Weltberühmt
in Österreich

VON PHILIPP GRÜLL

„Außenpolitik“ – dabei denkt man zuerst einmal an alte Anzugträger, die sich die Hände schütteln, mit strahlendem Lächeln, im Hintergrund Landesflaggen. Vermutlich haben sie gerade ein Abkommen unterzeichnet, irgendein wahnsinnig wichtiges und potentiell nichtssagendes, das mit den kleinen Leuten daheim wenig zu tun hat. Außenpolitik ist sehr unübersichtlich: Diese Aktion gefällt diesem Land, verärgert aber das andere, was wiederum dessen Verbündete auf den Plan ruft, die aber alle wieder eigene Interessen verfolgen … Warum sich also die Mühe machen, da durchzublicken?

Aus zwei Gründen. 

Erstens: Weil Außenpolitik gleichzeitig Innenpolitik ist. Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung ist alles miteinander verbunden: Ereignisse am anderen Ende der Welt, wie beispielsweise Kriege, Handelskonflikte oder der Abschluss internationaler Abkommen, haben oft eben doch direkte Effekte für die Menschen daheim. 

Zweitens: Weil Außenpolitik bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Vieles läuft schief auf unserer Welt. Hunger, Klimakatastrophen, Kriege, Terrorismus und ähnliche Grauslichkeiten sind für zu viele Menschen Teil des Alltags. Ihre Heimatstaaten werden damit oft allein nicht fertig; dann ist internationale Kooperation gefordert. Aktive Außenpolitik bedeutet auch, nicht wegzusehen.

Was bedeutet eigentlich „Außenpolitik“?

Vereinfacht gesagt bedeutet der Begriff, sich mit Dingen politisch zu befassen, die außerhalb der staatlichen Grenzen passieren. Meist denkt man dabei erst einmal an Diplomatie, also Kommunikation mit anderen Staaten. Außenpolitik umfasst aber auch Entwicklungshilfe, militärische Einsätze, Unterstützung österreichischer Bürger und Firmen im Ausland oder Aktionen in Organisationen wie EU oder UNO.

Und wie macht das Österreich?

Man darf sich keiner Illusion hingeben: Wir sind ein kleines Land, und auf dem Schachbrett der internationalen Politik haben wir weniger zu melden als beispielsweise die USA, China oder Russland. Doch Österreich verstand es stets, seine Rolle als kleiner, neutraler Staat geschickt auszuspielen, um im Spiel zu bleiben: Als Brückenbauer, Vermittler oder neutraler Boden für Verhandlungen.

1. Neutralität

Jedes Kind lernt in der Volksschule: Österreich ist ein neutraler Staat. Der Staatsvertrag von 1955 legte Österreichs „immerwährende Neutralität“ fest, was bedeutet, dass Österreich keinem militärischen Bündnis beitreten darf und keine fremden Militärbasen auf österreichischem Gebiet errichtet werden dürfen. Das gilt bis heute, und ist auch der Grund, wieso Österreich dem Verteidigungsbündnis NATO (North Atlantic Treaty Organisation) nie beigetreten ist. Doch manche bezweifeln, dass Österreich sich noch als neutral bezeichnen darf, denn Österreich hat sich verpflichtet an militärischen Missionen der EU teilzunehmen und beteiligt sich auch an gewissen NATO Missionen, obwohl es kein Mitglied eines Militärbündnisses sein darf. Manche sehen darin bereits einen Bruch des Bündnisverbots, jedenfalls ist es eine Einschränkung.

In der Vergangenheit, insbesondere zur Zeit von Bundeskanzler Kreisky, nutzte Österreich seine neutrale Rolle und geographische Lage, um als Brückenbauer zwischen Ost und West zu agieren. Das klassische Beispiel ist das Treffen zwischen John F. Kennedy und Nikita Khrushchev in Wien im Jahre 1961, als der kalte Krieg drohte, heiß zu werden. Auch heute finden viele hochrangige Verhandlungen in Wien statt, wie zuletzt die Gespräche zum Iran-Atomabkommen.

Wie wichtig ist die Neutralität den Parteien?

ÖVP

Schwer zu sagen. Im Regierungsprogramm der letzten ÖVP/FPÖ-Regierung fand sich ein Bekenntnis zur “identitätsstiftenden” Rolle der Neutralität, doch im Jahre 2001 war es der damalige ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel, der den Beitritt Österreichs zur NATO „nicht ausschließen“ wollte und meinte, der EU-Beitritt Österreichs hätte „die Neutralität Österreichs weiterentwickelt und überholt“.

SPÖ

Sehr wichtig. Im EU-Wahlkampf 2019 bezeichnete Andreas Schieder die Neutralität als „Grundpfeiler der österreichischen Außenpolitik“ und betonte: „Jeder, der sie in Frage stellt, muss mit dem entschiedenen Widerstand der SPÖ rechnen.”

FPÖ

Sehr wichtig. Im EU-Wahlkampf 2019 erklärte Spitzenkandidat Harald Vilimsky: „Für uns steht die Neutralität an oberster Stelle und ist nicht verhandelbar.“

NEOS

Eher unwichtig. Als sich Claudia Gamon im EU-Wahlkampf 2019 für eine EU-Armee aussprach, betonte sie, dass die Neutralität diesem Plan „nicht im Wege stehen“ solle.

JETZT

Schwer zu sagen. Der damalige Spitzenkandidat bei den Europawahlen, Johannes Voggenhuber, akzeptiert den Status Quo und nennt ihn “zweigeteilte Neutralität”: Österreich solle seiner Beistandspflicht vis-à-vis anderer EU-Länder nachkommen, doch gegenüber Ländern außerhalb der EU neutral bleiben.

DIE GRÜNEN

Sehr wichtig. Monica Vana, grüne Vizepräsidentin im Europaparlament, betonte: „Österreichs Neutralität ist nicht verhandelbar.“

2. Europäische Union

Österreich ist seit 1995 Vollmitglied der EU und hat somit Einfluss auf Entscheidungen über EU-Gesetze, europäische Außenpolitik und die weitere Entwicklung der Union. Österreich profitiert besonders vom vereinfachten Handel: 71 Prozent der österreichischen Exporte gehen in EU-Länder. Seit dem Beitritt ist das reale BIP Österreichs um 9,7 Prozent gestiegen. 

Ein wichtiger Aspekt der EU ist die gemeinsame europäische Außenpolitik: Die Union möchte als geeinter Akteur auftreten, „mit einer Stimme sprechen“, um die Interessen der 28 Mitgliedsstaaten gegenüber Nicht-EU-Staaten mit vereinten Kräften durchzusetzen. Das ist besonders wichtig, wenn man mit Großmächten wie beispielsweise den USA verhandelt; würden das die einzelnen Staaten tun, hätten sie dem größeren Staat wenig entgegenzusetzen, doch vereint können sie sogar den USA auf Augenhöhe begegnen. Allerdings gibt es ein Hindernis. Bestimmendes Organ der EU-Außenpolitik ist nicht die überstaatliche EU-Kommission oder die EU-Außenbeauftragte (quasi die “Außenministerin” der EU), sondern der Rat der EU, in dem die Minister der Staaten sitzen – und abgestimmt wird in der EU-Außenpolitik nach dem Einstimmigkeitsprinzip. Das bedeutet, dass einzelne Staaten Entscheidungen blockieren können.

In der gemeinsamen europäischen Außenpolitik sind Österreichs Schwerpunkte (laut dem Außenministerium) beispielsweise der Schutz der Zivilbevölkerung in Konflikten, Stärkung der Menschen- und Minderheitenrechte, Abrüstung sowie Rüstungskontrolle und Einschränkung von Massenvernichtungswaffen. Eine weitere Konstante der österreichischen EU-Politik ist die Ablehnung des Beitritts der Türkei zur EU.

Wie stehen die Parteien Österreichs Mitgliedschaft in der EU gegenüber?

ÖVP

Pro-EU. Von EU-Wahl-Spitzenkandidat Othmar Karas kamen während des Wahlkampfs klare Bekenntnisse zu Österreichs Mitgliedschaft in der Union. Aber: ÖVP-Chef Sebastian Kurz fand auch schon grobe Worte gegen die EU, er sprach von “Bevormundung” und “Regulierungswahnsinn”. 

SPÖ

Pro-EU. Auf ihrer Website sagt die SPÖ über die EU: „Jedes Land profitiert mehr von der EU, als sie kostet.“ Allerdings wünscht sich die SPÖ, dass die EU öfter soziale Akzente setze, da zu oft das Wohl der Firmen im Vordergrund stehe.

FPÖ

EU-skeptisch. Als einzige große österreichische Partei hatte die FPÖ einen kurzen Flirt mit der Idee des „Öxit“, also einem Austritts aus der EU. Vilimsky, der laut FPÖ-Pressedienst „forderte“, darüber nachzudenken, stritt das später ab. Die FPÖ ist heute für den Verbleib in der EU, möchte aber die „Gestaltungsfreiheit“ der Staaten stärken und fordert besonders in der EU-Außenpolitik, dass die Neutralität Österreichs gewahrt wird.

NEOS

Stark pro-EU. Während der EU-Wahl fiel Spitzenkandidatin Gamon mit der Forderung nach „Vereinigten Staaten von Europa“ auf, also nach mehr Kooperation auf EU-Ebene.

JETZT

Pro-EU. In seinem Manifest bezeichnete EU-Wahl-Spitzenkandidat Johannes Voggenhuber die EU als ein „Versprechen“, dass die europäischen Bürger in Frieden miteinander leben können. Allerdings forderte er mehr Gestaltungsmacht für ebendiese Bürger, um die EU demokratischer zu gestalten.

DIE GRÜNEN

Pro-EU. Ähnlich wie die SPÖ fordern die Grünen aber mehr Regulierung von Firmen und Finanzakteuren, und außerdem – wenig überraschend – ein verstärktes Auftreten der EU im Umweltschutz.

3. Migration & Entwicklungshilfe

Migration, also die Bewegung von Menschen über Staatsgrenzen hinaus, hat viele außenpolitische Aspekte. Das beginnt bei den Ursachen für Migration: Oft sind es bewaffnete Konflikte zwischen Staaten, die Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Tun sie es aus wirtschaftlichen Gründen – um woanders ein besseres Leben zu finden, oder sogar, um dem Hunger zu entkommen – können fremde Staaten helfend eingreifen, beispielsweise durch Entwicklungshilfe. 

Generell kann man sagen, dass sich Österreich spätestens seit dem Regierungswechsel 2017 international für die Kontrolle und Beschränkung von Migration insbesondere nach Europa stark macht. Ein Beispiel ist der Rückzug aus dem UN-Migrationspakt 2018 mit der Begründung, der Pakt könne zu einem „Menschenrecht auf Migration“ führen. Auch während Österreichs Zeit als Vorsitz des Rats der Europäischen Union war Migration ganz oben auf der Agenda: „Globale Migrationsströme“ wurden als Herausforderung genannt, die es zu „bewältigen“ gilt, Kampf gegen illegale Migration war der erstgenannte Schwerpunkt im offiziellen Programm. 

Eine besondere Rolle in Migrationsfragen kommt der EU zu – und diese Rolle soll in Zukunft größer werden. Momentan ist das Asylsystem fast ausschließlich Kompetenz der Nationalstaaten: Nationale Behörden entscheiden über Asylverfahren. 

Auf EU-Ebene geregelt wird allerdings die Frage, welches Land für welche Asylwerber zuständig ist. Laut dem Dublin-III-Abkommen ist jener Staat zuständig, auf dem Asylwerber erstmals EU-Boden betreten. Nachteil dieses Systems ist der große Druck auf Länder wie Italien und Griechenland, die aufgrund ihrer geographischen Lage die “Eingangstüren” zur EU darstellen. Im Jahre 2015, als eine große Menschenmenge in die EU floh, brach dieses System teilweise zusammen. Eine weitere Kompetenz der EU ist die Ausverhandlung migrationsbezogener Abkommen mit Drittstaaten, beispielsweise mit der Türkei im Jahre 2016. Die Türkei verpflichtete sich, zu verhindern, dass syrische Flüchtlinge über die Türkei nach Griechenland reisen, und erhielt dafür EU-Gelder zur Verbesserung der Lebensumstände in Flüchtlingslagern.

Allerdings zeigte die Flüchtlingswelle 2015 den Reformbedarf dieses Systems. Eine Idee, die das EU-Parlament 2012 auf den Tisch brachte, war etwa die Schaffung eines verpflichtenden Verteilungsschlüssels von Flüchtlingen auf die EU-Staaten, basierend auf Größe und Wirtschaftsleistung der Länder. Doch das scheitert noch an den Regierungen mancher Nationalstaaten. Speziell die sogenannte “Visegrád”-Gruppe – bestehend aus Ungarn, Polen, der Slowakei und der Tschechischen Republik – wehrt sich gegen eine verpflichtende Verteilung von Flüchtlingen mit der Begründung, dass ihre nationalen Interessen dabei zu kurz kämen. An solchen nationalen Alleingängen, teils angefeuert durch populistische Anti-Migrations-Parteien, scheitert die Schaffung einer echten EU-Asylpolitik. Zwar herrscht Konsens, dass eine transnationale Herausforderung wie Migration eine EU-weite Lösung braucht, doch wollen sich einige Staaten nicht zur Aufnahme von Flüchtlingen zwingen lassen.

Welche migrationsbezogene Außenpolitik vertreten die Parteien?

ÖVP

Eher für nationale Lösungen. Stärkerer Grenzschutz (EU und Österreich), Entwicklungshilfe und Bewahrung von Asyl- und Migrationspolitik als österreichische Kompetenz, „solange es für die Verhinderung illegaler Migration auf europäischer Ebene keine praktikable und befriedigende Lösung gibt“. Altkanzler Sebastian Kurz betonte außerdem die Bedeutung der Kooperation mit Libyen, einem wichtigen Transitland auf dem Weg von Afrika nach Europa, deren Küstenwache Migranten aus dem Meer zurück an Land bringt.

SPÖ

Für europäische Lösungen. Gemeinsame EU-Asylpolitik, Aufbau von Asylzentren an den EU-Außengrenzen und groß angelegte EU-Entwicklungshilfe nach Afrika, um wirtschaftliche Chancen vor Ort zu schaffen. Schaffung von UN-Asylzentren in den Herkunftsländern.

FPÖ

Für nationale Lösungen. Gegen EU-gesteuerte Verteilung von Flüchtlingen, für Stärkung der EU-Außengrenzen, gegen EU-Rettungsmission im Mittelmeer.

NEOS

Für europäische Lösungen. Gemeinsame EU-Asylpolitik und Abschluss von Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern unter Leitung der EU. Schaffung einer „Koalition der Entschlossenen“ von EU-Mitgliedsstaaten, die schon vor Realisierung einer EU-Lösung ihre Migrationssysteme koordinieren. Außerdem für UN-Schutzzentren in Herkunftsstaaten.  

JETZT

Für europäische Lösungen. Vor allem die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in Herkunftsländern, beispielsweise durch Entwicklungshilfe oder durch eine Neuverhandlung von Handelsabkommen zwischen der EU und afrikanischen Ländern sei wichtig.

DIE GRÜNEN

Für europäische Lösungen. Gemeinsame EU-Asylpolitik; EU-Unterstützung für Länder und Gemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen. Außerdem: Entwicklungshilfe. Einige Grüne haben Österreichs Rücktritt aus dem Migrationspakt scharf verurteilt.

Russland:

Man mag sich wundern, wieso die Beziehung zu einem einzelnen Land einen eigenen Unterpunkt in dieser Aufzählung verdient. Doch in den Worten des Außenministeriums: „Österreich und Russland sind politisch, wirtschaftlich, kulturell und historisch eng miteinander verbunden.“ Diese „enge Verbundenheit“ spiegelt sich nicht nur in einer regen Besuchsdiplomatie oder in der Anwesenheit des russischen Präsidenten Wladimir Putin bei der Hochzeit der damals amtierenden österreichischen Außenministerin Karin Kneissl wider, sondern vor allem in dem russlandfreundlichen österreichischen Abstimmungsverhalten bei EU-Beschlüssen.

So geschah es 2014, als die EU Sanktionen gegen Russland beschließen wollte, als Reaktion auf die Annexion der Krim und die Geschehnisse in der Ostukraine: Österreich wehrte sich stärker als andere Staaten – die Journalisten des Handelsblatts vermuteten, dass die enge wirtschaftliche Verzahnung der beiden Staaten dahinterstecke. Als 2018 mehrere EU-Staaten eines eventuellen russischen Giftanschlags im Vereinigten Königreich russische Diplomaten auswiesen, beteiligte sich Österreich nicht daran. Altkanzler Sebastian Kurz erklärte 2018, er könne sich einen Abbau der Sanktionen vorstellen, was russische Medien dazu bewegte, erfreut zu titeln: „Österreich hebt Anti-Russland-Sanktionen auf”.

Welche Meinung vertreten die Parteien zu Russland?

ÖVP

Freundlich. Altkanzler Sebastian Kurz brachte den Abbau der Sanktionen ins Spiel und betonte beim Besuch Putins in Wien, Österreich müsse „die Zusammenarbeit mit Russland stärken.”

SPÖ

Eher kritisch. Andreas Schieder verurteile das Nicht-Ausweisen russischer Diplomaten 2018, und die SPÖ bezichtigte Heinz-Christian Strache aufgrund der Nähe der FPÖ zur Partei des russischen Präsidenten, ein „Trojanisches Pferd Putins“ zu sein.

FPÖ

Sehr freundlich. Die FPÖ hat mit Putins Partei eine „Vereinbarung über Zusammenwirken und Kooperation“ abgeschlossen. Heinz-Christian Strache, damals FPÖ-Obmann und Vizekanzler, forderte ein Ende der Sanktionen.

NEOS

Kritisch. Sie verurteilten das Nicht-Ausweisen russischer Diplomaten 2018 und äußerten Besorgnis wegen drohender Einflussnahme Russlands auf EU-Wahlen.

JETZT

Eher kritisch. Spitzenkandidat Peter Pilz forderte Aufklärung von „Russland-Leaks“, und Abgeordnete Alma Zadić warnte vor russischer Einflussnahme durch die Nähe der FPÖ zu Putins Partei.

DIE GRÜNEN

Kritisch. Die Partei kritisierte einige Gesetze Putins scharf und plädierte für die Beibehaltung der Sanktionen.