Euro gerettet,
Pubertät vorbei.
Oder?

VON FELIX OBLIN

Wieso eigentlich Euro-Krise? Der erste Artikel auf dieser Seite zeigt, wie die Entwicklungen in Griechenland, Spanien und Co. als Herde einer großen Krise zusammenhängen und wie es dazu kommen konnte. Dann geht es ums Feuerlöschen: Wie in der Artikelserie „Schauplatz Krise“ ausführlich erläutert, hat die EU verschiedene Rettungsaktionen vollzogen, neue Institutionen eingerichtet und einige Verträge unterzeichnet. Die unteren Texte geben einen Überblick über die Maßnahmen, mit denen die EU, ihre Organisationen und Mitgliedstaaten den Euro retten wollten. Schlagworte wie Euro-Rettungsschirm, ESM, SKS-Vertrag und Quantitative Easing machen nach diesem Artikel hoffentlich mehr Sinn.

Ursachen der Krise

Wie in Euro-Krise I anschaulich erläutert ist die Euro-Krise eine vielschichtige Krise mit verschiedenen Akteuren, die sich in mehreren Teilen Europas unterschiedlich gezeigt hat. Die Ursachen sind ähnlich vielschichtig, miteinander verwebt und ihre Gewichtungen umstritten – von Politikern angefangen bis hin zu renommierten Ökonomen gibt es Meinungsverschiedenheiten. Dieses Kapitel – eine Sammlung von verschiedenen Ursachen, die laut Wissenschaft maßgeblich zur Krise beitrugen – ist daher mit Vorsicht zu genießen. Die Lage ist keinesfalls eindeutig. (Achtung: Komplex, aber es zahlt sich aus.)

Grundlagen: die Zahlungsbilanz

Die Zahlungsbilanz (engl. „balance of payments“) beziffert über einen bestimmten Zeitraum den Wert aller Transaktionen zwischen In- und Ausland und zeigt damit die wirtschaftliche Verflechtung eines Landes mit dem Ausland. Vereinfacht besteht die Zahlungsbilanz aus der Leistungsbilanz und der Kapitalbilanz:

Zahlungsbilanz = Leistungsbilanz + Kapitalbilanz

Die Leistungsbilanz (engl. „current account“, weil alle Transaktionen im Hier und Jetzt erledigt werden) erfasst alle Arten von Transaktionen für Güter und Dienstleistungen und zeigt (simpel gesagt), ob ein Land mehr ausgibt oder einnimmt. Wenn also z.B. ein Grieche ein deutsches Auto kauft, dann steigt die Leistungsbilanz von Deutschland, während die griechische sinkt. Eine positive Bilanz – also wenn ein Land mehr exportiert als importiert – nennt man Leistungsbilanzüberschuss („current account surplus“), das Gegenteil ist ein Leistungsbilanzdefizit („current account deficit“). Die Kapitalbilanz erfasst alle Kapitalbewegungen, oder anders gesagt: wie sich das Eigentum von Dingen im Inland verändert. Eine positive Kapitalbilanz (also ein Überschuss) heißt, dass Geld ins Land fließt, also Ausländer im Inland investieren. Ein Defizit zeigt, dass Kapital aus dem Land fließt, also Inländer im Ausland investieren (oder Ausländer ihr inländisches Eigentum reduzieren). Wenn ein Deutscher sich also eine Apple-Aktie kauft, steigt die Kapitalbilanz der USA, während die deutsche sinkt.

Insgesamt muss die Zahlungsbilanz immer ausgeglichen sein, also Null ergeben. Wieso? Sagen wir, ein Land exportiert gleich viel, wie es importiert, das heißt, dass die Leistungsbilanz ausgeglichen ist und dass die Exporte die Importe finanzieren. Der Grieche kauft sich einen Audi, dafür fährt der Deutsche mit dem Geld, dass er vom Verkauf des Audis erhalten hat, auf Urlaub nach Kreta. Die Kapitalbilanz ist dann auch ausgeglichen, da die Deutschen, um z.B. Aktien in Griechenland zu erwerben, zunächst ihre Aktien in Deutschland verkaufen müssen. Wenn aber Deutschland mehr nach Griechenland exportiert als importiert, also einen Leistungsbilanzüberschuss erwirtschaftet, muss dieser irgendwie finanziert werden. Der Grieche muss also irgendwie sein Geld für den VW (sagen wir 10.000€) auftreiben, ohne dass der Deutsche zu ihm auf Urlaub kommt. Das Kapital dafür muss also aus dem Ausland kommen: er könnte z.B. einen Kredit für 10.000€ von einer deutschen Bank aufnehmen. Mit dem Kredit fließt Geld von Deutschland nach Griechenland, also steigt die griechische Kapitalbilanz genau um den Betrag des VWs. Die Kapitalbilanz (+10.000€) ist somit genau gleich der Leistungsbilanz (-10.000€), nur mit umgekehrtem Vorzeichen.

Der Wechselkurs als Ausgleichsmechanismus

Verschiedene Länder entwickeln sich meist unterschiedlich, so kann es sein, dass ein Land besonders produktiv ist, die Inflation so niedrig hält und wettbewerbsfähiger wird, während andere Länder unproduktiver bleiben (siehe auch den Artikel über Freihandel).

Produktivität ist allgemein das Verhältnis zwischen Produziertem und den dafür benötigten Produktionsfaktoren, also zwischen Output und Input.

Die produktiven Länder exportieren ihre Erzeugnisse und erhalten viel Kapital, denn jeder will in sie investieren. China beispielsweise kann tolle Elektrogeräte billig produzieren und verkauft an die ganze Welt. Weil jeder zuerst chinesische Yuan kaufen muss, um die Elektrogeräte zu kaufen, erhöht sich die Nachfrage für die Währung des produktiven Landes und drückt ihren Preis nach oben, sprich: die Währung wertet auf. Bei den weniger produktiven Ländern passiert das Gegenteil, dort wertet die Währung ab. Das macht es für Ausländer wieder billiger, die Produkte aus unproduktiveren Ländern zu kaufen, während produktive Länder teurer werden. So gewinnen die unproduktiveren Länder wieder an Wettbewerbsfähigkeit. Im Nachkriegseuropa ist das in etwa so passiert: Deutschland und Österreich (z.B.) entwickelten sich produktiver, was D-Mark und Schilling gegenüber der italienischen Lira oder der griechischen Drachme aufwerten ließ.

Mit der schrittweisen Entwicklung zu einer Währungsunion sollte in Europa vor allem der Handel vereinfacht werden, um nicht von fluktuierenden Wechselkursen abhängig zu sein. Für Händler aus Exportländern hieß die steigende Währung, dass ihre Produkte für Ausländer immer teurer wurden und sie somit weniger verkaufen konnten. Für Importländer auf der anderen Seite war die sinkende Währung auch ein Problem, da Investoren höhere Renditen verlangten. Insgesamt war das Risiko, über die Grenzen zu handeln, höher und sollte mit einer gemeinsamen Währung reduziert werden; dafür konnten Leistungsbilanzdefizite und -überschüsse nicht mehr über die Wechselkurse ausgeglichen werden.

Der Ausgleichsmechanismus fehlt: Das Abwertungsdilemma

In den 2000er-Jahren wuchs die private und öffentliche Verschuldung in die peripheren (also Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Irland etc.) Staaten stark an (siehe Schauplatz Krise I-IV), während die Inflation von Preisen und Löhnen höher ausfiel als in Zentraleuropa (Österreich, Deutschland, Niederlande etc.), allerdings ohne Produktivitätssteigerung. Das verringerte die Wettbewerbsfähigkeit der Peripherie, was durch die „fixen“ (eigentlich: nicht mehr existenten) Wechselkurse nicht über den bisherigen Mechanismus auszugleichen war. Im direkten Vorgängermodell des Euros, dem Europäischen Währungssystem (1979-1998), bei dem eine Bandbreite für Wechselkurse festgelegt war, konnte diese Bandbreite noch angepasst werden (siehe Schauplatz Krise IV: Italien), seit 1999 gibt es allerdings nur noch eine gemeinsame Währung.

Um die Wettbewerbsfähigkeit der Südländer wiederherzustellen, blieb als Alternative nur die sogenannte innere Abwertung, sprich die Senkung von Preisen und Löhnen im Inland. Das funktioniert im Prinzip schon, wenn Preise und Löhne langsamer als in den wettbewerbsfähigen Ländern ansteigen (also Deutschland höhere Inflation hätte als Griechenland); ein tatsächlicher Fall von Preisen und Löhnen (Deflation) ist aber sehr unangenehm und löst meist eine Reihe weiterer Probleme aus (z.B. Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Proteste in Griechenland). Ein weiteres Problem entsteht durch die hohe Verschuldung: Insolvenzen, Lohnkürzungen und steigende Arbeitslosigkeit führen dazu, dass viele Leute ihre Kredite nicht zurückbezahlen können und den Banken Verluste einbringen. In weiterer Folge kann das z.B. den Staat-Banken-Teufelskreis (Schauplatz Krise II) in Gang bringen. Eine andere Methode wäre, die Inflation in den Kernländern in die Höhe zu bringen. Eine gezielte Inflationssteigerung innerhalb einer Währungsunion hat sich aber bisher als sehr schwierig erwiesen.

Verzicht auf Autonomie

Die äußere Abwertung kann natürlich auch auf Kommando der Zentralbank geschehen, die die Geldmenge im eigenen, betroffenen Land erhöhen kann. Mit der Einführung des Euros haben die Euroländer allerdings ihre Autonomie über ihre Währungspolitik aufgegeben, für die gemeinsame Währungspolitik ist die EZB verantwortlich. Diese verschwundene Autonomie ist auch ein Hindernis, wenn es darum geht, Schocks wie eine geplatzte Immobilienblase lokal (also z.B. nur in Irland) zu bekämpfen, indem z.B. die Zinsen gesenkt werden.  

Gefahr Transferunion

Als weitere Möglichkeit, der Krise mit nominalen Lohnkürzungen und Deflation zu entkommen, gelten öffentliche Transfers, also Ausgleichszahlungen von den produktiven Ländern hin zu den unproduktiven. Wenn diese Produktivitätsunterschiede nicht geschlossen werden, kann es zu einer permanenten Transferunion kommen, die schwerwiegende Kosten haben kann (siehe Schauplatz Krise Italien, Nord-Süd-Gefälle): Abwanderung talentierter, junger Arbeitskräfte, Korruption (z.B. Mafia, die sich von den Transfers nährt) etc. starten eine Abwärtsspirale, die die Produktivitätsunterschiede noch schlimmer macht.

Niedrige Zinsen, hohe Schulden und private Kapitalströme

Mit der Einführung des Euros in den 1990er-Jahren eröffneten sich neue Möglichkeiten auf Kapitalmärkten (und anderen Gütermärkten), vor allem für die Länder der Peripherie, die vorher nur erschwert Zugang zu internationalen Finanzmärkten hatten. Investoren freuten sich über die plötzlich verschwundenen Wechselkursrisiken und hatten große Erwartungen an das Wachstum (möglichst viel!) und Risiko (möglichst wenig!) in der neuen Eurozone. Zusätzlich dazu trugen das allgemein niedrige Zinsniveau der 2000er-Jahre und eine lockere Regulierung der Finanzmärkte bei, dass v.a. die späteren Krisenländer einfachen und günstigen Zugriff zu Fremdkapital (also ausgeborgtes Geld) erhielten. Also war es für alle Beteiligten – den spanischen und irischen Häuslbauer, den italienischen Proseccohändler und auch z.B. den griechischen Staat – plötzlich sehr attraktiv, sich Geld auszuborgen, um sich ein Haus, Konsum oder eine neue Fabrik zu finanzieren. Auf der anderen Seite fanden Investoren aus Deutschland es plötzlich besonders reizvoll und sicher, ihr Geld in Südeuropa anzulegen.

Diese privaten Kapitalflüsse von Nord nach Süd führten auch dazu, dass Südländer brav im Norden einkauften: ab der Einführung des Euros bauten Griechenland, Italien, Spanien & Co. ihre Leistunsbilanzdefizite aus (sprich: sie importierten mehr, als sie exportierten), während Deutschlands Überschüsse steil anstiegen. So bauten sich starke Ungleichgewichte auf, die normalerweise durch den Ausgleichsmechanismus in Zaum gehalten werden. Gleichzeitig beobachtete man deutliche Kapitalbilanzüberschüsse in der Peripherie und starke Kapitalabflüsse im Zentrum Europas. Kernproblem dabei war, dass das zusätzliche Kapital nicht zur Produktivitätssteigerung eingesetzt wurde – es landete oft in unproduktiven Sektoren (z.B. Häuserkredite in Spanien, Irland) oder wurde vom Staat verprasst (Griechenland). Das trieb die Preise und Löhne in die Höhe, was den Süden noch wettbewerbsschwacher machte und ihn ins oben erklärte Abwertungsdilemma trieb.

Illustration im Detail

Ein großer Teil der Kapitalflüsse bestand aus kurzfristigen Krediten zwischen Banken (Großhandelsfinanzierung, siehe Schauplatz Krise II). Zur anschaulichen Darstellung ein Beispiel, in dem Deutschland als typisches Kernland, Spanien als typisches Peripherieland fungiert. In den 2000er-Jahren – aufgrund des als gering empfundenen Risikos und der niedrigen Zinsen – erhalten spanische Banken besonders günstige, kurzfristige Kredite von deutschen Banken und können so weit mehr Häuslbauerkredite ausgeben als vorher. Pablo aus Valencia nimmt sich so einen Kredit von Banco Santander und baut sich damit ein neues Haus, dazu auch einen deutschen Miele-Geschirrspüler, Siemens-Staubsauger und einen OTIS-Lift. Sein Kredit flutscht also zurück ins deutsche Finanzsystem. Miele, Siemens und OTIS bezahlen damit ihre Mitarbeiter und so landet Pablos Geld wieder bei der Deutschen Bank, die zuvor einen kurzfristigen Kredit an die Banco Santander ausgegeben hat. Das ging so lang weiter, bis die Weltwirtschaftskrise 2008 eintraf und z.B. die Immobilienblasen in Spanien und Irland langsam kollabierten (siehe Schauplatz Krise II).

Hochmut kommt vor dem Fall

Bei der ganzen Geschichte darf auch die Rolle des Banken- und Finanzsystems nicht unterschätzt werden: Einzelne Länder wie Irland oder Zypern verschafften den Banken finanzielle Vorteile durch z.B. geringe Regulierung, die Banken selbst wiederum vermittelten ihre Produkte exzessiv, Investoren waren oft euphorisch und vorschnell, Kreditwürdigkeit wurde gerne überschätzt. Die so entstehenden Blasen waren entscheidend für den Ausbruch der Weltwirtschafts- und Euro-Krise.

Mit dem Beginn der Krise setzte dann die Kapitalflucht zur Sicherheit ein (siehe Schauplatz Krise II): die Kapitalströme vom Zentrum zur Peripherie stoppten plötzlich und drehten um 180 Grad. Deutsche und österreichische Banken wollten ihr Geld so schnell wie möglich in Sicherheit bringen, was zu fallenden Preisen, steigenden Renditen auf Staatsanleihen (sprich: die lange niedrigen Zinsen schnellten plötzlich in die Höhe und machten es für die Südländer teurer, sich Geld zu beschaffen, was vor allem angesichts der Wirtschaftskrise besonders problematisch war) und einem Kreditstopp führte. Viele Unternehmen gerieten in Teufels Küche, konnten sich nicht mehr refinanzieren und somit ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. Das ist vor allem in produktiven Sektoren problematisch, weil der Wirtschaft des Landes so nachhaltig Schaden zugefügt wird.

Zurück zu Pablo und unserem Beispiel: Die Deutsche Bank hat nun Angst, dass Santander ihre Kredite nicht mehr zurückzahlt und verweigert ihr einen neuen Kredit – sie möchte ihr Geld so schnell wie möglich in Sicherheit bringen. Pablo hat seinen Kredit aber für 10 Jahre ausgeborgt, so wie alle anderen spanischen Häuslbauer, das heißt, dass Santander plötzlich große Liquiditätsprobleme hat und nicht zahlen kann. Das führt dazu, dass die Zinsen, mit denen sich Santander Geld ausborgen kann, in die Höhe schießen: Keine (deutsche) Bank möchte Santander mehr Geld borgen. Während die Deutsche Bank ihr Kapital bei der EZB parkt, weil sie es dort als sicher sieht, klopft die Santander bei der EZB an und bittet um Hilfe (dies führt dann zu TARGET2-Ungleichgewichten, siehe Artikel über den Euro) Das Bankensystem in Europa steckt voll in der Krise.

Regeln sind da, um gebrochen zu werden?

Im Vertrag von Maastricht 1992 einigten sich die EU-Mitgliedsstaaten auf die sogenannten Konvergenzkriterien (auch Maastricht-Kriterien), die für Stabilität und Zusammenhalt in der EU, vor allem aber in der Währungsunion sorgen sollen. Der Gedanke dabei ist, dass sich die verschiedenen Wirtschaftsräume durch die Einhaltung von genauen Regeln in ihrer Produktivität und Leistungsfähigkeit an die anderen anpassen – also konvergieren. Länder, die dem Euro beitreten wollen, müssen die Kriterien vorher erfüllen: Die zwei bekanntesten sind das Schuldenlimit von 60% des BIPs und die Begrenzung des jährlichen Haushaltsdefizits auf 3% des BIPs. Das heißt zum Beispiel, dass der Staat Österreich (BIP 2018 ca. 390 Mrd. Euro) seinen Schuldenberg nicht über 234 Mrd. Euro (60%) anhäufen lassen darf und jedes Jahr maximal 12 Mrd. Euro (3%) mehr ausgeben darf, als durch Steuern etc. eingenommen wird. Diese Regeln gelten auch nach dem Euro-Beitritt und sind dafür im sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt geregelt. Ausnahmeregelungen gibt es für problematische Zeiten wie Rezessionen, in denen sich ein Staat höher verschulden darf, um der Krise entgegenzuwirken.

In der Tat wurden diese Regeln von fast allen Euroländern mehrmals kontinuierlich verletzt. Während bei der Einführung des Euros 1999 scheinbar alle Euroländer die Kriterien einhielten (wenn auch knapp, wie im Fall Griechenlands oder Italiens), wurde später klar, dass Griechenland seine Zahlen manipuliert hatte und die Maastricht-Kriterien bereits bei der Euro-Einführung deutlich verletzte (z.B. Schuldenstand 104% im Jahr 2000). In den Folgejahren wurden die Regeln von fast allen Ländern missachtet, vor allem auch von Deutschland. Das IFO-Institut berichtete 2016 von insgesamt 165 Regelüberschreitungen, wovon nur 51 aufgrund z.B. einer Rezession erlaubt waren. Vorgesehene Sanktionen – wie beispielsweise das Defizitverfahren, das den Italienern kürzlich angedroht wurde (siehe Schauplatz Krise IV) – wurden nie verhängt. Darüber hinaus betrafen (und betreffen) die Kriterien nur die staatliche Schuldenmacherei, die zwar in Griechenland das Hauptproblem der Krise darstellte, aber sonst nur eine Nebenrolle spielte bzw. die Konsequenz anderer Probleme war (z.B. Bankenrettungen). Die Entwicklung der Privatverschuldung und der damit verbundenen privaten Kapitalströme (siehe voriger Absatz) wurde nie besonders beachtet.

Finanzstabilität? Hoppala, vergessen!

Als der Maastricht-Vertrag rund um 1990 ausverhandelt wurde, lag der Fokus klar auf geldpolitischer und fiskalpolitischer Stabilität (sprich: stabile Inflation, Wechselkurs, Staatsverschuldung). Wie im Artikel „Schauplatz Krise“ im Detail erläutert spielten die Finanzmärkte in der Krisenentwicklung allerdings eine zentrale Rolle, die bei der Konzeption der Eurozone nicht berücksichtigt wurde. Das hat die Gründe, dass sich die europäischen Finanzmärkte und Banken erst in den folgenden zwei Jahrzehnten zu global agierenden und integrierten Systemen entwickelten (siehe auch Schauplatz Krise II, „Banken im Wandel“) und dass die Welt erst 1997 durch die Südostasienkrise auf die gefährlichen Verwebungen zwischen verschiedenen Märkten aufmerksam wurde. Das weltweite Finanzsystem war damals viel kleiner, unbedeutender und weniger komplex als heute.

Was genau wurde also übersehen? Durch die Transformation zu einem global vernetzten, modernen Banksystem nahm das Risiko deutlich zu, von Problemen auf anderen Märkten angesteckt zu werden; quasi Krankheiten im ganzen Kindergarten verbreiten. So wurden viele europäische Banken z.B. von der amerikanischen Subprime-Krise direkt getroffen. Zusätzlich traten verschiedene endogene (also im Inneren erzeugt) Rückkopplungseffekte (Feedback-Loops) ein, ganz zentral: die Liquiditätsspirale, die Disinflationsspirale und der Staaten-Banken-Teufelskreis (siehe Schauplatz Krise II). Um diese hübschen Mechanismen – was also genau in einer Finanzkrise passieren kann – besser zu verstehen, folgt ein Beispiel.

Rückkopplungseffekte in Finanzkrisen

Zu Beginn steht irgendein Schock, der das System trifft, z.B. die hohen Kreditausfälle am Subprime-Markt in Amerika 2007. Die Deutsche Bank (repräsentativ für alle europäischen Banken) ist darin investiert, erleidet Verluste auf ihrer Bilanz und steht plötzlich hochverschuldet da. Zur Erinnerung: Die Bank borgt sich Geld von Anlegern und anderen Banken aus und vergibt Kredite. Wenn die Kredite an Wert verlieren, macht sich die Bank Sorgen, dass sie ihre Gläubiger nicht mehr bezahlen kann (siehe Artikel über Geld und Schauplatz Krise II für Details, wie die Bilanz einer Bank funktioniert). Die Deutsche Bank wird nun aufhören, neue Kredite auszugeben und versuchen, bestehende Kredite an andere Finanzinstitutionen weiterzuverkaufen, um an Geld zu kommen.

Der Kreditstopp trifft z.B. die Voestalpine, die sich eine neue Fabrik bauen wollte oder die Strabag, die ihre Mitarbeiter bezahlen muss. Das führt zu Insolvenzen und Arbeitslosigkeit, wodurch noch mehr Kredite nicht zurückgezahlt werden können und die Banken wieder Verluste erleiden. Die geringere Kreditvergabe trägt zusätzlich dazu bei, dass die Geldmenge langsamer wächst. Gleichzeitig wollen Privatpersonen und Firmen wie Voestalpine jetzt aus Schutz vor der Krise an Geld kommen. Das alles führt dazu, dass die Inflation zurückgeht – die Disinflationsspirale. Inflationsrückgänge bereiten wiederum der Deutschen Bank wieder Sorgen, da ihre Schulden sich nicht so schnell entwerten, und sie gerät umso mehr unter Druck.

Bei der Deutschen Bank brennt nun der Hut, sie braucht dringend Geld und fängt an, schnell große Mengen an Krediten zu verkaufen (ein sogenannter Fire Sale). Die Erste Bank, die vermutlich ähnliche Probleme hat, wird mit der Deutschen nur zu sehr günstigen Preisen ins Geschäft einsteigen, der Preis fällt also. Fallende Preise führen zu weiteren Verlusten bei der Deutschen Bank, die weitere Fire Sales erfordern. Gleichzeitig wird das Ausborgen von neuem Geld für die Deutsche Bank teurer, da der Markt misstrauisch ist. Das ist die Liquiditätsspirale.

Staat-Banken-Teufelskreis und Kapitalflucht zur Sicherheit

Das gerade beschriebene toxische Krisenumfeld führt dazu, dass Banken von den Nationalstaaten gerettet werden müssen und der Teufelskreis setzt wieder ein. Gleichzeitig möchten Investoren ihr Kapital in sichere Anlagen parken, was im Falle der Euro-Krise eine Kapitalflucht aus den Peripherieländern ausgelöst hat. Auch diese Phänomene wurden Maastricht-Vertrag nicht berücksichtigt und destabilisierten die Eurozone ungehindert.

Weltwirtschaftskrise

Maßgeblich für die Vorbereitung und den Ausbruch der Euro-Krise war außerdem die Große Rezession mit der globalen Finanzkrise 2007-2009. Die exzessive Kreditvergabe, die von den USA ausging und auch in Europa (z.B. Spanien, Irland, siehe Schauplatz Krise II) ihr Spiel trieb, und die dadurch verursachten Immobilienblasen führten nach ihrem Platzen zu dramatischen Verlusten bei Banken, Firmen und Haushalten. So entstand ein erster Schock, der Rückkopplungseffekte wie oben beschrieben auslösen könnte. Zusätzlich erforderte der Rückgang der weltweiten Wirtschaftsleistung Rettungsaktionen und Konjunkturpakete, die die finanzielle Situation der Euroländer weiter belasteten.

Wirtschaftspolitische Programme zur Sicherung von Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und Preisstabilität, vor allem in Zeiten von Konjunkturschwankungen, also z.B. Rezessionen. Simpel gesagt: der Staat versucht, durch Beschäftigungsprogramme, Steuersenkungen, Investitionen o.Ä. die geschwächte Wirtschaft anzukurbeln.

Die Rhein-Trennlinie der (ökonomischen) Philosophien

Die Professoren Brunnermeier, James und Landau argumentieren in ihrem Buch (siehe weiterführende Literatur), dass das Kernproblem des Euros die fundamentalen Unterschiede zwischen den Philosophien der Eurozonen-Gründerstaaten sind. Vorrangig geht es dabei um die Denkunterschiede zwischen den Machtzentren Deutschland und Frankreich, im weiteren Sinne aber zwischen dem „Norden“ (den Kernländern) und dem „Süden“ (der Peripherie). Entlang des Rheins werden vier Dimensionen herausgearbeitet:

Regeln versus Flexibilität

Während in Deutschland der Föderalstaat auf einem soliden, präzise formulierten Rechtssystem basiert, setzt die französische Tradition mit ihrem zentralistischen System auf Initiative und Flexibilität seitens der Machthaber. Deutschland setzte sich in der Krise z.B. stark für eine Haftung der privaten Investoren ein (PSI), während Frankreich auf flexible Krisenlösungen beharrte. Die deutsche Strategie versucht, Krisen in der Zukunft zu verhindern, die französische bekämpft die aktuelle Krise.

Haftungsprinzip versus Solidarität

In Deutschland hält man viel darauf, die Suppe, die man sich eingebrockt hat, wieder auszulöffeln. Frankreich, auf der französischen Revolution aufbauend, feiert die Brüderlichkeit, gemeinsam für die Schwachen einzustehen. Frankreich steht für die Vermeidung von Schuldenschnitten für Staaten wie Griechenland und tritt für eine Fiskalunion ein. Deutschland spricht sich dafür gegen eine allgemeine gegenseitige Haftung zwischen den Euroländern aus und befürwortete den Bankrott von überschuldeten Ländern.

Liquidität versus Solvenz.

Liquidität ist die Fähigkeit, seinen aktuellen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Wenn du also genug Geld auf deinem Konto hast, um deine Miete zu bezahlen, dann bist du liquide. Du kannst solvent sein und trotzdem illiquide: Wenn dein Bausparvertrag zwar 10.000 Euro wert ist, aber erst in 10 Jahren aufgelöst werden kann und deine Miete (nur 1.000 Euro) jetzt bezahlt werden muss, bist du zwar solvent, aber illiquide. In diesem Fall könnte dir leicht geholfen werden, wenn du dir 1.000 Euro von deinem Freund für 10 Jahre ausborgst.

Solvenz ist die Fähigkeit, langfristig seine Verbindlichkeiten bezahlen zu können. Eine Firma ist insolvent, wenn ihre Vermögensgegenstände niedriger sind als ihre Schulden. Ein Staat ist insolvent, wenn die zukünftigen Staatseinnahmen die Ausgaben nicht decken können und er seine Schulden daher nicht zurückzahlen kann.

Frankreich, genauso wie der angelsächsische Raum, sieht in finanziellen Krisen meistens Liquiditätsprobleme, die sich mittels gezielter Intervention wieder lösen lassen. Deutschland indes glaubt schnell an Solvenzprobleme, die sich nur durch Bankrott und einer radikalen Verhaltensänderung im System klären können. Frankreich setzte sich daher generell für Bail-outs ein, während Bail-in für Deutschland notwendig ist, um nicht „gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen“.

Stimulus versus Austerität.

Stimulus („Anreiz“) bedeutet im ökonomischen Kontext eine Maßnahme zur Konjunkturbelebung und Nachfragesteigerung. Praktisch heißt das z.B., die Geldmenge zu erhöhen oder Konjunkturpakete zu verabschieden.

Austerität bedeutet Sparsamkeit, im ökonomischen Kontext oft eine strenge, schuldenverringernde Staatshaushaltspolitik.

Bei der Antwort auf die Euro-Krise ist für Deutschland ein harter Sparkurs der richtige Weg, um Staaten und Institutionen zur Reform zu zwingen und Verhaltensexzesse zu verhindern. Deutschland befürwortete daher harte Auflagen für die Rettungsprogramme in Griechenland und Co. Frankreich glaubt, dass zu viel Sparen die Liquiditätsprobleme, die die Krise hervorgerufen hat, noch schlimmer macht. Daher muss Geld in den Markt gepumpt werden und Konjunkturpakete verabschiedet werden, um die Wirtschaft anzutreiben und aus der Krise zu holen. Reformen sollen in Boom-Phasen umgesetzt werden, um nicht noch mehr Schaden anzurichten.

Diese Denkunterschiede haben im Laufe der Krise oft zu Missverständnissen und Kompromissen geführt, die von beiden Seiten falsch interpretiert wurden. Die Autoren sehen die Lösung der Euro-Krise nur in einem besseren Verständnis der jeweils gegenüberliegenden Sichtweise. Gleichzeitig wird aber auch betont, dass sich beide Seiten ergänzen müssen, um langfristig tragfähig zu sein.

Maßnahmen gegen die Krise

Quick Basics: bail-out vs. bail-in

Wenn ein Staat, eine Bank oder eine Firma in finanzielle Not rutscht und die ausstehenden Schulden nicht mehr bezahlen kann, gibt es zwei prinzipielle Möglichkeiten. Ein bail-out ist eine finanzielle Rettungsaktion durch eine andere Partei in Form eines Notkredits, einer Schuldenübernahme, einer Verstaatlichung o.Ä. Ein bail-in ist das Gegenteil, hier werden Gläubiger am Verlust beteiligt und müssen (zumindest einen Teil) ihrer Forderungen aufgeben. Ein bail-out wird meistens als notwendig gesehen, wenn eine Insolvenz der sorgenbereitenden Institution noch viel größeren Schaden anrichten kann. Große Banken beispielsweise gelten als Systemically Important Financial Institutions (SIFI) (systemrelevante Finanzinstitutionen) oder too big to fail (zu groß zum Scheitern), wenn ihr Bankrott eine größere Krise auslösen könnte.

Gegner von bail-outs weisen darauf hin, dass ein bail-out für die jeweiligen Institutionen den falschen Anreiz setzt, moralisch bedenkliche Risiken einzugehen. Plakativ gesagt: Gierige Bankmanager oder korrupte Politiker hätten nichts zu befürchten, besonders riskante Geschäfte einzugehen oder es mit den Staatsausgaben zu übertreiben. Ihre Geldgeber und sie wissen: im Notfall rettet der Staat. Im Maastricht-Vertrag gibt es deswegen (vor allem auf Drängen Deutschlands hin) die sogenannte Nichtbeistands- oder No-Bail-out-Klausel, die eine gegenseitige Haftung (auch eine Haftung der EU) für einzelne Staaten ausschließt. Viele Kritiker sehen im Euro-Rettungsschirm eine Verletzung dieser Klausel. Der EuGH hat diesen Vorwurf in einem Urteil allerdings verneint.

Der Euro-Rettungsschirm

Unter dem Euro-Rettungsschirm werden die Maßnahmen und Institutionen von EU und Eurozone zusammengefasst, die Krisenländern finanzielle Nothilfe zur Verfügung stellen. Im Frühjahr 2010, als Griechenland um Hilfe rief (siehe Schauplatz Krise I), brannte der Hut in Europa: Den politischen Entscheidungsträgern wurde klar, dass eine finanzielle Rettung notwendig war; gleichzeitig verbot die Nichtbeistandsklausel jegliche Unterstützung seitens der EU. Der sogenannte Flash Crash auf den Börsen am 6. Mai 2010 verschlimmerte die Nervosität in Europa nur. Gemeinsam mit dem IWF gewährte man als ersten Schritt bilaterale Hilfskredite an Griechenland über die „Greek Loan Facility“. Gleichzeitig wurde aber ein Schritt hin zu einem institutionalisierten Kriseninstrument getätigt: der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) wurde gemeinsam mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) vorgestellt.

Computerbasierte Hochfrequenzhändler lösten nach negativen Nachrichten zur Lage in Griechenland einen 9 %-Sturz am amerikanischen Aktienindex Dow Jones aus, der sich blitzschnell wieder einfing.

Zuerst: EFSF und EFSM

Was sollen diese Zungenbrecher? Zur Sicherung der Finanzstabilität in Europa wurde eine zunächst temporäre (EFSF/EFSM) zwischenstaatliche (!) Institution geschaffen, die finanzielle Unterstützung an Krisenländer vergeben kann. Der EFSF ist als private Aktiengesellschaft aufgesetzt, die am Kapitalmarkt Anleihen an Private ausgibt und die so bezogenen Kredite an die Problemländer weitergibt (verbunden mit Reformbedingungen). Das Stammkapital des EFSFs wird von den Euroländern anteilig zur Verfügung gestellt, wobei damals alle Länder mit AAA-Bonität (also der höchsten Bewertung durch die Ratingagenturen) überproportional Kapital beisteuerten, damit der EFSF ebenfalls AAA-bewertet wurde.

Ein Triple-A-Rating oder AAA-Bonität ist die höchste Bewertungsstufe, die Ratingagenturen vergeben, wenn sie die Kreditwürdigkeit eines Landes oder einer Institution analysieren. Kreditwürdigkeit ist die Fähigkeit, offene Rechnungen, Kreditrückzahlungen und andere Zahlungsverpflichtungen zuverlässig zu begleichen – also wenn sich jeder sicher sein kann, dass Lisa nächstes Monat ihre Miete und ihre Handyrechnung bezahlt, gilt sie als kreditwürdig.

Sinn dahinter ist, dass der EFSF sich zu niedrigen Zinssätzen (weil: geringes Risiko für Anleger, da hoch bewertet und von den Euroländern garantiert) Geld ausborgen kann, während das Krisenland selbst viel höhere Zinsen zahlen müsste. Der EFSF durfte anfangs bis zu 440 Mrd. Euro aufnehmen und vergab Kredite an Griechenland, Irland und Portugal. Parallel dazu wurde der EFSM geschaffen, der ähnlich funktioniert, aber von der EU und ihren Mitgliedern (nicht nur der Eurozone) finanziert und garantiert wird. Der EFSM ist mit 60 Mrd. Euro deutlich kleiner und versorgte bisher Irland, Portugal und Griechenland mit Notkrediten.

Dann: ESM

Wenige Monate später, als die Krise noch schlimmere Ausmaße angenommen hatte, wurde klar, dass die Größe von EFSF und EFSM den Herausforderungen nicht gewachsen war. Eine Vergrößerung der Mittel scheiterte allerdings am Widerstand aus zahlreichen Mitgliedsländern. 2011 einigten sich die Euroländer auf eine permanente Lösung: den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der als neue Institution in den EU-Verträgen verankert wurde. Die Funktionsweise bleibt gleich, die Kapazität wurde allerdings auf 500 Mrd. Euro ausgebaut. Der ESM übernimmt schrittweise die Verwaltung der EFSF-Programme, die noch nicht abgeschlossen sind. Insgesamt wurde der ESM so bereits für Irland, Portugal, Spanien, Zypern und Griechenland aktiviert. Details zu den Hilfsprogrammen finden sich in „Schauplatz Krise I-IV“.

Der Sixpack

Nach Anbruch der Krise wollte die EU schnell wieder fit werden: ein Sixpack musste her! Der Sixpack ist ein Paket aus sechs Gesetzen, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt reparieren sollten: Die Regeln zum Abbau von überhöhter Staatsverschuldung (über 60 %) wurden verschärft, die Defizitverfahren effektiver gestaltet (nachdem in den Jahren zuvor zwar viele Regeln gebrochen, aber keine Sanktionen verhängt wurden) und statistische EU-Standards zur volkswirtschaftlichen Überwachung vereinheitlicht.

Vertrag von 1997 zur Sicherung der Stabilität in der Wirtschafts- und Währungsunion insbesondere durch klare Verschuldungsregeln. Für die Euroländer sind hier die Maastricht-Konvergenzkriterien, die bereits vor dem Euro-Beitritt wirksam sind, verankert.

Zusätzlich wurde ein Frühwarnsystem für riskante makroökonomische Ungleichgewichte (z.B. hohe Leistungsbilanzdefizite) eingeführt, das im Falle des Falles gemeinsam mit der Regierung des betroffenen Landes an einem Aktionsplan arbeitet und diesen überwacht.

Europäischer Fiskalpakt, Schuldenbremse oder SKS-Vertrag

Da der Stabilitäts- und Wachstumspakt sein Ziel verfehlt hatte, wollte man zusätzlich zum Sixpack noch stärkere Maßnahmen setzen, um zukünftige Schuldenexzesse und Euro-Krisen zu verhindern. Der 2012 unterschriebene Pakt beinhaltet noch strengere Obergrenzen für Budgetdefizite und strikte Mechanismen zum Schuldenabbau, wenn die 60 %-Maastricht-Schuldengrenze überschritten würde. Die Länder verpflichten sich dazu, die Schuldenregeln in ihrer Verfassung zu verankern und den EuGH als quasi-Schuldenpolizei zu akzeptieren. Bei Verletzungen der Schuldenregeln treten automatisch Konsequenzen in Kraft bis die Länder gemeinsam mit der EU-Kommission Pläne zum Schuldenabbau festlegen. Hier hat sich vor allem Deutschland als Befürworter klarer Regeln verwirklicht, das selbst bereits 2009 eine Schuldenbremse in der Verfassung verankert hatte.

Bankenunion und Finanzaufsicht

In den Anfängen des Euros stellte man sich die Zuständigkeiten so vor: Wenn eine Bank der Insolvenz nahekommt, kümmert sich das Finanzministerium des jeweiligen Landes um sie und leistet im Notfall Unterstützung. Liquiditätsprobleme werden von der nationalen Zentralbank oder der EZB (wenn die Probleme groß genug sind) gelöst. Dieses System der national regulierten, aber europäisch und global agierenden Banken brachte einige Probleme mit sich: In Krisenzeiten, wenn eine Bank Verluste macht, stürzen sich die nationalen Regulatoren auf die intakten Vermögenswerte, um nicht im eigenen Land eine bankrotte Bank zu haben, die der Steuerzahler retten muss. Das führt dazu, dass eine international agierende Bank lokale Risiken nicht einfach in ihrem Netzwerk abfedern kann, weil nationale Behörden in den Ländern der intakten Vermögenswerte sie daran hindern. So sicherte sich Großbritannien in der Finanzkrise z.B. die Vermögenswerte einer maroden isländischen Bank mit dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung. Das macht die europäischen Banken riskanter, was ihre Finanzierung teurer macht (da Investoren deshalb höhere Renditen verlangen).

Politisches Kalkül in Krisenzeiten stellt ein weiteres Problem dar: Wenn in einer Rezession beispielsweise viele Firmen und Privatleute Pleite gehen, die Banken dabei mitreißen und so die Vermögen zahlreicher Landsleute gefährdet sind, hilft der Staat den Banken gerne aus, um die Wählerschaft bei Laune zu halten. Wenn es den Banken allerdings besonders gut geht oder – noch besser – die Banken von Ausländern finanziert sind, ist es für den Staat leichter, die Verluste in Richtung der Banken zu schieben (z.B. indem es Unternehmen gesetzlich leichter gemacht wird, in Konkurs zu gehen und so ihre Schulden zu erlassen), da keine Wähler bedroht sind. Investoren erwarten das natürlich auch, verlangen eine höhere Rendite oder ziehen bei Gefahr ihr Kapital schnell aus dem Land ab, was das Bankensystem destabilisieren kann. Ferner verstärkt der nationale Fokus den Staat-Banken-Teufelskreis und die Kapitalflucht in die Sicherheit (siehe Schauplatz Krise II). Aus all diesen Gründen mangelte es dem europäischen Bankensystem an Sicherheit, während gleichzeitig der politische Wille fehlte, das System europäischer zu machen (da die nationalen Regierungen gerne ihre Macht über die lokalen Banken behalten).

Nach der Finanzkrise und angesichts der beginnenden Euro-Krise war die Bereitschaft umso höher, die Banken- und Finanzmarktaufsicht zu verbessern. 2010 einigte man sich daher auf das Europäische Finanzaufsichtssystem (European System of Financial Supervision, ESFS), das sich aus den drei Europäischen Finanzaufsichtsbehörden (European Supervisory Authorities, ESA) und dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board, ESRB) zusammensetzt. Der ESRB überwacht die Stabilität des Finanzsystems als Ganzes und arbeitet dabei eng mit den ESA und der EZB zusammen. Die ESA überwachen die einzelnen Akteure in jeweils verschiedenen Märkten: die Europäische Bankenaufsicht (European Banking Authority, EBA) entwickelt Aufsichtsstandards und Stresstests für Banken, die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge (European Insurance and Occupational Pensions Authority, EIOPA) überwacht Versicherungen und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, ESMA) kontrolliert die Finanzmärkte. Der ESFS war zwar ein erster Schritt in Richtung gemeinsamer europäischer Standards, die Überwachung blieb aber weiterhin bei den nationalen Behörden.

Erst mit der Zypern-Krise (Schauplatz Krise III) wurde klar, dass der ESFS nicht ausreichte. Mit der Einführung des ESM wurde die Unterstützung für marode Banken dann an die Bedingung geknüpft, von der EZB reguliert zu werden. Nach diesem wichtigen Schritt einigte man sich Stück für Stück auf eine immer vollständigere Bankenunion, die heute auf zwei Pfeilern baut: dem Einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) und dem Einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM). Als dritter Pfeiler wurde eine europäische Einlagensicherung diskutiert, bis jetzt ist dieser Schritt allerdings vor allem am deutschen Widerstand gescheitert. Durch den SSM überwacht die EZB alle großen Banken in der Eurozone direkt, der SRM gibt einheitliche Regeln für die Sanierung (oder Abwicklung) illiquider Banken vor und schafft so Effizienz, Transparenz und Klarheit in Krisenzeiten. Um das gemeinsame Fundament für die Aufsicht – das Single Rulebook – kümmert sich der ESFS.

Maßnahmen der EZB

In ihren Gründungsverträgen ist es der EZB verboten, Maßnahmen zu setzen, die staatliche Ausgaben direkt finanzieren – explizit darf sie nicht mit frisch gedrucktem Geld Staatsanleihen am Primärmarkt, also direkt von den Staaten, kaufen. Diese Regel soll die Unabhängigkeit der Zentralbank bewahren und Staaten gleichzeitig zu Haushaltsdisziplin bewegen.

Der Markt, auf dem ein Wertpapier zum ersten Mal verkauft wird. Wenn ein Staat eine Anleihe ausgibt, passiert diese erste Verkaufsrunde am Primärmarkt, genauso wie auch ein Börsengang einer Firma. Das Gegenstück ist der Sekundärmarkt.

Daher war die EZB zu Beginn der Krise besonders vorsichtig, die strauchelnden Märkte für Staatsanleihen mit Liquidität zu versorgen (dort schossen die Renditen für periphere Staaten wie Griechenland etc. in die Höhe, Details siehe Schauplatz Krise I-IV). Zusätzlich fixierte die EZB 2005 einen Minimalstandard für die Sicherheiten, die eine Bank bei der EZB hinterlegen muss, um sich zu refinanzieren. Zur Erinnerung (Details im Artikel über Geld): Banken halten Reserven (Zentralbankgeld) bei der EZB, um Zahlungen zu anderen Banken zu tätigen oder Bargeldabhebungen zu ermöglichen. Wenn eine Bank mehr davon braucht, kann sie sich von anderen Banken Reserven ausborgen oder direkt bei der EZB. Dafür muss die Bank aber eine Sicherheit hinterlegen, z.B. eine Staatsanleihe. Der Minimalstandard legte also ein Mindestrating für diese Sicherheiten fest.

Securities Markets Programme (SMP)

Bis 2010 blieb die EZB hart. Als in Griechenland die Eskalation der Krise drohte und die Finanzmärkte im Mai vom Flash Crash (siehe Absatz über Euro-Rettungsschirm) getroffen wurden, änderte die EZB ihre Position und kündigte das Programm für die Wertpapiermärkte (Securities Markets Programme, SMP) an. Dabei kaufte die EZB am Sekundärmarkt Staats- und Unternehmensanleihen, um die Märkte mit Liquidität (also frischem Geld) zu versorgen und allgemein zu beruhigen. Zusätzlich lockerte die EZB ihre oben beschriebenen Kollateralstandards für die Refinanzierung, sodass auch Banken in Krisenländern, deren Staatsanleihen schlecht bewertet waren, sich unbeschränkt bei der EZB Geld ausborgen konnten.

Der Markt, auf dem Investoren bereits im Umlauf befindliche Wertpapiere handeln. Wenn Peter heute eine griechische Staatsanleihe bei der Ausgabe erwirbt, dann passiert das am Primärmarkt. Später möchte er sie an Tina weiterverkaufen, was am Sekundärmarkt möglich ist. Die täglichen Aktienkurse in der Zeitung zeigen z.B. deren Sekundärmarkt.

Dieses Programm fokussierte sich hauptsächlich auf Italien und Spanien, um eine Ansteckung durch die Krise in Griechenland zu vermeiden und die in die Höhe geschossenen Renditen zu beruhigen. Damit die Geldmenge sich nicht erhöht und plötzlich steigende Inflation verursacht, „sterilisierte“ die EZB ihr Programm wöchentlich, das heißt, sie verkaufte anderswo Anleihen anstatt die Mittel frisch zu drucken. Diese Kursänderung der EZB brachte ihr v.a. aus Deutschland viel Kritik und auch rechtliche Klagen ein, der EuGH entschied aber für die EZB. 2012 wurde das SMP eingestellt und durch das OMT-Programm ersetzt (siehe unten).

LTROs & mehr Buchstabensalat

Um angesichts des Krisenumfelds weiter für Liquidität auf den europäischen Finanzmärkten zu sorgen, startete die EZB einige weitere Refinanzierungsprogramme für Banken. Als speziell galt das Long Term Refinancing Operation-Programm (LTRO), bei dem sich Banken mehrmals für drei Jahre (vergleichsweise lang) gegen Sicherheiten refinanzieren konnten. Dies sollte vor allem die Banken in der Peripherie vor Liquiditätsengpässen schützen und gleichzeitig die Renditen in den Krisenländern entlasten. Auch die Notkreditfazilität der EZB, die Emergency Liquidity Assistance (ELA), wurde im Laufe der Finanz- und Euro-Krise mehrmals von zahlreichen Banken in Anspruch genommen. Besondere Bedeutung erlangte sie auf einem Höhepunkt der Griechenlandkrise 2015, als die EZB keine griechischen Anleihen mehr für ihre regulären Refinanzierungsprogramme akzeptierte (siehe Schauplatz Krise I).

Whatever It Takes

Im Sommer 2012, als die Renditen auf Staatsanleihen der Krisenländer neue Höhen erreichten, kommentierte der EZB-Präsident Mario Draghi bei einer Rede in London: „Innerhalb ihres Mandats ist die EZB bereit, zu tun, was immer nötig ist, um den Euro zu bewahren. Glauben Sie mir, es wird ausreichen.“ Diese effektvollen Worte führten zu einem signifikanten Rückgang der Renditen der Euroländer, insbesondere Spanien, Italien und Frankreich. Die zunächst relativ unscheinbare Rede wurde zu einem zentralen Wendepunkt der Euro-Krise – die Öffentlichkeit wusste nun, dass die EZB vor keinen Maßnahmen zurückschrecken würde, um den Euro zu retten. Dieses Phänomen zeigt, wie wichtig der Aspekt der Kommunikation in der Geldpolitik ist.

OMT

Wenige Wochen später folgte ein institutionelles Gerüst für Draghis Worte: das Outright Monetary Transactions-Programm (OMT), als Nachfolger des SMPs. Die EZB wird dadurch ermächtigt, in potenziell unbegrenztem Maß Staatsanleihen am Sekundärmarkt aufzukaufen, sofern das betroffene Land sich in einem Hilfsprogramm befindet. Um Inflationseffekte gering zu halten, soll auch dieses Programm sterilisiert werden. Bis jetzt musste von OMT noch kein Gebrauch gemacht werden.

Zinsen und der Zero Lower Bound

Während der Euro-Krise wurde der Leitzins zunächst nicht verändert und blieb ab 2009 auf 1 %. Kurzfristige Inflationsängste wegen steigender Rohstoffpreise brachten die EZB im Sommer 2011 dazu, den Zinssatz in zwei Schritten auf 1,5 % anzuheben, als einzige Zentralbank der Welt zu der Zeit. Der New Yorker schreibt in seinem Artikel „Europe’s Big Mistake“ (Europas großer Fehler), dass die EZB damit die bereits am Boden liegende Wirtschaft nochmals trat („kicking the economy when it’s down“). Einige Ökonomen sahen darin einen zu irrational starken Fokus auf Inflation in der europäischen Geldpolitik. Die Märkte, vor allem die Staatsanleihen der Peripherie, reagierten ordentlich negativ, weshalb die EZB den Zins bald wieder heruntersetzte. In weiteren Schritten senkte sie den Leitzins bis auf 0 % – Banken können sich also gratis bei der EZB Geld ausborgen. Das soll Haushalte und Firmen dazu bringen, sich Geld auszuborgen, um Investitionen und Konsum zu fördern und so Inflation und Konjunktur anzutreiben.

Neuland betreten hat die EZB 2014, als sie den Einlagezins unter Null senkte, aktuell liegt dieser bei -0,4 %. Banken müssen also dafür bezahlen, wenn sie ihre Reserven bei der EZB parken.

Zinssatz, den Banken auf ihr Reservenkonto bei der EZB erhalten.

Unter Ökonomen gilt 0 % (oder leicht darunter) als magische Grenze, der sogenannte Zero Lower Bound. Die Theorie sagt, dass ein Sparer bei negativen Zinssätzen sein Erspartes einfach als Bargeld (quasi unter der Matratze) halten kann und so den negativen Zinsen leicht entgehen kann. In der Praxis hat das aber auch seinen Preis, denn Bargeld muss einerseits beschafft und andererseits irgendwo sicher verwahrt werden.

Quantitative Easing (QE)

Nachdem ab dem Jahr 2014 die Inflationsrate in der Eurozone trotz Nullzins zu sinken begann, griff die EZB zu weiteren Maßnahmen: Zunächst wurde begonnen, sogenannte gedeckte Schuldverschreibungen (Wertpapiere, die mit Sicherheiten unterlegt sind) zu kaufen, um Geld in den Markt zu pumpen (auch bekannt als CBPP und ABSPP). 2015 folgte Quantitative Easing (Quantitative Lockerung, QE), durch das bis Ende 2018 insgesamt 2,5 Billionen Euro an Anleihen (Staatsanleihen und Privatanleihen) von Sekundärmärkten aufgekauft wurde. Die Überflutung der Märkte mit neuer Nachfrage drückte auch die Renditen weiter nach unten. Ziel für die EZB war, das Programm so lange aufrecht zu erhalten, bis sich die Inflation im Euroraum wieder rund um 2 % bewegte. Nach zwei Jahren rund um 0 % stieg die Inflation ab Mitte 2016 wieder an, weswegen das Programm mit Dezember 2018 beendet wurde.

Zukunft: Quo vadis,
Euro?

Die Euro-Krise scheint vorerst überwunden. Aber ist sie das wirklich? Dieser abschließende Artikel unserer Euro-Serie zeigt, dass der Euro weiterhin dringend reformiert gehört, um sich für die nächste Krise zu wappnen und listet eine Reihe vieldiskutierter Vorschläge auf.

Seit der Einführung des Einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus (SRM) 2014 hat sich auf dem Gebiet wenig getan, im Dezember 2018 einigten sich die EU-Finanzminister allerdings auf ein richtungsweisendes Reformpaket, das u.a. Schritte hin zu einem gemeinsamen Eurozonen-Budget setzt. Schlagworte, die hier erklärt werden, sind u.a. Fiskalunion, Bankenunion, Eurozonen-Budget, europäische Einlagensicherung, Eurobonds, European Safe Bonds und der Europäische Währungsfonds.

Wo hängts?

Wie in den vergangenen Jahrzehnten treffen bei der Debatte zwei Welten aufeinander (siehe auch: Ursachen der Krise): Frankreich (gemeinsam mit den Südländern) bemüht sich um starke, zentralisierte Institutionen und die Verteilung des Risikos auf alle Länder („risk sharing“). Deutschland tritt für eine Verringerung des Risikos („risk reduction“), mehr Disziplin bei Staatshaushalten und auf Finanzmärkten sowie strengere Vollstreckung bei Regelverletzungen. Viele Ökonomen (siehe u.a. weiterführende Literatur) argumentieren hier, dass ein Kompromiss nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig ist, um sowohl zukünftige Krisen zu verhindern als auch flexible Lösungen für den Krisenfall parat zu haben.

Warum was ändern?

Für viele der problematischen Ursachen der Eurokrise gibt es noch immer keine nachhaltige Lösung. Die Finanzstabilität in Europa ist weiterhin verletzlich, der gefährliche Staat-Banken-Teufelskreis kann besonders in der Peripherie weiterhin ausbrechen. Länder wie Italien und Griechenland sitzen weiterhin auf immens hohen Staatsschulden und maroden Banken, die sich mit faulen Krediten plagen. Zusätzlich gibt es noch immer keine eurozonenweite sichere Anlage, die die schwerwiegenden Effekte der Kapitalflucht verhindern könnte. Sobald die Zinsen in der Eurozone wieder steigen, kann das zu dramatischen Refinanzierungsproblemen führen, die für Banken und Wirtschaft gefährlich werden können. Die EZB, die als Hauptakteur in der Krise (siehe Artikel über Maßnahmen) für genügend Liquidität gesorgt hat und so die Krisenstaaten und deren Banken vor dem Ruin bewahrt hat, hat ihre Handlungsmöglichkeiten schon relativ weit ausgeschöpft, sodass eine neuerliche Krise vielleicht nicht so einfach zu bekämpfen wäre.

Gleichzeitig gibt es noch immer keine effektiven Regeln und Mechanismen, die Staaten zur Haushaltsdisziplin zwingen (Diskussionen in Italien sind gute Beispiele dafür), wodurch das No-Bail-out-Prinzip immer noch nicht wirklich durchgesetzt ist. Ökonomen kritisieren, dass der Fiskalpakt mit seinen angedrohten Strafzahlungen falsche Anreize setzt und dass es ohne ein ordentliches Regelwerk für einen geordneten Staatsbankrott nie glaubhaft sein kann, dass ein Staat nicht aus der Misere gezogen wird, sollte er es mit den Schulden übertreiben. Die Krise hat in ihren vielen verschiedenen Facetten zu großem Unverständnis in der europäischen Bevölkerung geführt, gegenüber den Institutionen, aber auch anderen Ländern, was sicherlich zum Erfolg europaskeptischer und populistischer Parteien beitrug. Während in Griechenland die harte Austerität Ressentiment gegenüber Deutschland und Europa hervorrief, waren österreichische und deutsche Steuerzahler nicht einverstanden, warum sie sich an den Schuldenbergen anderer Staaten beteiligen sollen. Eine funktionierende Währungsunion, die für wirtschaftliche Stabilität, reibungslose Finanzmärkte und gemäßigte Staatsbudgets sorgt, ist somit unbedingt für den politischen Erfolg des europäischen Projekts notwendig.

Welche Lösungsvorschläge gibt es?

Europäische Fiskalunion

Eine Fiskalunion ist eine gemeinsame Fiskalpolitik, also die finanzpolitischen staatlichen Maßnahmen zur Konjunkturpolitik, zwischen mehreren Ländern oder Regionen. Fiskalpolitik heißt: der Staat verwaltet seine Einnahmen und Ausgaben, um wirtschaftliche Schwankungen auszugleichen. Eine europäische Fiskalunion heißt also, dass Staaten ihre Budgethoheit (also Entscheidungen über Staatseinnahmen (Steuern) und Staatsausgaben) auf europäischer Ebene bündeln. Wie das genau aussehen soll, darüber wird viel diskutiert. Die gemeinsamen Fiskalregeln (siehe Fiskalpakt) oder z.B. die einheitlichen EU-Umsatzsteuerregeln sind erste Schritte hin zu einer Fiskalunion.

Eine besonders integrierte Form, bei der ein Ausgleichssystem dafür sorgt, dass staatliche Mittel lokale Schocks abfedern sollen – also wenn z.B. die Arbeitslosigkeit in Spanien auf einmal steigt, fließt Geld dorthin, um die Wirtschaft zu stärken – würde Risiken in Europa aufteilen und die Ansteckung von Krisen an andere Euroländer vermeiden. Politisch ist das allerdings nicht realisierbar, da v.a. Deutschland in so einem Modell die Gefahr einer permanenten Transferunion (siehe Ursachen der Krise) sieht, in der Staaten überhöhte, riskante Ausgaben tätigen und sich dann regelmäßig von den anderen Ländern retten lassen. Darüber hinaus sind fast alle Länder dagegen, ihre Souveränität so weit abzugeben. Auf der anderen Seite tritt Deutschland z.B. für eine bessere Überwachung der Staatenbudgets ein, diskutierte Vorschläge sind bspw. ein einheitlicher EU-Finanzminister mit Durchgriffsrecht auf nationale Budgets. Ökonomen sehen eine Kombination beider Seiten als notwendig für eine sinnvoll funktionierende Fiskalunion, bei der Risiko auf alle Staaten aufgeteilt wird, aber strenge Haushaltsregeln für nachhaltige Budgetpolitik sorgen. Politisch ist die Fiskalunion allerdings in absehbarer Zeit unrealistisch, weshalb andere Lösungsvorschläge ins Zentrum rücken. Ein Kompromiss wurde 2018 mit dem Eurozonen-Budget erzielt.

Eurozonen-Budget (auch: Solidaritätsfonds)

Im Dezember 2018 – auf Drängen Emmanuel Macrons – einigten sich die Euroländer auf einen gemeinsamen Geldtopf innerhalb des EU-Haushalts (vermutlich Teil des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens), der Förderungen für verbindliche Reformen ausgeben und damit krisenhafte Entwicklungen wie z.B. die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien bekämpfen soll. Dies soll die Staaten dazu bewegen, Reformen vor der Krise anzugehen und somit Schrecksituationen mit ESM-Rettung zu entgehen.

Europäischer Währungsfonds oder ESM-Upgrade

Seit einigen Jahren kursiert der Vorschlag, aus der Kriseninstitution ESM einen Europäischen Währungsfonds (EWF) zu machen nach ungefährem Vorbild des Internationalen Währungsfonds (IWF). Zentraler Punkt dabei ist die Unabhängigkeit des EWFs von Kommission und EZB, um als eigene Autorität (und somit frei von Stimmen anderer Regierungen) Reformprogramme auszuhandeln. Europa wäre dann auch unabhängiger vom IWF, den man bisher als externe Autorität zu Hilfsprogrammen hinzugezogen hat (in Europa werden seine Methoden allerdings oft kritisiert). Zusätzlich soll der EWF als eigenständige Institution die Euroländer überwachen, für Budgetdisziplin sorgen und bei aufbauenden Ungleichgewichten warnen. Ein entsprechender Vorschlag wurde 2017 von der Kommission vorgestellt und stieß auf Widerstand insbesondere von Nettozahlern, die die Gefahr einer finanziellen Verpflichtung ohne politische Kontrolle sahen. 2018 einigte man sich vorerst darauf, den ESM auszubauen und auch beim alten Namen zu bleiben.

Eurobonds, ESBies und die Suche nach der sicheren Eurozonen-Anlage

Die EU-Anleihe (Eurobond) ist ein Vorschlag, bei dem die Euroländer gemeinsam eine Anleihe ausgeben – sich also gemeinsam am Kapitalmarkt Geld ausborgen – und für die Rückzahlung gemeinsam haften. Verschiedene Modell wurden vorgeschlagen, bis jetzt aber noch kein Konsens gefunden. Vehemente Opposition kommt dabei aus Deutschland, das sich gegen eine gemeinsame Haftung aller Länder ausspricht, aus Angst (wie bei der Fiskalunion), fehlende Anreize zur Budgetdisziplin in Krisenländern würden Deutschland dazu bringen, ständig für überschuldete Staaten zu haften. Der Sinn hinter einer gemeinsamen Anleihe liegt einerseits in den (durch die gemeinsame Haftung mit kreditwürdigeren Staaten) verbesserten Kreditkonditionen für Länder, die vor allem in Krisenzeiten hohe Renditen anbieten müssen, andererseits würde ein sicheres, eurozonen-weites Finanzinstrument für Finanzstabilität sorgen (siehe Kapitalflucht zur Sicherheit, Schauplatz Krise II).

Eine abgewandelte Form der Eurobonds, sogenannte European Safe Bonds (ESBies), soll den deutschen Interessen entgegenkommen und keine gemeinsame Haftung beinhalten. Dabei verbrieft eine private oder öffentliche Institution (z.B. eine Bank) ein Portfolio an Staatsanleihen aus der Eurozone (jeweils bis zu max. 60 % des BIPs, angepasst an die Maastricht-Regeln) und verkauft eine sichere (senior) und eine weniger sichere (junior) Anleihe.

Bei einer Verbriefung wird aus einem Vermögensgegenstand (z.B. Häuserkredite) ein handelbares Finanzprodukt (z.B. Mortgage-Backed Securities).

Die Aufteilung zwischen sicher und weniger sicher kann so kalibriert werden, dass die sichere Anleihe ein Toprating erhält und so als wirklich sicherer Hafen gilt. Der Käufer erhält also einen Pool an Staatsanleihen und diversifiziert so sein Risiko über die gesamte Eurozone. Bei einer Staatspleite trifft das zunächst die weniger sicheren Anleihen, die dafür einen höheren Zinssatz erhalten. Der Vorschlag soll hauptsächlich eine sichere Anlage für die Eurozone schaffen und so auch das Ansteckungsrisiko zwischen Krisenländern reduzieren, gleichzeitig aber die Haftung bei den Mitgliedsstaaten belassen (um für Budgetdisziplin zu sorgen). Vor allem aus Deutschland setzte es aber Kritik, die Anleihe würde in Krisenzeiten unzureichend funktionieren und nicht genügend Käufer finden.

Den Teufelskreis brechen: Europäische Einlagensicherung und Eigenkapitalregeln

Ein Kernproblem, das den Teufelskreis auslöst (siehe Schauplatz Krise II), sind Banken, die große Mengen an Staatsanleihen ihres eigenen Landes halten – die aktuellen Eigenkapitalregeln setzen hier die falschen Anreize. Die Erfinder der ESBies schlagen daher zusätzlich vor, die Eigenkapitalregeln für Banken so anzupassen, dass Banken ihre Staatsanleihen diversifizieren müssen oder z.B. ESBies kaufen. Wenn die Wirtschaft nun von einem Schock getroffen wird und die Staatsanleihe an Wert verliert, ist die Bank auf der sicheren Seite und muss nicht vom Staat gerettet werden. Gegner sehen hier eine sofortige Krise, da viele Banken ihre Staatsanleihen loswerden müssten und so negative Marktturbulenzen auslösen würden. Befürworter sehen allerdings hier nur ein logistisches Umsetzungsproblem.

Ein weiterer Schritt hin zu einer kompletten europäischen Bankenunion wäre eine Europäische Einlagensicherung. Eine Einlagensicherung versichert die Sparbücher und Konten von Bankkonten bis zu einem festgelegten Betrag (in Österreich und Deutschland z.B. 100.000€) für den Fall, dass eine Bank Pleite geht. Das hat den Sinn, einen sogenannten Bank Run zu verhindern und einer Bank Stabilität zu verschaffen.

Bankansturm, bei dem Anleger zur Bank rennen, um ihr Geld abzuheben, aus Angst vor einer Bankpleite. Problem dabei ist, dass eine Bank nur einen kleinen Teil ihres Vermögens als Bargeld hält, sodass ein Bank Run schnell zur Insolvenz führen kann.

Eine eurozonenweite Versicherung würde verhindern, dass Nationalstaaten sich im Krisenfall auf intakte Vermögenswerte stürzen (siehe Ursachen der Krise) und so den Teufelskreis verschlimmern, und würde Vermögen in ganz Europa gleich beschützen. Die Einlagensicherung war ursprünglich als Teil der Bankenunion vorgesehen, scheiterte aber an der Angst einiger Mitgliedsstaaten, für marode Banken in ganz Europa haften zu müssen. Ökonomen betonen aber ihre Notwendigkeit für die Stabilität der Bankenunion.

Bessere Fiskalregeln und geregelter Staatsbankrott

Vorschläge gibt es auch zur Verbesserung der Maastricht-Regeln. Ökonom Markus Brunnermeier argumentiert, dass Regeln, die ständig gebrochen werden, nicht glaubhaft sind und daher nicht weiterhelfen – und tritt stattdessen für eine einfache Ausgabenregel ein, die von einer unabhängigen Institution (z.B. einem EWF oder Euro-Finanzminister) kontrolliert werden. Um für mehr Budgetdisziplin zu sorgen, wird auch für ein Regelwerk für eine geordnete Schuldenrestrukturierung plädiert. Wenn es klare Prozeduren gibt, wann ein Staat wie bankrott gehen kann (bzw. muss), würde die No-Bail-out-Rule glaubhafter werden, wobei diese Prozeduren die wirtschaftlichen und finanziellen Konsequenzen eines Bankrotts effektiv limitieren müssen. Im Dezember 2018 einigte man sich auf einen Vorschlag für erste Restrukturierungsregeln.

Was solls?

Die vielseitige Krise mit ihren Konsequenzen hat die Gefahren der fehlerhaft konzipierten Währungsunion klar gemacht – und auch ihre weitreichenden politischen Auswirkungen gezeigt. Das Thema ist daher so wichtig wie kein anderes und sollte deine Wahlentscheidung auf jeden Fall beeinflussen. Die Artikelserie gibt dir hoffentlich die nötigen Werkzeuge, um komplexes Wirrwarr oder populistische Werbeslogans zu entlarven. Wähl was gscheits!


Leseliste für Tiefgang

Brunnermeier, James & Landau (2016): „The Euro and the Battle of Ideas”, Princeton University Press.

CEPR Policy Insight No. 91 (2018): „Reconciling risk sharing with market discipline: A constructive approach to euro area reform” Link