NEOS

Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal

VON EUGENIE DESMEDT

Wien, 2013. In der NEOS Parteizentrale, die noch nicht viel mehr ist als ein weißer Raum mit vielen pinken Plakaten, wird gejubelt. Sechs Jahre sind seit dem Sprung der NEOS ins österreichische Parlament vergangen. Man sprach von frischem Wind in der Politik und einem klaren Auftrag der Bürger. Der Optimismus war mit den Händen greifbar. Was ist aus der pinken Partei geworden?

Wien, 2019. Die NEOS haben einen steinigen Weg hinter sich. Man könnte sagen, die junge, vielseitige Partei mit der ungenierten Farbe und den flotten Sprüchen sei erwachsen geworden. Sie musste schmerzlich erfahren, dass konstruktive Oppositionsarbeit nicht immer die Anerkennung erhält, die sie vielleicht verdiente. Obwohl sich sprühende Zukunftsfreude teils zu hartem Realismus wandelte, blieb das liberale Rückgrat der NEOS intakt. Als selbst erklärte Kraft gegen den Populismus und glühende Pro-Europäer haben die NEOS von ihrer Tatkraft nichts eingebüßt.

Auf EU-Ebene sind die NEOS derzeit Teil der EP-Fraktion ALDE (Alliance of Liberals and Democrats for Europe). Die ALDE wird möglicherweise als drittstärkste Fraktion aus den Wahlen hervorgehen. Damit kann sie im Europäischen Parlament zum entscheidenden Mehrheitsbeschaffer werden, da die Europäische Volkspartei und die sozialdemokratische Fraktion mit aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr auf die notwendige Mehrheit kommen werden. Das gibt der ALDE erhöhte Bedeutung und positioniert sie europaweit zum direkten Gegenspieler der rechten Fraktion ENF – der auch die FPÖ, die italienische Lega Nord und das französische Rassemblement National angehören. Jeder zusätzliche Abgeordnete für die ALDE hat das Potenzial, ein Hebel für künftige Europapolitik zu sein und fällt bei den Machtverhältnissen im Europäischen Parlament ins Gewicht.  

Die liberale Bewegung, die Kraft der Mitte oder gar eine verloren gegangene Werbeagentur – die NEOS wurden schon als vieles bezeichnet. Kein Ausdruck trifft sie aber richtig. Das liegt vielleicht auch daran, dass es am liberal geprägten Kompass nicht immer nur einen Norden gibt. Die von Pragmatismus, Systemkritik, Kompromissbereitschaft, kompetitiven Wirtschaftsliberalismus und der Vision von den Vereinigten Staaten von Europa geprägte Parteidynamik ist schwer auf eine Beschreibung zu bringen. Die NEOS sind eine junge Partei, die noch dabei ist, sich in der Politiklandschaft zu behaupten, ihre Nische zu finden. Aber sie sind auch eine Partei, die keine Angst hat, Fehler zuzugeben. Eine Partei, die sich ihrem Ziel einer proeuropäischen, lösungsorientierten Politik mit Leib und Seele verschrieben hat.

Eine Partei im Reich der Träume

Realitycheck NEOS – KOMMENTAR KONTRA

VON JOHANNES DÓCZY

Mit Claudia Gamon schicken die NEOS die jüngste Spitzenkandidatin aller Parteien in den EU-Wahlkampf. Und mit ihr auch eine neue Ladung konfuser, unausgereifter Ideen, die als „Visionen“ verkauft werden: die Vereinigten Staaten von Europa, die Abschaffung der Neutralität und eine EU-Armee. Dass sich diese Ideen schön auf Instagram präsentieren lassen, haben die NEOS medienwirksam bewiesen. Am Ende dieses Wunschdenkens bleibt dem Wähler vor allem eines geschuldet: das Warum.

Das Wahlprogramm, in dem die NEOS im Laufe der 60 Seiten ihren so gerne betonten Pragmatismus zunehmend mit naivem Wunschdenken verwechseln, wirft mehr Fragen über den politischen Kurs der pinken Partei auf, als es beantwortet. Viele Forderungen sind nicht nur verwirrend, sondern teilweise auch ziemliches Minderheitenprogramm. Nennenswert sind an dieser Stelle die Forderungen nach einer gemeinsamen Verteidigungspolitik oder die Schaffung einer EU-Armee. Es mag vielleicht sein, dass 36 Prozent der Österreicher die Schaffung einer gemeinsamen Armee befürworten. Gleichzeitig sprechen sich aber 45 Prozent gegen eine österreichische Beteiligung aus. 80 Prozent der Österreicher halten die Neutralität für sehr wichtig oder eher wichtig. Nur für 15 Prozent hat sie wenig Bedeutung. Dass es außerdem bereits ein gut funktionierendes westliches Militärbündnis namens NATO gibt (mit dem Österreich auch aktiv kooperiert), scheint die NEOS auch nicht von der Forderung nach einer EU-Armee abzuhalten. Am Ende dieses Wunschdenkens bleibt dem Wähler also vor allem eines geschuldet: das Warum. Warum brauchen wir denn eigentlich genau eine EU-Armee?

Die NEOS haben eine Entscheidung zu treffen: Will man den Wählern mit einem gut durchdachten Wahlprogramm tatsächliche Lösungen präsentieren oder will man lediglich mit möglichst kreativen Forderungen in den Medien präsent sein? Momentan scheint es, als hätte man sich für Letzteres entschieden. Man bietet einfache Lösungen für komplexe Probleme. Ironischerweise klingt das doch sehr nach jenem Populismus, der sonst immer von den NEOS kritisiert wird. Während die Rechtspopulisten alles, wo „Europa“ draufsteht, blind verteufeln, loben die NEOS alles, wo „Europa“ draufsteht, mit demselben Dogmatismus.

Liest man das Programm der NEOS, so sticht ein Begriff besonders stark ins Auge: die Vision. Die pinke Partei hat ambitionierte Vorstellungen für die EU, wahrscheinlich die ambitioniertesten aller Parteien in diesem Wahlkampf. Bestes Beispiel dafür ist die Vision der Vereinigten Staaten von Europa. Die Idee mag einem gefallen oder auch nicht – im momentanen Zustand der EU ist es jedenfalls ein beeindruckend naives Vorhaben, einen Bundesstaat Europa schaffen zu wollen. Noch nie war das europäische Projekt mehr gefährdet als heute: Wir stehen knapp vor dem Ausstieg der zweitgrößten Volkswirtschaft, der britischen, aus der EU, die ein größeres Bruttoinlandsprodukt als jenes der 18 kleinsten EU-Staaten zusammen hat! Die seit 2015 anhaltende Migrationskrise hält die EU weiter unter Druck und gleichzeitig scheint sich in ganz Europa ein immer größerer EU-Skeptizismus zu verbreiten. Probleme wie diese haben die politischen und kulturellen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten hervortreten lassen. Besonders schwer wird es, EU-Skeptiker von einem gemeinsamen Staat zu überzeugen. Ohne sie wird es aber nicht gehen, da viele von ihnen in den Regierungen einiger Mitgliedstaaten sitzen.

Man kann nur hoffen, dass die NEOS bei der nächsten Wahl zu ihrem gepriesenen Pragmatismus zurückfinden und den Schwerpunkt stärker auf Themen setzen, die für die österreichische Bevölkerung tatsächlich von Bedeutung sind. Im Moment scheint es so, als bewegten sie sich immer weiter davon weg. Ob diese fragwürdige Taktik dennoch Erfolg haben wird, wird sich am 26. Mai zeigen.

NEOS – oder wie konstruktive Politik auszusehen hat

KOMMENTAR PRO

VON CLEMENS PFLUGBEIL

Der pinken Partei mit den flotten Sprüchen geht auch weiterhin nicht die Luft aus. Sie halten die österreichische Innenpolitik als einzige wirkliche Oppositionspartei in Atem und haben große Visionen, wo unsere gemeinsame europäische Reise hingehen soll. Europa hofft auf mehr pinke Politik!

Die NEOS haben es geschafft, eine liberale Kraft in Österreich zu etablieren. Spätestens mit ihrer nun zweiten EU-Wahl kann man getrost sagen, dass die Partei nun endgültig nicht mehr aus der Parteienlandschaft wegzudenken ist. Bei ihrem letzten Antritt zur EU-Wahl steckte die pinke Partei noch in Kinderschuhen. Mittlerweile kann sie aber schon einen erfolgreich überwundenen Wechsel in der Führungsebene und Regierungsverantwortung in Salzburg zu ihren Errungenschaften zählen.

Gereifter und erfahrener stellen sich die NEOS wieder ihrem Lieblingsthema: der Europäischen Union. Über all die Jahre stand die Partei für sinnvolle und konstruktive Politik, ohne aber ihre Vision für die Zukunft aus den Augen zu verlieren. Jetzt ist es an der Zeit, der pinken Bürgerbewegung dafür unser wohlverdientes Vertrauen auszusprechen, um den einzig sinnvollen Weg der Zukunft zu unterstützen. Den Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa. Die NEOS sind die einzigen, die sich zu diesem Weg mit ganzer Kraft und ohne Vorbehalte bekennen.

Natürlich ist die EU nicht ohne Fehler. Das wissen auch die NEOS – und zeigen so abermals ihren Hang zu konstruktiver Politik:  Neben langfristigen Visionen bringen die NEOS viele akute Verbesserungsvorschläge nach Brüssel. So verlangen sie etwa die Verkleinerung der Kommission, um die EU künftig handlungsfähiger zu machen. Dass es die NEOS dabei wirklich im Sinne der ganzen Europäischen Union meinen, beweisen sie, indem sie sich konsequenterweise auch bereit erklären, auf den Platz des österreichischen EU-Kommissars in der ersten Rotation zu verzichten. So hat konstruktive  Politik auszusehen! Forderungen wie ein EU-Heer einzurichten oder die Vereinigten Staaten von Europa zu gründen, werden von vielen Kritikern als unrealistisch und unpopulär abgetan. Doch sie sind wichtige Schritte, die uns schneller zu diesen Zielen führen werden.

Die fehlende Nähe der EU zum Bürger soll durch eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten, durch eine Reform der EU-Wahlen mit länderübergreifenden Listen und durch den Ausbau der direkten Demokratie einer gemeinsamen europäischen Identität weichen. Für eine europäische Solidarität, die nicht von nationalstaatlichem Egoismus geprägt wird, sondern von den Bürgern der Europäischen Union.

Angesichts dieser wichtigen Themen ist die Debatte über einen Absatz unserer Verfassung, der historisch sicher seine Berechtigung hatte und auch in diesem geschichtlichen Kontext verstanden werden muss, jedoch nicht mehr der Zeit entspricht, vollkommen gerechtfertigt. Es ist sicherlich wichtig, Prinzipien wie unsere Neutralität für ein übergeordnetes Wohl zu hinterfragen, anstatt sich von der Popularität dieses Begriffs abschrecken zu lassen.

In Zeiten wie diesen, in denen man sich international gegen eine populistische USA, einen streitsüchtigen Nahen Osten, ein teilendes Russland und ein autoritäres China durchsetzen muss, in denen man globale Probleme und Änderungen wie Digitalisierung, Globalisierung und Klimawandel lösen muss, ist es wichtiger denn je, sich von nationalstaatlichem Denken loszulösen. Der einzig vernünftige Weg ist jener zu mehr Europa. Angeführt von einer lösungsorientierten kritisch-hinterfragenden Partei, die ihre Vision nicht aus den Augen verliert! Einer Partei wie den NEOS.

Wahlkampfthemen

VON EUGENIE DESMEDT

  • EU-Reform
  • Wirtschaft und Finanzen
  • Außen- und Verteidigungspolitik
  • Asyl- und Migrationspolitik
  • Umwelt- und Energiepolitik

EU-Reform

Reform der Institutionen

Die NEOS wollen das Europäische Parlament langfristig zu einem Zweikammersystem weiterentwickeln, in dem sowohl die Interessen der Union als auch jene der einzelnen Mitgliedstaaten vertreten werden. Diese Aufgabe soll dem Ministerrat abgenommen und Abgesandten nationaler Parlamente anvertraut werden. Zusätzlich soll das EU-Parlament das Recht, Gesetzesinitiativen einzubringen (Initiativrecht), erhalten. Die drei Arbeitsstandorte des Parlaments – Brüssel, Luxemburg und Straßburg – sehen die NEOS als überholt. Stattdessen fordern sie einen einheitlichen Sitz in Brüssel.

Um die EU effizienter zu gestalten, sollen auch die EU-Kommission und der EU-Rechnungshof reformiert werden. Die Anzahl der jeweiligen Mitglieder soll von 28 auf 15 reduziert werden. Um das umzusetzen, soll ein Rotationsverfahren eingeführt werden, sodass immer nur 15 Mitgliedstaaten gleichzeitig einen Kommissar stellen können. Österreich soll selbst in der ersten Rotationsrunde als Zeichen seines Reformwillens auf einen Kommissar verzichten.

Verbesserung der Bürgerbeteiligung

Damit eine Bürgerinitiative von der Kommission diskutiert wird, braucht es aktuell mindestens eine Million Unterschriften aus einem Viertel der Mitgliedstaaten. Um die Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger zu verbessern, schlagen die NEOS europaweite Volksabstimmungen, die Direktwahl des Kommissionspräsidenten und Bürgerbeteiligung beim nächsten Europäischen Konvent vor.

Sanktionen bei Verletzung der EU-Grundwerte

In Fällen gravierender Verletzungen der EU-Grundwerte durch einen Mitgliedstaat soll die EU handlungsfähiger werden. Deswegen fordern die NEOS eine Abschaffung der Einstimmigkeit zum Beschluss von Sanktionen gegen den jeweiligen Staat. Diese könnten zum Beispiel aus der Kürzung künftiger EU-Fördermittel bestehen.

2009 in Kraft getretene demokratische Grundsätze der EU, wie das Recht auf Freiheit und Sicherheit, die freie Meinungsäußerung, die Nichtdiskriminierung, und Gleichheit vor dem Gesetz.

Wirtschaft und Finanzen

Zehn Jahre nach der Finanzkrise steht die Eurozone immer noch auf wackeligen Beinen: Das Wirtschaftswachstum ist mit einer jahrelangen Nullzinspolitik der Europäische Zentralbank (EZB) teuer erkauft worden. Im Fall einer weiteren Finanzkrise hätte die EZB durch ihre Politik nur mehr wenig Handlungsspielraum. Die Staatsschulden der Mitgliedstaaten sind weiterhin überhöht. Für die NEOS ist eine klare Linie in Sachen Staatsschulden, Krisenprävention, der Stärkung des EU-Arbeitsmarktes und ein Fokus auf Digitalisierung essenziell.

Der Leitzins der EZB hat Auswirkungen auf die Zinsen, für die Banken Kredite gewähren. Ein niedriger Zinssatz ermutigt deshalb Investoren und kurbelt die Wirtschaft an. 2016 kam die EZB nach Jahren des sinkenden Leitzinses bei null an; ihre Anleihenkäufe von 2,6 Billionen Euro für die Stabilisierung der Finanzmärkte liefen Ende 2018 aus. Im Falle einer erneuten Krise ist sie an ihren Grenzen angelangt und könnte die Wirtschaft auf diesem Wege nicht noch einmal antreiben.

Budgetprozess

Die NEOS fordern, dass der Beschluss des EU-Budgets zusammen mit einer Neuverteilung der Kompetenzen einhergeht. Die EU soll für all jene Kompetenzen, die in ihrer Hand liegen, auch selbst über das Budget verfügen können. Als Beispiel führen die NEOS die Verteidigungspolitik an. Diese soll eine europäische Kompetenz, die EU daher auch mit einem gemeinsamen Verteidigungsbudget ausgestattet werden, über das sie selbst verfügen können. Das erhoffte Ergebnis: Effizienz durch die Vermeidung von „Doppelgleisigkeiten“. Das EU-Budget soll außerdem, nicht wie aktuell durch Mitgliedsbeiträge, sondern teils durch einheitliche Steuern (Körperschaftsteuer, Digitalsteuer, CO2-Steuer) finanziert werden und einem gemeinsamen EU-Finanzminister unterliegen. Das Budget für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) soll sukzessive reduziert werden. Die NEOS erhoffen sich, „Innovationen, Unternehmertum und damit Wettbewerbsfähigkeit in der Landwirtschaft zu stärken.“

EU-Anleihe

Die NEOS lehnen die Einführung von Eurobonds strikt ab. Sie sehen die Gefahr, dass überschuldete Länder so auf Kosten der anderen Mitgliedstaaten ihren Staatshaushalt unverantwortlich führen. Staatsschulden sollen die Verantwortung der Mitgliedstaaten bleiben und nicht von der EU mitgetragen werden.

Die EU könnte durch den Verkauf von „Staatsanleihen“ gemeinsame Schulden aufnehmen.

Krisenprävention

Die NEOS sprechen sich für eine Zusammenführung der Stabilitätshilfe für EU-Krisenländer, die Überwachung der Verschuldungsregeln und eine Finanzmarktaufsicht durch einen unpolitischen Europäischen Währungsfonds (EWF) aus. Die EZB soll sich auf ihre Kernaufgabe, der Hütung der Preisstabilität, beschränken.

Europäischer Arbeitsmarkt

Die Mobilität der Bürger ist essenziell für den europäischen Arbeitsmarkt. Die NEOS fordern daher eine zentrale Datenbank zur schnellen europaweiten Anerkennung von nationalen Qualifikationen. Außerdem setzen sie sich für eine europäische Sozialversicherungsnummer ein, damit Versicherungsleistungen oder Pensionsantritte EU-weit unbürokratisch möglich sind. Sozialstaatliche Maßnahmen wie Armutsbekämpfung oder das Pensionsantrittsalter sollen nationale Aufgabe bleiben.

Außen- und Verteidigungspolitik

Besonders in der Außenpolitik betonen die NEOS ihre Vision eines geeinten Europas und wollen auf dem Weg zur EU als starken widerstandsfähigen globalen Akteur große Schritte machen.  

Einheitliche Außenpolitik

Durch das Einstimmigkeitsprinzip in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bleibt am Ende der Debatte nur der kleinste gemeinsame Nenner übrig: Nahezu keine Vorschläge werden von allen Mitgliedern unterstützt. Die NEOS fordern daher die Einführung der qualifizierten Mehrheit in außenpolitischen Entscheidungen, um die Handlungsfähigkeit der EU bei externen Herausforderungen und den Einfluss Europas als globalen Akteur zu stärken. Außerdem fordern sie einen EU-Außenminister für eine starke Stimme nach außen. Eine klare Linie verlangen die NEOS auch bezüglich der Türkei. Ein Beitritt der Türkei ist für sie ausgeschlossen.

Eine qualifizierte Mehrheit entsteht durch mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, vorausgesetzt sie vertreten gemeinsam auch 65 Prozent der EU-Einwohner.

Freihandel

Die NEOS setzen sich für den Abschluss weiterer Freihandelsabkommen ein. Schon bei den Verhandlungen zu CETA hat die Partei zu einem faktenbasierten Diskurs aufgerufen. Freier Handel fördert Wohlstand und Unternehmertum auf beiden Seiten. Regelbasierte Abkommen sollen transparent kommuniziert werden, um Angstdebatten vorzubeugen.

Entwicklungspolitik

Die EU-Mitgliedstaaten sind gemeinsam der weltweit größte Geldgeber in der Entwicklungspolitik. Sie sind darin aber nicht untereinander abgestimmt. Die NEOS wollen die Mittel der EU und jene der Mitgliedstaaten zusammenlegen und gemeinsam verwaltet sehen. Experten sollen EU-weit zusammenarbeiten und so einen effizienteren Einsatz der Mittel in der Entwicklungszusammenarbeit gewährleisten. Als Schwerpunkte sehen sie die Investitionen in Bildung, Städtepartnerschaften für Afrika und Europa und eine besondere Unterstützung der Länder entlang der Migrationsrouten.

Europäische Armee

Die EU-Staaten haben zusammen die zweithöchsten Militärausgaben weltweit, sind aber relativ zu den Kosten sehr schlecht geschützt. Viele Prozesse laufen „doppelgleisig“. Die NEOS unterstützen deshalb langfristig eine europäische Armee und einen stärkeren EU-Grenzschutz. Die EU soll militärisch flexibel werden und sich auf geopolitische und technologische Veränderungen in der Sicherheitspolitik schnell einstellen können. In diesem Kontext soll es auch einheitliche Regeln zum Rüstungsexport geben, um intransparenten Entscheidungen vorzubeugen und gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen zu schaffen. Die österreichische Neutralität sei laut Gamon überholt und sollte einer EU-Armee im Zweifel nicht im Wege stehen.

Asyl- und Migrationspolitik

In der europaweit kontrovers diskutierten Debatte über Asyl, Migration und Integration sprechen sich die NEOS für eine lösungsorientierte Debatte und gegen Populismus aus.

Reform des EU-Asylsystems

Zurzeit wird die europaweite Asylpolitik hauptsächlich vom Dublin-System bestimmt: Der Staat, in dem Schutzsuchende erstmals EU-Boden betreten, ist für die jeweiligen Asylanträge zuständig. Das führt zu einer überproportionalen Belastung der Staaten an oder nahe der Außengrenze. Um eine ausgeglichene Verteilung und harmonische Aufnahmestandards und -verfahren einzuleiten, setzen sich die NEOS für eine europäische Asylbehörde ein. Die Verteilung der Asylsuchenden soll nach einer Abklärung an den Grenzen auf Basis der Wirtschaft, der Bevölkerung und der bisher erbrachten Leistungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf Asylwerber geschehen. Diese Verteilung soll verpflichtend sein, eine Nichteinhaltung soll Konsequenzen haben. Dieses Vorhaben umzusetzen wäre politisch sehr anspruchsvoll, da es schon seit vielen Jahren nicht mehrheitsfähig ist. Die NEOS sprechen sich außerdem für ein EU-weites Bekenntnis zum UN-Migrationspakt aus – eben jenem Migrationspakt, der vor einigen Monaten von Österreich nicht unterzeichnet wurde.

Integration

Qualifizierten Asylsuchenden soll die Chance gegeben werden, schnellstmöglich Anschluss an den Arbeitsmarkt zu finden. In diesem Rahmen fordern die NEOS eine Reform der europäischen Blue Card mit einheitlichen Kriterien und Standards. Ebenso fordern sie eine gemeinsame Analyse, um festzustellen wie viele Fachkräfte in welchen Branchen und Mitgliedstaaten gebraucht werden. Auch Menschen, denen nur temporärer Schutz gewährt wird, sollen EU-weit einheitlich die Möglichkeit zur Ausbildung bekommen.

Konsequente Rückführungen

Wird ein Asylantrag abgelehnt, folgt eine Rückführung in das jeweilige Herkunftsland. Die NEOS fordern den Ausbau von Rückführungsabkommen mit den wichtigsten Herkunftsländern unter Einhaltung von Völkerrecht und Menschenrechten. In den Verhandlungen um diese Verträge sollen Anreize wie Entwicklungshilfezahlungen oder verstärkte Wirtschaftskooperation ins Spiel gebracht werden.

Umwelt- und Energiepolitik

Die liberale Philosophie wird oft fälschlich als „Wirtschaften ohne Rücksicht auf Verluste“ interpretiert. Tatsächlich haben die NEOS aber die Vision einer EU als Vorreiter bei der Umsetzung der Ziele des Pariser Klimaabkommens – mit einem guten Schuss wirtschaftlichen Realismus.

Energieunion

Nachhaltige Energieversorgung ist eine Herausforderung, der sich die Mitgliedstaaten nicht allein stellen können. Deswegen soll die Energieunion und mit ihr die europäischen Energienetze ausgebaut werden. Projekte zur Unterstützung von grenzüberschreitender erneuerbarer Energie haben einen doppelten Vorteil: Neben den CO2-Emissionen sinkt auch die Abhängigkeit der EU von öl- und gasexportierenden Ländern. Mit EU-geförderter Forschung sollen Energiespeichersysteme weiterentwickelt werden, um langfristiges Wachstum zu ermöglichen. Die NEOS unterstützen auch den Vorschlag der EU-Kommission, die Kreislaufwirtschaft durch einheitliche Standards für das Handeln mit recycelten Rohstoffen zu fördern.

Ein Modell mit dem die Lebenszeit von Produkten durch Wiederverwendung, Recycling, Reparatur und Teilen verlängert werden soll. Sie steht im Gegensatz zur sogenannten Wegwerfwirtschaft, die auf billigen Materialien mit kurzer Lebensdauer basiert.

Europaweite CO2-Abgabe

Langfristig befürworten die NEOS eine EU-weite CO2-Abgabe. Doch bis dahin gilt es noch viele Dinge zu lösen. Energieerzeugnisse werden bereits besteuert – derzeit allerdings aufgrund einer veralteten Richtlinie. Der erste Schritt wäre daher die Einführung einer Bemessungsgrundlage, die mit der jetzigen Wirtschaft in Einklang ist. Bis es soweit ist, soll der Emissionshandel ausgebaut und auf die Sektoren Verkehr, Wärme und Landwirtschaft ausgedehnt werden. Die Einnahmen aus diesen Bereichen sollen zum Teil in einen Klimafonds fließen.

Jedes Unternehmen, das einen gewissen Schadstoffausstoß verursacht, braucht dafür ein Zertifikat. Emittiert eine Firma weniger als zugelassen, darf sie ihre Zertifikate zu marktwirtschaftlich bestimmten Preisen verkaufen. Das soll ein Anreiz für umweltbewusstes Wirtschaften sein.

Digitalisierung

Einen eigenen Punkt im Programm der NEOS nimmt die Digitalisierung ein. Die NEOS sehen Forschung und Entwicklung allgemein, aber vor allem die Digitalisierung, als den Motor für Innovation, Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit und damit als „unabdingbar für die zukünftige Sicherung unseres Wohlstandes“. Ziel ist es mit den Investitionen der USA und asiatischen Staaten mitzuhalten. Sie unterstützen darum auch den Vorschlag der Kommission für die Erhöhung des Budgets für das europäische Forschungsprojekt Horizon Europe und die Verbesserung der Forschungspartnerschaften. Zusätzlich soll Risikokapital durch Steuerbegünstigungen angezogen werden.

Durch ein europaweites Testprogramm für neue Technologien („regulatory sandboxes“) soll Innovation gefördert und gleichzeitig vorausschauende Regelungen ermöglicht werden. Besonderes Potenzial sehen die NEOS in der Künstlichen Intelligenz und der Blockchain-Technologie.

Who is who

Claudia Gamon: Die Nationalratsabgeordnete ist die bei weitem jüngste und einzige weibliche Spitzenkandidatin im österreichischen Wahlkampf. Als Gründungsmitglied der NEOS ist sie im Parlament für Europa, Wissenschaft, Digitalisierung und Medien zuständig.

Karin Feldinger: Die Unternehmensgründerin ist erst seit kurzem Mitglied der NEOS und nimmt den zweiten Listenplatz ein.

Stefan Windberger: Der UN-Entwicklungsexperte hat sich eine Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit zum Hauptthema gemacht. Für die NEOS tritt er als dritter auf der Liste an.

Stefan Zotti: Mit vielseitigen Erfahrungen als Kabinettsmitglied der Kommission und Geschäftsführer des Österreichischen Austauschdienstes nimmt Stefan Zotti bei den NEOS den vierten Listenplatz ein. Er will sich auf EU-Ebene für mehr Solidarität, mehr Kooperation und den Ausbau der europäischen Bildungsprogramme einsetzen.

Beate Meinl-Reisinger: Die Klubobfrau der NEOS arbeitete bereits in der EU-Kommission und im Europaparlament als Assistentin von Othmar Karas.