Freude schöner
Geistesfunken

VON LUKAS MAUTNER MARKHOF, PETER MAYRHOFER, MORITZ PAIL & MORITZ STEPHAN

Die digitale Revolution schreitet mit rasantem Tempo voran. Kein Stein soll auf dem anderen bleiben! Selbstfahrende Autos, Drohnen, künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge und 5G-Netze sind bereits heute Realität. Gleichzeitig erlebt die Weltraumforschung eine Renaissance, wie man sie zuletzt in den 60er-Jahren gesehen hat. Wie rüstet sich die Europäische Union für die Zukunft? Wie kann sie im Wettbewerb mit anderen Mächten wie den Vereinigten Staaten oder China bestehen?

The Sky Is Not The Limit:
Europäische Raumfahrt

Ob das Navigationssystem Galileo oder die Ariane 6-Rakete: Eigene Raumfahrtsprogramme machen Europa unabhängiger und innovationsfreudiger. Außerdem sind sie cool.

Galileo ist ein ähnliches System wie das amerikanische GPS oder das russische GLONASS. Durch zahlreiche Satelliten mit sehr genauen Uhren kann jede Position auf der Erde mit einer Genauigkeit von einem Meter bestimmt werden. Im Gegensatz zu den anderen Systemen ist Galileo nicht unter Kontrolle des Militärs und daher rein zivil. Es darf nur im Kriegsfall für bestimmte Nutzer deaktiviert werden.

Galileo sichert die Unabhängigkeit Europas von anderen Systemen, was in der Geschichte des Projekts auch zu einigen Kontroversen geführt hat. Galileo nimmt den USA ein politisches Druckmittel, weshalb amerikanische Vertreter intensives Lobbying bei den europäischen Staatschefs gegen die Umsetzung des Projekts betrieben haben. Ohne Galileo könnten die USA nämlich im Ernstfall jederzeit den Zugang zu GPS-Diensten für europäische Empfänger ausschalten oder die Genauigkeit heruntersetzen, was natürlich im Kriegsfall katastrophal wäre. Aber auch in Friedenszeiten als eine Art Sanktion könnte das riesigen wirtschaftlichen Schaden anrichten (mit einem unberechenbaren US-Präsidenten ein umso größeres Risiko). Diese Versuche waren aber nicht erfolgreich. Derzeit ist Galileo schon funktionstüchtig. Mit 2020 sollten alle Satelliten im Orbit sein. Auch wenn es die meisten nicht wissen: Fast jedes Smartphone verwendet heutzutage schon Galileo.

Die Ariane 6-Rakete ist der neue europäische Launcher, der mit den neuen Konkurrenten am Markt wie SpaceX konkurrieren soll und gleichzeitig Europas Fähigkeit, aus eigener Kraft Satelliten ins Weltall zu schießen, langfristig sicherstellt. Außerdem ist er natürlich ein wirtschaftlicher Katalysator und Innovationsmotor, und nicht zuletzt ein prestigeträchtiges Aushängeschild für die eigenen Fähigkeiten. ArianeSpace, die europäische Firma, die die Rakete betreibt und deren Anteil am Weltmarkt für Satelliten-Launches bis 2014 bei über 50 % lag, verspricht sich davon eine günstige und flexible Lösung, die preislich der Falcon 9-Rakete von SpaceX gleicht. Die Grenzen zwischen der Firma, der European Space Agency (ESA) und anderen europäischen Institutionen verschwimmen dabei häufig. ArianeSpace selbst gehört Airbus und Safran (eine französische Luft- und Raumfahrtsfirma) und wurde unter Einfluss der ESA und der französischen Raumfahrtorganisation CNES gegründet. Durch die enge Zusammenarbeit bei der Entwicklung, die enge Bindung von ArianeSpace an die Projekte der ESA und den Einfluss der europäischen Politik auf Airbus steht die Firma praktisch heute noch unter staatlicher Kontrolle. Die ESA hat außerdem auch den Großteil der Entwicklungskosten für die Ariane 6-Rakete getragen.

Weltraumprojekte benötigen eine Menge an Geld- und Personalressourcen. Solch intensive Kooperationen zwischen Politik, Wirtschaft und Industrie sind Voraussetzung dafür, sie überhaupt Realität werden zu lassen. Wir sind noch nicht so weit, dass wirtschaftliche Interessen alleine im Stande wären, die Weltraumindustrie nach vorne zu treiben. Sie ist stattdessen vorrangig ein Symbol weltpolitischer Macht, mit der Europa nicht nur seine technologischen Möglichkeiten demonstriert, sondern auch seine Fähigkeit, ein so umfassendes Projekt multinational zu organisieren. Die EU hat sich mit dem Horizon 2020-Plan unter anderem zum Ziel gemacht, Startups im Weltraumbereich zu fördern. Unter anderem passiert das durch die SpaceUp-Events, einer Initiative, die mit 2 Mio. Euro gefördert wird und bestehende Startups mit Experten der ESA verbinden soll. Außerdem ist es das Ziel, Investoren anzulocken, indem eine Reihe an Startups anhand verschiedener Kriterien ausgesucht und „zertifiziert“ werden. Das soll als eine Art Gütesiegel in einem sonst schwer durchschaubaren Bereich funktionieren. Kapital ist nämlich im Moment noch das größte Problem: Auch wenn es solide Geschäftsmodelle gibt, ist die Bereitschaft der Investoren, sich zu beteiligen, in Europa – anders als in den USA – noch sehr begrenzt.

Ein Roadtrip über die Alpen und weiter: Verkehr

Bei einer Autofahrt von München in die rumänische Stadt Temeschburg (Timisoara) ist man durchwegs auf gut ausgebauten neuen Autobahnen unterwegs. Nach der ungarisch-rumänischen Grenze fährt man plötzlich auf einer neuen und breiten Autobahn, gleichwohl bei jeder Ausfahrt und Brücke ein großes Schild mit einer EU-Flagge und dem Hinweis auf entsprechende Fördermittel prangt. Jenseits der EU-Außengrenze in Serbien, wenige hundert Kilometer weiter, ist es spätestens ab Belgrad vorbei mit guten Straßen. Man fühlt sich dann auf der wichtigsten serbischen Straßenverbindung zur Adria wie im hintersten böhmischen Wald – nur der Schwerverkehr ist wesentlich dominanter. Wie kann es sein, dass die Verkehrsinfrastruktur zweier Nachbarländer sich durch die EU-Mitgliedschaft eines der beiden so gewaltig unterscheidet?

Zum einen ist die rumänische Strecke Teil zweier Europäischer Kernnetzkorridore (Rhein-Donau und Orient-östliches Mittelmeer), weshalb deren Ausbau gefördert wird. Zum anderen erhält Rumänien massive Mittel aus dem europäischen Struktur- und Investitionsfonds. Serbien hingegen – nach der Unabhängigkeit Montenegros endgültig vom Meerzugang getrennt – fehlen einerseits die Mittel. Andererseits wäre eine engere Beziehung zu ihren südlichen Nachbarn notwendig, um durch das unwegsame Terrain der Dinariden eine ausgebaute Verbindung zu schaffen. Selbst auf der parallel verlaufenden Eisenbahnstrecke Belgrad-Bar sind mehrmonatige Sperren wegen Wartungsarbeiten keine Seltenheit.

Über die Transeuropäische Netze wurden 29 vorrangige Korridore festgelegt, die in weiterer Folge zu 9 Kernnetzkorridoren zusammengefasst wurden. Die Straßen-, Schienen-, Wasserstraßen- und Flugverbindungen werden von Europäischer Seite besonders gefördert.

Rechts oben markiert: Temschwar. Die Rote Line zeigt den ungefähren Verlauf der Bahnstrecke Belgrad-Bar durch das Dinaridische Gebirge in Serbien und Montenegro. Links oben ist Slowenien zu sehen, etwas weiter südöstlich Kroatien, gefolgt von Bosnien und Herzegowina.
Basis: opentopomap.org

Aber man müsste den deutschen Sprachraum gar nicht verlassen. Von München nach Bologna ist es ähnlich weit. Es gilt, den Alpenhauptkamm zu überqueren. Die Straßenverbindung über den Brennerpass ist mit durchgehender Autobahn und Bundesstraße voll ausgebaut und die von LKWs meistgenutzte Alpenquerung überhaupt. Beim Schienenverkehr brauchte es erst den Anstoß der Europäischen Union, um Deutschland, Österreich und Italien von der Notwendigkeit einer durchgehenden, leistungsfähigen Schienenverbindung zu überzeugen. Durch die Aufnahme der Achse in den skandinavisch-mediterranen Korridor wurden entsprechende Planungsmittel bereitgestellt. Auch der Brennerbasistunnel wird als grenzüberschreitendes Projekt zu 40 % von der EU finanziell unterstützt. Die restlichen rund fünf Milliarden Euro teilen sich Österreich und Italien. Der Brenner Basistunnel ist damit das am höchsten geförderte Infrastrukturprojekt Europas. Da der Tunnel selbst aber noch in durchwegs schwierigem Gelände endet, müssen die zugehörigen Zulaufstrecken noch entsprechend ausgebaut werden. Österreich hat seine Hausaufgaben im Unterinntal weitgehend erfüllt, ab dem Grenzübergang Kufstein/Kiefersfelden läuft gemeinsam mit Deutschland ein Planungsverfahren und in Italien rechnet man damit, gleichzeitig mit der Eröffnung des Basistunnels auch die restlichen Zulaufstrecken fertigstellen zu können. Weiter nördlich in Deutschland regt sich jedoch heftiger Widerstand einiger Inntaler Bauern, die von zwei zusätzlichen Gleisen für Transitverkehr verständlicherweise recht schwer zu begeistern sind. Es läuft zwar ein Planungsverfahren unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung. Aber dass ein beiderseits akzeptierter Kompromiss zustande kommt, ist unwahrscheinlich. So fordern lokale Entscheidungsträger und besorgte Bürger, die gesamte Trasse unterirdisch zu legen. Manche versuchen auch, die Trasse an Nachbargemeinden abzutreten und berufen sich auf den Umweltschutz. Hier ist die Europäische Union gefordert (konkret der Koordinator der Achse Berlin-Palermo, Pat Cox), um mit entsprechendem Druck auf das deutsche Verkehrsministerium diesen wichtigen Abschnitt für das Gesamtprojekt doch noch pünktlich umzusetzen.

Der Brennerbasistunnel als Teil des Skandinavisch-Mediterranen-Korridors (Scan-Med). via bbt-se.com

Lyon und Turin trennen nicht nur die Staatsgrenze Italien-Frankreich, sondern auch die über 4000 Meter hohen schneebedeckten Gipfel der Westalpen. Niedrigster Einschnitt zwischen dem italienischen Susa-Tal und dem französischen Savoyen ist der 2081 Meter hohe Col du Mont Cenis. Über ihn führt nur eine recht unbedeutende Straße, vor allem wegen zweier rund 13 Kilometer langen Tunnel – je einer für Autobahn und Schiene, die 30 km weiter südlich den Verkehr abwickeln. Die Leistungsfähigkeit dieser wichtigsten Verbindung zwischen Italien und Frankreich ist stark eingeschränkt: Der Portalbereich der beiden Tunnel liegt auf italienischer Seite auf 1250 Meter über dem Meer, Turin und Lyon beide auf rund 250 Meter. Neben dem gewaltigen Höhenunterschied ist der frühe Wintereinbruch ein Problem. LKWs bleiben auf glatter schneebedeckter Fahrbahn hängen, Streckensperren aufgrund von Lawinengefahr sind keine Seltenheit.

Um dem entgegenzuwirken, wurde ein gigantisches Projekt, vergleichbar mit der neuen Brennerachse, ins Leben gerufen. Die Planungen sehen eine mehr als 150 Kilometer lange Neubaustrecke vor, darunter ein 57 Kilometer langer Basistunnel und andere kleinere Tunnel. Die geschätzten Baukosten des internationalen Teils belaufen sich auf derzeit 12,5 Mrd. Euro, wobei eine ähnliche hohe EU-Beteiligung wie beim Brenner zu erwarten ist. Außer geringer Vorarbeiten wurde der Baubeginn immer weiter verschoben. Die neue Strecke hat sich im Frühjahr 2019 in Italien zum Politikum entwickelt. Während Innenminister Salvini die Fortsetzung des Projektes stark befürwortet, positioniert sich der Vizepremier und Vorsitzende der Fünf-Sterne Bewegung Di Maio klar dagegen. Wörtlich sagte er: „Wir sind uns im Klaren, dass Italien in Sachen TAV internationale Verpflichtungen eingegangen ist. Uns geht es jedoch in erster Linie um die Steuergelder der Italiener, die nicht verschwendet werden dürfen.“ Der Streit stürzte die italienische Koalition in eine interne Vertrauenskrise und die EU-Kommission droht, bereits ausgezahlte Fördergelder für die Planung wieder einzuziehen und für andere Projekte zu verwenden.

Die Beispiele zeigen, wie schwierig und komplex länderübergreifende Verkehrsplanung sich gestalten kann. Dennoch hat die EU-Kommission viel vor. Der Verkehrsplan beinhaltet mehrere Korridore von Straßen-, Schienen- und Wasserstraßenverbindungen, die weit über die Grenzen der Union hinausreichen und auch durch mitfinanzierte Projekte im EU-Ausland weitergeführt werden (so kommt Albanien zu seinen Autobahnen). Schließlich enden Warenströme aus dem Norden nicht an der Ungarisch-Serbischen Grenze, sondern setzen sich weiter gen Süden nach Griechenland oder bis in die Türkei fort. Komplettiert wird dieses Netz durch Güterterminals, in Österreich zum Beispiel das Güterterminal Wien Süd in Inzersdorf, und Flughäfen wie beispielsweise der Ausbau des Mailänder Drehkreuzes Malpensa.

Erwähnenswert ist auch der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), dessen Zielgebiet fast den gesamten Osten Deutschlands sowie das österreichische Burgenland umfasst. Primär dient dieser Fonds der Unterstützung von strukturschwachen Regionen, zu denen auch infrastrukturelle Verbesserungen gehören. Von diesen Finanzmitteln träumen Lokalpolitiker, wenn sie von einem Lückenschluss (zum Beispiel einer durch den Eisernen Vorhang noch immer getrennten Bahnlinie) sprechen, wie beispielsweise vom steirischen Radkersburg über den Grenzfluss Mur nach Slowenien. Positive Beispiele sind die Wiedererrichtung der Berliner Teltow-Werft-Brücke an der ehemaligen innerdeutschen Grenze oder die Fahrradbrücke der Freiheit über die March zwischen Niederösterreich und der Slowakei. Neben vielen kleinen und großen Erfolgen wird es wohl noch Jahrzehnte dauern, bis von einer Fertigstellung des transeuropäischen Verkehrsnetzes die Rede sein kann. Verkehrsplanungen, die an der jeweiligen Staatsgrenze enden, sollten damit bald der Vergangenheit angehören.

Infrastruktur Neu: Eine nachhaltige Zukunft

Im Sinne der Nachhaltigkeit soll nun auch ein Augenmerk auf die Förderung von elektrisch betriebenen Autos, Bussen und Lastwagen gelegt werden. Seit 2008 gewährt die EU günstige Kredite im Ausmaß von 5 Mrd. Euro an Automobilhersteller, um die Entwicklung der nötigen Technologie voranzutreiben. Außerdem existieren zahlreiche von der EU geförderte Forschungsprojekte zur Entwicklung neuer Batterietechnologien sowie politische Initiativen, die sich um die Standardisierung von Ladeinfrastruktur innerhalb der EU kümmern. Noch herrschen in der EU große Unterschiede in der Verfügbarkeit von Ladestationen für E-Autos: 76 % aller Ladestationen in der EU befinden sich in den Niederlanden, Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich in absteigender Reihenfolge. Zurzeit gibt es etwa 100.000 Ladestationen, aber die EU-Kommission geht von einem Anstieg auf über 2 Mio. bis 2025 aus. Alle großen europäischen Autohersteller haben ab spätestens 2020 elektrisch betriebene Autos im Angebot, die durchaus das Potential zur Massentauglichkeit haben und auch preislich mit der Konkurrenz aus den USA und Asien mithalten können. Die in Schweden beheimatete Firma Volvo, die sich in chinesischem Besitz befindet, steigt sogar komplett auf E-Autos um.

Ein weiterer Schwerpunkt im Transportbereich sind autonome Autos. Die europäische Ausgangssituation in Europa ist keine gute, da uns die großen amerikanischen und chinesischen Technologiekonzerne fehlen, die im Bereich der Künstlichen Intelligenz den Ton angeben. Eine möglich Chance sind Investments von den großen Playern der europäischen Autoindustrie, die oft mit nicht-europäischen Firmen kooperieren, um das nötige Know-How an Bord zu holen. Die EU sieht ihre Rolle in diesem Prozess größtenteils in der Regulierung. Sie beschäftigt sich mit der Standardisierung der nötigen Technologien, vor allem im Bereich der Kommunikation zwischen Fahrzeugen, um eine reibungslose Einführung im europäischen Markt zu ermöglichen. Ein wichtiger Punkt ist hier auch die Einführung von 5G-Netzen, der nächsten Evolution im Mobilfunk, die als Schlüsseltechnologie für autonomes Fahren gilt. Außerdem betreibt sie Arbeitsgruppen, um die zahlreichen ethischen Fragen zu klären, die mit autonomen Fahrzeugen einhergehen: Soll der Computer sich in der Extremsituation dazu entscheiden, ein Kind oder vier Senioren zu überfahren? Wer haftet für Unfälle: der Hersteller oder die Fahrerin?

Es wird erwartet, dass Drohnen, ihre Entwicklung, Produktion und Verwendung innerhalb der nächsten 20 Jahre über 100.000 Menschen in Europa beschäftigen. Um dafür zu sorgen, dass diese Technologie ein sicherer Teil unseres Alltags wird, beschäftigen sich mehrere europäische Institutionen mit der Erstellung der nötigen Gesetze und der Entwicklung von smarten Luftraumüberwachungssystemen. Die European Aviation Safety Agency (EASA), eine Einrichtung, die verschiedene Luftfahrtthemen koordiniert, hat im Februar 2019 dem „Implementing Act“ zugestimmt. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Gesetzestext, der unter anderem regelt, wer welche Arten von Drohnen unter welchen Bedingungen verwenden darf. Er wird jetzt vom Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat bis zu zwei Monate lang untersucht. Falls keine Beschwerden eintreffen, tritt das Dokument im Laufe dieses Jahres dann in Kraft.

Digital Native? Europa und die Digitalisierung

Ein Gespenst geht um in Europa. Das Gespenst der Digitalisierung. Dieses Bild wird zumindest oft von den Medien gezeichnet. Es ist von Jobverlusten, dem Wandel unseres Arbeitsmarktes und sogar vom Wandel unserer Gesellschaft als Ganzer die Rede. Zurzeit scheint es jedoch so, als hätte die EU die Digitalisierung ein bisschen verschlafen. Für den Zeitraum 2021–2027 plant sie darum ein neues, speziell der Digitalisierung gewidmetes Programm: „Digitales Europa“. Zur Förderung sind fünf konkrete Ziele definiert.

Der Begriff Digitalisierung bezeichnet ursprünglich das Umwandeln von analogen Werten in digitale Formate. Im weiteren Sinne beschreibt er heute aber auch alle damit verbundenen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, die Wirtschaft sowie unser Privat- und Arbeitsleben.

Erstens soll ein Hochleistungsrechner (salopp: „Supercomputer“) gebaut werden. Seine Leistung soll mit denen aus China oder den USA mithalten können und ca. eine Milliarde Milliarden (oder 10^18 für die Mathematiker unter uns) Rechenoperationen pro Sekunde durchführen können. Dieses Vorhaben ist natürlich nicht ganz billig. Etwa 2,7 Milliarden Euro sind für das Projekt vorgesehen. Jetzt fragt man sich natürlich (berechtigterweise): Wozu? Die EU rechtfertigt den Aufwand durch die immer größer werdende Datenflut, die man ohne so eine Maschine nicht mehr effektiv verarbeiten könne. Tatsächlich spielen Supercomputer eine große Rolle in der Datenverarbeitung und -wissenschaft. Mit Supercomputern können komplizierte Modelle, Simulationen und Berechnungen in Bereichen wie der Wettervorhersage, Klimatologie, Medizin, den Naturwissenschaften, der Verschlüsselung oder des Militärs erstellt werden. Gerade die Verschlüsselung und das Militär sind von zentralem Interesse, denn mit einer vernetzten Infrastruktur steigt gleichzeitig das Risiko für Cyber-Attacken. Rechenleistung bedeutet damit heutzutage vor allem auch Macht.

Zweitens soll soll die europäischen Cybersicherheitsausrüstung zum Schutz der EU gegen Cyberangriffe und Betrug modernisiert werden. Warum das wichtig ist, zeigen Beispiele wie der Fall rund um Cambridge Analytica. Die Daten von mehreren Millionen Facebook-Usern wurden genutzt, um Wähler in ihrem Wahlverhalten zu beeinflussen. Durch diese Maßnahmen will die EU die Sicherheit der digitalen Wirtschaft, der Gesellschaft und der Demokratien in der EU gewährleisten. Drittens sollen Investitionen in die Künstliche Intelligenz ansteigen.

Künstliche Intelligenz ist ein Zweig der Informatik, der sich mit der Nachbildung bestimmter Aspekte menschlicher Intelligenz mit Computersystemen beschäftigt. Der Begriff ist jedoch nicht eindeutig abgrenzbar, da es bereits an einer genauen Definition von „Intelligenz“ scheitert.

Ziel ist es, KI optimal zu nutzen, sich auf sozioökonomische Veränderungen vorzubereiten sowie einen angemessenen ethischen und rechtlichen Rahmen zu schaffen. Damit möglichst alle von der Technologie profitieren können, schlägt die Kommission die Entwicklung gemeinsamer offener „Algorithmenbibliotheken“ und digitaler Innovationszentren zum Austausch von Fachwissen vor.

Der Begriff sozioökonomisch setzt sich aus den Begriffen sozial und ökonomisch (= „die Wirtschaft betreffend“) zusammen – entsprechend beschreibt er den wirtschaftlich-sozialen Aspekt einer Sache.

Viertens soll das Programm die Ausbildung von Fachkräften in den Bereichen wie der Künstlichen Intelligenz, Datenanalyse und Cybersicherheit fördern. Zur konkreten Umsetzung sieht die EU den langfristigen Ausbau von Studiengängen und Schulungsprogrammen vor. Kleinunternehmer und Arbeitskräfte sollen durch kurzfristige Kurse und Schulungen unterstützt werden.

Fünftens soll das Programm den Zugang zu moderner Infrastruktur und neuen Technologien für die Wirtschaft und Gesellschaft erleichtern. Es soll einerseits sichergestellt werden, dass Bereichen von öffentlichem Interesse – wie Gesundheit und Pflege, Bildung und Verkehr sowie der Kultur- und Kreativbranche – moderne digitale Technologien zur Verfügung stehen. Außerdem soll dieser Zugang auch Unternehmen, vor allem KMUs, ermöglicht werden.

KMU steht für „kleine und mittlere Unternehmen”.

Wer suchet, der findet: Forschung

Als unsere Vorfahren lernten, aus Holz und Stein Jagdwerkzeuge herzustellen und das Feuer zu bändigen, war das ein gewaltiger Schritt nach vorne in der Entwicklung der Menschheit. Heute haben wir gelernt, strukturierter zu forschen und zu entwickeln, schneller fortzuschreiten. Doch auch im 21. Jahrhundert werden wir durch die ein oder andere Neuentdeckung überrascht. Die letzten Jahrzehnte brachten Wissenschaft, Wirtschaft und Politik immer näher zusammen.

Die Forschung und Entwicklung gehören zum Kerninteresse der Europäischen Union. Universitäten und Industrie sind über Grenzen hinweg vernetzt, um sich über ihre neuesten Technologien auszutauschen. Dank des freien Personenverkehrs können schlaue Köpfe ganz einfach grenzübergreifend forschen. Forschungsmittel werden gebündelt, um das Angebot für Förderungen übersichtlicher und zielgerichteter zu gestalten.

Die Europäische Kommission hat das mit 80 Mrd. Euro dotierte EU-Förderprogramm Horizon 2020 ausgeschrieben, das von 2014–2020 verschiedenste Forschungsprogramme unter einen Hut gebracht hat, um somit die Forschung und Entwicklung der EU voranzutreiben. An den Forschungen können sich alle juristischen Personen eines Mitgliedstaates sowie assoziierter Staaten beteiligen. Eine Datenbank mit allen unterstützten Projekten sorgt für Transparenz. Drei Bereiche stehen im Vordergrund: Wissenschaftsexzellenz, eine führende Rolle der Industrie und gesellschaftliche Herausforderungen.

Eine Rechtsperson, beispielsweise eine GmbH, mit gesetzlich anerkannter rechtlichen Selbstständigkeit.

Im Wettbewerb um Forschung und Entwicklung steht die EU den USA und China gegenüber. Die EU muss gezielt in Schlüsselindustrien investieren, damit Europa in diesen Bereichen eine Vorreiterrolle einnehmen kann. Auch private Investitionen sollen miteinbezogen werden, in denen Europa Nordamerika und Asien stark hinterherhinkt. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich Europa traditionell auf den Staat als Forschungsförderer verlässt, während in Amerika und Asien der Fokus mehr auf privaten Investoren liegt. Der Vorteil staatlicher Investitionen ist, dass sie oft flächendeckend wirken; im Gegensatz dazu zielen Privatinvestitionen auf bestimmte Technologien ab und bewirken, dass in diesen Nischenbereichen stärker geforscht wird. Das wirkt sich wiederum auf kleine und mittlere Unternehmen aus, die oft mit Nischenprodukten punkten können.

Der dritte Bereich spezialisiert sich auf die gesellschaftlichen Herausforderungen wie Migration, Klimawandel, Infrastruktur und Digitalisierung, in denen wir innovative und funktionstüchtige Lösungen brauchen. Hier spielt interdisziplinäre Forschung eine besondere Rolle, um Erkenntnisse aus verschiedenen Fachbereichen zu verknüpfen. Es geht hier vor allem um zwei Aspekte. Erstens darum, den technologischen Fortschritt so zu gestalten, dass wir Menschen nicht in Abhängigkeit der Technologien geraten, sondern mit ihnen in einer Symbiose leben. Das heißt, dass die breite Masse der Bevölkerung vom technologischen Fortschritt profitieren soll, sei es in der Gesundheit oder in der Mobilität. Der zweite Aspekt betrifft die ethische Dimension der Forschung. Dafür wurde bereits im Jahr 1991 die EGE (Europäische Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der neuen Technologien) gegründet, die als unabhängige Institution den Kommissionspräsidenten berät, um sicherzustellen, dass Forschungsvorhaben und Entwicklungen den Ethikrichtlinien der EU entsprechen. Als jüngstes Beispiel forderte der Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation, Carlos Moedas, die EGE auf, zu untersuchen, ob Forschung an Genmanipulation diesen Richtlinien entspricht. Solche Untersuchungen sind besonders wichtig, um Vertrauen zu neuen Technologien herzustellen, die ansonsten als bedrohlich für uns Menschen wahrgenommen werden können.

Horizon 2020 vereinfacht viele dieser Aspekte, da es sich um ein einziges Programm handelt, dass alle Varianten der Wissenschaftsförderung miteinbezieht. Einige Erfolge wurden bereits erzielt, angefangen von der Krebsforschung über energieeffiziente Gebäude bis hin zu autonomem Fahren. Die Europäische Kommission hat kürzlich beschlossen, das Programm für die kommenden Jahre in einer leicht abgeänderten Form neu unter dem Namen „Horizon Europe” aufzustellen.

Die Kommission hat sich hier hohe Ziele gesetzt: Es sollen zwischen 2021 und 2027 über 100 Mrd. Euro in das Programm investiert werden. Hier wird die Kommission allerdings noch vom Europäischen Parlament sowie von den Mitgliedsstaaten Gegenwind bekommen – Forschung ist eben auch ein Politikum. Manche Regierungen wehren sich dagegen, erhöhte Investitionen in Bereiche zu tätigen, die dem Anschein nach nur der Wissenschaft und der Industrie dienen. Die Kommission sieht das anders: Diesmal stehen vor allem Jobs im Mittelpunkt, da der bevorstehende technologische Fortschritt wohl einen radikalen Umbruch in der Arbeitswelt bringen wird. Derzeit besteht Uneinigkeit darüber, wie sich dieser Umbruch auf den Arbeitsmarkt auswirken wird. Während eine optimistischere Seite argumentiert, dass durch weitere Forschung neue Arbeitsplätze entstehen werden, die wir uns derzeit noch nicht vorstellen können, warnt die vorsichtigere Seite vor der Massenarbeitslosigkeit und plädiert für stärkeren Arbeitsschutz.

Ein erheblicher Teil der Forschung wird sich ebenfalls darauf konzentrieren, wie der technologische Fortschritt sich auf Städte, Landwirtschaft, Ozeane und den Energiesektor auswirken wird – allesamt Bereiche unseres Lebens, mit denen wir tagtäglich direkt oder indirekt zu tun haben. Denken wir beispielsweise an die Forschungsanlage CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) in der Schweiz. Viele Wissenschaftler forschen dort, doch ihr Aufenthalt ist nicht selbstverständlich. Neben den wissenschaftlichen Voraussetzungen müssen auch politische Bedingungen erfüllt werden, die die EU versucht, zu gewährleisten. Dabei geht es um Forschungsstipendien, Gesundheitsversicherung für die Forscher, Forschungsgelder für Projekte durch Horizon 2020 und die Zusammenarbeit von Forschungseinrichtungen etwa in Frankreich, Italien und Ungarn mit dem CERN-Institut in der Schweiz.

Das Ziel der Europäischen Union muss es sein, Forschung so zu gestalten, dass wir als Europäer nicht in Abhängigkeit von den USA oder China gelangen, sondern den Ton in der Welt angeben. Zugleich müssen wir den technologischen Fortschritt mit unserem Alltag vereinen, sodass es keine Verlierer gibt. Das zukünftige Europäische Parlament und die Kommission werden diese Herausforderungen gut überlegt angehen müssen. Während wir noch nicht wissen, was wir in Zukunft forschen werden und welche Erfindungen uns als nächstes begleiten werden, gibt es eine Konstante: Die Mission Zukunft endet nie. Jeden Tag wird es eine neue Herausforderung geben.