Immer Ärger
mit Art. 13

VON TOBIAS KIWITT

Die Reform des europäischen Urheberrechts hat ungeahnte Aufmerksamkeit erfahren. Doch was leistet die Richtlinie tatsächlich? Und was ist dran an den Bedenken? Eine Analyse.

Die Europäische Urheberrechtsreform ist in fast aller Munde. Kaum ein anderes Richtlinienvorhaben hat in den letzten Jahren vor seiner Verabschiedung gerade bei jungen Menschen ein solches Bewusstsein für den demokratischen Diskurs und die Wichtigkeit europäischer Gesetzesvorhaben geschaffen.

Über zweieinhalb Jahre lang arbeiteten das Europäische Parlament und der Rat der EU (Ministerrat) an dieser Richtlinie, bis sie am 26. März 2019 vom Europaparlament und am 15. April 2019 sodann auch vom Ministerrat beschlossen wurde. In der Endphase dieses Reformprozesses, bei dem es noch nach sehr langwierigen sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und Europäischen Parlament zu einigen Änderungen und Konkretisierungen im 149-seitigen Richtlinientext gekommen war, protestierten hunderttausende Menschen, vor allem in Deutschland, gegen diese Richtlinie.

Welchen Zweck hat die Reform?

Hauptkritikpunkt der Demonstranten war der später verabschiedete Artikel 17 (der zuvor Artikel 13 hieß), bei dem es darum geht, dass Plattformen wie Facebook und YouTube für dort bereitgestellte Inhalte künftig haften werden. Mit der Richtlinie findet eine Schließung des sogenannten Value Gaps statt. Diese Vergütungslücke entsteht, wenn große Inhalte-Vertreiber kreative Leistungen vermarkten, ohne sie bei den Urhebern zu lizenzieren und ohne sie zu vergüten, sprich: ohne die tatsächlichen Urheber zu bezahlen. Vorrangig betroffen sind Videos und Musik. Für Autoren haben sich Vergütungslücken durch die kostenlose Präsentation ihrer Werke etwa bei GoogleBooks oder durch die Verbreitung ihrer digitalisierten Hörbücher via YouTube ohne Lizenz und ohne Vergütung ergeben.

Bislang wurden sie als Inhalteplattformen in der Haftungskette weitgehend ausgenommen. Das führte dazu, dass sich Urheber häufig nicht gegen die rechtswidrige Verwendung ihrer Werke wehren konnten, da die Rechteverletzer (bislang die User) bei diesen Plattformen gewöhnlich anonym auftreten und deshalb rein praktisch nicht in Anspruch genommen werden konnten.

Künftig haften nicht mehr nur die Nutzer, sondern auch Plattformen für das Handeln der User. Die Verwendung urheber- und nutzungsrechtlich geschützter Werke wird also rechtssicher geregelt, sodass die Verantwortung nicht mehr bei Bürgern alleine liegt. Urheber müssen sich nicht mehr an die User halten, wenn sie Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche durchsetzen möchten, sondern können sich auch an die kommerziellen Internetplattformen wenden. Das bedeutet eine Verbesserung zur Durchsetzung der Urheberrechte.

Inhalte-Vertreiber konnten bislang kaum in Anspruch genommen werden, da sie allenfalls als Störer hafteten, nicht jedoch als Täter der Urheberrechtsverletzung. Die Anforderungen für den Urheber, die Plattformen in die Störerhaftung zu bringen, waren ziemlich hoch. So musste der Urheber nachweisen, dass er der Rechteinhaber ist und seine Rechte durch die Verbreitung des Werkes auf der digitalen Plattform verletzt werden. Digitale Plattformen konnten sich darauf berufen, die fraglichen Inhalte weder selbst auf die Plattform gestellt noch sie in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit ihren Nutzern hochgeladen zu haben.

Und wo ist das Problem?

Künftig sind kommerzielle digitale Plattformen dazu verpflichtet, urheberrechtlich geschützte Inhalte beim Upload durch geeignete Maßnahmen zu blockieren. Kritiker befürchten, dass dazu sogenannte Upload-Filter eingesetzt werden, die Inhalte durchleuchten und fehleranfällig sind. Schon heute gibt es im Internet auf digitalen Plattformen Upload-Filter, die Inhalte auf Terrorverdachtsmomente durchleuchten. Insoweit ist die Technik nicht völlig neu.

Viele haben jedoch Sorge, dass nicht nur urheberrechtsverletzende Inhalte, sondern auch urheberrechtlich geschützte Werke, die im Rahmen der gesetzlichen Ausnahmeregelungen („urheberrechtliche Schranken“) legal verbreitet werden dürfen, künftig durch diese Filter ebenfalls blockiert werden könnten.

Gemeint sind etwa Inhalte, die im Rahmen der Parodie oder Satire geschützt sind. Wenn ein User also zum Beispiel aus urheberrechtlich geschütztem Filmmaterial Ausschnitte für einen Satire-Beitrag entnimmt oder im Rahmen einer journalistischen Reportage aus einem Werk zitiert, so ist ihm dies urheberrechtlich erlaubt. Der Filter wird jedoch wahrscheinlich nicht zwischen erlaubter und nicht erlaubter Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken unterscheiden können. Was grundsätzlich im Rahmen des Urheberrechts zulässig ist, könnte künftig beim Upload auf digitalen Plattformen durch den Filter blockiert werden. Kritiker sehen ihre (Meinungs-)Freiheit im Netz gefährdet. Wenn Plattformen nun für ihr Handeln vollumfänglich haften, befürchten sie, dass die Plattformen ihnen künftig einige Freiheiten nicht mehr einräumen werden. Sie bemängeln ferner, dass das zu einer verstärkten Vormachtstellung der großen amerikanischen Plattformen wie YouTube führen könnte, die die hohen Kosten für die Entwicklung von Upload-Filtern aufbringen können. Die kleinen Plattformen blieben auf der Strecke.

Tatsächlich zwingt Artikel 17 die Plattformen nicht ausdrücklich zum Filtern. Es bleibt ihnen möglich, einfach Verträge mit den Rechteinhabern abzuschließen, um deren Inhalte legal nutzen zu können. Was in der Theorie möglich erscheint, dürfte sich praktisch schwer umsetzen lassen. Vielleicht einigt sich YouTube mit der GEMA und erhält damit auf einen Schlag Lizenzen für viele Tonaufnahmen. Die GEMA vertritt aber nicht alle Urheber, sodass YouTube noch keine vollständige Rechtssicherheit hätte. Auch gibt es für Texte, Fotos und Videos keine Verwertungsgesellschaften, die alle Rechteinhaber repräsentiert. Plattformen müssten also eine Vielzahl von Verträgen aushandeln. Was für YouTube bereits schwierig ist, dürfte für kleinere Betreiber völlig unmöglich sein. Deshalb gehen Kritiker der Richtlinie davon aus, dass es zu sogenannten Upload-Filtern kommen wird (müssen).

Die GEMA ist eine deutsche Gesellschaft, die die Ansprüche von Musikverlegern und den Urhebern von Musikwerken vertritt. Ihre Einnahmen aus der Durchsetzung ihrer Urheberrechte verteilt sie größtenteils an ihre etwa 70.000 Mitglieder in Deutschland.

Urheber feiern die Urheberrechtsrichtlinie hingegen als einen großen Erfolg, bei dem die digitalen Plattformen endlich für allgemeine Zurverfügungstellung von Inhalten haften. Sie sehen in Artikel 17 ein Gleichgewicht zwischen Urhebern und Usern, die bislang die Rechte von Urhebern oft verletzt haben und sich hinter dem Haftungsprivileg der Plattformen verstecken konnten. Kleinere Plattformenbetreiber als YouTube müssten nicht zwingend benachteiligt werden. Im nationalen gesetzgeberischen Umsetzungsprozess der EU-Richtlinie könnten noch Möglichkeiten geschaffen werden, kleinere Plattformenbetreiber anderweitige Unterstützung zuteilwerden zu lassen.

Richtlinien (wie die Urheberrechtsrichtlinie) gelten nicht unmittelbar in der ganzen Europäischen Union, sondern müssen erst ins nationale Recht umgesetzt werden. Dazu haben die 27 Nationalstaaten der EU nun zwei Jahre lang Zeit. Auch werden Anbieter, die noch keine drei Jahre auf dem Markt sind und weniger als 10 Mio. Euro Umsatz machen, von der Regelung ausgenommen. Nichtkommerzielle Anbieter sind von vornherein ausgenommen.

Richtlinien sind eine Form der EU-Gesetzgebung, die von den Mitgliedsländern eigenverantwortlich in nationales Recht umgesetzt werden darf. Verordnungen gelten dagegen auf Anhieb und einheitlich in der gesamten EU.

Was steht noch in der Urheberrechtsreform?

Weniger in der öffentlichen Diskussion als Artikel 17 der Richtlinie sind weitere Verbesserungen im Urheberrecht, die überwiegend sehr einhellig begrüßt wurden. In vielen Ländern der EU gibt es bis heute keine Regelungen über die Frage einer angemessenen Vergütung der Urheber. Künftig wird es europaweit einen Anspruch auf angemessene Vergütung geben. Anders als in Deutschland und Österreich ist in zahlreichen EU-Staaten zum Beispiel das Recht auf gerechte Vergütung nicht gesetzlich gewährleistet gewesen. Zudem werden Verbände und Gewerkschaften der Urheber gestärkt.

Anpassungen des Urheberrechts im europäischen Binnenmarkt wird es auch in vielen anderen Bereichen geben: bei der grenzüberschreitenden Nutzung von Bildung und Lehre, beim Umgang mit Werken des kulturellen Erbes, beim Urhebervertragsrecht, bei Open Access (also frei zugänglichem Material), bei Regelungen für Online-Enzyklopädien und wissenschaftlichen Repositorien und beim Zugang von urheberrechtlichen Inhalten für Blinde und Hörgeschädigte. Damit wird weitgehend existierendes Urheberrecht, wie es in einigen EU-Staaten (darunter Deutschland und Österreich) gilt, europaweit auf alle Mitgliedstaaten übertragen und das Urheberrecht in der EU harmonisiert. Hinzu kommt, dass Urheber in anderen europäischen Ländern deutlich von den gehobenen Standards profitieren werden.

Die nächste Kontroverse: Das Leistungsschutzrecht

Ein weiterer Punkt, der zum Teil öffentlich kritisiert wird, ist das Leistungsschutzrecht der Presseverleger. Künftig werden digitale Plattformen für das Zeigen sogenannter Snippets („Schnipsel” aus Artikeln, Schlagzeilen und ähnliches) Geld an Presseverleger zahlen müssen. Das EU-Leistungsschutzrecht soll die Ersteller von Inhalten im Netz davor schützen, dass andere Unternehmen wie etwa Suchmaschinen fremde Leistungen nutzen, ohne dafür zu bezahlen. Kritiker bezweifeln, ob dieses Leistungsschutzrecht wirksam durchgesetzt werden kann. In Deutschland und Spanien ist es bereits seit wenigen Jahren in Kraft. Es hat dazu geführt, dass Presseverleger letztlich mit Google die Vereinbarung der unentgeltlichen weiteren Nutzung der Inhalte vereinbart haben, da sie sich sorgten, ansonsten in der Google-Suchmaschine nicht mehr sichtbar zu sein. Kritiker befürchten, dass die großen Presseverlage weiterhin so vorgehen werden und das Leistungsschutzrecht der Presseverleger damit weitgehend ins Leere laufen könnte. Dies wird abzuwarten sein.

Gern übersehen: Artikel 16 und die Verlegerbeteiligung

Manche kritisieren auch Artikel 16 der Richtlinie, wegen der künftig wieder die Möglichkeit bestehen wird, dass Buchverlage an den Einnahmen von Verwertungsgesellschaften beteiligt werden können. Das war über Jahrzehnte in Deutschland gelebte Praxis und hat sich bewährt. Es hat Urhebern und Verlagen eine starke Lobby gegen die Geräteindustrie verschafft, die zum Beispiel mit jedem verkauften Kopiergerät, USB-Stick, Drucker und Druckerpatronen einen Teil ihrer Erlöse an die Verwertungsgesellschaft für Sprachwerke, die VG Wort, zahlen musste. In manchen anderen europäischen Ländern gibt es ähnliche Regelungen. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshof im Jahre 2017 hatte diese Praxis in Deutschland beendet. Demnach sollten Buchverlage nicht mehr beteiligt werden. Artikel 16 der EU-Richtlinie stärkt die Rolle der Buchverlage wieder und gibt ihnen ein Recht auf Verlegerbeteiligung.

Verwertungsgesellschaften werden in Zukunft immer wichtiger. Gerade in Zeiten von Digitalisierung und Vernetzung werden die Nutzungsvorgänge immer kleinteiliger. Einzelne Urheber können ihre Rechte dadurch noch schwerer verwalten und überwachen. Die Gerätehersteller, IT-Unternehmen und Inhalteplattformen haben indes ein Interesse an schwachen Verwertungsgesellschaften. Denn jeder Euro, der nicht an andere geht, vergrößert ihren Profit.

Die Verlegerbeteiligung in der VG Wort gibt es länger als das deutsche Urheberrechtsgesetz. Der Gesetzgeber hatte nie vor, sie in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Es wurde mehrfach national versucht, sie rechtlich abzusichern. Jetzt schafft der europäische Gesetzgeber die Möglichkeit, Beteiligungen wieder rechtssicher abzubilden. Die Richtlinie enthält keine Pflicht hierzu, sondern räumt den streng regulierten und unter staatlicher Aufsicht stehenden Verwertungsgesellschaften die Möglichkeit ein, die Verleger in den internen Regularien nach sorgfältig ausverhandelten Quoten an den Ausschüttungen für die von ihnen hergestellten und vertriebenen Werke zu beteiligen. Die nationalen Gesetzgeber haben das nun zu entscheiden. Der demokratische Willensprozess verbleibt also in den Nationalstaaten.

Gleichzeitig wird mit der Richtlinie klargestellt, dass beispielsweise Foren, Blogs oder Cloud-Dienste nicht umfasst sind, genauso wie Online-Marktplätze wie Amazon. Genauso wird sichergestellt, dass etwa Zitate, Memes, Parodien, Auszüge, schmückendes Beiwerk und so weiter weiterhin in geltender Rechtslage teilbar und verwendbar bleiben. Wie diese Rechte konkret gesichert werden, ist jetzt die Aufgabe der nationalen Parlamente.

Versuch einer Bilanz

Für die Demokratie in Europa ist diese Richtlinie ein Gewinn. In den kommenden zwei Jahren werden vielfältige Positionen zu urheberrechtlichen Fragen in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgetauscht, Sachkenntnisse abgeglichen und eine Debatte über das Urheberrecht im digitalen Zeitalter geführt werden. Bürger werden dadurch auch dazu angehalten, bewusster mit dem geistigen Eigentum Dritter umzugehen. Bürger, Verbände und Urheberorganisationen werden die seltene Gelegenheit nutzen können, sich bei der Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht zu Wort zu melden und sich zu engagieren.

Bei der Umsetzung wird darauf zu achten sein, dass ein Missbrauch der Richtlinie zur illegitimen Überwachung von Inhalten oder zur Behinderung der freien Meinungsäußerung durch Plattformen, die sich so ihrer Lizenzpflicht entziehen wollen, ausgeschlossen wird. Die Debatte um das Urheberrecht geht weiter.


Tobias Kiwitt ist Medienanwalt und Vorstand des Bundesverbands junger Autoren und Autorinnen (BVjA).