#Covfefe #Neuland

Die politische Bühne des 21. Jahrhunderts?

VON EUGENIE DESMEDT & EMMANUEL PETTER

Soziale Medien scheinen neu definiert zu haben, was es heißt, Politik zu machen. Von der Verbreitung einfacher Nachrichten bis hin zur Art und Weise wie man Wahlkampf führt – nichts ist beim Alten geblieben. Aktuelle Fälle zeigen jedoch, dass diese Entwicklungen mit Vorsicht zu genießen sind.

Wir schreiben das Jahr 350 vor Christus. Zwielichtige Gestalten, den Dolch im Gewande, schleichen zwischen den Händlern am Marktplatz umher, um zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Personen kleine Papyrus-Schnipsel zuzustecken. Es ist eine perfide Taktik: Sie sind von einem hochrangigen Grundbesitzer beauftragt, Gerüchte über den politischen Gegner zu verbreiten, um so die Meinung des Volkes zu den Gunsten ihres Auftraggebers zu formen.Jahrtausendelang haben technologische Entwicklungen an Wahlkampftaktiken nicht viel geändert. Ramses‘ Behauptung, den Krieg in Ägypten gewonnen zu haben oder das zynische Gerücht des Dritten Reichs, fliehende Juden seien deutsche Agenten – die Verbreitung von Falschinformation zu politischen Zwecken hat bei Weitem nicht mit der Einführung von Fake News begonnen. Im 21. Jahrhundert hat die Verbreitung jedoch aus vielerlei Gründen eine neue Dimension bekommen: Heute hat jeder die Möglichkeit, seine Meinung mit der ganzen Welt zu teilen. Die ganz große Bühne des 21. Jahrhunderts: die sozialen Medien.

Wahlkampf feat. Facebook

Es scheint, als hätten soziale Medien den Begriff „Wahlkampf“ für das 21. Jahrhundert neu definiert. Kandidaten, für die das Internet im Jahr 2019 immer noch #Neuland ist, haben realistisch gesehen wohl kaum mehr eine Chance, gewählt zu werden. Im Zuge einer Studie im Jahr 2012 wurden Facebook-User während des US-Wahlkampfs mit einer kleinen Nachricht dazu aufgefordert, wählen zu gehen. Das Ergebnis: Über 340.000 der User sind der Aufforderung gefolgt und haben am Tag der Wahl ein Kreuz gemacht. Denkt man an die tendenziell sinkenden Wahlbeteiligungen in vielen Teilen Europas, vor allem auch jene bei den Europawahlen, wo die Beteiligung zuletzt bei 45 Prozent lag, so mag das doch erstmal vielversprechend klingen. Man schicke einfach lauter solch kurze Nachrichten an die Facebook-Gemeinschaft Europas und voilà: das Problem der niedrigen Wahlbeteiligung ist gelöst. Doch die Studie wurde nicht umsonst kontrovers diskutiert. Was ist etwa, wenn die Aufforderung nur an Nutzer mit einer bestimmten politischen Meinung geschickt wird? Das wäre dann Wahlmanipulation. Zuvor stellen sich aber noch grundlegendere Fragen: Können und dürfen Plattformen wie Facebook und Co. überhaupt die politische Meinung ihrer User einschätzen? Was ist beispielsweise, wenn man fälschlicherweise mit politischen Meinungen assoziiert wird, mit denen man sich gar nicht identifiziert?

An welchen Events du interessiert bist, welche Parteien du auf Facebook abonniert hast, welche Art von YouTube-Videos du dir anschaust, ob du einen Xing-Account hast und sogar welchen Kaffee du trinkst – all das und vieles mehr sind Informationen, mit denen Algorithmen die Nutzer sozialer Netzwerke kategorisiert. Das Konzept dahinter nennt sich politisches Microtargeting. Das ist eine Kommunikationsstrategie, bei der Politiker ihre Wähler je nach politischer Überzeugung, religiöser Vorstellung, sexueller Orientierung und sogar prognostizierter Intelligenz oder Lebenszufriedenheit gezielt ansprechen können. Dass das zu funktionieren scheint, sieht man nicht zuletzt auch an dem Slogan „Find your voters on Facebook“, mit dem Facebook bei Politikern für die eigenen Dienste wirbt. Wahlwerbung ist damit längst keine Massenbeschallung mehr. Politiker haben heute die Mittel, Menschen genau das zu versprechen, was sie hören wollen. Der CDU-Politiker Jens Spahn warb so beispielsweise bei Fans der AfD-Facebook-Seite mit sicheren Außengrenzen; Großstadtbewohnern zeigte er sich hingegen auf einem Foto mit Jugendlichen verschiedener Ethnien und einem Aufruf zur Weltoffenheit.  Diese Taktiken wären in einer Zeit vor Social Media unmöglich gewesen. Jetzt sind sie jedoch längst zum Standard geworden.

Rechtlich gesehen ist Microtargeting nicht ganz unumstritten und spielt sich, wie so viele Aspekte des Online-Wahlkampfes, in einer rechtlichen Grauzone ab. Viele der laufenden Rechtsverfahren, wie zum Beispiel auch jenes rund um Cambridge Analytica, drehen sich aber gar nicht um Methoden wie das Microtargeting selbst, sondern viel mehr um die Frage, woher die Daten dafür überhaupt kommen. Kurz gesagt geht es also um den Datenschutz: Welche Daten dürfen für welchen Zweck benutzt werden? Bei solchen Fragen können bestehende Gesetze in der Regel nicht mit den rasanten technologischen Entwicklungen mithalten. Diese Trägheit unseres Rechtssystems und der Legislative wird dann ironischerweise vielleicht gerade von den dafür verantwortlichen Politikern zur Wahlwerbung ausgenutzt.

Cambridge Analytica ist eine Datenverarbeitungsfirma, die unter Verwendung der Daten von Millionen von Facebook-Usern für politisches Microtargeting die amerikanische Präsidentschaftswahl 2016, das Brexit-Referendum und mehrere Präsidentschaftswahlen in afrikanischen Ländern beeinflusste.

Troll-Farmen und Fake-Accounts – Wahlbeeinflussung im 21. Jahrhundert

Noch problematischer als Online-Wahlwerbung in sozialen Netzwerken durch Methoden wie Microtargeting ist die Gefahr von Eingriffen in Wahlen von außen. Als sich im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 Gerüchte verfestigt hatten, dass Russland mit sogenannten Troll-Farmen auf Facebook & Co. die Debatte beeinflusst, schrillten in den liberalen Demokratien auf der ganzen Welt die Alarmglocken. Wie sich später herausstellte, soll es auch eine Einmischung von Social-Media-Accounts aus Russland, dem Iran und Venezuela in die nationalen Wahlen von mehreren EU-Mitgliedstaaten gegeben haben.

Eine „Troll-Farm“ ist eine im Internet gebräuchliche Bezeichnung für eine verdeckte russische Organisation, die im Auftrag des Staates Internetkampagnen organisiert.

Zum Einsatz sollen dabei vor allem sogenannte Dark Ads gekommen sein. Bei diesen „dunklen Anzeigen“ wird politisches Microtargeting zur Verbreitung von Falschinformation und der Diskreditierung des Gegners verwendet. Fake-Accounts generieren dazu erst einmal harmlose, aber effektive Posts, um eine gewisse Reichweite aufzubauen. Ist das geschafft, posten sie Inhalte mit unterschwelligen politischen Nachrichten. Dank Microtargeting sind diese Inhalte nur für bestimmte Zielgruppen zu sehen und verschwinden meistens auch schon nach kurzer Zeit wieder. Durch die große Masse an Fake-Accounts ist das Schadenspotenzial riesig. So hat Facebook beispielsweise allein in der ersten Hälfte des Jahres 2018 über eine Milliarde Fake-Accounts gezählt.

Spätestens seit den Ereignissen in den USA sollte somit klar sein, dass grundsätzlich keine Wahl vor fremden Einflüssen sicher ist. Trotzdem wird das Thema in der EU oft noch belächelt: So nahmen an einem Gipfeltreffen im April 2018 zum Thema soziale Medien und Wahlen überhaupt nur 15 Mitgliedstaaten teil. Obwohl sich herausstellte, dass keines dieser Länder vollständige Datenbanken zu Online-Kampagnen, Zielgruppen und ausgegebenen Wahlkampfgeldern besitzt. Besonders Letzteres ist ein überraschender Schönheitsfehler in der politischen Transparenz, mit der sich so viele Parteien gerne rühmen.

Kurz nach diesem Gipfeltreffen stellte sich auf EU-Ebene aber durchaus ein gewisses Problembewusstsein ein. Nur wenige Monate später wurde von der Europäischen Kommission ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation in sozialen Medien geschaffen. Der Kodex basiert auf freiwilliger Zustimmung und wurde von allen relevanten Social-Media-Konzernen unterzeichnet. Diese haben sich damit verpflichtet, Wahlwerbungen klarer zu kennzeichnen und transparent darzulegen, zu welchem Zweck eine Werbung geschaltet wird. Die Algorithmen, die für das Schalten der Werbungen zuständig sind, sollen außerdem durch unabhängige Organisationen geprüft werden. Dasselbe gilt für die faktische Richtigkeit einzelner Posts. Ein Fokus wird auch auf die schnelle Entfernung von Fake-Accounts gelegt. Erfolg und Fortschritt der Maßnahmen werden  jedes Jahr veröffentlicht und von Drittorganisationen geprüft. Vorgesehen ist außerdem ein Kommissionsvorschlag für die Aufstockung des Budgets des Auswärtigen Dienstes für die Bekämpfung von Desinformation von derzeit knapp zwei Millionen Euro auf fünf Millionen Euro.

Trotz dieser Maßnahmen kann sich die EU bei den kommenden Wahlen keinesfalls in Sicherheit wiegen. Internet-Firmen haben trotz vieler Versprechen immer noch finanzielles Interesse an politischer Werbung und stehen damit in einem Interessenkonflikt. Eine Expertengruppe, die die Ausführung des Verhaltenskodex untersucht, hat so beispielsweise erst kürzlich die mangelnde Kooperation der (Digital-)Konzerne beim Faktencheck kritisiert. Um eine konsequente Lösung zu finden, müssten sie deshalb in Zukunft über freiwillige Auflagen hinausgehen. Bedenken gibt es auch von außen, denn der Bekämpfung von Desinformation steht die potenzielle Einschränkung der Meinungsfreiheit gegenüber. Für die EU gilt es darum, diesen Balanceakt zwischen Kontrolle und Zensur zu bewältigen.

Facebook & Co – die Richter des digitalen Zeitalters?

Dass die EU das Thema soziale Medien allmählich ernster nimmt und versucht, Regulierungen dafür zu schaffen, sieht man nicht zuletzt an den erst kürzlich beschlossenen Richtlinien zur Bekämpfung von Hate Speech auf sozialen Netzwerken.

Mit Hate Speech ist alles gemeint, was öffentlich  zu Gewalt oder Hass gegen Gruppen oder Personen einer gewissen Rasse, Hautfarbe, Religion oder Herkunft aufruft. Obwohl der Begriff nicht rechtlich definiert ist, wird er im Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) teilweise verwendet. Der Terminus findet sich auch in vielen EU-Dokumenten, darunter auch in der genannten Richtlinie, wieder.

Tatsächlich geht es bei den meisten gemeldeten Posts auf Social Media um Hate Speech im weitesten Sinne. Ähnlich wie bei Fake-News setzt die Europäische Kommission auch bei der Regulierung von Hate Speech auf einen Verhaltenskodex auf freiwilliger Basis. Dieser hält die Netzwerkbetreiber dazu an, die am öftesten wegen Verhetzung gemeldeter Posts innerhalb von 24 Stunden zu überprüfen und gegebenenfalls zu löschen. Der Kodex zeigte Wirkung: Anfang 2018 wurden in 81 Prozent der Fälle gemeldete Posts zeitgerecht überprüft (51 Prozent im Mai 2017) und 70 Prozent der gemeldeten Posts entfernt (59 Prozent im Mai 2017). Facebook hatte Anfang 2018 mit 89 Prozent die beste Überprüfungsrate, YouTube mit 62 Prozent die schlechteste. Dass die derzeitigen Regulierungsmechanismen für Hate Speech aber nicht immer funktionieren und die Grenze zwischen Satire und Hate Speech oft nicht ganz klar zu ziehen ist, zeigt das Beispiel eines deutschen Satiremagazins: Das Magazin postete satirische Kommentare in Person einer AfD-Politikerin und wurde daraufhin gesperrt. Oft wird auch kritisiert, dass freiwilliges Engagement der Internetfirmen nicht genug sei und die Politik mehr Initiative übernehmen solle.

Gesetzlich bindende Auflagen sind jedoch oftmals problematisch. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) aus Deutschland ist etwa ein Beispiel dafür. Es besagt, dass eine Strafe von bis zu 50 Millionen Euro anfallen kann, wenn soziale Netzwerke augenscheinlich illegale Posts nicht innerhalb von 24 Stunden (Ausnahmen bei komplexen Fällen) löschen. Dieses Gesetz steht stark in Kritik, da es Facebook & Co. darüber entscheiden lässt, ob ein Posting rechtswidrig ist oder nicht. Angesichts der hohen Strafzahlungen könnten Konzerne außerdem mehr löschen als rechtlich notwendig. Auch die Urheberrechtsreform steht wegen ähnlichen Bedenken in der Kritik. Warum die (ungewollte) Einschränkung der Meinungsfreiheit problematisch für eine Demokratie ist, muss man wohl nicht weiter erklären.

Die Debatte rund um soziale Medien und Demokratie im Netz hat damit gerade erst begonnen. Sie wird uns wohl auch weiterhin noch begleiten, denn soziale Netzwerke sind längst Teil unseres Alltags und auch des politischen Geschehen geworden. Zu Recht könnte man meinen: Soziale Netzwerke sind die Versammlungs- und Marktplätze – die Agora – des digitalen Zeitalters. Sie bieten allen Menschen einen Raum für politischen Austausch und Diskurs und sind in diesem Sinne ein Ausdruck unserer liberalen, demokratischen Gesellschaft. Eines wussten aber schon die alten Griechen: Bei Marktschreiern ist Vorsicht geboten!