“Man muss aufpassen, in der Regierung nicht genau das zu tun, was man zuvor in der Opposition kritisiert hat.”

VON JOHANNES ALMASI-SZABO, SIMON NEHRER UND MAX SCHACHERMAYER

Norbert Hofer zu interviewen, das ist bekannt, ist kein Leichtes. Tatsächlich bleibt er immer freundlich und zuvorkommend, egal wie großräumig der ehemalige Verkehrsminister gerade einer Frage ausweicht. So manch Interessantes über die Vergangenheit der FPÖ, populistische Politik und erfolgreiche Integration ließ sich der freiheitliche Parteiobmann aber dennoch entlocken. Der Spitzenkandidat der Blauen wurde aber auch konkret: Parteipolitische Postenbesetzungen habe er als Minister nicht vorgenommen.

Wie geht es Österreich heute?

Besser als den meisten anderen Ländern auf dieser Welt. Wir haben eine stabile Demokratie, ein gutes Wirtschaftswachstum. Ich glaube, dass Österreich ein Land ist, in dem man sich keine Sorgen machen muss, wenn auf politischer Ebene auch weiterhin die richtigen Entscheidungen getroffen werden.

Während der Amtszeit Ihrer Regierung gab es einige Kritik am Zustand der österreichischen Demokratie, des österreichischen Rechtsstaats.

Diese Kritik gibt es immer von der Opposition. Natürlich gab es die BVT-Hausdurchsuchung, die in Kritik stand. Aber wenn wir uns mit anderen Ländern vergleichen, können wir sehr zufrieden sein.

Die Opposition hat kritisiert, die Begutachtungen für Gesetze seien zu kurz, die Minister zu oft abwesend gewesen. Das Parlament sei missachtet worden.

Ich teile die Kritik, was die Begutachtungen anbelangt. Das müssen wir besser machen.

Wieso sind Sie in die FPÖ eingetreten und nicht in eine andere Partei?

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo alles zwischen SPÖ und ÖVP aufgeteilt war: die Sportvereine, die Wohnbaugenossenschaften, die Autofahrerclubs – bis in die Bereiche, die mit der Politik gar nichts zu tun haben sollten. Mein Vater, ein ehemaliger ÖVP-Gemeinderat, hat sich zu dieser Zeit wieder dazu entschlossen, politisch aktiv zu werden. Obwohl nur auf Gemeindeebene, wurde politischer Druck aufgebaut, weil er auch für die FPÖ kandidiert hat. Das war der letzte Motivationsschub, auch Mitglied zu werden. Dass ich Berufspolitiker würde, habe ich überhaupt nie geplant. 

Damals ist Jörg Haider mit der Kritik am Proporz groß geworden. Ist die FPÖ nach seither zwei Regierungsbeteiligungen nicht ebenso Teil dieses Systems geworden? In den Tageszeitungen werden derzeit dubiose blaue Postenbesetzungen diskutiert. 

Ich habe das in meinem Bereich nicht gemacht. Ich habe keinen Sektionschef ausgetauscht – bis auf eine Dame, die das Haus verlassen hat, weil sie zur ASFINAG gegangen ist. Und die Sektionschefs haben bis auf einen eine andere Parteifarbe gehabt. Die Austro Control habe ich nachbesetzt, weil die beiden Manager gegangen sind. Eine Dame kam von der ÖBB und wurde damals von Christian Kern eingesetzt. Die hat mich wahrscheinlich nie gewählt. Der zweite Vorstand, von dem immer behauptet wird, er wäre mein Fluglehrer gewesen, ist auch kein Freiheitlicher. Er ist kein Mitglied bei uns und ich habe ihn auch nie gefragt, was er wählt. Ich habe auch noch keine einzige Flugminute mit ihm gemacht. Ich bin in einem Kurs gesessen, wo er vorgetragen hat, gemeinsam mit vielen, vielen anderen. Bei den ÖBB gibt es einen roten Chef. Der zweite Vorstand wurde nachbesetzt mit Arnold Schiefer, von dem mir auch Christian Kern gesagt hat, dass er dafür geeignet ist. Dann haben wir die ASFINAG. Hartwig Hufnagl ist ein Freiheitlicher, war aber der bestgereihte Kandidat. Die FFG haben wir rot belassen.

Würden Sie allen anderen FPÖ-Ministerien dieselbe weiße Weste bescheinigen?

Sie haben insofern recht, dass man aufpassen muss, in der Regierung nicht genau das zu tun, was man zuvor in der Opposition kritisiert hat.

Viele junge Menschen haben ihn nicht mehr erlebt: Wer war Jörg Haider?

Jörg Haider war ein Obmann der FPÖ, der mit der Partei sehr erfolgreich war. Jedenfalls bei Wahlen. Die FPÖ war davor eine Partei der Rechtsanwälte und Notare. Haider ist mehr zu den Angestellten und Arbeitern durchgedrungen. Er hat aber Positionen oft gewechselt und es auch seiner eigenen Partei in der schwarz-blauen Regierung nicht leicht gemacht. Das ist oft das Problem, wenn jemand die eigene Person so in den Vordergrund stellt. 

Spielen Sie gerade auf Heinz-Christian Strache an?

Nein. Strache ist ein ganz anderer Typ.

1986 hat Haider die FPÖ vom liberaleren Steger übernommen. Heinz Christian Strache hat dann die FPÖ als soziale Heimatpartei dargestellt. Auf der anderen Seite haben wir eine konservative Ader, aber auch ein wirtschaftsliberales Element. Das ist doch ein untragbarer Spagat, in dem sich die FPÖ auf der Suche nach immer mehr Wählerstimmen festgefahren hat. Wieso ist das noch glaubwürdig? 

Alle Parteien haben, je nachdem welchen Bereich man betrachtet, unterschiedliche Ansätze. Die NEOS sind wirtschaftsliberal, aber verfolgen eine Gesellschaftspolitik wie die Grünen. Wir sind gesellschaftspolitisch sehr konservativ aber wirtschaftlich liberal. 

Was ist für Sie populistische Politik?

Wenn man keine eigene Linie hat, sondern die Linien ausschließlich daran orientiert, was Meinungsumfragen aufzeigen. Das ist nicht gescheit. Aber gescheit ist, die Politik populär zu gestalten und so die eigenen Positionen populär zu machen. Das wäre der richtige Weg.

Können Sie den Vorwurf nachvollziehen, die FPÖ betreibe nach dieser Definition populistische Politik?

Das könnte man jeder Partei in dem Moment vorwerfen, in dem sie populäre Positionen anbringt. Ich kann genauso sagen, die SPÖ ist populistisch, weil sie hohe Pensionen fordert. Man könnte sagen, die ÖVP ist populistisch, wenn sie sagt, es gebe zu viel Bürokratie.

Unter Herbert Kickl wurden die Erstaufnahmezentren in “Ausreisezentren” umbenannt. Viele haben das als zynische Symbolpolitik wahrgenommen. Haben Sie die Kritik damals verstanden?

Wenn jemand eine andere politische Ausrichtung hat, verstehe ich, dass er das kritisiert. Asyl ist Schutz auf Zeit und etwas anderes als Zuwanderung. Asyl heißt: Menschen, die Schutz brauchen, bekommen Schutz und bleiben, bis es in ihrem Heimatland wieder andere Bedingungen gibt.

Herbert Kickl hätte diese politische Position vertreten können, ohne diese zynische Umbenennung vorzunehmen. 

Wir vertreten eben andere Positionen als unsere politischen Gegner. Ich bin mir nicht sicher, ob die nicht Mehrheit der Österreicher mit diesem Begriff nicht zufrieden ist.

Sie haben 2016 im Präsidentschaftswahlkampf den Spruch, „Das Recht geht vom Volk aus“, plakatiert. Wieso genau diese Formulierung?

Für mich ist das die Grundidee einer Demokratie. Wir sind leider bei den Regierungsverhandlungen bei der Frage der direkten Demokratie gescheitert. Wir sind in die Verhandlungen mit dem Vorschlag hineingegangen, dass es bei einem Volksbegehren, das 4 Prozent der Wahlberechtigten unterstützen, eine verpflichtende Volksabstimmung geben soll. Die ÖVP hat im Wahlkampf die Idee übernommen, nur sollten es 10 Prozent sein. Am Ende wurden es 14 Prozent im Regierungsprogramm. 

Haben Sie sich die Forderung gegenseitig wegverhandelt?

Die ÖVP wollte das gar nicht mehr bei den Verhandlungen. Ich verspreche, dass uns das bei den nächsten Verhandlungen nicht mehr passieren würde.

In der österreichischen Verfassung steht eigentlich: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“. Das ist ja ein Plädoyer für repräsentative und nicht für direkte Demokratie.

Ich glaube, wir sind in einer Phase in Österreich, in der wir uns weiterentwickeln können, in der wir auch den Bürgern direkt die Möglichkeit geben wollen, zu entscheiden. Man würde die gesamte Debatte in Österreich auf eine andere Ebene heben, weil es mehr um Sachinhalte ginge. Warum die ÖVP skeptisch war? Man hat gemeint, es könnte dann die Opposition oder die Arbeiterkammer kampagnisieren. Auch mächtige Medien könnten eine Kampagne starten, um die Politik zu beeinflussen. Das kann ich aber auch machen, um eine Partei zu stützen oder zu fördern oder zu verhindern. Das habe ich in allen Bereichen der Demokratie. Wenn ein Bürger wählen kann, kann er auch Sachentscheidungen treffen. 

Es ist etwas ganz anderes, eine Parteiliste mit schon zuvor ausgewählten Repräsentanten zu wählen als Sachentscheidungen zu treffen. 

Ich war lange im Parlament und kann Ihnen garantieren, dass es Mandatare gibt, die sich mit der Materie, wo sie entscheiden, oftmals zu wenig auseinandersetzen.

Was halten Sie vom intellektuellen Niveau der innenpolitischen Debatte?

Wenn Sie sich die Wahlkampfzeiten anschauen, bin ich damit nicht zufrieden. Dennoch stehen wir nicht schlechter da als andere Länder.

Wieso hört man von der FPÖ oftmals so geistlose Sprüche wie „Daham statt Islam“? Kommt man im Bierzelt anders nicht an?

Schauen Sie einmal die Wahlplakate der anderen an. Einen Literaturnobelpreis werden sie damit nicht gewinnen. 

Sie waren 2017 unter den Wählern mit Universitätsabschluss mit sieben Prozent jene Partei mit dem geringsten Prozentsatz (sogar hinter den Kleinparteien wie NEOS oder der Liste Pilz). Polemisch gesagt: Schützt Bildung vor FPÖ-Wählen?

Ich glaube, wir

waren im Parlament die Partei mit der höchsten Rate an Akademikern.

Intelligenz hat aber nicht immer nur etwas mit dem Abschluss zu tun.

Das ist falsch. Die Liste der FPÖ wies 2017 den geringsten Akademikeranteil aller Parteien auf, obwohl noch immer über dem Bevölkerungsschnitt. Ob das gut oder schlecht ist, ist eine andere Frage. Siehe: www.addendum.org/repraesentation/wahllisten/ (Anm.d.Red.)

Apropos: Was haben Sie in der letzten Legislaturperiode für Ihre größte Wählergruppe, die Arbeiter, geleistet?

Wir haben beispielsweise bei der Frage der Pensionen und der steuerlichen Belastung von Arbeit schon einiges erreicht, vor allem für die niedrigen Einkommen. Aber man darf auch nicht Wirtschaft und Soziales auseinanderdividieren. Wir haben in unserem Parteiprogramm ein Kapitel, wo beide Bereiche vorkommen. Gute Standortpolitik ist für beide gut: für die Arbeitnehmer und auch für die Wirtschaft. Eine gute Standortpolitik heißt ein gutes Bildungssystem, nicht zu hohe Steuerlast, nicht zu viel Bürokratie.

Beim Betreten Ihres Büros fällt der erste Blick auf die große Karte Österreich-Ungarns hinter Ihrem Schreibtisch. Welcher Identität fühlen Sie sich eigentlich zugehörig, Herr Hofer?

Ich bin Österreicher, Burgenländer und ein bisschen Wiener. Diese Eisenbahnkarte hat mir übrigens der ungarische Verkehrsminister geschenkt. 

Ist Identität wandelbar?

Ja. Mein Großvater ist aus Amerika eingewandert und hat sich später als Burgenländer gefühlt.

Also Sie trauen, dieser Logik folgend, einem Einwanderer zu, sich in Österreich heimisch zu fühlen und sich Österreich zugehörig zu fühlen? 

Natürlich.

Zur Integration gehört auch die deutsche Sprache. Seit der türkis-blauen Neuregelung der Mindestsicherung sind deutsche Sprachkenntnisse erforderlich, um die gesamte Mindestsicherung zu beziehen. Gleichzeitig – und das ist wirklich verwunderlich – wurde bei den Deutschkursen gespart. Es scheint fast so, als wollten Sie gar keine erfolgreiche Integrationspolitik betreiben. 

Der Sinn war, dass ein Teil der Mindestsicherung verwendet wird, um die Sprache zu erlernen, sollte man sie noch nicht beherrschen. Dafür sollten diese zusätzlichen Mittel ja verwendet werden. 

Wieso wurden dann Deutschkurse in Wien gestrichen, der Integrationstopf abgeschafft, Sprachlehrer des AMS gestrichen?

Dazu wären ja genau diese Mittel da. 

Aber sie wurden ja gestrichen. Sollen diese Kurse fortgeführt werden?

Ja.

War Sebastian Kurz ein guter Kanzler? 

Ja. Aus meiner Sicht hat er seine Aufgabe gut gemacht. 

Wieso haben Sie ihm dann das Vertrauen entsagt? 

Weil die Koalition gebrochen wurde.

An dieser Stelle muss der Spitzenkandidat leider zu einem weiteren Termin, obwohl wir noch zahlreiche Fragen gehabt hätten.

(Anm.d.Red.: Einige wenige Formulierungen des Interviews wurden nach Veröffentlichung aufgrund eines Missverständnisses im Zuge der Autorisierung leicht verändert, ohne aber den Inhalt oder Gehalt des Interviews zu schmälern.)