrheit gewählter Generalstaatsanwalt. 

Sehen Sie die finanziellen Mängel in der Justiz als ebenbürtiges Problem?

Ja, das ist die andere Seite. Wer Rechtsstaat ernst nimmt, muss in ihn investieren. Die WKStA braucht ungefähr 40 neue Staatsanwälte.

Das wäre eine Verdreifachung.

Ja. Aber das brauchen wir dringend. Die Justiz in Österreich ist komplett ausgehungert. 

Sie sind seit 33 Jahren mit Unterbrechungen im Nationalrat. Wie hat sich die österreichische Innenpolitik verändert?

Das ist eine sehr widersprüchliche Entwicklung. Wenn ich irgendetwas geschafft habe, dann ist es, das Parlament zu stärken.

Das sehen Sie als Ihre Leistung?

Zum Beispiel der Untersuchungsausschuss als Minderheitsrecht im Nationalrat war eine enorme Verbesserung. Das haben wir zu zweit gemacht: Otto Pendler aus der SPÖ und ich. Der Otto und ich sind zum Lopi (Anm.d.Red.: Reinhold Lopatka) gegangen und haben gesagt: “Ge Lopi, mach mit. Das ist doch alles unmöglich.” Mit seiner heroischen Unterstützung ist er ein großes Risiko in der ÖVP eingegangen. Ich habe dann den Mitterlehner (Anm.d.Red.: Reinhold Mitterlehner) angerufen und gesagt: “Reinhold, was ist? Hast etwas dagegen?” Er war immer ein sehr guter Abgeordneter und hat gemeint: “Nein, überhaupt nichts. Gute Idee!” Andere aus der ÖVP meinten: “Um Gottes Willen, bitte nicht!” Auch Werner Faymann und Josef Ostermayer waren eher dagegen. Aber am Ende ging es durch.

Ist das eine Generation an Politikern, der Sie nachweinen?

Nein. Ich weine einzelnen Personen nach. Die entscheidende Umwälzung hat sich aber außerhalb des Parlaments abgespielt: das Auftreten von Sozialen Medien und damit die Fragmentierung der Öffentlichkeit. Die Zeit im Bild ist heute die letzte Nachrichtensendung, die fast alle Menschen in Österreich noch gemeinsam konsumieren; dadurch auch die letzte, über die gemeinsam diskutiert werden kann. Wenn die Pläne von ÖVP und FPÖ, den ORF zu zerschlagen, erfolgreich sind, verliert Österreich das letzte große gemeinsame Medium. Die Bevölkerung würde in isolierten Medienräumen aufwachsen. Eine wesentliche Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist ein gemeinsamer öffentlicher Raum. Wenn es den nicht mehr gibt, hört man einander nicht mehr zu.

Der Faden ist unwiderruflich gerissen. Jetzt ist Kurz auf derselben Schiene wie Grasser. Nur selten gibt es Politiker, die vollkommen charakterlos sind und sich nur für sich selbst interessieren. Karl-Heinz Grasser war so jemand; er hat sich hauptsächlich für Geld interessiert. Sebastian Kurz geht es um Macht und Titel. Die Leute und das Land sind ihm egal.

Sie reden sehr persönlich über andere Abgeordnete. Wie kann man sich die persönlichen Verhältnisse zwischen Mandataren vorstellen?

Das ist sehr unterschiedlich. Manche mag ich gerne und schätze sie. Andere gehen mir ein wenig auf die Nerven. Mit dem Heinz-Christian Strache habe ich eigentlich nie ein Problem gehabt, weil er im Parlament durchaus Handschlagqualität hatte. Norbert Hofer hingegen habe ich keine Sekunde über den Weg getraut. 

Sie vertrauen Norbert Hofer weniger als Strache?

Ich halte ihn aus verschiedensten Gründen für überhaupt nicht vertrauenswürdig. Ich halte ihn für ideologisch stärker durch die extreme Rechte geprägt als Strache. Das Problem der Korruption spielt bei Strache natürlich eine größere Rolle, was mich ehrlich gesagt ein wenig überrascht hat.

Ihre Partei hat gemeinsam mit FPÖ und SPÖ der Bundesregierung erfolgreich das Vertrauen entzogen. War das die erste Planwidrigkeit seitens des großen Schachspielers Sebastian Kurz oder eine geplante Märtyrerrolle?

Das war eine Planwidrigkeit. Seitdem passieren ihm immer mehr Fehler. Das wird bis zur Nationalratswahl nicht reichen. Er wird wieder Erster werden. Aber seine Geschichte geht trotzdem zu Ende. Der Faden ist unwiderruflich gerissen. Jetzt ist Kurz auf derselben Schiene wie Grasser. Nur selten gibt es Politiker, die vollkommen charakterlos sind und sich nur für sich selbst interessieren. Karl-Heinz Grasser war so jemand; er hat sich hauptsächlich für Geld interessiert. Sebastian Kurz geht es um Macht und Titel. Die Leute und das Land sind ihm egal. Die ÖVP ist unter ihm zu einer Sekte verkommen. Früher war das einmal eine Partei mit vielen eigenständigen Köpfen und spannenden Leuten. Jetzt gibt es nur noch Mitläufer. Wenn das Projekt Kurz scheitert, ist nichts mehr da.

Sie werden oft “Aufdecker der Republik” genannt. Wie ist es dazu gekommen? 

Indem ich irgendwann damit angefangen habe. Schon während des Studiums habe ich Recherchen gemacht, da ich mich als Journalist verdingt habe. 1986 bin ich ins Parlament gekommen. In dieser Zeit gab es den Lucona-Skandal. Eine völlig absurde Geschichte, die mich eigentlich überhaupt nicht interessiert hat.

Lucona war der Name eines Frachters, der mit einer teuren Uranerzaufbereitungsanlage nach Hongkong fahren sollte. Die Reise wurde versichert. In Wahrheit wurde der Frachter mit Schrott beladen und mit Sprengköpfen versehen, um der Versicherungssumme habhaft zu werden. Die Explosion im Indischen Ozean forderte sechs Todesopfer und führte zu Vertuschungen, Rücktritten und dem größten Skandal der Zweiten Republik, in den zahlreiche österreichische Spitzenpolitiker involviert waren.

Weil aber die Abgeordneten der Grünen, die das eigentlich aufdecken sollten, über Nacht zurückgetreten sind, musste auf einmal ich in den Untersuchungsausschuss. Plötzlich kam ich drauf, wie unglaublich spannend das ist. Es ging darum, wie politische Macht in der Regierung und den Höchstgerichten für kriminelle Zwecke missbraucht worden war.

Wieso wollten Sie nicht bei der Sozialdemokratie andocken, sondern wurden Mitbegründer der Grünen?

Die SPÖ war schon damals nach Kreisky eine völlig erschlaffte, leblose, verwelkte Partei. Ich wollte etwas Neues. Das waren zu der Zeit die Grünen, die Aufbruchsstimmung, Umweltbewegung, Frauenbewegung und Friedensbewegung verkörperten. 

Sie sprechen von “schon damals”. Sehen sie die SPÖ immer noch als verwelkte Partei an?

Sie ist schon noch ein bisschen weiter ausgetrocknet in der Zwischenzeit.

Erklärt diese Einstellung auch Ihren Ausflug zu den Revolutionären Marxisten?

Das war überhaupt kein Ausflug. Es war ein Teil meiner Entwicklung, einmal bei einer ordentlich linksextremen Studentenorganisation mitzumachen. Dort war man halt einfach gegen alles.

Was hat Sie dazu bewegt?

Das waren die Ausläufer der großen Studentenbewegungen der 1968er. Ich bin 1972 aus der Steiermark an die Uni Wien gekommen. Da war noch ganz schön etwas los. Das war super! Wir haben Hörsäle besetzt, sind mit dem Plattenspieler hingegangen und haben uns etwas zu trinken mitgenommen. Trotzdem wurde ordentlich studiert. Wir haben teilweise mehr gelernt als jene, die immer brav waren. Die Braven lernen ja meistens ohnehin nicht viel. Im Parlament bin ich dann draufgekommen, dass man unglaublich viel in der Praxis lernen und verstehen muss, damit man auch in der Praxis etwas verändern kann. Man kann hundert Mal “Das Kapital” von Karl Marx lesen, und kein Gesetz in Österreich wird dadurch besser. Als ich ins Parlament gekommen bin, war ich mir sicher, man müsse die Polizei entwaffnen und das Bundesheer abschaffen.

Haben Sie sich entradikalisiert?

In meinen Grundhaltungen hat sich nichts verändert. Ich bin nur draufgekommen, wie man der Vorstellung einer fairen Welt, wo Gesetze gelten, wo es eine offene Gesellschaft gibt und alle gleichberechtigt und frei leben, näher kommt. 

Und zwar …

… nicht, indem man Flugzetteln schreibt und vor der Universität verteilt, die, wenn man Glück hat, von den eigenen Freunden gelesen werden. Ich habe mir damals eben nicht gedacht, dass ich 15 Jahre später im Präsidium der Bundesheerreform sitzen und der Chef des Generalstabs mein bester Freund würde. 

Sind Sie mit dem neuen Parteienfinanzierungsgesetz zufrieden?

Es war ein guter erster Schritt. Wichtig ist, dass wir eine Privatspendenobergrenze von 7500 Euro pro Jahr eingeführt haben. Jetzt müssen wir die Schlupflöcher stopfen und eine Rechnungshofkontrolle einführen. 

Wieso wurde das nicht schon diesmal beschlossen?

Weil die SPÖ und die FPÖ nichts davon wissen wollten. Wir hatten die Wahl, entweder einen ersten Schritt zu machen oder gar nicht weiterzukommen. Von der Nationalratswahl bis zum Dezember werden wir weiterhin ein freies Spiel der Kräfte im Parlament haben. Diese Dinge möchte ich alle in dieser Zeit durchsetzen. 

Wie empfinden Sie das freie Spiel der Kräfte?

Das empfinden viele als bedrohlich und meinen, da könne ja Geld ausgegeben werden. Ich sage: So sollte ein Parlament aussehen. Abgeordnete, die miteinander reden, ob man nicht Dinge gemeinsam lösen kann. Zum Beispiel wenn ich mit den Freiheitlichen über die Schließung des Abdullah-Zentrums diskutiere. Von der Schule bis zum Klima wissen wir eigentlich schon, was in Österreich passieren müsste. Es passiert aber nichts, weil wir ein geknebeltes Parlament haben. Also befreien wir es!

Ihre Einstellung zum politischen Islam ist etwas, das sie von den Grünen unterscheidet. Freuen Sie sich eigentlich, dass die Grünen jetzt wieder ins Parlament einziehen werden?

Ich wollte nie, dass sie rausfliegen. Weil sie in vielen Punkten eine unglaublich wichtige Partei sind. Ich hoffe, sie haben die Zeit genutzt, um aus ihren Fehlern zu lernen. Nur verstehen sie bis heute nicht, dass der herrschende Islam unseren Verfassungsgrundsätzen widerspricht, die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Trennung von Staat und Religion nicht akzeptiert. Natürlich ist nicht jeder Islam so! Vielleicht gibt es auch einmal einen aufgeklärten Islam. Derzeit sind aufklärerische Strömung leider eine kleine Minderheit. 

Ist dieser Unterschied zwischen ihnen und den Grünen ein Grund, warum es zu keiner gemeinsamen Liste gekommen ist?

Ja, sicher. Unsere Wege haben sich 2017 getrennt. Ich habe damals noch versucht, sie zu überzeugen. Doch leider bekam ich wenig Zustimmung. 

Was genau hat Sie gestört?

Die Grünen, als Milieu-Partei, nahmen die Ängste der einfachen Menschen nicht ernst. Ich kenne solche Menschen aus meiner Heimatstadt Kapfenberg. Niemand ist sozusagen von Geburt an rechtsextrem. Man kann diese Menschen überzeugen. Wenn ich einen Akademiker überzeugen kann, kann ich auch einen Arbeiter überzeugen. Das haben die Grünen nicht probiert. Sie haben diese Menschen einfach aufgegeben. Dass Menschen Angst vor den negativen Folgen der Masseneinwanderung haben wenn in Teilen Favoritens mehr Türkisch als Deutsch gesprochen wird, ist verständlich. Wir müssen diese Probleme lösen. Aber nicht, indem man diese Menschen verfolgt und stigmatisiert, sondern indem man Integration erleichtert und klare Regeln aufstellt.

Eine dieser Regeln ist das Kopftuchverbot an Schulen. Erleichtert das tatsächlich die Integration?

Wir hatten eine Abstimmung im Parlament über einen Antrag von ÖVP und FPÖ bezüglich eines Kopftuchverbotes an Volksschulen. Ich habe diesem Antrag zugestimmt, weil ich es für richtig halte.

Ist so eine Maßnahme nicht Symbolpolitik, ohne wirklich etwas zur Integration beizutragen?

Richtig. Gleichzeitig wurden nämlich die Mittel für Deutschkurse halbiert. Man erkennt also klar, dass es sich hier um Symbolpolitik von Türkis-blau handelt.

Sie haben bei der letzten Wahl dennoch großteils im grünen Lager gefischt. Sollte man nicht mit vereinten Kräften kämpfen, wenn man zu großen Teilen dieselben Ziele verfolgt?

Nein. Unsere Wege haben sich getrennt. Diese Ido­li­sie­rung des Einwanderers stimmt einfach nicht. Ich war damals in Spielfeld und habe die Busse vollgestopft mit Flüchtlingen gesehen. Das waren natürlich alles arme Leute. Ich habe großes Verständnis für diese Menschen, aber die Massen waren in dieser Form nicht bewältigbar. Deshalb sind wir für geregelte Einwanderung, was mit Asyl nichts zu tun hat. Asyl ist ein Menschenrecht, hätte aber nur für einen Teil dieser Leute gegolten.

Auch wenn ich bei der grünen Klimapolitik Probleme sehe. Die Fleischsteuer zum Beispiel: Da trauen sie sich schon wieder nicht. Man kann keine Klimapolitik der vollen Hosen machen. Die industrielle Landwirtschaft ist für ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich.

Die Grünen haben mit ihrer Klimapolitik eine Lücke hinterlassen, die Sie nicht glaubwürdig füllen konnten. Was ist schiefgegangen?

Ich habe von Anfang an gewusst, dass die Grünen in dieser Frage nicht wirklich ersetzbar sind. Es war nie mein Anspruch, eine “Grünen-Ersatzpartei” zu gründen. Meine Hoffnung war immer, dass sich die Grünen wieder erholen. Auch wenn ich bei der grünen Klimapolitik Probleme sehe. Die Fleischsteuer zum Beispiel: Da trauen sie sich schon wieder nicht. Man kann keine Klimapolitik der vollen Hosen machen. Die industrielle Landwirtschaft ist für ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich.

Wir haben vor drei Stunden mit dem SPÖ-Abgeordneten Leichtfried ein Interview geführt. Er meinte, dass er die ökologische Wende weniger in der Veränderung des individuellen Konsumverhaltens begründet sehe, sondern bei Einschnitten für die großen Konzerne dieser Welt. Muss das Schnitzel teurer werden, um die Klimakrise zu bewältigen?

Die SPÖ glaubt nach wie vor, dass es entweder Klimaschutz oder soziale Gerechtigkeit gibt. Sie lebt im Glauben, soziale Gerechtigkeit erfolgt über Billigfleisch und Billigtreibstoff. Insofern ist sie eine Steinzeitpartei. Deswegen stirbt die Sozialdemokratie auch aus. Wir brauchen Lenkungssteuern. Eine CO2-Steuer hat den Sinn, sich selbst abzuschaffen. Wenn es gelingt, die Emissionen auf null zu bringen, weil die Leute ihr Konsumverhalten ändern, verdient der Staat genau nichts. Das ist das Ziel. Unser Modell der Lenkungssteuer auf gewöhnliches Fleisch hat ihr Ziel erreicht, wenn nur noch Bio-Fleisch gekauft wird.

Das sich aber nur eine bestimmte Schicht leisten kann.

Deshalb müssen die Leute mehr verdienen und höhere Pensionen bekommen. Wir leben in einer verrückten Welt, in der wir es als soziale Errungenschaft feiern, dass ein Pensionist an der Armutsgrenze Fleischabfälle essen kann. Das kann ja nicht der Gipfel der sozialen Errungenschaften sein. Pensionisten, die Mindestpension beziehen, sollten sich Bio-Fleisch leisten können.

Zu Ihrer Partei: Viele Ihrer Mandatare treten nicht mehr an …

… weil sie bis auf eine Abgeordnete pensionsreif sind. Es war immer klar, dass drei Abgeordneten nur einmal kandidieren werden (Anm.d.Red. Alfred Noll, Bruno Rossmann und Wolfgang Zinggl). Ich habe versucht, Alfred Noll zu überzeugen, noch einmal zu kandidieren. Er hat jedoch abgelehnt. Bei den anderen habe ich es nicht versucht, weil ich überzeugt war, dass wir diese Plätze besser nachbesetzen können.

Namenlose, grüne Bürokraten haben Linien vorgegeben und dauernd Mails über parteischädigendes Verhalten oder Sprachregelungen versandt. Deshalb bin ich damals einen Schritt zu weit gegangen und habe gedacht, wir sollten auf jegliche Parteistruktur pfeifen. Daraus habe ich gelernt.

Im Gegensatz zu 2017 hat Ihre Partei nun Mitglieder und ein Wahlprogramm. Haben Sie aus der Vergangenheit gelernt?

Ohne ein gemeinsames Programm geht es nicht. Ich habe 2017 geglaubt, es reiche, wenn die Abgeordneten selbst ihre Programme sind. Das reicht leider nicht. 

Woher kommt diese Skepsis gegenüber traditionellen Parteistrukturen?

Weil ich bei den Grünen unter der Parteibürokratie gelitten habe. Namenlose Bürokraten haben Linien vorgegeben und dauernd Mails über parteischädigendes Verhalten oder Sprachregelungen versandt. Deshalb bin ich damals einen Schritt zu weit gegangen und habe gedacht, wir sollten auf jegliche Parteistruktur pfeifen. Daraus habe ich gelernt.

Sie haben bereits ausgeschlossen, mit der FPÖ oder der ÖVP zu koalieren. Sie würden also in jedem Fall Oppositionspartei bleiben?

Ja. Wir haben die Aufgabe, eine neue Mehrheit gegen den Rechtsblock vorzubereiten. 

Diese Aufgabe erfüllen SPÖ, NEOS und Grüne nicht?

Die NEOS sind eine rechte Partei.

Wieso? Die ÖVP und FPÖ würden sie wahrscheinlich als linke Partei bezeichnen.

Seinerzeit war die ÖVP schwarz. Dann ist sie draufgekommen, dass man das Produkt neu verkaufen könnte, wenn man es anders anstreicht. Der Großteil der ÖVP ist türkis angestrichen worden, ein kleiner Teil pink. Die NEOS vertreten in jeder einzelnen wirtschafts- und sozialpolitischen Frage lupenreine ÖVP-Positionen. In gesellschaftspolitischen Fragen sind sie liberal. Da traue ich ihnen auch und arbeite oft mit ihnen zusammen.  

Sind sie mit der Arbeit der Opposition in den letzten zwei Jahren insgesamt zufrieden?

Den Großteil hat meine Liste gemacht. 

Nur 7 Prozent der Österreicher finden laut einer Kurier-Umfrage ebenfalls, die Liste JETZT habe die beste Oppositionsarbeit geleistet. Die NEOS lagen mit 26 Prozent als Spitzenreiter knapp vor der SPÖ. (Anm.d.Red.)

Sie wurden jedoch dafür kritisiert, dass Sie sich zu viel mit Personalproblemen beschäftigen mussten.

Das ist normal in Gründungsphasen. Natürlich würde ich mir das gerne sparen. Bei den Grünen habe ich genau dasselbe erlebt. Nach der ersten Legislaturperiode der Grünen waren wir nur noch zwei Abgeordnete des Stammteams. Der Rest war weg. Die ersten Jahre sind Jahre der Klärung, in denen sich herausstellt, wie das gemeinsame Projekt langfristig aussehen soll. 

Sind Sie nach 33 Jahren im Nationalrat überhaupt noch motiviert, noch einmal richtig anzupacken?

Ich muss nur den Kurz und seine Bande sehen, dann bin ich übermotiviert.