„Kein Ende der Einstimmigkeit,
sondern politisches Gespür.“

VON ARTHUR KRÖN, FELIX OBLIN & BERTRAM RANFTL

Auf ein Gespräch mit einem Spitzenkandidaten kann man sich gehörig freuen – dachten wir uns und stellten uns schon ein Foto von Harald Vilimsky aufs Nachtkasterl. Aber es kam zu einer Terminkollision und – pulvis et umbra sumus – wir zogen den Kürzeren. Stattdessen wurden wir freundlicherweise in die Räumlichkeiten des FPÖ-Parlamentsklubs eingeladen, um ein spannendes Gespräch mit der blauen Listendritten, der Abgeordneten zum Nationalrat, Petra Steger, über Euro und Klimawandel, Neutralität und Subsidiarität, Jörg Haider und Norbert Steger zu führen. Wir können uns nicht beschweren.

Frau Steger, wie geht es Europa?

Da muss man differenzieren. In manchen Dingen gut, in anderen weniger. Die EU entwickelt sich jüngst immer mehr in Richtung zentralistischer Superstaat, indem immer mehr Kompetenzen nach Brüssel geschoben werden. Alle anderen Parteien in Österreich fordern sogar die „Vereinigten Staaten von Europa“ bis hin zur Aufgabe Österreichs als eigenständigen Staat. Auch die derzeitige Geldpolitik der Europäischen Zentralbank tut Europa nicht gut. In der Meinungsvielfalt sehen wir einige besorgniserregende Entwicklungen: von der Norm abweichende, EU-kritische Meinungen werden verteufelt und ausgegrenzt oder sollen in Zukunft sogar, wenn es nach einem Manfred Weber geht, mit finanziellen Konsequenzen bestraft werden.

Hätten Sie 1994 für den EU-Beitritt Österreichs gestimmt?

Ja, aber nur für ein Europa der Vaterländer, nicht für die „Vereinigten Staaten von Europa“.

Hat Österreich vom EU-Beitritt profitiert?

Österreich hat als Teil der EU in vielen Bereichen sicher profitiert. Wirtschaftlich durch die Teilnahme am gemeinsamen Binnenmarkt und den Export, durch polizeiliche und richterliche Zusammenarbeit, bis hin zur Jugend durch das Erasmus-Programm. Andererseits hat Österreich einige Bürden auf sich genommen. Wir sind beispielsweise drittgrößter Nettozahler – einer von wenigen. Es ist eine extreme Schieflage entstanden, bei der wenige immer nur einzahlen und andere immer mehr nehmen. Das ist falsch verstandene Solidarität und kann auf Dauer keinen Bestand haben.

Beneiden Sie die Briten gerade?

Auf keinen Fall, dieses Chaos kann man nicht beneiden. Ich finde es persönlich schade und für die EU mit Sicherheit schädlich, dass die Briten austreten. Großbritannien ist als zweitgrößte Volkswirtschaft einer der bedeutendsten Nettozahler und leistet in vielen Bereichen, zum Beispiel in der Terrorismusbekämpfung, einen wichtigen Beitrag zur europäischen Zusammenarbeit.

Ich habe so viel Vertrauen in die österreichische Bevölkerung, dass sie nicht für einen EU-Austritt stimmen würde.

Es gab aber sehr wohl Stimmen innerhalb der FPÖ, die den Briten 2015 zum Ausgang des Referendums gratuliert haben.

Gratuliert wurde nicht zum Austritt, sondern dass Großbritannien den direkt-demokratischen Weg gewählt hat, um eine Entscheidung von solcher Wichtigkeit zu treffen. Zusätzlich haben wir gehofft, dass das Referendum ein Schuss vor den Bug sein würde, der die EU erkennen lässt, dass ein Kurswechsel in einigen Bereichen dringend notwendig ist. Stichwort Migration, Zentralismus, Umverteilung. Leider war dem nicht so. Die „Schuld“ für den Brexit wird den bösen Rechten zugeschoben und der Zentralismus weiterhin vorangetrieben.

2015 hat sich Harald Vilimsky für eine Volksabstimmung über den Verbleib Österreichs in der EU ausgesprochen.

Ich glaube, wir haben mehr als deutlich gemacht, dass wir nicht aus der EU austreten wollen. Dennoch glauben wir, dass es nicht Aufgabe der Politik ist, vorzuschreiben, worüber es Volksabstimmungen geben darf. Wir wollen keine Volksabstimmung initiieren. Bei der kommenden Reform der direkten Demokratie schwebt uns eine „Volksinitiative“ vor, bei der die Bevölkerung unter bestimmten Voraussetzungen und Hürden einen Gesetzgebungsprozess initiieren kann, der auch zu einer Volksabstimmung führen kann, wenn das Parlament nicht aktiv werden sollte. Es wäre dann Aufgabe der Politik, Aufklärung zu betreiben. Ich habe so viel Vertrauen in die österreichische Bevölkerung, dass sie nicht für einen EU-Austritt stimmen würde.

Haben Nigel Farage, Marine Le Pen und andere Austrittsbefürworter die Union positiv weiterentwickelt?

Ich glaube, dass jeder, der Fehlentwicklungen aufzeigt, einen positiven Beitrag leistet. Denn nur durch Kritik können Verbesserungen stattfinden. Momentan werden Kritiker in der EU entweder ignoriert oder verteufelt. Das halte ich für den absolut falschen Weg, da es erstens meinem Demokratieverständnis widerspricht und sich zweitens ein Brodeln aufstaut, das zu plötzlichen Entladungen à la Brexit führen kann.

Nigel Farage hat aber nicht nur „Fehlentwicklungen aufgezeigt“, sondern ist eine Kampagne mit allerlei Fehlinformationen gefahren.

Da und dort kommt es in einer so großen Debatte zu Fehlinformationen. Ich glaube aber, dass die Demokratie dem insgesamt standhält.

Die FPÖ betont die österreichische Neutralität in ihrem Wahlkampf. In der Realität nehmen wir an NATO-Übungen Teil, verpflichten uns durch die EU-Beistandsklausel zu Beistand im Falle eines bewaffneten Angriffs auf ein EU-Land und führen Sanktionen gegen Russland. Wo ist die Neutralität und warum ist sie so wichtig für Österreich?

Erstens ist die Neutralität eine der Staatszielbestimmungen unserer Verfassung. Sie hat also rein rechtlich eine große Bedeutung. Außerdem ist die Neutralität identitätstiftend für mehr als zwei Drittel der Bevölkerung. International wird Österreich gerade wegen seiner Neutralität als Vermittler in Konfliktsituationen gesehen. Ich will nicht, dass in Zukunft irgendein EU-Kommissar entscheidet, wo österreichische Soldaten in den Krieg ziehen müssen. Aus diesen Gründen gehört sie erhalten und geschützt. Was die Landesverteidigung betrifft, ist es sinnvoll und steht nicht im Widerspruch zur Neutralität, mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten (in der Forschung, Ausbildung, oder um Synergien bei der Beschaffung zu nutzen). Die Sanktionen gegen Russland haben wir schon immer kritisch gesehen. 

Wie stehen Sie zur Urheberrechtsreform der EU? Die Mandatare der FPÖ haben sich enthalten.

Das Internet soll frei, aber auch fair bleiben. Die digitale Welt soll also möglichst ohne Schranken bleiben. Gleichzeitig müssen Kreative aber auch das Recht haben, dass ihre Werke geschützt werden. Wir haben uns enthalten, weil wir das Ansinnen, geistiges Eigentum zu schützen, als wichtig betrachten. Dennoch war der besagte Gesetzesvorschlag noch nicht ausgereift genug, um dafür zu stimmen. Vor allem die notwendig werdenden Upload-Filter sehen wir kritisch, da Potential besteht, dass im Zweifel zu viel gefiltert wird – also de factoZensur stattfände.

Es braucht keine Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips, sondern politisches Gespür. Die EU ist kein Staat, sondern ein Zusammenschluss von Staaten.

Sollen weitere Mitgliedstaaten in die EU aufgenommen werden?

Prinzipiell ja. Die Heranführung des Westbalkans an die EU war auch ein Schwerpunkt unserer Ratspräsidentschaft. Wichtig ist dabei aber, dass wesentliche Beitrittskriterien erfüllt werden. In der Vergangenheit haben wir ja gesehen, welche Konsequenzen es nach sich ziehen kann, Länder übereilt in die EU aufzunehmen. Vor allem in volkswirtschaftlicher Hinsicht. Die Türkei ist kein Teil Europas und soll auch nicht EU-Mitglied werden.

Sie fordern eine Halbierung der Sitze im EU-Parlament. Die AfD, mit der Sie gemeinsam antreten, fordert überhaupt dessen Abschaffung. Was passt denn den rechtskonservativen Parteien am Parlament nicht?

Wir wollen das Parlament nicht abschaffen. Jede Partei, auch innerhalb einer Allianz, hat Vorschläge, die nicht unsere Zustimmung haben. Uns geht es hier um Kosteneinsparung, nicht um Abschaffung. Ähnlich zu den Vorschlägen hinsichtlich der Halbierung der Sitze oder Entsendung von Landtagsabgeordneten in den österreichischen Bundesrat, sehen wir im EU-Parlament Einsparungspotential. Auch die Anzahl der EU-Kommissare könnte man unserer Meinung nach halbieren.

Sie fordern als einzige Partei explizit die Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips im Ministerrat. Beispielsweise die Schließung von Steuerschlupflöchern scheiterte bis jetzt immer wieder am Widerstand einzelner Länder. Wäre es nicht sinnvoller, solche Entscheidungen mittels einfacher oder qualifizierter Mehrheit durchsetzen zu können?

Einer der Hauptgründe für den Brexit war neben der Migration der Zentralismus. Man darf durch eine Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips nicht noch Öl ins Feuer schütten, sonst führt das zu weiteren Abschpaltungstendenzen. Würde man Entscheidungen nur mit dem Mehrheitsprinzip treffen, wäre das die Zerstörung der österreichischen Souveränität. Es braucht kein Ende der Einstimmigkeit, sondern politisches Gespür. Die EU ist kein Staat, sondern ein Zusammenschluss von Staaten. Und Ausdruck staatlicher Souveränität ist sicherlich auch Steuerhoheit. Mit der Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips würde man allen möglichen EU-Steuern Tür und Tor öffnen. Ich will nicht, dass wir in Zukunft zusätzlich zu nationalen Steuern auch noch europäische Steuern zahlen müssen. Die richtige Lösung ist unserer Meinung nach in den konkreten Fällen wie der Digitalsteuer zu verhandeln und Druck auf die Länder auszuüben, die einer Lösung im Weg stehen. Das funktioniert auch: Vor einigen Jahren waren noch mehr Länder dagegen als heute. Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren diesbezüglich eine gemeinsame Lösung finden werden.

Kommt es zu keiner Lösung auf EU-Ebene, soll sich Österreich dann in nationalen Alleingängen um entsprechende Legislatur bemühen?

Ja.

Sie sprachen von Steuern: Was manche als Steuerwettbewerb bezeichnen, könnte man genauso Steuerdumping nennen. Ungarn beispielsweise hat seine Körperschaftsteuer in den letzten Jahren auf neun Prozent gesenkt und bekommt gleichzeitig drei Milliarden Euro jährlich von der EU. Ist das nicht ungerecht den „Nettozahlern“ gegenüber?

Wettbewerb ist prinzipiell sinnvoll, auch Steuerwettbewerb. Darauf sind die gemeinsame Währung und der Wirtschaftsraum aufgebaut. Steueroasen gehören natürlich bekämpft. Aber durch Angleichen der Steuersätze auf Verhandlungsebene und nicht mittels einer EU- Steuer.

Ist die EU ein Wirtschaftsprojekt?

Ja.

Wie gehts es dem Euro?

Der Euro ist labil. Wir befinden uns seit Jahren in einer Situation, in der die EZB den Markt mit Geld flutet und marode Staaten und Banken durch den Kauf von Staatsanleihen in Billionenhöhe finanziert, die anders nicht überlebensfähig wären. Weil sich diese Staaten die Zinsen nicht leisten könnten, wird der Sparer durch die Nullzinspolitik der EZB so jährlich um zwei Prozent enteignet und die Stabilität des Euros in Gefahr gebracht. Die EZB sollte sich wieder an die EU-Verträge halten, in denen das No-Bail-out Prinzip – keine Haftung für andere Staaten – verankert ist. Ganz einfach deswegen, weil das Einstehen für fremde Schulden dazu führt, dass immer mehr Schulden gemacht werden. Eine Umverteilungsunion kann auf Dauer keinen Bestand haben. 

Ja, es gibt den Klimawandel. Wieviel davon menschengemacht ist, ist eine Streitfrage.

Was wäre die Alternative? Eine Rückkehr zur eigenen Währung (wie sie die AfD fordert)? Staaten notfalls bankrott gehen lassen?

Es liegen einige Vorschläge von Ökonomen vor, um der Gefahren Herr zu werden: ein atmungsaktiver Euro, eine Aufteilung in einen Nord- und Südeuro, geordnete Insolvenzen, oder, wie Sie erwähnt haben, die Rückkehr zu nationalen Währungen. Fest steht für mich Folgendes: Mehr Haftungen für fremde Schulden führen zu mehr Schulden insgesamt. Das kann keine Lösung sein. Wir wollen den Euro nach Möglichkeit erhalten. Er erleichtert das Wirtschaften, Handeln, Reisen, die Vergleichbarkeit von Preisen und andere Dinge ungemein. Die Rückkehr zum Schilling kann ich mir daher auch nicht vorstellen, vor allem da auch in der Vergangenheit der Schilling immer an die D-Mark gebunden war. Es wäre schon ein großer Schritt in die richtige Richtung, wenn alle Länder, wie Frankreich, die Maastricht-Kriterien einhalten würden.

Länder erhalten die Möglichkeit, in Krisenzeiten aus dem Euro auszutreten, in der eigenen Währung durch Abwertung wettbewerbsfähig zu werden und wieder einzutreten.

Gibt es den menschengemachten Klimawandel? Soll Österreich aus dem Pariser Abkommen aussteigen?

Ja, es gibt den Klimawandel. Wieviel davon menschengemacht ist, ist eine Streitfrage. Gegen das Pariser Klimaschutzabkommen haben wir gestimmt, weil wir dahinter auch die Atom-Lobby gesehen haben. Eine Einschränkung der Verbrennung von Kohlenwasserstoffen ist auf EU-Ebene immer mit einer Förderung der Atomindustrie verbunden. Wir finden, die Politik soll im Bereich der Energie durchaus eingreifen. Etwaige Maßnahmen müssen aber sozial verträglich gesetzt werden. Wenn, wie in Frankreich, Leute auf die Straße gehen, weil sie sich das tägliche Leben nicht mehr leisten können, dann ist das für den Umweltschutz nicht unbedingt förderlich. Vor allem sollte in die Forschung und Entwicklung von kostengünstigen alternativen (Wasserstoffmotoren, Hybridmotoren) investiert werden.

Unter meinem Vater hat die FPÖ die erste Regierungsbeteiligung gehabt. Haider hat einen vollkommen neuen Stil in die Politik gebracht. Die Erfolge heute geben aber auch Heinz-Christian Strache recht.

Wir würden gerne von Ihnen wissen, wie Sie einem Jungwähler erklären würden, wer die folgenden drei prominenten Österreicher der späten 80er Jahre waren: Wer war Jörg Haider?

Jörg Haider war Kärntner Landeshauptmann und FPÖ-Obmann.

Mit Jörg Haider hat sich 1986 das nationale Lager gegenüber dem liberalen (dem Ihr Vater, Norbert Steger, vorstand) bis heute durchgesetzt. War das gut für die FPÖ?

Ich glaube, man kann die beiden schwer miteinander vergleichen, auch Haider mit Strache nicht. Jeder hat seine Verdienste gehabt. Unter meinem Vater hat die FPÖ die erste Regierungsbeteiligung gehabt. Haider hat einen vollkommen neuen Stil in die Politik gebracht. Die Erfolge heute geben aber auch Heinz-Christian Strache recht.

Wer war Kurt Waldheim?

UNO-Generalsekretär und österreichischer Bundespräsident. Er wurde international im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfs isoliert, da Dokumente, die seine Mittäterschaft im Nationalsozialismus nahelegten, publik wurden.

Wurde er zu Recht von den westlichen Staaten isoliert?

Es wurde eine regelrechte internationale Kampagne gegen ihn gefahren und ich finde jedwede Kampagne gegen Menschen ist moralisch verwerflich.

Wer war Thomas Bernhard?

Ein österreichischer Schriftsteller.

Wurde Thomas Bernhard zurecht als „Nestbeschmutzer“ diffamiert? Heinz-Christian Strache war im Burgtheater bei der Uraufführung Thomas Bernhards „Heldenplatz“ unter den Demonstranten.

Mit der Thematik habe ich mich zu wenig auseinandergesetzt, um ehrlich zu sein.

Wo sehen Sie Europa in 30 Jahren?

Ich sehe Europa als starkes Europa unabhängiger, souveräner Nationalstaaten, das sich auf die großen Fragen konzentriert, wie Sicherheit, Außengrenzschutz oder Wirtschaft, und sich gleichzeitig bei den Dingen zurücknimmt, die besser auf nationalstaatlicher Ebene gelöst werden.