Ja sind denn schon wieder Wahlen?

VON MAX SPOHN

Was wir wählen, warum wir wählen gehen sollten und weshalb direkte Demokratie nicht alle unsere Probleme löst.

Am 29. September findet in Österreich die 27. Nationalratswahl statt. Der Nationalrat besteht aus unseren direkten Vertretern, den Abgeordneten. Der Nationalrat ist unsere direkt gewählte Stimme in der Gesetzgebung. In Österreich gibt es keine Wahlpflicht. Du wirst also nicht nicht bestraft, wenn du der Wahlkabine fernbleibst. Wählen zu gehen ist deiner Verantwortung überlassen. Wir haben die wichtigsten Argumente gegen den Wahlgang gesammelt – und erklären, warum sie falsch sind. Denn nicht wählen zu gehen, ist versäumte Verantwortung.

Nicht wählen gehen aus Protest? 

Funktioniert nicht. Deine Stimme verfällt einfach und andere Bürger entscheiden für dich. Für einen wirklichen Protest müsste eine Nachricht bei der Institution, gegen die du protestiert, ankommen. Als Nichtwähler unterstützt du immer den Wahlsieger, ob du willst oder nicht. 

Nicht wählen gehen, weil es sowieso nichts ändert?

Natürlich wirkt deine Stimme auf den ersten Blick verschwindend unbedeutend. Sie ist ja auch nur eine von mehreren Millionen. Wenn sich bei den Nationalratswahlen aber 6,4 Millionen Menschen denken, ihre Stimme zähle nicht, und nicht wählen gehen, entscheidet eine kleine Minderheit. Wenn du jedoch wählen gehst, hast auch du deine Meinung abgegeben. Deine Stimme zählt im Kollektiv.

Nicht wählen gehen, weil die Parteien alle gleich schlecht sind?

Es wäre naiv, zu glauben, alle Parteien und Politiker hätten genau dieselben Nachteile. Jede Partei ist anders, hat eigene Visionen, Programme und auch Fehler. Natürlich gibt es keine Partei, die zu 100 Prozent deine Meinung vertritt. Parteien versuchen, durch Kompromisse eine möglichst große Zahl Gleichgesinnter zu vertreten. Wenn du eine Partei, die richtige Akzente setzt, gute Vorschläge macht oder deine Ideen für die Gesellschaft vertritt, mit deiner Stimme unterstützt, stärkt das deine Interessen in der politischen Debatte.

Der Nationalrat geht mich doch eh nichts an?

Falsch! Der Nationalrat bestimmt über dein Leben. Daher solltest auch du über seine Zusammensetzung bestimmen. Deine Stimmenthaltung schwächt die Legitimation der österreichischen Gesetzgebung. Gerade in Zeiten, in denen die österreichische Politik durch Skandale, Polarisierung und Populismus von allen Seiten des politischen Spektrums geplagt wird, ist es wichtig, dass wir unsere Vertreter aktiv wissen lassen, welche politischen Maßnahmen wir uns wünschen.

Warum nicht gleich direkte Demokratie?

In den letzten Jahren ist die Unzufriedenheit mit der Demokratie in Österreich stetig gewachsen. Laut Umfragen wünscht sich ein wesentlicher Teil der Bevölkerung “mehr direkte Demokratie”. Direkte Demokratie bedeutet, dass politische Entscheidungen unmittelbar vom Volk selbst getroffen und nicht Repräsentanten überlassen werden. Praktisch heißt das, dass jede Frage durch Volksbefragungen oder Volksabstimmungen entschieden wird, wie beispielsweise in der Schweiz. Indirekte Demokratie hingegen heißt, dass das Volk alle paar Jahre Vertreter wählt, die diese Entscheidungen für das Land treffen sollen.

Was spricht für direkte Demokratie? Zunächst erhalten Entscheidungen größere Legitimität – denn die Bürger haben ja selbst darüber abgestimmt. Das heißt, sie tragen die volle Verantwortung für die Folgen und können sich auch nicht beschweren, wenn es zu Entscheidungen kommt, die ihnen nicht passen. Denn sie haben so entschieden. Das bedeutet auch, dass sich Bürger besser informieren müssen. Es könnte also sein, dass wir alle besser über Politik informiert wären, wenn wir einen direkteren Einfluss hätten. Außerdem bestünde die Möglichkeit, Themen, die von den Abgeordneten ignoriert wurden, auf die politische Tagesordnung zu setzen.

Was spricht dagegen? Die ideale direkte Demokratie, bei der jede noch so kleine Entscheidung von den Bürgern entschieden wird, ist praktisch unrealisierbar. Wir müssten mehrmals pro Woche unsere Stimme abgeben und über neue Gesetze entscheiden. Wir haben schlicht nicht die Möglichkeit, uns neben unserem Alltag mit politischen Themen im Detail auseinanderzusetzen. Uns fehlt die Zeit und für viele Themen auch die nötige Fachkenntnis. Somit wird die Rolle der Abgeordnete klar. Ihre Aufgabe ist es, all diese politischen, wirtschaftlichen und sozialen Themen zu verstehen, sich mit Experten auseinanderzusetzen und eine informierte Entscheidung zu treffen. Damit sie diese Aufgaben auch ernst nehmen, werden sie gut bezahlt und sind in einer viel besseren Ausgangsposition, wohlüberlegte Politik zu machen. Darüber hinaus widerspricht die direkte Demokratie in zwei Punkten den Grundprinzipien einer modernen Demokratie. Erstens bedeutet Demokratie, Kompromisse zu finden. Keine Entscheidung wird je von allen Bürgerinnen befürwortet werden. Wir müssen daher Lösungen finden, die für alle akzeptabel sind. Es reicht nicht, schwierige Themen auf ein simples „Ja“ oder „Nein“ zu reduzieren. Zweitens kann direkte Demokratie gefährlich werden, wenn sie zur „Tyrannei der Mehrheit“ führt. Demokratie zeichnet sich nämlich auch dadurch aus, dass Minderheiten geschützt werden. Wenn Entscheidungen direkt und mittels einfacher Mehrheit von den Bürgern beschlossen würden, verlören wir diesen Schutz von Minderheiten. 

Alles auf einen Blick

Was wählen wir?

Wir wählen die 183 Abgeordneten des österreichischen Nationalrats. Dabei geben wir unsere Stimme für eine Partei oder Wahlliste ab, die dann Abgeordnete in den Nationalrat entsendet. Zusätzlich können Vorzugsstimmen abgegeben werden. Das bedeutet, dass man am Stimmzettel einen bestimmten Kandidaten direkt wählen kann. Dieser Kandidat wird dann, sofern er ausreichend Vorzugsstimmen erhält, auf der Parteiliste nach vorne geschoben und hat somit bessere Chancen, ins Parlament gewählt zu werden. 

Wo wählen wir?

Wenn du wahlberechtigt bist, bekommst du rechtzeitig vor der Wahl (ungefähr einen Monat davor) einen Brief an deine Meldeadresse geschickt, der dir die Adresse deiner Wahlkabine verrät. Du kannst aber auch online oder per Post eine Wahlkarte für die Briefwahl anfordern.

Wann wählen wir?

Die Wahl des Nationalrats findet am 29. September 2019 statt. Die Öffnungszeiten der Wahllokale unterscheiden sich, informiere dich daher rechtzeitig. In Wien haben die Wahllokale bis 17 Uhr geöffnet.

Wer darf wählen?

Alle gemeldeten und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossenen österreichischen Bürger, die mindestens 16 Jahre alt sind.

Zoon politikon
– Das politische Tier

VON SIMON NEHRER

Republik, Föderalismus, Bundesrat, Sozialpartner, Vorzugsstimmen – Begriffe, die man schon oft gehört hat, deren exakte Bedeutung aber oft unklar ist. Ein kleines Lexikon.

Das österreichische Parlament beschließt den Bundeshaushalt und alle Bundesgesetze. Es besteht aus zwei Kammern: dem Nationalrat und dem Bundesrat.

Die 183 Mitglieder des Nationalrats werden (wie auch am 29. September 2019) alle fünf Jahre direkt vom Volk gewählt. Sie haben prinzipiell ein freies Mandat, stimmen aber in der Praxis entlang der Parteilinie. Dieser sogenannte Klubzwang (auch: Klubdisziplin) hat einerseits damit zu tun, dass die Abgeordneten nicht umsonst Mitglieder ihrer jeweiligen Parteien sind und dementsprechend ihre Meinung größtenteils teilen; andererseits könnte man seinen Namen als abtrünniger Abgeordneter bei der nächsten Nationalratswahl nicht mehr auf der jeweiligen Parteiliste wiederfinden. Der Nationalrat – besonders die Opposition – erfüllt auch noch die wichtige Kontrollfunktion der Regierungsarbeit, z.B. durch parlamentarische Anfragen.

Die 61 Mitglieder des Bundesrats werden von den Landtagen entsandt. Alle Gesetze müssen vom Nationalrat beschlossen werden; der Bundesrat verfügt in manchen Fällen über ein suspensives (aufschiebendes) Veto, nur in den wenigsten über ein absolutes. Die Sinnhaftigkeit des Bundesrats kann man durchaus infrage stellen. Die Bundesländer sehen das freilich anders.

Das Veto des Bundesrats kann in den meisten Fällen durch einen Beharrungsschluss des Nationalrats aufgehoben werden.

Besonders in nächster Zeit könnte der Bundesrat aber an Relevanz gewinnen, weil für Verfassungsgesetze und -bestimmungen, die in die Kompetenzen der Länder eingreifen, bereits ein Drittel der Mitglieder des Bundesrats zur Sperrminorität genügen. Die SPÖ hat eine solche Sperrminorität inne (und könnte beispielsweise die Schuldenbremse im Bundesrat blockieren). Umso interessanter werden die nächsten Landtagswahlen, die die Zusammensetzung des Bundesrats verändern könnten.

Gesetzesinitative

Gesetzesinitiativen können auf vier verschiedene Wege eingebracht werden:

Als Regierungsvorlage durch die Bundesregierung. Die meisten Gesetzesinitiativen sind Regierungsvorlagen. Alle Regierungsvorlagen müssen vom Ministerrat einstimmig angenommen werden.

Als Initiativantrag durch Abgeordnete und Ausschüsse des Nationalrats.

Durch den Bundesrat.

Durch Volksbegehren. Sie müssen von mindestens 100.000 Stimmberechtigten oder von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Bundesländer unterschrieben werden, damit sie im Nationalrat behandelt werden.

Abstimmung

Ist das Gesetz ein Bundesverfassungsgesetz (also eine Änderung der Verfassung), bedarf es der Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen; in manchen Fällen auch einer Volksabstimmung.

Ist das Gesetz ein einfaches Gesetz, ist nur die Hälfte der abgegeben Stimmen zum Beschluss erforderlich.

Bundesrat

Das Gesetz wird nun in vielen Fällen dem Bundesrat vorgelegt, der innerhalb von acht Wochen ein suspensives Veto einlegen kann. Dieses Veto kann vom Nationalrat durch einen sogenannten Beharrungsbeschluss wieder aufgehoben werden.

Bundespräsident

Das Gesetz wird anschließend dem Bundespräsidenten zur Beurkundung des verfassungsgemäßen Zustandekommens des Gesetzes vorgelegt. Das neue Gesetz muss unverzüglich im Bundesgesetzblatt publik gemacht werden und tritt – wenn nicht anders gekennzeichnet – am darauffolgenden Tag in Kraft. 

Umsetzung

Die Exekutive – der Bundespräsident, die Bundesregierung, das Bundesheer und die Behörden des Bundes und der Länder – hat die Aufgabe, die Gesetze der Legislative zu vollziehen.

Normenhierarchie

Damit man vor lauter Gesetzen nicht den Überblick verliert und bei Widersprüchen die Rechtssprechung klar bleibt, gibt es eine klare Hierarchie der Gesetze: 

Neben dem Konsensquorum gibt es auch ein Präsensquorum: Im Nationalrat müssen zur Beschlussfassung von einfachen Bundesgesetzen mindestens ein Drittel der Abgeordneten anwesend sein, zur Beschlussfassung von Bundesverfassungsgesetzen mindestens die Hälfte der Abgeordneten.

Weitere Akteure

Der Verfassungsgerichtshof überprüft erlassene Gesetze auf deren Vereinbarkeit mit der Verfassung.

Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Bescheide der Verwaltungsbehörden auf deren Rechtmäßigkeit.

Der Oberste Gerichtshof ist die oberste Instanz in Zivil- und Strafsachen. 

Die supranationale Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshof und des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gilt seit dem EU-Beitritt Österreichs auch hierzulande.

Der Rechnungshof hat die Aufgabe, öffentliche Einrichtungen auf Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit zu prüfen.

Die Sozialpartner sind Interessenvertretungen wie der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), die Wirtschaftskammer (WKO), die Arbeiterkammer (AK) und die Landwirtschaftskammer (LK). Sie sind wichtige Instrumente für die Konsensfindung in sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen – unter anderem für die Verhandlung von Kollektivverträgen und Löhnen. Die Sozialpartner haben viel zum sozialen Frieden in Österreich beigetragen. Allein die geringe Anzahl der Streiktage in Österreich ist Zeugnis dieser gut funktionierenden Kooperation. Die Sozialpartnerschaft gerät aber auch zunehmend in Kritik. Die Sozialpartner hätten keine demokratische Legitimation; sie würden in erster Linie dem Machterhalt der Großparteien dienen, deren Funktionäre oftmals wichtige Positionen in Kammern und Gewerkschaften besetzen. Aber auch die Zwangsmitgliedschaft – und die damit einhergehenden Beitragszahlungen – werden von Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Eine auf Freiwilligkeit basierende Mitgliedschaft könne für die Sozialpartner ein Anreiz sein, wieder Leistungen anzubieten, für die Mitglieder gerne zahlen.

In der Wahlkabine

Wir wählen am 29. September die Abgeordneten des Nationalrats. Oder genauer: die Parteilisten. Eine Parteiliste ist dreigeteilt in eine Bundesparteiliste, neun Landesparteilisten und 39 Regionalparteilisten. Je weiter vorne gereiht, desto wahrscheinlicher der Einzug eines Kandidaten. Durch Vorzugsstimmen können einzelne Kandidaten aber auch auf der Liste vorgereiht werden. Jeder Wahlberechtigte hat höchstens drei Vorzugsstimmen: pro Liste eine. Die Vorzugsstimmenkandidaten müssen der gewählten Partei angehören. Ansonsten wird die Stimme für die Partei, aber nicht die Vorzugsstimme gewertet. 

Für den Einzug in den Nationalrat muss eine Partei mindestens 4 Prozent der bundesweiten Stimmen oder ein Regionalwahlkreismandat gewinnen. Die Mandatsanteile im Nationalrat und Stimmenanteile stimmen übrigens fast vollständig überein (anders als z.B. beim Electoral College in den USA).

Sobald die Mandatsverteilung im Nationalrat bekannt ist, können die Parteien sich in Koalitionsverhandlungen mögliche Regierungsprogramme ausmachen. Es sollte das Ziel jeder Regierung sein, eine Mehrheit der Nationalratsabgeordneten hinter sich zu haben, um die politischen Vorstellungen auch Realität werden lassen zu können. Ist das nicht der Fall, spricht man von einer Minderheitsregierung.

Der Bundespräsident ernennt den Bundeskanzler und auf dessen Vorschlag die weiteren Regierungsmitglieder. Üblicherweise stellt die stimmenstärkste Partei den Bundeskanzler und der Bundespräsident spielt eine eher zurückhaltende Rolle. Es hat aber auch schon Ausnahmen gegeben.